Entscheidungsstichwort (Thema)
Antragsbefugnis bei Streit über Tarifzuständigkeit einer Vereinigung. Tarifzuständigkeit. Antragsbefugnis. Tarifrecht. Prozessrecht
Leitsatz (amtlich)
Die allein auf § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG beruhende Befugnis einer Partei, die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit in einem Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG gerichtlich klären zu lassen, beschränkt sich auf die Vorfrage, wegen derer ein Verfahren nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG ausgesetzt worden ist.
Orientierungssatz
- Die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK) ist, jedenfalls soweit nicht ihre eigene Stellung als tarifschließende Arbeitgeberin betroffen ist, keine nach § 97 Abs. 1 ArbGG antragsbefugte Vereinigung.
- § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG erweitert den Kreis der zur Einleitung eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG über die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung Befugten in den Fällen, in denen ein Gericht einen Rechtsstreit gemäß § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG ausgesetzt hat, um die Parteien des ausgesetzten Verfahrens.
- Die allein auf § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG gestützte Antragsbefugnis beschränkt sich auf die Vorfrage, wegen derer das mit dem Ausgangsrechtsstreit befasste Gericht sein Verfahren ausgesetzt hat.
- Der Landesverband Sachsen-Anhalt Holz und Kunststoffe e.V. war nach seiner Satzung für den Abschluss des Manteltarifvertrags für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im Land Sachsen-Anhalt vom 21. November 1996 auch insoweit zuständig, als dieser handwerkliche und handwerksähnliche Betriebe, die Fenster und Türen aus Holz oder Kunststoff montieren, in seinen fachlichen Geltungsbereich einbezieht.
Normenkette
ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97 Abs. 1, 5 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 15. Januar 2003 – 4 TaBV 12/02 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Tarifzuständigkeit der Beteiligten zu 2) bis 6).
Der Antragsteller (die ZVK) ist als gemeinsame Einrichtung der Beteiligten zu 2), 3) und 5) zuständig für den Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Der von den Beteiligten zu 2), 3) und 5) geschlossene Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 12. November 1986 (VTV) ist für allgemeinverbindlich erklärt. Die Allgemeinverbindlicherklärung in der Bekanntmachung vom 17. Januar 2000 (Bundesanzeiger Nr. 20 vom 29. Januar 2000) enthält Einschränkungen. Nach Teil I Abs. 2 Buchst. a iVm. Abs. 1 der Allgemeinverbindlicherklärung erstreckt sich diese ua. nicht auf Betriebe von Arbeitgebern mit Sitz im Inland, wenn sie am 1. Juli 1999 unmittelbar oder mittelbar ordentliches Mitglied des Hauptverbandes der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie waren.
Der Beteiligte zu 7) (Arbeitgeber) führt einen Betrieb, der ausschließlich von Dritten gefertigte und bezogene Kunststofffenster und -türen montiert. Er ist seit 1990 in der Handwerksrolle der Handwerkskammer Halle als handwerksähnliches Gewerbe eingetragen. Mit Wirkung vom 1. Januar 1996 trat er dem zu 4) beteiligten Landesverband Holz und Kunststoffe e.V. bei. In dessen Satzung vom 4. Juni 1993 hieß es damals ua.:
“§ 2 – Zweck und Aufgaben des Verbandes
(1) Dem Verband obliegt es, die gemeinsamen Interessen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie im Land Sachsen-Anhalt durch die freiwillige Vereinigung seiner Mitglieder zu fördern und zu schützen.
(2) Um seine Zwecke zu erreichen, hat der Verband
…
e) im Auftrage seiner Mitgliedsfirmen die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie bei Verhandlungen mit den Gewerkschaften über Arbeitsbedingungen zu vertreten und Verträge über Löhne und Gehälter sowie andere Arbeitsbedingungen abzuschließen,
…
§ 3 Erwerb und Beendigung der Mitgliedschaft
(1) Die Mitgliedschaft ist freiwillig und ist jeder rechtlich selbstständigen Firma offen, welche im betreffenden Industriezweig – hierzu gehört auch die Herstellung/der Vertrieb/die Montage von Möbeln und Bauelementen aus anderen Materialien – tätig ist und ihren Sitz im Verbandsgebiet hat.
…”
Zum 7. Juli 2000 wurde § 3 Abs. 1 der Satzung dahin ergänzt, dass der Beteiligte zu 4) “auch für handwerklich und industriell organisierte handwerksähnliche Betriebe der Branche offen” ist.
Der Beteiligte zu 4) schloss am 21. November 1996 mit der Gewerkschaft Holz und Kunststoffe einen Manteltarifvertrag für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im Land Sachsen-Anhalt (MTV). Dieser enthält ua. eine “Willenserklärung”, nach der die vertragsschließenden Parteien hinsichtlich des fachlichen Geltungsbereichs übereinstimmend davon ausgehen, “daß alle Betriebe der holz- und kunststoffverarbeitenden Branche ohne Ausnahme einbezogen sind – gleichgültig, ob sie nur produzieren, nur vertreiben oder nur montieren oder aber auch beliebige zwei oder alle drei Tätigkeiten ausüben”.
Bereits vor Abschluss des MTV hatte die ZVK den Arbeitgeber mit Schreiben vom 19. April 1996 darüber unterrichtet, dass sie sein Beitragskonto wegen seiner Mitgliedschaft im Landesinnungsverband der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie Sachsen-Anhalt gelöscht habe. Mit Schreiben vom 7. Oktober 1997 teilte sie dem Arbeitgeber mit, das Beitragskonto sei zu Unrecht gelöscht worden und werde daher zum 1. Oktober 1997 wieder eröffnet. Der Arbeitgeber erhob daraufhin gegen die ZVK Klage auf Feststellung, dass er ihr gegenüber seit dem 1. Oktober 1997 nicht verpflichtet sei, nach dem VTV Auskünfte zu erteilen und Beiträge abzuführen. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat diesen Rechtsstreit durch Beschluss vom 31. Juli 2000 – 10 Sa 1504/99 – ausgesetzt “bis das Beschlussverfahren (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 ArbGG) erledigt ist, das über die Tarifzuständigkeit des Landesverbandes Sachsen-Anhalt der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e.V. entscheidet.” Bei diesem Verband handelt es sich um den Beteiligten zu 4).
Die ZVK hat daraufhin zur Klärung der Tarifzuständigkeit das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beteiligten zu 4) und 6) seien für den Arbeitgeber nicht tarifzuständig. Nach seiner Satzung sei der Beteiligte zu 4) ausschließlich für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie tarifzuständig. Dazu gehörten handwerksähnliche Betriebe wie der des Arbeitgebers nicht. Daran habe die Satzungsänderung vom 7. Juli 2000 nichts geändert. Auch durch die “Willenserklärung” im MTV hätten die Tarifvertragsparteien keine Tarifzuständigkeit des Beteiligten zu 4) begründen können.
Die ZVK hat beantragt
festzustellen, dass die Beteiligten zu 2), 3) und 5) seit dem 1. Oktober 1997 in Bezug auf § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13 bzw. 37 VTV-Bau in seiner jeweils gültigen Fassung tarifzuständig für den Beteiligten zu 7) waren und sind
sowie hilfsweise festzustellen, dass die Beteiligten zu 4) und 6) ab dem 1. Oktober 1997 nicht tarifzuständig für den Beteiligten zu 7) waren und sind.
Der Beteiligte zu 4) hat – soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Bedeutung – beantragt, den Antrag der ZVK abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, für den Arbeitgeber tarifzuständig zu sein.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass die Beteiligten zu 2), 3) und 5) in der Zeit vom 1. Oktober 1997 bis zum 31. März 1999 tarifzuständig für den Arbeitgeber in Bezug auf § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13 bzw. 37 VTV-Bau in seiner jeweils gültigen Fassung waren. Im Übrigen hat es den Antrag der ZVK abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der ZVK zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgt die ZVK den ersten Antrag für die Zeit ab 1. April 1999 und den zweiten Antrag vollständig weiter. Die Beteiligten zu 4) und 6) beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Der Arbeitgeber hat schriftsätzlich ebenfalls um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde gebeten, ist im Anhörungstermin aber ebenso wie die Beteiligten zu 2), 3) und 5) ausgeblieben.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der ZVK im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Der erste von der ZVK gestellte Antrag ist mangels Antragsbefugnis unzulässig. Der zweite Antrag ist hinsichtlich der Tarifzuständigkeit der Beteiligten zu 6) unzulässig. Im Übrigen ist er zwar zulässig, aber unbegründet. Der Beteiligte zu 4) war für den Abschluss des MTV auch insoweit tarifzuständig, als dieser Geltung für handwerkliche und handwerksähnliche Betriebe wie den des Arbeitgebers beansprucht.
Der erste Antrag ist unzulässig. Der ZVK fehlt die Antragsberechtigung. Sie folgt weder aus § 97 Abs. 1 ArbGG noch aus § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG.
1. Die ZVK ist nicht nach § 97 Abs. 1 ArbGG antragsbefugt. Sie ist keine Vereinigung im Sinne dieser Bestimmung.
a) Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 97 Abs. 1 ArbGG ist, dass eine Vereinigung von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern die sachliche und räumliche Zuständigkeit zum Abschluss von Tarifverträgen besitzt oder zumindest in Anspruch nimmt. Dabei ist auch die Vereinigung antragsbefugt, über deren Tariffähigkeit gerade gestritten wird (vgl. BAG 15. März 1977 – 1 ABR 16/75 – BAGE 29, 72, 78 = AP GG Art. 9 Nr. 24 = EzA TVG § 2 Nr. 12, zu II 2 der Gründe; 25. November 1986 – 1 ABR 22/85 – BAGE 53, 347, 351 = AP TVG § 2 Nr. 36 = EzA TVG § 2 Nr. 17, zu B I 2 der Gründe; GMPM-G/Matthes ArbGG § 97 Rn. 15 f.; GK-ArbGG/Leinemann § 97 Rn. 18 ff.; ArbGV-Koch § 97 Rn. 5). Nach dem Sinn der Vorschrift kann – über den Gesetzeswortlaut hinaus – auch ein einzelner Arbeitgeber antragsbefugt sein, wenn über die Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft zum Abschluss von Tarifverträgen mit diesem Arbeitgeber gestritten wird (vgl. BAG 14. Dezember 1999 – 1 ABR 74/98 – BAGE 93, 83, 91 = AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 14 = EzA TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 7, zu B II 2 der Gründe; GK-ArbGG/Leinemann § 97 Rn. 31).
b) Die ZVK ist weder eine Vereinigung in diesem Sinn, noch führt sie das Verfahren in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin. Eine eigene Zuständigkeit für den Abschluss der vorliegend in Frage stehenden Tarifverträge kommt weder in räumlicher noch in sachlicher Hinsicht in Betracht. Die ZVK hat insbesondere weder den VTV noch den MTV geschlossen. Ihre Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit bildet auch nicht den Gegenstand des Rechtsstreits. Der Umstand, dass an die ZVK als gemeinsame Einrichtung der den VTV schließenden Tarifvertragsparteien Beiträge abzuführen sind, begründet keine Antragsbefugnis nach § 97 Abs. 1 ArbGG.
2. Die ZVK ist für den ersten Antrag auch nicht nach § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG antragsbefugt.
a) § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG erweitert die Antragsbefugnis zur Einleitung eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG in den Fällen, in denen ein Gericht einen Rechtsstreit gemäß § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG bis zur Erledigung eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG ausgesetzt hat, über den Kreis der nach § 97 Abs. 1 ArbGG Antragsbefugten hinaus auf die Parteien des ausgesetzten Rechtsstreits. Die Antragsbefugnis nach § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG beschränkt sich jedoch für diese auf die Vorfrage, wegen derer das Gericht sein Verfahren ausgesetzt hat (BAG 24. Juli 1990 – 1 ABR 46/89 – AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 7 = EzA TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 2, zu B II 1b der Gründe). Die Partei des ausgesetzten Verfahrens ist nicht befugt, eine andere als die von dem aussetzenden Gericht für entscheidungserheblich erachtete Frage der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit gerichtlich klären zu lassen. Die Klärung einer Frage, auf der die Aussetzung nicht beruht, wäre auch nicht geeignet, das nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG der Fortsetzung des ausgesetzten Verfahrens entgegenstehende Hindernis zu beseitigen. Welche Vorfrage das aussetzende Gericht für entscheidungserheblich erachtet hat, ist erforderlichenfalls durch Auslegung des Aussetzungsbeschlusses zu ermitteln. Dabei sind neben der Beschlussformel auch die Gründe zu berücksichtigen. Darauf, ob der Aussetzungsbeschluss zu Recht ergangen ist, kommt es nicht an. Insbesondere ist nicht zu prüfen, ob die Vorfrage, wegen derer das Verfahren ausgesetzt wurde, tatsächlich vorgreiflich ist. Dies zu beurteilen, ist vielmehr ausschließlich Sache des aussetzenden Gerichts (vgl. BAG 24. Juli 1990 – 1 ABR 46/89 – aaO, zu B II 1c der Gründe; GMPM-G/Matthes ArbGG § 97 Rn. 13). Solange der Aussetzungsbeschluss besteht, haben die Parteien des ausgesetzten Verfahrens ein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Entscheidung der Vorfrage, wegen derer das Verfahren ausgesetzt wurde (BAG 24. Juli 1990 – 1 ABR 46/89 – aaO).
b) Der erste Antrag der ZVK ist nicht auf die Entscheidung der Vorfrage gerichtet, wegen derer das Hessische Landesarbeitsgericht den Rechtsstreit zwischen dem Arbeitgeber und der ZVK ausgesetzt hat.
aa) Das Hessische Landesarbeitsgericht hat sein Verfahren ausgesetzt zur Klärung der Frage, ob der Beteiligte zu 4) für den Abschluss des MTV insoweit tarifzuständig war, als dieser handwerkliche und handwerksähnliche Betriebe – wie den des Arbeitgebers – in seinen fachlichen Geltungsbereich einbezogen hat. Dies folgt aus dem Tenor des Aussetzungsbeschlusses im Zusammenhang mit dessen Gründen. Wie sich aus diesen ergibt, hängt die Entscheidung des ausgesetzten Rechtsstreits nach Auffassung des Hessischen Landesarbeitsgerichts davon ab, ob der – nach Ansicht des Hessischen Landesarbeitsgerichts gegenüber dem VTV speziellere (aA insoweit BAG 25. Juli 2001 – 10 AZR 599/00 – BAGE 98, 263, 270 = AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 242 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 111, zu II 3 der Gründe) – MTV wirksam ist, “soweit er in seinem fachlichen Geltungsbereich auch solche Betrieb erfasst, die den Einbau industriell gefertigter und von Dritten fertig bezogener Fenster in Gebäuden durchführen”. Voraussetzung hierfür sei, dass der Beteiligte zu 4) für den Abschluss eines Tarifvertrags mit diesem fachlichen Geltungsbereich überhaupt tarifzuständig war. Dies wiederum begegne grundlegenden Zweifeln, weshalb das Verfahren nach § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen sei, um den Parteien die Möglichkeit zu geben, gemäß § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG eine Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG herbeizuführen. Darüber, ob diese Beurteilung des Hessischen Landesarbeitsgerichts zutrifft oder ob nicht die Entscheidung des ausgesetzten Rechtsstreits von der Auslegung der Einschränkung der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV abhängt (vgl. dazu BAG 25. Juli 2001 – 10 AZR 599/00 – aaO, zu III der Gründe), hatte der Senat nicht zu befinden. Er ist an den Aussetzungsbeschluss gebunden.
bb) Der erste Antrag hat indessen eine völlig andere Frage zum Gegenstand. Mit der Zuständigkeit der Beteiligten zu 2), 3) und 5), Tarifverträge für Betriebe wie denjenigen des Arbeitgebers abzuschließen, hat sich das Hessische Landesarbeitsgericht in seinem Aussetzungsbeschluss vom 31. Juli 2000 nicht ansatzweise befasst. Die Beantwortung dieser Frage könnte auch nichts zur Beurteilung der Tarifzuständigkeit des Beteiligten zu 4) beitragen. Die Erkenntnis, dass ein Arbeitgeberverband für den Abschluss von Tarifverträgen mit einem bestimmten Geltungsbereich zuständig ist, schließt die Möglichkeit nicht aus, dass gleichzeitig ein anderer Arbeitgeberverband diese Tarifzuständigkeit hat.
Der zweite Antrag ist teilweise unzulässig. Im Umfang seiner Zulässigkeit ist er unbegründet. Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt und die Verfahrensbevollmächtigte der ZVK in der Anhörung vor dem Senat bestätigt hat, ist der Antrag – trotz des Wortes “hilfsweise” – kumulativ neben dem ersten Antrag gestellt. Er ist daher ohne Rücksicht auf die Bescheidung des ersten Antrags dem Senat zur Entscheidung angefallen.
1. Der Antrag ist unzulässig, soweit er auf die Feststellung gerichtet ist, dass die zu 6) beteiligte Gewerkschaft nicht tarifzuständig für den Arbeitgeber war und ist. Auch für diesen Antrag fehlt der ZVK die erforderliche Antragsbefugnis. Sie folgt insbesondere nicht aus § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat seinen Rechtsstreit nicht wegen der Vorfrage der Tarifzuständigkeit der Beteiligten zu 6) ausgesetzt. Diese Frage hat für die Aussetzung offensichtlich keine Rolle gespielt.
2. Im Übrigen ist der Antrag zwar zulässig, aber unbegründet.
a) Der Antrag ist zulässig.
Er bedarf allerdings der Auslegung. Der Senat hat ihn dahin verstanden, es möge festgestellt werden, dass der Beteiligte zu 4) beim Abschluss des Manteltarifvertrags am 21. November 1996 insoweit nicht tarifzuständig war, als dieser handwerkliche und handwerksähnliche Betriebe, die – wie der Betrieb des Arbeitgebers – Türen und Fenster aus Kunststoff montieren, in seinen fachlichen Geltungsbereich einbezog. Allerdings betrifft der Antrag seinem Wortlaut nach die Tarifzuständigkeit des Beteiligten zu 4) “ab dem 1. Oktober 1997” und damit in einem Zeitraum, der für die Wirksamkeit des Tarifabschlusses vom 21. November 1996 unerheblich ist. Wie sich jedoch aus dem gesamten Vorbringen der ZVK ergibt, ging es dieser mit dem Antrag jedenfalls auch darum, die vom Hessischen Landesarbeitsgericht als entscheidungserheblich erachtete Vorfrage einer Klärung zuzuführen und das auf Grund des Aussetzungsbeschlusses bestehende Hindernis für eine Verfahrensfortsetzung zu beseitigen. Dies hat die Verfahrensbevollmächtigte der ZVK in der mündlichen Anhörung vor dem Senat bestätigt. Auch liegt der Nennung des Datums “1. Oktober 1997” ersichtlich kein auf die tatsächlichen Verhältnisse gerade in diesem Zeitpunkt bezogener Streit über die Tarifzuständigkeit des Beteiligten zu 4) zugrunde. Sie beruht vielmehr lediglich auf dem Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt die Wiedereröffnung des Beitragskontos des Arbeitgebers durch die ZVK vorgenommen wurde und erst die Beitragspflicht in der Zeit danach den Streitgegenstand des Rechtsstreits vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht bildet. Hiernach erschien es vertretbar, den Antrag im Sinne der dem Aussetzungsbeschluss zugrunde liegenden Frage zu verstehen. Die andernfalls zum Zwecke einer sachdienlichen Antragstellung gebotene Zurückverweisung hätte in keines Verfahrensbeteiligten Interesse gelegen.
In dieser Auslegung ist der Antrag zulässig. Insoweit folgt die Antragsbefugnis der ZVK aus § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG.
b) Der Antrag ist jedoch unbegründet. Der Beteiligte zu 4) war bereits am 21. November 1996 für den Abschluss des Manteltarifvertrags auch insoweit zuständig, als handwerkliche und handwerksähnliche Betriebe – wie der des Arbeitgebers – in den fachlichen Geltungsbereich einbezogen wurden.
aa) Die Tarifzuständigkeit ist die Fähigkeit eines grundsätzlich tariffähigen Verbands, Tarifverträge mit einem bestimmten Geltungsbereich abzuschließen. Sie richtet sich nach der Verbandssatzung (vgl. BAG 24. Juli 1990 – 1 ABR 46/89 – AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 7 = EzA TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 2, zu B II 2a der Gründe mwN). Diese ist erforderlichenfalls auszulegen. Dabei ist auf den objektivierten Willen des Satzungsgebers abzustellen. Maßgebend sind der Wortlaut, der Sinn und Zweck, die Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der Satzung. Unerheblich sind grundsätzlich spätere Satzungsänderungen. Maßgeblich ist vielmehr allein die Satzung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrags (vgl. BAG 24. Juli 1990 – 1 ABR 46/89 – aaO, zu B II 2e der Gründe). Auch der Abschluss von Tarifverträgen oder die Aufnahme von Mitgliedern in den Verband können für sich allein nicht dessen satzungsmäßige Tarifzuständigkeit erweitern (vgl. BAG 24. Juli 1990 – 1 ABR 46/89 – aaO, zu B II 2d der Gründe). Sie können aber Teil der tatsächlichen Handhabung und Ausdruck der Anschauungen der beteiligten Berufskreise sein. Diese können bei der Auslegung Berücksichtigung finden (vgl. BAG 14. Dezember 1999 – 1 ABR 74/98 – BAGE 93, 83, 95 = AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 14 = EzA TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 7, zu B III 2b bb der Gründe mwN).
bb) Hiernach war allein die “Willenserklärung” der Tarifvertragsparteien im MTV nicht geeignet, eine etwa satzungsmäßig nicht vorhandene Tarifzuständigkeit zu begründen. Gleiches gilt für die zum 7. Juli 2000 erfolgte Ergänzung der Satzung, nach welcher der Beteiligte zu 4) ausdrücklich “auch für handwerklich und industriell organisierte handwerksähnliche Betriebe der Branche offen” ist. Auch diese konnte ein mögliches Fehlen der Tarifzuständigkeit nicht rückwirkend heilen. Das war auch nicht erforderlich. Bereits die am 21. November 1996 geltende Satzung des Beteiligten zu 4) ermöglichte den Abschluss von Tarifverträgen auch für Betriebe des Handwerks.
Allerdings spricht der Wortlaut des § 2 der Satzung gegen die Einbeziehung von Handwerksbetrieben. Der dort verwendete Begriff “Industrie” betrifft nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die mit der Massenherstellung von Gütern beschäftigten Fabrikationsbetriebe (vgl. etwa Duden Wörterbuch der deutschen Sprache Bd. 5 S. 1929). Auch erfolgt die industrielle Fertigung regelmäßig auf Vorrat. Dagegen arbeiten Handwerksbetriebe typischerweise auf individuelle Bestellung.
Gleichwohl ergibt sich aus § 3 Abs. 1 der Satzung, dass der Beteiligte zu 4) – bereits vor der Satzungsänderung vom 7. Juli 2000 – auch für Handwerksbetriebe offen stehen sollte. Diese Bestimmung erstreckt den Organisationsbereich über reine Fabrikationsbetriebe hinaus. Nach ihr ist die Mitgliedschaft auch für Firmen vorgesehen, die sich mit der Montage von Bauelementen befassen. Die Montage erfolgt typischerweise nicht im Wege der Massenfertigung, sondern manuell. § 3 Abs. 1 der Satzung kann auch nicht etwa entnommen werden, dass von den Montagebetrieben nur diejenigen erfasst werden sollen, welche die montierten Elemente selbst fertigen. Eine solche Einschränkung hätte zum Ausdruck gebracht werden müssen.
Die Einbeziehung der Handwerksbetriebe entspricht auch Sinn und Zweck der Satzung. Dieser geht erkennbar dahin, nicht nur die Unternehmen zu erfassen, die sich mit der Herstellung von Holz- und Kunststoffprodukten befassen, sondern auch diejenigen, die mit deren Weiterverarbeitung beschäftigt sind.
Für die Einbeziehung von Handwerksbetrieben sprechen ferner die Entstehungsgeschichte der Satzung sowie deren praktische Handhabung. Bereits vor der Gründung des Beteiligten zu 4) wurden die Handwerker der Branche angesprochen. Sie wurden – ua. in Zeitungsanzeigen – ebenso wie die Produktionsgenossenschaften und Leiter von Betrieben und Betriebsteilen der Möbelindustrie zur Bildung des Verbands aufgerufen und in der Folgezeit als dessen Mitglieder aufgenommen. Für den Beteiligten zu 4) war in den ersten Jahren nach dem Beitritt der neuen Bundesländer das Wort “Industrie” ersichtlich ein Sammelbegriff für alle Tätigkeiten in der Branche der Holz- und Kunststoffverarbeitung. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass in der früheren DDR den Industriebetrieben häufig Handwerksbetriebe und handwerksähnliche Gewerbe angeschlossen waren.
Unterschriften
Wißmann, Kreft, Linsenmaier, Peter Berg, Brocker
Fundstellen
Haufe-Index 1220853 |
BAGE 2006, 164 |
BB 2004, 2308 |
DB 2004, 2224 |
FA 2004, 352 |
NZA 2004, 1236 |
SAE 2005, 180 |
AP, 0 |
EzA |
AUR 2004, 438 |