Leitsatz (amtlich)
1. Das Verbot, Arbeitern Waren auf Kredit zu verkaufen (§ 115 Abs. 2 Satz 1 GewO) ist weiterhin geltendes Recht. Es ist auch nicht durch Gewohnheitsrecht beseitigt worden (Bestätigung von BAG AP Nr. 1 zu § 115 GewO).
2a. Die Anordnung des Reichsarbeitsministers vom 16. Januar 1939 (RABl. I, 57), die in Abweichung von § 115 Abs. 2 GewO Abzahlungskäufe für Hausrat zuläßt, gilt ebenfalls fort.
b. Farbfernsehgeräte sind Gebrauchsgegenstände im Sinne dieser Anordnung.
c. Soweit im Geltungsbereich dieser Anordnung Abzahlungskäufe erlaubt sind, kann der Arbeitgeber gegen den Lohnanspruch des Arbeitnehmers mit seiner Kaufpreisforderung nur im Umfang der nach der Anordnung zulässigen Abzahlungsraten aufrechnen.
3. Das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB in Verbindung mit § 850 c ZPO kommt auch der Krankenkasse zugute, auf die der Lohnfortzahlungsanspruch des kranken Arbeitnehmers nach § 182 Abs. 10 RVO übergeht.
Normenkette
GewO §§ 115, 116 S. 2, § 118 S. 2; BGB § 388 S. 1, § 394; EG BGB Art. 2; RVO § 1542; ZPO § 850c
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 07.02.1977; Aktenzeichen 1 Sa 1129/76) |
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt (Main) vom 7. Februar 1977 – 1 Sa 1129/76 – teilweise aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau/Main vom 23. September 1976 – 1 Ca 64/76 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefaßt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 483,95 DM zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Im übrigen werden Berufung und Revision zurückgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Beklagte fünf Sechstel und die Klägerin ein Sechstel zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin fordert als Rechtsnachfolgerin des bei ihr versicherten Elektroinstallateurs G. D. von dem Beklagten Lohnfortzahlung für die Zeit vom 17. bis 31. Juli 1975 in Höhe von 583,95 DM. Der Beklagte hält den Anspruch im Hinblick auf eine von ihm erklärte Aufrechnung mit einer Restforderung aus dem Verkauf eines Farbfernsehgeräts an Herrn D. für erloschen.
Herr D. war bei dem Beklagten, der ein Elektrogeschäft betreibt, seit mehreren Jahren als Elektroinstallateur beschäftigt. Der Beklagte hatte ihm ein Farbfernsehgerät mit der Maßgabe verkauft, daß er den Kaufpreis in monatlichen Raten von 100,– DM zahlen und im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Restkaufpreis fällig werden sollte. Der Kaufpreisrest betrug am 31. Juli 1975 1.168,– DM.
Am 25. Juni 1975 kündigte der Beklagte Herrn D. fristgerecht zum 31. Juli 1975. Mit einer am 27. Juni 1975 zum Arbeitsgericht Hanau erhobenen Klage – 1 Ca 600/75 – wehrte Herr D. sich gegen diese Kündigung und machte Zahlungsanspruch geltend. Anschließend fuhr er nach Spanien in Urlaub. Dort erlitt er am 16. Juli 1975 einen Unfall und war bis zum 7. September 1975 arbeitsunfähig krank.
Mit Schreiben vom 5. August 1975 wies die Klägerin den Beklagten auf seine Pflicht zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hin und teilte mit, sie werde zunächst mit Krankengeld Zahlungen eintreten, wenn der Beklagte seiner Lohnzahlungspflicht nicht nachkomme. Der Lohnfortzahlungsanspruch werde dann auf sie kraft Gesetzes übergehen.
Mit Schreiben vom 11. August 1975 lehnte der Beklagte die Lohnfortzahlung ab. Zur Begründung gab er an, Herr D. habe nach Erhalt des Kündigungsschreibens noch am Abend desselben Tages selbst gekündigt. Er habe Klage beim Arbeitsgericht gegen ihn erhoben. Bei dieser Gelegenheit werde auch wegen des Krankengeldes verhandelt. Außerdem habe er noch eine Forderung in Höhe von 1.168,– DM aus Materiallieferungen gegen Herrn D. Die Klägerin erwiderte in einem dem Beklagten am 20. August 1975 zugegangenen Brief, daß sie Krankengeld an Herrn D. zahlen werde und der Beklagte deshalb an ihn keine Zahlungen mehr leisten dürfe. Noch im August 1975 zahlte die Klägerin an Herrn D. für die Zeit vom 17. Juli bis 26. August 1975 (41 Tage) Krankengeld in Höhe von 38,93 DM täglich, insgesamt 1.596,13 DM.
In dem Kündigungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Hanau (1 Ca 600/75) machte Herr D. im Termin vom 11. September 1975 einen Krankenlohnanspruch für die Zeit vom 16. bis 31. Juli 1975 in Höhe von 912,– DM brutto geltend. Der Beklagte erklärte hiergegen in einem in diesem Termin übergebenen Schriftsatz hilfsweise die Aufrechnung mit seinem Restkaufpreisanspruch. Das Arbeitsgericht gab der Klage in vollem Umfang statt. Im Berufungsverfahren schlossen die dortigen Parteien vor dem Landesarbeitsgericht Frankfurt am Main (7 Sa 1120/75) am 2. Juni 1976 einen Prozeßvergleich, in dem u.a. folgendes vereinbart wurde:
„1. Die Parteien sind sich einig, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers (Herr D.) auf die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 31. Juli 1975 beendet war.
2. Die Beklagte (der jetzige Beklagte) zahlt an den Kläger als Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG DM 3.000,–
…
7. Damit sind sämtliche Ansprüche der Parteien, welchen Rechtsgrund sie auch haben mögen, gegeneinander abgegolten.”
Mit der vorliegenden, am 29. Januar 1976 zugestellten Klage hat die Klägerin von dem Beklagten zunächst den nach ihrer Ansicht gemäß § 182 Abs. 10 RVO übergegangenen Krankenlohnanspruch ihres Versicherten in Höhe des gesamten für die ersten 41 Tage gezahlten Krankengeldes geltend gemacht. Im Hinblick auf den im Vorprozeß abgeschlossenen Vergleich ermäßigte sie die Klage auf das auf die Zeit vom 16. bis 31. Juli 1975 entfallende Krankengeld in Höhe von 583,95 DM.
Sie hat die Auffassung vertreten, der von dem Beklagten erklärten Aufrechnung stehe das Kreditierungsverbot des § 115 Abs. 2 Satz 1 GewO entgegen. Die Anordnung des Reichsarbeitsministers vom 16. Januar 1939 (Reichsarbeitsblatt I, 57) sei auf ein Farbfernsehgerät nicht anwendbar. Außerdem sei die Aufrechnung wegen § 394 BGB unzulässig.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zur Zahlung von 583,95 DM an sie zu verurteilen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er ist der Meinung, Herr D. habe schon deshalb keinen Lohnfortzahlungsanspruch mehr, weil in Nr. 7 des Prozeßvergleichs vom 2. Juni 1976 alle gegenseitgen Ansprüche erledigt worden seien. In jedem Falle sei der Anspruch aber durch Aufrechnung erloschen. Die Aufrechnung sei zulässig. Ihr stehe § 115 Abs. 2 Satz 1 GewO nicht entgegen, weil ein Farbfernsehgerät ein Gebrauchsgegenstand im Sinne der Anordnung des Reichsarbeitsministers vom 16. Januar 1939 sei. § 394 BGB sei im Hinblick auf den gesetzlichen Forderungsübergang an die Klägerin nicht anwendbar.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat dieses Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Der Klägerin steht der geltend gemachte Lohnfortzahlungsanspruch in Höhe von 483,95 DM zu. In diesem Umfang war das Urteil des Arbeitsgerichts wiederherzustellen. Die weitergehende Forderung ist durch Aufrechnung erloschen.
A. Unstreitig hatte Herr D. gegen den Beklagten für die Zeit vom 16. bis 31. Juli 1975 gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG einen Lohnfortzahlungsanspruch erworben. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß die Klägerin alsbald nach Eingang des Schreibens des Beklagten vom 11. August 1975 Mitte dieses Monats Krankengeld an Herrn D. gezahlt hat. Zu diesem Zeitpunkt ist deshalb sein Lohnfortzahlungsanspruch in Höhe des auf den Zeitraum vom 16. bis 31. Juli 1975 entfallenden Krankengeldes von 583,95 DM gemäß § 182 Abs. 10 RVO auf die Klägerin übergegangen. Zutreffend haben insoweit beide Vorinstanzen angenommen, daß dieser Teil des Anspruchs von dem am 2. Juni 1976 abgeschlossenen Prozeßvergleich nicht berührt wurde. Die in Nr. 7 des Vergleichs vereinbarte Abgeltungsklausel stellt entweder einen Erlaßvertrag nach § 397 Abs. 1 BGB oder ein negatives Schuldanerkenntnis nach § 397 Abs. 2 BGB über die Ansprüche dar, die nach dem Villen der Parteien erledigt werden sollten. Im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses war Herr D. jedoch nicht mehr Inhaber des auf die Klägerin übergegangenen Teils seines Lohnfortzahlungsanspruchs und konnte deshalb auch nicht mehr über ihn durch Erlaß verfügen. Zwar muß der neue Gläubiger gemäß §§ 412, 407 Abs. 1 BGB ein Rechtsgeschäft, das der Schuldner in Unkenntnis des gesetzlichen Forderungsüberganges mit dem bisherigen Gläubiger in Bezug auf die Forderung vornimmt, gegen sich gelten lassen. Im Streitfall war dem Beklagten aber bei Abschluß des Vergleichs der Forderungsübergang bekannt. Die Klägerin hatte ihm in ihren Schreiben vom August 1975 mitgeteilt, daß sie an Herrn D. Krankengeld zahle und der Lohnfortzahlungsanspruch auf sie übergehen werde, und sie hat in der ihm am 29. Januar 1976 zugestellten Klageschrift die inzwischen erfolgte Zahlung des Krankengeldes vorgetragen.
B. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt somit davon ab, ob die Klageforderung durch die von dem Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen ist. Dies hat das Landesarbeitsgericht bejaht. Der Senat vermag ihm jedoch für den überwiegenden Teil der Aufrechnungsforderung nicht zu folgen.
I. Der Beklagte war durch den Forderungsübergang auf die Klägerin an der Aufrechnung mit seinem Kaufpreisrestanspruch nicht gehindert.
Gemäß § 388 Satz 1 BGB ist die Aufrechnung mit einer Gegenforderung dem Gläubiger der Hauptforderung gegenüber zu erklären. Nach dem von den Vorinstanzen in Bezug genommenen Inhalt der Vorprozeßakte hat der Beklagte Herrn D. gegenüber erstmals in dem im Termin vom 11. September 1975 vor dem Arbeitsgericht Hanau übergebenen Schriftsatz vom selben Tag die Aufrechnung mit seinem Kaufpreisrestanspruch erklärt. Zu dieser Zeit war Herr D. jedoch nicht mehr Inhaber dieser Forderung. Sollte in dem Hinweis auf diese Forderung in dem Schreiben des Beklagten an die Klägerin vom 11. August 1975 eine Aufrechnungserklärung zu sehen sein, wäre diese ebenfalls unwirksam gewesen, weil die Klägerin erst nach dem 11. August 1975 Krankengeld an Herrn D. gezahlt hat und mithin am 11. August 1975 die Forderung noch nicht auf sie übergegangen war. Jedoch muß die Klägerin die ihr gegenüber in der Klageantwort vom 6. Februar 1976 erklärte Aufrechnung gemäß §§ 406, 412 BGB gegen sich gelten lassen, weil der Beklagte den Kaufpreisanspruch erworben hatte, bevor er von dem Forderungsübergang Kenntnis erlangte, und der Kaufpreisrestanspruch nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils mit der zum 31. Juli 1975 erfolgten Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Herrn D. und damit ebenfalls vor Kenntnis des Beklagten von dem Forderungsübergang fällig geworden war.
II. Die Aufrechnung ist jedoch, nur zu einem Teilbetrag von 100,– DM wirksam.
1. Der zwischen Herrn D. und dem Beklagten abgeschlossene Kaufvertrag fällt unter das Kreditierungsverbot des § 115 Abs. 2 Satz 1 GewO.
a) Während § 115 Abs. 1 GewO die Gewerbetreibenden verpflichtet, die Löhne ihrer Arbeiter in Bundeswährung zu berechnen und bar auszuzahlen (sogenanntes Truck-Verbot), dient das Verbot des Warenkreditierens in erster Linie der Sicherung des Truck-Verbotes. Darüber hinaus soll § 115 Abs. 2 Satz 1 GewO verhindern, daß der Arbeitnehmer in eine weitere Abhängigkeit zum Arbeitgeber gerät.
Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 20. März 1974 (AP Nr. 1 zu § 115 GewO [zu 1 a der Gründe]) ausgeführt und entschieden, daß diese Bestimmungen der Gewerbeordnung weiterhin geltendes Recht sind. Er hat dies damit begründet daß die bei Erlaß der Bestimmungen verbreiteten Mißstände in der heutigen Praxis des Arbeitslebens zwar selten geworden seien. Jedoch hätten sich die Verhältnisse seitdem nicht so entscheidend und offenkundig geändert, daß die gesetzliche Regelung heute im Hinblick auf den gesetzgeberischen Zweck schlechterdings nicht mehr sinnvoll erschiene. Nur unter diesen Voraussetzungen könnte die Unanwendbarkeit der Vorschriften in Betracht gezogen werden.
Diese Entscheidung hat insoweit auch allgemeine Zustimmung in Literatur und Rechtsprechung gefunden (Weitnauer/Holtkamp, Anm. zu AP Nr. 1 zu § 115 GewO [zu II Bl. 3 R]; Herschel, AuR 1975, 159 [zu I 1. Sp. 2. Absatz] Landmann/Rohmer/Neumann, GewO, 13. Aufl., Band I, Loseblatt, Stand März 1978 § 115 RdNr. 4; Stahlhacke, Kommentar zur Gewerbeordnung, Arbeitsrechtlicher Teil, Loseblatt Band 3, Stand Mai 1978, § 115 Anm. IV Bl. 16; LAG Hamm vom 20. September 1974, EzA Nr. 3 zu § 115 GewO [zu 2 der Gründe]). Auch der Senat ist in einer weiteren Entscheidung vom 15. Mai 1974 (AP Nr. 2 zu § 387 BGB [zu 1 der Gründe]) von der Fortgeltung des gesetzlichen Truck-Verbots ausgegangen, ebenso der BGH in seiner Entscheidung vom 12. Mai 1975 (AP Nr. 3 zu § 115 GewO [zu I 1 der Gründe]).
b) Demgegenüber nimmt das Landesarbeitsgericht an, diese Vorschriften seien durch Gewohnheitsrecht beseitigt worden. Es sei gerichtsbekannt, daß seit Jahrzehnten Gewerbetreibende jeder Art ihren Arbeitnehmern einen sogenannten Personaleinkauf gegen Vorzugspreise und unter Einräumung eines zinslosen Kredits gestatteten. Die Automobilhersteller setzten auf diese Weise bis 1/12 ihrer Jahresproduktion um. Es handele sich um einen Bestandteil der betrieblichen Sozialpolitik, der von den Verbänden billigend hingenommen werde. Das Bewußtsein, insoweit rechtens zu handeln, bestehe innerhalb der beteiligten Volkskreise umsomehr, als die damit verbundenen finanziellen Vorteile nicht mit einer größeren persönlichen Abhängigkeit erkauft würden. Bei Ausnahmen im Einzelfall könne durch eine gerichtliche Inhaltskontrolle der getroffenen Vereinbarung Abhilfe geschaffen werden. Auch die Behörden nähmen diese Praxis billigend hin; denn es sei noch keine „Hilfskasse” im Sinne der § 118 Satz 2, § 116 Satz 2 GewO eingerichtet worden.
c) Dieser Ansicht ist der Senat nicht gefolgt.
(1) Zwar ist für das Deutsche Bürgerliche Recht das Gewohnheitsrecht, d.h. das ungesetzte, durch einen allgemeinen Rechtsgeltungswillen der Gemeinschaft erzeugte Recht, neben dem Gesetz als Rechtsquelle anerkannt. Dies folgt auch aus Art. 2 EGBGB, der bestimmt, daß Gesetz im Sinne des BGB und dieses Gesetzes jede Rechtsnorm ist. Es steht in seinem Rang dem Gesetz gleich und ist im Stande, alte Gesetze aufzuheben oder abzuändern (Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Halbband, 15. Aufl.,1959, § 38 III 1 S. 262, § 40 IV 1 S. 271).
(2) Voraussetzung für die Entstehung von Gewohnheitsrecht ist jedoch ein allgemeiner Rechtsgeltungswille der Gemeinschaft, der manifestiert werden muß. Unmittelbar wird dies nur noch unter außergewöhnlichen Umständen, etwa bei einer revolutionären Umgestaltung des Staatswesens oder einer allgemeinen Auflehnung gegen ein als unerträglich empfundenes Gesetz geschehen. Hiervon abgesehen bedarf es in Zeiten einer entwickelten staatlichen Gesetzgebung einer Manifestierung des Rechtsgeltungswillens durch Übung, in erster Linie durch die Organe der Gemeinschaft. Der durch Übung beteiligter Volkskreise manifestierte Rechtsgeltungswille ist noch kein solcher der Gemeinschaft. Auf dem Gebiet des Privatrechts entsteht Gewohnheitsrecht deshalb in der Hauptsache durch eine ständige Rechtsprechung der Gerichte, wenn diese sich durchgesetzt, d.h. allgemeine Anerkennung gefunden hat (vgl. Enneccerus-Nipperdey, a.a.O., § 39 II 1–3 b, S. 266/267).
(3) Für eine Aufhebung der Vorschriften der Gewerbeordnung über das Truck- und Kreditierungsverbot durch Gewohnheitsrecht fehlt es jedoch an diesen Voraussetzungen.
Neuere Entscheidungen der Gerichte für Arbeitssachen zu diesen Fragen der Lohnsicherung liegen nicht vor, worauf der Senat bereits in seinem Urteil AP Nr. 1 zu § 115 GewO hingewiesen hat. Hieraus ist nicht zu folgern, daß jene Schutzvorschriften allgemein nicht mehr beachtet würden und sich in den beteiligten Volkskreisen oder gar in der Gemeinschaft ein gegen ihre Fortgeltung gerichteter Rechtsgeltungswille gebildet hätte. Daß es Mißstände, denen das Truck-Verbot entgegenwirken sollte, nicht oder so gut wie nicht mehr gibt, kann auch eine Wirkung dieser Regelung sein (so zutreffend Weitnauer-Holtkamp Anm. zu AP Nr. 1 zu § 115 GewO [zu II]). Dafür, daß das Truck- und Kreditierungsverbot in maßgebenden Wirtschaftskreisen noch durchaus beachtet wurde und auch beachtet wird, spricht gerade die vom Landesarbeitsgericht erwähnte Praxis der Deutschen Automobilhersteller bei dem Verkauf sogenannter Werkswagen an ihre Arbeitnehmer. Diese Verkäufe werden nicht von den Herstellern finanziert, sondern von den Arbeitnehmern selbst, unter Umständen durch unternehmensfremde Finanzierungsinstitute (vgl. Weitnauer-Holtkamp, a.a.O. [zu V]); diese Finanzierungsmethode verstößt nicht gegen das Truck- und Kreditierungsverbot (BGH AP Nr. 3 zu § 115 GewO [zu II 2 der Gründe]).
In der Rechtslehre sind §§ 115 ff. GewO ohne weiteres als fortgeltendes Recht angesehen worden (vgl. neben den unter B II 1 a zitierten Autoren insbesondere Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Band I, 7. Aufl., 1963, § 45 I S. 355/359; Nikisch, Arbeitsrecht, Band I, 3. Aufl., 1961 § 33 II S. 417; Staudinger-Nipperdey-Neumann, Der Dienstvertrag, 11. Aufl., 1958, § 611 BGB RdNr. 191, jeweils m.w.N.). Auch die Einstellung der Rechtswissenschaft ist von Bedeutung dafür, ob sich ein Gerichtsgebrauch durch allgemeine Anerkennung durchgesetzt und damit gewohnheitsrechtsbildende Kraft erlangt hat (Enneccerus-Nipperdey, a.a.O., § 39 II 3 b S. 267 f.). Sieht sie gesetzliche Bestimmungen für fortgeltend an, so spricht dies für einen entsprechenden Rechtsgeltungswillen der Gemeinschaft.
(4) Der Gesetzgeber selbst geht von einer Fortgeltung der §§ 115 ff. GewO aus. Er hat durch die Neufassung der Gewerbeordnung vom 1. Januar 1978 (BGBl. I, 97) diese Vorschriften in ihrer Gesamtheit unverändert übernommen und in einigen Punkten den heutigen Verhältnissen angepaßt, so durch Ersetzung der Bezeichnung „Reichswährung” durch „Deutsche Mark” in § 115 Abs. 1 GewO und der Bezeichnung „Ortsarmenkasse” bzw. „Hilfskasse” durch „Krankenkasse” bzw. „Träger der Sozialhilfe” in § 116 Satz 2 GewO.
2. Die in § 115 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GewO zugelassenen Ausnahmen von dem Kreditierungsverbot liegen nicht vor. Der Kauf des Fernsehgeräts ist jedoch nach der Anordnung des Reichsarbeitsministers vom 16. Januar 1939 über eine Ausnahme von den Vorschriften des § 115 der Gewerbeordnung (RABl. I, 57) von dem Kreditierungsverbot befreit.
a) Diese Anordnung lautet:
„Aufgrund der Arbeitszeitordnung vom 30. April 1938 (RGBl. I S. 447) § 28 bestimme ich, daß in Abweichung von § 115 Abs. 2 Satz 1 der Gewerbeordnung Unternehmer den Gefolgschaftsmitgliedern auf deren Wunsch Elektrogeräte, Rundfunkempfangsgeräte, Gasapparate und andere Gebrauchsgegenstände, die im Betrieb hergestellt oder von ihm regelmäßig vertrieben werden, zum eigenen Bedarf auf Abzahlung verkaufen dürfen. Die Abzahlungsraten dürfen hierbei – bei Abzahlung mehrerer Gebrauchsgegenstände zusammen – 10 v.H. des Nettoarbeitsentgelts nicht übersteigen, den das Gefolgschaftsmitglied im Durchschnitt des Ratenzahlungsabschnitts erhält.”
b) Die Anordnung vom 16. Januar 1939 ist ebenfalls noch heute geltendes Recht.
(1) Mit dieser Ansicht befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung des Schrifttums (so ausdrücklich Landmann-Rohmer-Neumann, a.a.O., § 115 RdNr. 55 a.E.; weiter auch Boldt/Steffens, GewO, Kommentar, 1955, § 115 Anm. V 1 S. 299; Boldt, Gewerberecht, 3. Aufl., 1961, § 115 GewO Fußnote 1; Rohlfing/Kiskalt/Wolff, GewO, 3. Aufl., 1961, § 115 Anm. 6 c; Stahlhacke, Das Arbeitsrecht in der Gewerbeordnung, 1966, § 115 IV S. 267, zweifelnd nunmehr in Kommentar zur Gewerbeordnung [a.a.O.]).
(2) Gegen die Fortgeltung haben sich Reuß/Volmer (in M. von Brauchitsch, Verwaltungsgesetze des Bundes und der Länder, Bd. VIII, 1. Halbband, 1963, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, § 115 GewO Anm. V 1 S. 451) ausgesprochen. Sie sind der Ansicht, daß die Wahl der Rechtsform, die der Anordnung, dem Grundgesetz widerspreche und die Anordnung auch nach dem damals geltenden Staatsrecht nicht ordnungsgemäß verkündet worden sei. Entscheidend stellen sie darauf ab, daß die Anordnung auf § 28 AZO gestützt worden sei, der Ausnahmen über die in der Arbeitszeitordnung und anderen Arbeitsschutzvorschriften vorgesehenen Ausnahmen hinaus nur widerruflich zulasse, wenn sie im öffentlichen Interesse dringend notwendig werden. Die Ausnahme von dem Kreditierungsverbot sei aber nur angeordnet worden, um dem Arbeitnehmer einen besonderen Anreiz für die entsprechenden Arbeiten an diesen Waren in einer Zeit zu geben, in der relativ viel Geld in Umlauf gewesen sei, aber Mangel an Waren geherrscht habe. Dieser Zustand sei spätestens nach der Währungsreform 1948 beseitigt worden.
Herschel (AuR 1975, 159 [160 zu III 2]) hat sich dieser Ansicht angeschlossen und sie mit dem Argument untermauert, daß der Reichsarbeitsminister mit dem Erlaß der Anordnung den Ermächtigungsrahmen des § 28 AZO überschritten habe. Diese Norm lasse nur Ausnahmen von der Arbeitszeitordnung und sonstigen Arbeitsschutzvorschriften zu. Die Regelungsmaterie des Truck-Verbotes sei aber weder in der Arbeitszeitordnung enthalten noch als Arbeitsschutzvorschrift zu qualifizieren. Der Begriff des Arbeitsschutzrechts habe bereits unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung eine einengende Entwicklung durchgemacht und sei im eingeschränkten Sinne, d.h. unter Ausschluß des sog. Vertragsschutzes, verstanden worden.
(3) Diese Argumente schlagen nicht durch.
Entgegen der von Herschel (a.a.O.) vertretenen Ansicht kann nicht als sichere Rechtserkenntnis angenommen werden, daß § 28 AZO in dem von ihm vertretenen engen Sinn zu verstehen ist. Diese Norm ist in der am 30. April 1938 neu gefaßten und bekannt gemachten Arbeitszeitordnung (RGBl. I, 447) enthalten und von Anbeginn so verstanden worden, daß sie sich auch auf die im Titel VII der Gewerbeordnung enthaltenen Sonntagsruhevorschriften (§§ 105 b – 105 i) und andere, dem Vertragsschutz (Lohn- oder Betriebsschutz) dienende Vorschriften (§§ 114 a ff., §§ 115 ff.) erstrecke (vgl. Rohmer, Arbeitszeitordnung und Jugendschutzgesetz, 5. Aufl., 1939, § 28 AZO Anm. 1). Dem folgt auch im wesentlichen die heutige Kommentarliteratur (Meisel/Hiersemann, AZO, 1970, § 28 RdNr. 1; Zmarzlik, AZO, 1967, § 28 RdNr. 1; Denecke/Neumann, AZO, 8. Aufl., 1973, § 28 RdNr. 1; Gröninger/Arbeitszeitschutz, Stand Dezember 1976, § 28 Anm. 2).
(4) Die Anordnung ist auch nicht wegen Verkündungsmangels unwirksam.
Zwar bestimmte das Reichsgesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 13. Oktober 1923 (RGBl. I, 959), daß, von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen, Rechtsverordnungen des Reichs im Reichsgesetzblatt, Reichsministerialblatt oder Reichsanzeiger verkündet werden sollten. Dieses Gesetz galt auch noch nach 1933 weiter (vgl. Werner/Weber, Die Verkündung von Rechtsvorschriften 1942 S. 13 f.). Gegen die sich später zunehmend verbreitende Praxis, Rechtsverordnungen in den Amtsblättern der einzelnen Reichsministerien zu verkünden, hat Weber (a.a.O., S. 28 f.) Bedenken erhoben. Ihnen braucht jedoch für den hier zu entscheidenden Fall nicht nachgegangen zu werden. Die im Bereich des Reichsarbeitsministers im Reichsarbeitsblatt verkündeten, auf die Ermächtigungsnormen der Arbeitszeitordnung gestützten Anordnungen sind als geltendes Recht angewendet und auch vom Bundesgesetzgeber jedenfalls nicht wegen Verkündungsmängeln für unwirksam angesehen worden. So wurde gemäß § 2 Nr. 7 des Gesetzes über die Aufhebung von Vorschriften auf dem Gebiete des Arbeitsschutzes vom 21. März 1952 (BGBl. I, 146) lediglich Nr. 3 der im Reichsarbeitsblatt (Teil III, 310) verkündeten Anordnung des Reichsarbeitsministers betreffend Freizeit für Gefolgschaftsmitglieder in Gast- und Schankwirtschaften vom 5. Dezember 1940 (Freizeit AO) aufgehoben. Die übrigen Bestimmungen dieser aufgrund des § 29 AZO und des § 27 des Jugendarbeitsschutzgesetzes vom 30. April 1938 erlassenen Anordnung sind dagegen noch heute geltendes Recht (BAG AP Nr. 1 Freizeit AO Gast- u. Schankwirtsch. [zu I der Gründe]). Auch an der Rechtswirksamkeit der Anordnung zur Vereinheitlichung der Erziehungsbeihilfen und sonstigen Leistungen an Lehrlinge, und Anlernlinge in der privaten Wirtschaft vom 25. Februar 1943, die in RABl. 1943, I, 164 veröffentlicht wurde, hat niemand gezweifelt, bis sie durch § 106 Abs. 1 Nr. 4 des Berufsbildungsgesetzes aufgehoben wurde (vgl. Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Band I, 7. Aufl., § 72 II 2 S. 746 zu Fußnote 13 m.w.N.).
(5) Die Anordnung vom 16. Januar 1939 hat schließlich auch nicht automatisch ihre Wirksamkeit verloren. Aus der in der Ermächtigungsnorm des § 28 AZO vorgesehenen Widerruflichkeit folgt, daß solche Anordnungen auch bei Wegfall des für ihren Erlaß bestimmenden dringenden öffentlichen Interesses der Aufhebung durch die zuständige Stelle bedürfen (vgl. Meisel/Hiersemann, a.a.O., RdNr. 5).
c) Das Herrn D. verkaufte Farbfernsehgerät gehört zu den Gebrauchsgegenständen im Sinne dieser Anordnung.
Die in der Anordnung ausdrücklich genannten Gegenstände dienen sämtlich der Ausstattung des Haushalts. Der Senat hat in seinem Urteil AP Nr. 1 zu § 115 GewO [zu 1 d der Gründe] hieraus gefolgert, die Anordnung betreffe nicht alle Gebrauchsgegenstände, sondern nur solche, die nach Art und Wert den dort genannten vergleichbar sind. In der Art vergleichbar sind nur solche Gegenstände, die dem persönlichen Bedarf oder dem Haushalt dienen. Hierzu zählen nach den heutigen Lebensverhältnissen auch Farbfernsehgeräte. Ihre Verwendung in den Arbeitnehmerhaushalten hat sich jedenfalls seit 1970 in ständig steigendem Maße durchgesetzt, Es braucht deshalb nicht entschieden zu werden, ob bei zweckgerichteter Auslegung das im Jahre 1939 in Deutschland noch unbekannte Farbfernsehgerät als Rundfunkempfangsgerät oder Elektrogerät im Sinne der Anordnung anzusehen wäre. Soweit der Senat (a.a.O.) ausgeführt hat, insbesondere gehörten zu den sonstigen Gegenständen die in § 811 Nr. 1 ZPO genannten unpfändbaren Sachen, sollte damit keine Beschränkung auf diese Gegenstände ausgesprochen werden. Der Senat hat damit nur klargestellt, daß jedenfalls die Anschaffung dieser Gegenstände auf Kredit ebenso im öffentlichen Interesse liege wie ihr Verbleib im Haushalt. § 811 Nr. 1 ZPO soll dem Schuldner und seiner Familie eine seiner Verschuldung angemessene, bescheidene Lebens- und Haushaltsführung sichern. Eine solche, auch von der Höhe der Schuld und der Möglichkeit ihrer Abtragung bestimmte Einschränkung (vgl. dazu Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 37. Aufl., 1979, § 811 Anm. 3 B) ist jedoch der Anordnung nicht zu entnehmen. Sie ergibt sich auch nicht aus dem mit ihr damals im öffentlichen Interesse verfolgten Zweck, den Arbeitnehmern einen Anreiz zur erhöhter Warenproduktion zu geben. Es kann deshalb auf sich beruhen, inwieweit Fernsehgeräte pfändbar sind (vgl. dazu Bloedhorn, DGVZ 1976, 104 [109 f.]).
Der Senat hat in seinem Urteil AP Nr. 1 zu § 115 GewO hinsichtlich des Wertes der unter die Anordnung fallenden, dort nicht ausdrücklich genannten Gegenstände auch auf das Verhältnis der vereinbarten Ratenhöhe zum Nettoarbeitsentgelt abgestellt. Im Streitfall übersteigt die vereinbarte Monatsrate von 100,– DM nicht den in der Anordnung auf 10 % des im Ratenzahlungsabschnitt verdienten Nettoarbeitsentgelts beschränkten Satz. Der Beklagte hat in der Herrn D. für den Krankengeldbezug ausgestellten Lohnbescheinigung eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von 40 Stunden sowie für 103 im Juni 1975 geleistete Arbeitsstunden einen Gesamtlohn von 1.004,50 DM brutto bzw. 701,64 DM netto angegeben. Dies ergibt einen Stundenlohn von 9,75 DM brutto und bei einer vollen 40-Stunden-Woche einen Monatslohn von etwa 1.680,– DM brutto bzw. 1.100,– DM netto.
3. Die von dem Beklagten erklärte Aufrechnung ist nach der Anordnung vom 16. Januar 1939 nur in Höhe der für den Monat Juli 1975 geschuldeten Kaufpreisrate zulässig.
a) Diese Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit mit einer Forderung aus einem nach der Anordnung erlaubten Warenkreditkauf folgt aus dem Schutzzweck dieser Vorschrift, Das Kreditierungsverbot des § 115 Abs. 2 Satz 1 GewO dient zwar in erster Linie der Sicherung des Truck-Verbots, soll aber darüber hinaus verhindern, daß der Arbeitnehmer in eine weitere Abhängigkeit zum Arbeitgeber gerät. Je nach der Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen, insbesondere bei Fälligkeit der gesamten Kaufpreisraten bei Lösung des Arbeitsverhältnisses, wird dem Arbeitnehmer der Wechsel des Arbeitsplatzes erheblich erschwert (Senatsurteil AP Nr. 1 zu § 115 GewO [zu 1 a der Gründe]). Hiervon läßt die Anordnung zwar Ausnahmen zu, beschränkt jedoch die damit verbundene wirtschaftliche Belastung des Arbeitnehmers auf einen bestimmten Anteil seines im Ratenzahlungsabschnitt erzielten Durchschnittsverdienstes. Nur unter dieser Voraussetzung wird die durch den Kreditkauf bewirkte zusätzliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitnehmers für tragbar angesehen. Daraus wird deutlich, daß der in diesem Zeitraum jeweils erworbene Lohnanspruch auch nur im Umfang der zulässig vereinbarten Abzahlungsraten der Aufrechnung zum Zwecke der Erfüllung der Kaufpreisschuld zugänglich sein soll. Deshalb können die Arbeitsvertragsparteien im Geltungsbereich der Anordnung zwar für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die sofortige Fälligkeit der Restkaufpreisforderung vereinbaren, wie es im Streitfall nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch geschehen ist. Jedoch ist der noch geschuldete Restlohnanspruch dem Zugriff des Arbeitgebers durch Aufrechnung mit dem gesamten Restkaufpreisanspruch entzogen. Der Arbeitgeber muß diesen Anspruch im übrigen auf anderem Wegs realisieren.
Dieser Auslegung der Anordnung steht nicht entgegen, daß nach herrschender Meinung der Arbeitgeber, der dem Arbeitnehmer im Geltungsbereich der gesetzlichen Ausnahmevorschrift des § 115 Abs. 2 Satz 2 GewO Waren der dortgenannten Art auf Kredit liefert, die gestundeten Beträge selbst auf den unpfändbaren Teil des Lohnes anrechnen kann, da es sich um eine Sonderbestimmung handelt und das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB nicht anwendbar ist. Streit besteht nur darüber, ob es sich hier rechtstechnisch um eine Anrechnung oder um Aufrechnung handelt (vgl. Hueck-Nipperdey, a.a.O., § 45 I 4, S. 358; Nikisch, a.a.O., § 33 II 2, S. 418). Dies gilt auch für den noch offenen Restkaufpreis bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Nikisch, a.a.O.; RAG 3, 298 [301] = ARS 5,369 [373]). Dies kann gerechtfertigt erscheinen, weil es sich überwiegend um Sachbezüge handelt, die der Arbeitnehmer auch als Teil des Lohnes erhalten kann und die der Deckung seines unmittelbaren Lebensbedarfes dienen. Diese Sachverhalte sind daher mit den in der Anordnung geregelten nicht vergleichbar.
b) Da nach dem Aktenbild davon auszugehen ist, daß Herr D. die Kaufpreisrate für den Monat Juli 1975, seinen letzten Beschäftigungsmonat, noch nicht bezahlt hatte, kann die vom Beklagten erklärte Aufrechnung im Hinblick auf die Anordnung nur noch in Höhe von 100,– DM zulässig sein. In Höhe der Differenz von 483,95 DM auf den Klageanspruch ist die Klage somit begründet und das arbeitsgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
4. In Höhe von 100,– DM greift die Aufrechnung durch. a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagte könne sich gegenüber der Klägerin nicht auf das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB berufen. Dieser Ansicht ist der Senat nicht gefolgt.
Zwar versagt es die herrschende Meinung und Rechtsprechung (vgl. BGHZ 35, 317 [327]; BGB-RGRK, 12. Aufl., 1976, § 394 RdNr. 8) im Falle des Übergangs von Schadenersatzansprüchen nach § 1542 RVO den Trägern der Sozialversicherung, sich als Rechtsnachfolger des Geschädigten dem Schädiger gegenüber auf das Pfändungs- und Aufrechnungsprivileg des § 850 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu berufen. Dies wird damit begründet, daß dieses Privileg dem Sozialschutz des Unfallopfers zu dienen bestimmt sei, der Sozialversicherungsträger dieses Schutzes aber nicht bedürfe. Es gebe keinen Rechtssatz, wonach die Aufrechnung, die einem Schuldner gegen einen Gläubiger gesetzlich versagt sei, auch gegenüber dem Rechtsnachfolger des Gläubigers schlechthin unstatthaft sein müsse. Erst aus dem Zweck des Aufrechnungsverbots müsse entschieden werden, ob es auch noch nach der Abtretung gelte (BGH, a.a.O.). Der Senat hat keinen Anlaß, diese Ansicht für den Geltungsbereich des § 1542 RVO in Zweifel zu ziehen. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, einerseits eine Entlastung des Schädigers, andererseits eine doppelte Entschädigung des Geschädigten zu verhindern (vgl. BGB-RGRK, a.a.O., § 400 RdNr. 13 m.w.N.). Jedoch sind in diesen Fällen die Sozialversicherungsträger zur Rentenzahlung unbeschadet des Bestehens von Schadenersatzansprüchen ihrer Versicherten gegen einen Dritten verpflichtet.
Im Falle der Krankheit des Arbeitnehmers hat jedoch der Arbeitgeber im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Lohnfortzahlung die damit verbundenen wirtschaftlichen Lasten zu tragen. Gemäß § 189 RVO ruht der Krankengeldanspruch des Versicherten, soweit der Arbeitgeber den Krankenlohn tatsächlich zahlt. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, muß die Kasse das Krankengeld zahlen (vgl. z.B. Schmatz-Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., Stand Mai 1977, § 189 RVO Anm. II 2). Aus dem für diesen Fall angeordneten gesetzlichen Übergang des Lohnfortzahlungsanspruchs nach § 182 Abs. 10 RVO wird deutlich, daß die Krankenkassen wirtschaftlich gesehen nur eine vorläufige Einstandspflicht trifft. Könnten sich die Kassen gegenüber dem Arbeitgeber nicht auf das Aufrechnungsprivileg des § 394 BGB berufen, so würde der Arbeitgeber durch die Nichterfüllung seiner gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht einen Vorteil erlangen. Dies entspricht nicht der im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung bestehenden besonderen Interessenlage.
b) Die Aufrechnung in Höhe von 100,– DM ist im Streitfall auch bei Anwendung des § 394 BGB begründet. Nach dem Aktenbild ist davon auszugehen, daß dieser Teil des auf die Klägerin übergegangenen Lohnfortzahlungsanspruchs pfändbar ist.
Aus dem Vorprozeß ergibt sich, daß der Bruttolohn des Versicherten für die zweite Hälfte des Monats Juli 1975 912,– DM betragen hat. Dem entspricht ein Nettobetrag von etwa 600,– DM, für den gesamten Monat ein solcher von 1.200,– DM. Hiervon waren nach der im Jahre 1975 geltenden Tabelle zu § 850 c ZPO selbst bei Berücksichtigung einer Unterhaltspflicht der Ehefrau noch 366,– DM pfändbar und somit 834,– DM, für den halben Monat 417,– DM unpfändbar. Nach Abzug dieses Betrages von der Klagesumme bleibt ein pfändbarer Betrag von etwa 200,– DM.
Unterschriften
gez.: Dr. Hilger, Dr. Heither, Triebfürst, Dr. Paetsch, Heidenreich
Fundstellen