Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsrat. Einblick in Bruttoentgeltlisten. monatliche Einsicht
Orientierungssatz
1. Für die Prüfung, ob der Einleitung eines Beschlussverfahrens durch den Betriebsrat ein ordnungsgemäß gefasster Beschluss zugrunde liegt, besteht kein Anlass, wenn der Arbeitgeber dies nicht bestreitet (Rn. 13).
2. Der Beschluss des Betriebsrats über die Einleitung eines Verfahrens muss die streitige Frage, die einer Klärung zugeführt werden soll, erkennen lassen. Er muss den Verfahrensgegenstand aber nicht detailliert bezeichnen oder im Wortlaut mit einem beabsichtigten Antrag im Beschlussverfahren übereinstimmen (Rn. 15).
3. Ein Verlangen des Betriebsrats nach monatlichem Einblick in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG kann nicht allein mit der Wahrnehmung einer Überwachungsaufgabe oder eines Mitbestimmungsrechts begründet werden. Es muss vielmehr ersichtlich sein, aus welchen Gründen der Einblick im verlangten monatlichen Turnus erforderlich ist (Rn. 19 ff.).
Normenkette
BetrVG § 80 Abs. 2 S. 2; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 23. Mai 2019 - 5 TaBV 9/18 - wird zurückgewiesen.
Gründe
Rz. 1
A. Die Beteiligten streiten über eine monatliche Einblicknahme des Betriebsrats in Bruttoentgeltlisten.
Rz. 2
Der antragstellende, siebenköpfige Betriebsrat ist im Betrieb der Arbeitgeberin an deren Sitz in E errichtet. Auf ein entsprechendes Verlangen nahm er im Januar 2017 Einblick in eine Excel-Tabelle, in der für jeden Monat des Jahres 2016 für jeden namentlich benannten Arbeitnehmer ein Gesamtbruttoentgelt nebst einer Jahressumme sowie einer Monatsdurchschnittssumme aufgelistet war.
Rz. 3
Im Juni 2017 forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf, ihm erneut Einblick in die aktuellen Bruttolohn- und -gehaltslisten zu gewähren. Auf Nachfrage der Arbeitgeberin, inwieweit dies erforderlich sei, teilte er unter Verweis auf seine Überwachungsaufgabe mit, er wolle im monatlichen Turnus Einsicht nehmen.
Rz. 4
Nachdem die Arbeitgeberin dem nicht nachkam, hat der Betriebsrat ein Beschlussverfahren eingeleitet und in der Antragsschrift einen am 27. Juli 2017 gefassten Beschluss über die Verfahrenseinleitung angeführt. Er hat die Auffassung vertreten, es müsse monatlich Einblick in die Bruttoentgeltlisten gewährt werden, damit er die Einhaltung einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit und die Gewährung von Zuschlägen für Mehrarbeit, Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie Nachtarbeit überwachen könne. Bei der Einsichtnahme in die Listen im Januar 2017 hätten sich erhebliche Unterschiede beim Gesamtbruttoentgelt der Arbeitnehmer gezeigt. Es sei nicht auszuschließen, dass die Arbeitgeberin unter Verletzung der Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 BetrVG Sonderzahlungen leiste.
Rz. 5
Der Betriebsrat hat zuletzt - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - beantragt,
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der/dem Betriebsratsvorsitzenden, dessen bzw. deren Stellvertreter/in oder einem anderen von ihm bestimmten Mitglied monatlich Einsicht in die Bruttolohn- und -gehaltslisten der Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestellten hinsichtlich sämtlicher Entgeltbestandteile - aufgeschlüsselt nach der monatlichen Grundvergütung, der Leistungszulage und der übertariflichen Zulage sowie Einmalzahlungen, wie bspw. Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Prämien, Boni oder Gratifikationen sowie Überstundenzuschläge - zu gewähren. |
Rz. 6
Die Arbeitgeberin, welche dem Betriebsrat während des Verfahrens im Mai und August 2019 Einsicht in Bruttolohn- und -gehaltslisten mit der verlangten Aufschlüsselung gewährte, hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Rz. 7
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. In dem von der Arbeitgeberin angestrengten Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht dem Betriebsrat aufgegeben, den Beschluss vom 27. Juli 2017 betreffend die Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens zur Gerichtsakte zu reichen. Nachdem der Betriebsrat Protokollauszüge seiner Sitzungen mit Beschlussfassung vom 27. Juli 2017 sowie vom 14. März 2019 - dort mit vorsorglich erneuter Beschlussfassung - vorgelegt hatte, hat es den Antrag abgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Rz. 8
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Betriebsrat kann keinen Einblick in die Bruttolohn- und -gehaltslisten im monatlichen Turnus beanspruchen.
Rz. 9
I. Der Antrag ist - nach gebotener Auslegung - zulässig.
Rz. 10
1. Sein Wortlaut deutet zwar darauf hin, dass der Betriebsrat neben dem monatlichen Einblick in die Bruttoentgeltlisten eine besondere Aufschlüsselung der Daten dieser Listen - als eigenständiges Rechtsschutzziel - beansprucht. Auch waren vor Einleitung des Verfahrens zwischen den Beteiligten die inhaltlichen (Mindest-)Angaben der Bruttoentgeltlisten, in welche Einsicht verlangt wird, durchaus umstritten. Nach der im Mai und August 2019 von der Arbeitgeberin gewährten Einblicknahme bestanden insoweit allerdings keine Differenzen mehr. Entsprechend hat das Landesarbeitsgericht den Antrag dahingehend verstanden, dass es dem Betriebsrat allein noch darum geht, die Bruttoentgeltlisten jeden Monat einzusehen. Gegen dieses Antragsverständnis hat sich der Betriebsrat nicht gewandt. Im Übrigen verlangt er - anders als die Arbeitgeberin meint - einen Einblick nicht kumulativ für alle im Antrag benannten Personen. Die Antragsfassung trägt vielmehr ersichtlich der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Rechnung, wonach das Einblicksrecht in die Bruttolohn- und -gehaltslisten nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG in kleineren Betrieben - anstelle des dort fehlenden Betriebsausschusses - der die laufenden Geschäfte führende Betriebsratsvorsitzende bzw. dessen Stellvertreter oder ein anderes beauftragtes Betriebsratsmitglied, dem nicht die Führung der laufenden Geschäfte übertragen sein muss, hat (grds. BAG 23. Februar 1973 - 1 ABR 17/72 - zu II der Gründe, BAGE 25, 75).
Rz. 11
2. In diesem Verständnis ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Rz. 12
3. Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig.
Rz. 13
a) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Einleitung des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens durch den Betriebsrat - ebenso wie die Beauftragung des für ihn auftretenden Rechtsanwalts - eines Beschlusses des Betriebsrats bedarf. Ist dies unterblieben oder fehlerhaft erfolgt, ist der für den Betriebsrat gestellte Antrag als unzulässig abzuweisen (ausf. BAG 6. November 2013 - 7 ABR 84/11 - Rn. 50). Allerdings hat das Landesarbeitsgericht verkannt, dass der Betriebsrat die Tatsachen, aus denen das Zustandekommen des (ordnungsgemäßen) Beschlusses folgt, nur auf entsprechendes Bestreiten des Arbeitgebers vorzutragen hat (vgl. BAG 4. November 2015 - 7 ABR 61/13 - Rn. 26). Für die Prüfung, ob der Verfahrenseinleitung ein ordnungsgemäßer Beschluss des Betriebsrats zugrunde liegt, besteht kein Anlass, wenn der Betriebsrat - wie vorliegend - eine Beschlussfassung behauptet und der Arbeitgeber dies nicht in Abrede stellt.
Rz. 14
b) Weiter ist das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Betriebsrat eine bereits erfolgte Einleitung eines Beschlussverfahrens durch nachträgliche - bis zum Ergehen einer Prozessentscheidung mögliche - Beschlussfassung genehmigen kann (vgl. BAG 6. November 2013 - 7 ABR 84/11 - Rn. 50). Seine Wertung, der Betriebsrat habe die Zulässigkeit des Antrags erst nachträglich mit seinem Beschluss vom 14. März 2019 bewirkt, ist hingegen nicht frei von Rechtsfehlern.
Rz. 15
aa) Der Beschluss über ein bei Gericht anzustrengendes Beschlussverfahren muss dem dort zur Entscheidung gestellten Verfahrensgegenstand inhaltlich entsprechen. Er muss jedoch mit einer (beabsichtigten) Antragstellung nicht völlig übereinstimmen oder gar mit dieser wortlautidentisch sein. Vielmehr ist es ausreichend, wenn der Gegenstand, über den in dem Beschlussverfahren eine Klärung herbeigeführt werden soll, und das angestrebte Ergebnis erkennbar sind (vgl. BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - zu B II 1 a aa der Gründe, BAGE 110, 252). Auf den Umfang der Streitfrage, zu deren Klärung eine Verfahrenseinleitung inhaltlich beschlossen ist, kann auch unter Berücksichtigung der Umstände der Beschlussfassung geschlossen werden.
Rz. 16
bb) Nach diesen Grundsätzen trägt bereits der Beschluss des Betriebsrats vom 27. Juli 2017 die Verfahrenseinleitung mit dem angebrachten Verfahrensgegenstand. Die gegenteilige Wertung des Landesarbeitsgerichts vernachlässigt Inhalt und Kontext der hierauf bezogenen Beschlussfassung. Der Betriebsrat hatte nach seiner von der Arbeitgeberin abgelehnten Forderung einer monatlichen Einsichtnahme in die Bruttoentgeltlisten „einstimmig beschlossen, ein Beschlussverfahren zur Einsichtnahme einzuleiten“. Näheres musste er nicht befinden. Der gefasste Beschluss erstreckt sich auf jeglichen Verfahrensgegenstand zum Einblick in Bruttoentgeltlisten und erfasst damit auch die Modalitäten der Einsichtnahme.
Rz. 17
II. Der Antrag ist unbegründet. Der streitbefangene Anspruch folgt nicht aus § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG.
Rz. 18
1. Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen; in diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 BetrVG gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Das Recht besteht nur, wenn es zur Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist (vgl. BAG 7. Mai 2019 - 1 ABR 53/17 - Rn. 16, BAGE 166, 309). Beruft sich der Betriebsrat auf eine Überwachungsaufgabe, ist ein solcher Aufgabenbezug in der Regel deshalb gegeben, weil der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass ua. die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden; ein besonderes Überwachungsbedürfnis muss er nicht darlegen. Verweist der Betriebsrat auf die Prüfung der Wahrnehmung eines Mitbestimmungsrechts, wofür es der Einsicht in die Bruttoentgeltlisten bedarf, kann auch das ausreichend sein (vgl. BAG 30. September 2008 - 1 ABR 54/07 - Rn. 33 ff., BAGE 128, 92).
Rz. 19
2. § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG verlangt eine auf das konkrete Einsichtsverlangen bezogene, spezifische Prüfung der Erforderlichkeit für die vom Betriebsrat geltend gemachten Aufgaben. So besteht etwa kein (mit der Überwachungsaufgabe des § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG und einem möglichen Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG begründeter) Anspruch, wenn es einem örtlichen Betriebsrat um den betriebsübergreifenden Einblick in unternehmensweite Bruttoentgeltlisten geht (vgl. BAG 26. September 2017 - 1 ABR 27/16 - Rn. 14 ff.) oder sich die bei einer auf die Durchführung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze bezogene Überwachungsaufgabe nicht auf die Einhaltung von Ge- oder Verboten bezieht (vgl. BAG 27. Oktober 2010 - 7 ABR 86/09 - Rn. 32, BAGE 136, 123).
Rz. 20
3. Hiervon ausgehend ist nicht ersichtlich, inwieweit die vom Betriebsrat vorgebrachten Aufgaben die verlangte regelmäßige monatliche Einsichtnahme bedingen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
Rz. 21
a) Der Betriebsrat hat darauf verwiesen, die Einhaltung einer im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit, in welcher Zuschläge für Mehrarbeit, Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie für Nachtarbeit geregelt sind, überprüfen zu wollen. Zwar gehört es zu den Aufgaben eines Betriebsrats, die Durchführung einer Betriebsvereinbarung zu überwachen (vgl. BAG 24. April 2018 - 1 ABR 6/16 - Rn. 26). Damit ist aber keine Notwendigkeit einer monatlichen Einsichtnahme in die Listen dargetan, zumal der Betriebsrat eine regelmäßig monatlich anfallende Mehr- oder Nachtarbeit nicht einmal behauptet. Eine solche Erforderlichkeit kann auch nicht mittels Verweis der Rechtsbeschwerde auf andere Rechtsquellen, die hinsichtlich bestimmter Daten eine regelmäßige Unterrichtung des Betriebs- oder Personalrats oder des Wirtschaftsausschusses rechtfertigen, oder durch die Argumentation, das Verlangen einer Einblicknahme könne „jederzeit“ angebracht werden, ersetzt werden.
Rz. 22
b) Soweit sich der Betriebsrat auf die bei seiner Einblicknahme im Januar 2017 festgestellten erheblichen Differenzen der Gesamtbruttoentgelte - und die daraus abgeleitete Vermutung, die Arbeitgeberin habe unter Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 oder Nr. 11 BetrVG Sonderzahlungen geleistet - beruft, ist gleichfalls nicht ersichtlich, warum es künftig monatlich wiederkehrender Einsichtnahmen bedarf. Nach der gewährten Einsichtnahme und auf der Grundlage der Vermutung des Betriebsrats ist die Reklamation eines Mitbestimmungsrechts möglich; es erschließt sich nicht, für welchen (weiteren) Erkenntniswert der turnusmäßig-monatliche Einblick in die Bruttoentgeltlisten unerlässlich sein soll.
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Schmidt |
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Ahrendt |
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K. Schmidt |
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Hayen |
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Dr. Ronny Schimmer |
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Fundstellen
Haufe-Index 14276154 |
NJW 2021, 1897 |
FA 2021, 57 |
NZA 2021, 135 |
ZTR 2021, 104 |
AP 2021 |
AuA 2022, 56 |
EzA-SD 2020, 12 |
LAGE 2021 |
NZA-RR 2021, 223 |
RDV 2021, 40 |
ArbRB 2021, 72 |
AP-Newsletter 2021, 19 |