Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung bei Alkoholabhängigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Alkoholabhängigkeit (Alkoholismus) ist eine Krankheit im Sinne von § 1 Abs 1 S 1 LFZG.
2. Maßgebend für die Beurteilung, ob den Arbeiter an der krankhaften Alkoholabhängigkeit ein Verschulden trifft, ist sein Verhalten vor dem Zeitpunkt, in dem die Alkoholabhängigkeit eingetreten ist.
3. Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach der Arbeiter eine krankhafte Alkoholabhängigkeit in der Regel selbst verschuldet hat (Aufgabe von BAG vom 7.12.1972 5 AZR 350/72 = BAGE 24, 477 = AP Nr 26 zu § 1 LohnFG). Maßgebend ist die Beurteilung im Einzelfall.
4a. Der Arbeiter, der Lohnfortzahlung wegen krankhafter Alkoholabhängigkeit fordert, muß an der Aufklärung aller für die Entstehung des Anspruchs erheblichen Umstände mitwirken. Er muß den Arbeitgeber über die Gründe aufklären, die nach seiner Auffassung zur Krankheit geführt haben.
b. Soweit bei einem Streit über die Ursachen der Erkrankung medizinische Wertungen erforderlich werden, werden die Gerichte in der Regel einen Sachverständigen hinzuziehen müssen. Es wird sich aus Sach- und Kostengründen empfehlen, den Arzt zu fragen, der den erkrankten Arbeiter bisher behandelt hat, zB während einer Alkoholentziehungskur.
c. Kann ein Verschulden des Arbeiters nicht festgestellt werden, muß der Arbeitgeber den Lohn fortzahlen.
Orientierungssatz
1. Im medizinischen Sinne ist Krankheit jeder regelwidrige körperliche oder geistige Zustand, der einer Heilbehandlung bedarf.
2. Schuldhaft im Sinne von § 1 Abs 1 S 1 LFZG – für Angestellte, die Ansprüche auf Lohn- oder Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall nach § 616 Abs 1 S 1 BGB, § 63 Abs 1 S 1 HGB oder § 133c S 1 GewO geltend machen können, gilt insoweit nichts anderes – handelt der Arbeiter, der gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt.
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 16.06.1980; Aktenzeichen 7 Sa 123/80) |
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 07.11.1979; Aktenzeichen 4 Ca 1023/79) |
Fundstellen
Haufe-Index 60141 |
BAGE 43, 54-65 (LT1-4) |
BAGE, 54 |
BB 1984, 339-341 (LT1-4) |
DB 1983, 2420-2423 (LT1-4) |
NJW 1983, 2659 |
NJW 1983, 2659-2662 (LT1-4) |
ARST 1984, 21-21 (LT4) |
ARST 1984, 38-39 (LT1-3) |
BehindR 1984, 65-69 (LT1-4) |
JR 1985, 44 |
SAE 1984, 27-31 (LT1-4) |
USK, 8386 (LT1-4) |
AP, Nr 52 zu § 1 LohnFG (LT1-4) |
AR-Blattei, ES 1000.3.1 Nr 122 (LT1-4) |
AR-Blattei, Krankheit IIIA Entsch 122 (LT1-4) |
BKK 1984, 147-148 (LT1-4) |
EzA, § 1 LohnFG Nr 69 (LT1-4) |
EzBAT, Verschulden Nr 11 (LT1-4) |
JZ 1984, 152 |
JZ 1984, 152-152 (LT1-4) |