Dem folgt der Senat nicht. Die Beklagte hat den vor dem Arbeitsgericht Würzburg – Kammer Aschaffenburg – geschlossenen Vergleich vom 18. Februar 2002 mit Schreiben vom 4. März 2002 wirksam widerrufen. Der Rechtsstreit ist deshalb noch nicht beendet. Das Landesarbeitsgericht muss dementsprechend Gelegenheit erhalten, die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung im Einzelnen zu beurteilen.
I. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts konnte der von den Parteien geschlossene Widerrufsvergleich vom 18. Februar 2002 durch die Einreichung eines Schriftsatzes beim Arbeitsgericht Würzburg (Stammgericht) wirksam widerrufen werden. Dies folgt aus einer Auslegung des gerichtlichen Vergleichs.
1. Bei dem Vergleich vom 18. Februar 2002 handelt es sich um einen Prozessvergleich. Prozessvergleiche können vom Revisionsgericht unbeschränkt und selbstständig gemäß §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden (BAG 20. April 1983 – 4 AZR 497/80 – BAGE 42, 244, 249; 28. April 1983 – 2 AZR 446/81 – AP AFG § 117 Nr. 3 = EzA AFG § 117 Nr. 3; 21. Februar 1991 – 2 AZR 458/90 – AP ZPO § 794 Nr. 41 = EzA ZPO § 794 Nr. 9; 9. Oktober 1996 – 5 AZR 246/95 – AP SGB X § 115 Nr. 9 = EzA AFG § 117 Nr. 11; 21. Januar 1998 – 2 AZR 367/97 – BAGE 87, 352; zuletzt 16. Januar 2003 – 2 AZR 316/01 –).
2. Gemäß §§ 133, 157 BGB sind Vereinbarungen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auszulegen. Dabei ist nicht am buchstäblichen Sinn der verwendeten Ausdrücke zu haften, sondern unter Beachtung der Begleitumstände der wirkliche Wille der Vertragsschließenden zu erforschen.
3. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Auslegung des gerichtlichen Vergleichs vom 18. Februar 2002 den wirklichen Willen der Parteien (§ 133 BGB), wie er in der Formulierung des Vergleichstextes zum Ausdruck kommt, sowie die Begleitumstände des Vergleichs und die Interessenlage der Parteien nicht ausreichend berücksichtigt. Dabei kann der Senat die Auslegung des Vergleichs selbst vornehmen, weil der Rechtsstreit insoweit zur Entscheidung reif ist. Weiterer Vortrag der Parteien zur Frage der Auslegung der Ziff. 4 des gerichtlichen Vergleichs war nicht mehr zu erwarten.
4. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Wortlaut des gerichtlichen Vergleichs vom 18. Februar 2002 – worauf auch schon das Arbeitsgericht in seinem Urteil hingewiesen hat – nicht eindeutig. Nach der Ziff. 4 des gerichtlichen Vergleichs muss der Widerruf “durch Einreichung eines Schriftsatzes zum Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg” erfolgen.
a) Zwar steht es den Prozessparteien frei, den Adressaten des Widerrufsschriftsatzes konkret festzulegen (BAG 21. Februar 1991 – 2 AZR 458/90 – AP ZPO § 794 Nr. 41 = EzA ZPO § 794 Nr. 9; 22. Januar 1998 – 2 AZR 267/97 – BAGE 17, 352). Es liegen jedoch keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Parteien ein auf die Außenkammer Aschaffenburg räumlich beschränktes Widerrufsrecht festgelegt haben bzw. festlegen wollten.
aa) Aus der Formulierung und der Satzstellung ergibt sich nicht – und schon gar nicht eindeutig –, dass der Widerruf nur wirksam an die Außenkammer Aschaffenburg des Arbeitsgerichts Würzburg adressiert werden konnte. Aus der Bezeichnung “Kammer Aschaffenburg” folgt dies allein nicht. Die Bezeichnung “Kammer Aschaffenburg” ist von den Parteien lediglich als Zusatz bzw. Nachsatz zum Arbeitsgericht Würzburg verwendet worden. Dabei kann dem Zusatz lediglich die Bedeutung zukommen, die interne Zuständigkeit der Kammern des Arbeitsgerichts Würzburg – wie sie sich bereits aus dem gerichtlichen Aktenzeichen ergibt – zu verdeutlichen. Ein zwingender eigener Regelungsgehalt kann der Formulierung nicht entnommen werden. Die Wendung lässt sich demnach nicht allein in dem Sinne verstehen, dass nur und ausschließlich ein Widerruf bei der Außenkammer möglich sein sollte. Es liegt vielmehr nahe, dass die Parteien eine Widerrufsmöglichkeit sowohl beim Stammgericht als auch bei der Außenkammer des Arbeitsgerichts Würzburg durch Einreichung eines Schriftsatzes schaffen wollten.
bb) Dies gilt umso mehr, als zumindest ein Teil der für Aschaffenburg maßgeblichen Gerichtsorganisation des Arbeitsgerichts Würzburg (so vor allem der zuständige Kammervorsitzende) sich in dem Stammgericht und nicht in der Außenkammer in Aschaffenburg befindet. Demnach kann selbst aus einem den Parteien zu unterstellenden Beschleunigungsinteresse nicht auf die Wahl der Außenkammer als alleinigem Adressaten des Vergleichswiderrufs geschlossen werden. Hätten die Parteien als ausschließlichen Adressaten des Widerrufs die Außenkammer des Arbeitsgerichts Würzburg festlegen wollen, hätte es nahegelegen, beispielsweise klarstellend zu formulieren, dass der Widerruf bei der Außenkammer des Arbeitsgerichts Würzburg in Aschaffenburg eingegangen sein muss (siehe eine vergleichbare Formulierung im Urteil des BGH 25. Januar 1980 – I ZR 60/78 – NJW 1980, 1753, 1754) oder ausdrücklich die Adresse der Außenkammer in den Vergleich aufzunehmen. Fehlt es aber – wie vorliegend – an einer eindeutigen Festlegung der Außenkammer als Adressat des Widerrufs, kann daraus nur gefolgert werden, dass der Widerruf gegenüber dem Arbeitsgericht Würzburg, bei dem der Rechtsstreit anhängig war, insgesamt erfolgen konnte.
b) Gegen das vom Landesarbeitsgericht gefundene Ergebnis spricht weiter die bei der Auslegung zu berücksichtigende Interessenlage der Parteien und der Zweck der Widerrufsregelung (zu den Kriterien Palandt-Heinrichs BGB § 133 Rn. 18 mwH). Geboten ist eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung (Palandt-Heinrichs aaO). Das Interesse der Parteien geht bei dem vereinbarten Widerrufsvorbehalt dahin, allen am Prozess Beteiligten alsbald Klarheit über den Bestand des Vergleichs zu verschaffen. Mit der Festlegung des Adressatengerichts für den Widerruf wollen die Parteien klare und berechenbare Verhältnisse schaffen. Insbesondere der Prozessgegner soll unmittelbar nach Ablauf der Widerrufsfrist durch eine Nachfrage bei der Geschäftsstelle der zuständigen Kammer des Arbeitsgerichts Gewissheit über den Bestand des Vergleichs erlangen können. Gleichwohl soll der Zugang zu den Gerichten und zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Fehlt es an einer eindeutigen vertraglichen Bestimmung, so ist eine Auslegung vorzuziehen, die den Weg zum Gericht eröffnet.
5. Unabhängig davon wäre selbst bei einem Verständnis der Widerrufsklausel in dem vom Landesarbeitsgericht angenommenen Sinne der Widerruf noch als rechtzeitig anzusehen.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt es für die Rechtzeitigkeit des Eingangs eines fristwahrenden Schriftsatzes allein darauf an, dass er innerhalb der Frist tatsächlich in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt ist. Diese Grundsätze gelten auch für den Zugang fristwahrender Schriftsätze innerhalb einer Instanz im Zivil- oder Arbeitsgerichtsprozess, wenn ihnen – wie einem Vergleichswiderruf – die gleiche Wirkung wie einem Rechtsmittelschriftsatz zukommt (vgl. BVerfG 3. Oktober 1979 – 1 BvR 726/78 – BVerfGE 52, 203, 209; 29. April 1981 – 1 BvR 159/80 – BVerfGE 57, 117, 120; 20. April 1982 – 1 BvR 244/80 – BVerfGE 60, 243, 246; 14. Mai 1985 – 1 BvR 370/84 – 69, 281, 385; BAG 24. Oktober 1985 – 2 AZR 521/84 – AP ZPO § 794 Nr. 38 = EzA ZPO § 794 Nr. 7).
b) Der Widerrufsschriftsatz ist am 4. März 2002 beim Arbeitsgericht Würzburg eingegangen und am 5. März 2002, also noch innerhalb der Widerrufsfrist dem zuständigen Richter der zuständigen Kammer vorgelegt worden. Schon damit war er im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung ohne Weiteres tatsächlich in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt. Im Übrigen wäre das Arbeitsgericht Würzburg auch verpflichtet gewesen, den Widerrufsschriftsatz umgehend zur Außenkammer Aschaffenburg zu expedieren. Dafür, dass der Widerrufsschriftsatz dort nicht noch innerhalb der Widerrufsfrist rechtzeitig eingegangen wäre, ist nichts erkennbar, weil für einen Transport nach Aschaffenburg mindestens noch ein Tag – und damit ausreichend – Zeit zur Verfügung stand.
II. Da das Landesarbeitsgericht über die Wirksamkeit der Kündigung noch keine Entscheidung getroffen hat, war der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).