Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlüngspflicht im Falle eines Arbeitsversäumnis von Betriebsratsmitgliedern. Angabe von gründen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Lohnfortzahlungspflicht im Falle einer Arbeitsversäumnis von Betriebsratsmitgliedern im Einzelfall setzt nicht voraus, daß der Arbeitgeber der Arbeitsversäumnis zustimmt, sondern nur, daß das Betriebsratsmitglied sich abmeldet und bei der Abmeldung die Gründe der Arbeitsversäumnis in großen Zügen angibt. Einer Angabe dieser Gründe bedarf es dann nicht, wenn es sich um die Regelung von Angelegenheiten handelt, die nur den Betriebsrat oder die Belegschaft betreffen, ohne die Belange des Arbeitgebers zu berühren.
2. Ob die Arbeitsversäumnis i. S. des § 37 Abs. 2 BetrVG erforderlich war, beurteilt sich nicht nur nach dem subjektiven Ermessen des Betriebsrats. Hinzukommen muß vielmehr, daß ein vernünftiger Dritter die Arbeitsversäumnis bei Berücksichtigung der Interessen des Betriebs einerseits, des Betriebsrats und der Belegschaft andererseits für sachlich geboten halten würde.
Normenkette
BetrVG § 37
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 19.01.1955; Aktenzeichen 3 Sa. 174/54) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 19. Januar 1955 – 3 Sa. 174/54 – aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsinstanz, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist seit 1937 bei der Beklagten als Monteur beschäftigt und seit 1946 Vorsitzender des Betriebsrats. Im März 1954 arbeitete er auf einer Baustelle der Beklagten bei der Deutschen Werft. Am 19. März wollte er in seiner Eigenschaft als Betriebsratsvorsitzender andere Baustellen aufsuchen. Er erschien deshalb frühmorgens im Betrieb der Beklagten. Der Obermontagemeister Bornemann der Beklagten forderte ihn jedoch auf, sogleich seine Arbeit auf der Deutschen Werft, die keinen Aufschub dulde, wieder aufzunehmen. Andernfalls werde der Kläger keinen Lohn erhalten. Der Kläger fuhr gleichwohl mit dem Ingenieur Dietrich der Beklagten, der an diesem Tag die Baustellen zur Auszahlung der Löhne aufsuchte, mit dem Wagen zu 10 von den damals insgesamt 12 Hamburger Baustellen und kehrte erst zu Ende der Arbeitszeit zurück. Die Beklagte verweigerte ihm deshalb die Zahlung des Arbeitslohnes für den 19. März 1954 in der unstreitigen Höhe von 18,70 DM.
Der Kläger hat auf Zahlung dieses Betrages Klage erhoben und sich auf § 37 Abs. 2 BetrVG berufen. Er hat ausgeführt, die Fahrt vom 19. März 1954 sei notwendig gewesen, um Akkordstreitigkeiten zu schlichten und Beschwerden der Belegschaft entgegenzunehmen. Er habe sich ordnungsmäßig abgemeldet, was ausreichend sei, da die Beklagte nicht das Recht habe, ihm die Ausübung seiner Betriebsratstätigkeit zu verweigern. Auch habe er Vorsorge getroffen, daß die Arbeit an seinem Arbeitsplatz während seiner Abwesenheit reibungslos weitergelaufen sei.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Dem Kläger sei keine Erlaubnis erteilt worden, am 19. März 1954 seinem Arbeitsplatz fern zu bleiben. Eine solche Erlaubnis sei notwendig gewesen, da eine Lohnfortzahlung nur im Fall einer Freistellung infrage komme. Notfalls hätte der Kläger durch ein arbeitsgerichtliches Beschlußverfahren klären lassen müssen, daß seine Fahrt zu den Baustellen erforderlich gewesen wäre. In Wirklichkeit sei diese Fahrt übrigens auch nicht erforderlich gewesen. Zwar hätten bei höchstens drei Baustellen Beschwerden einzelner Arbeitnehmer über Akkordabrechnungen vorgelegen. Gleichwohl habe es für den Kläger nichts zu regeln gegeben. Die vom Kläger zu verrichtende Arbeit in der Werft sei sehr dringlich gewesen. Auch in anderen Fällen habe der Kläger ohne Rücksicht auf die Belange der Beklagten und auf deren Willen in seiner Eigenschaft als Betriebsratsvorsitzender getan, was er gewollt habe. Bei seinen Besuchen auf den Baustellen habe er die Belegschaft nur auf gehetzt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Es hat festgestellt, daß am 19. März 1954 Akkorddifferenzen bestanden haben. Es ist der Ansicht, daß mit Rücksicht auf diese damals vorliegenden Akkorddifferenzen die in seiner Eigenschaft als Betriebsratsvorsitzender von dem Kläger vorgenommene Fahrt erforderlich gewesen sei. Der Kläger habe sich ausreichend abgemeldet. Eine Freistellung durch die Beklagte sei nicht erforderlich gewesen. Auf andere Vorfälle als auf die vom 19. März 1954 komme es für die Entscheidung nicht an.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. In prozeßrechtlicher Hinsicht rügt sie die Feststellungen des Berufungsurteils, daß Akkorddifferenzen vorgelegen hätten. Weiter trägt sie vor, daß jede Arbeitsversäumnis auch eines Betriebsratsmitglieds grundsätzlich rechtswidrig sei und ihre Rechtfertigung erst durch die Freistellung seitens des Arbeitgebers erhalten könne. Es würde einen unzulässigen Eingriff in das Direktionsrecht des Arbeitgebers darstellen, wollte man annehmen, daß sich ein Betriebsratsmitglied selbst von der Arbeit freistellen könne.
Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet, somit zulässig. Sie mußte zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht führen.
Das Berufungsgericht erhebt keine Bedenken dagegen, daß der Kläger den von ihm geltend gemachten Anspruch im Urteilsverfahren, nicht im Beschlußverfahren verfolgt. Diese Frage der Zulässigkeit der Verfahrensart ist in jedem Stadium des Verfahrens von Amtswegen zu prüfen, da Urteils- und Beschlußverfahren einander ausschließen.
Nach Ansicht des Senats konnte der Kläger seinen Anspruch nur im Urteilsverfahren geltend machen; denn es handelt sich dabei um einen Lohnanspruch, der in dem Arbeitsverhältnis gründet. Zwar beruft sich der Kläger zur Rechtfertigung seines Lohnanspruchs für eine Zeit, in der er unstreitig nicht die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit verrichtete, darauf, daß er während dieser Zeit Betriebsratstätigkeit ausgeübt habe. Das ändert jedoch an dem Charakter seines Anspruchs nichts, sondern ist ohne Einfluß darauf deswegen, weil es sich dabei nach wie vor um einen Lohnanspruch handelt. Für einen solchen aber ist allein das Urteilsverfahren zulässig.
Die Prozeßrüge der Beklagten gegen das Berufungsurteil greift nicht durch. Abgesehen davon, daß die Beklagte in zweiter Instanz bzgl. dreier Baustellen selbst zugegeben hat, es hätten Akkorddifferenzen vorgelegen, so daß sie an dieses ihr Geständnis gebunden ist, wird auf jeden Fall ihr Vorbringen der Vorschrift des § 554 ZPO nicht gerecht. Insbesondere genügt nicht die Verweisung auf Schriftsätze, sondern es ist nach dem Gesetz zu fordern, daß die einzelnen beanstandeten Angaben genau bezeichnet werden. Das wird in der Revisionsbegründung der Beklagten unterlassen. Wenn diese rügen wollte, daß das Landesarbeitsgericht ihre Beweismittel nicht erschöpft habe, so hätte sie diese im einzelnen unter Angabe des mutmaßlichen Beweisergebnisses bezeichnen müssen.
Hiernach hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob der arbeitsvertragliche Lohnanspruch des Klägers dadurch berührt wird, daß dieser seine Arbeit versäumt hat, weil das in einem einzelnen Fall durch die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben notwendig geworden war, ferner davon, ob entweder in solchen Fällen eine formelle Freistellung des Arbeitgebers erforderlich ist oder aber ob das Betriebsratsmitglied völlig frei in der Gestaltung seiner Arbeitszeit ist oder ob eine Verpflichtung seinerseits besteht, sich bei dem Arbeitgeber abzumelden. Nach Ansicht des Senats ist in Fällen vorliegender Art keine Freistellung seitens des Arbeitgebers erforderlich. Wohl aber bedarf es einer Abmeldung seitens des Betriebsratsvorsitzenden. In einem Fall, in dem es sich um Akkordstreitigkeiten handelt, bedarf es darüber hinaus der allgemein gehaltenen Angabe, aus welchem Grunde die Betriebsratstätigkeit geradezu dieser Zeit notwendig ist und welche Gründe dafür vorliegen, daß nicht die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung, sondern die Betriebsratstätigkeit ausgeübt werden muß.
Daß in einem Fall, in dem es sich um eine Arbeitsversäumnis aus einem für den einzelnen Fall gegebenen Anlaß handelt, eine Zustimmung des Arbeitgebers nicht erforderlich ist, ergibt sich bereits aus dem Aufbau des § 37 BetrVG. Zunächst wird dort in Absatz 2 die generelle Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers für den Fall, daß das Betriebsratsmitglied Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen hat, bestimmt. Erst in Absatz 3 folgt die Regelung im Fall einer Frei Stellung. Das zwingt zu der Annahme, daß nicht in jedem Fall der Lohnzahlungspflicht trotz Arbeitsversäumnis eine Freistellung erforderlich ist. Andernfalls hätte das Gesetz an erster Stelle die Freistellung regeln und durch die daran anschließende Regelung der Lohnfortzahlungspflicht zum Ausdruck bringen müssen, daß nur in diesen – zuvor angesprochenen – Fällen der Freistellung die Pflicht zur Fortzahlung des Lohnes bestehe.
Zwar ergibt sich auch für den Fall der Freistellung nach § 37 Abs. 3 BetrVG, daß eine Lohnfortzahlung nur aus Abs. 2 hergeleitet werden kann, da in Abs. 3 selbst keine Verpflichtung hinsichtlich der Lohnzahlung enthalten ist. Gleichwohl folgt eben aus der Systematik des Gesetzes, das an erster Stelle die Lohnzahlung und erst an zweiter Stelle die Freistellung geregelt hat, daß jener der Vorrang gebührt und sie nicht nur auf die Fälle der Freistellung beschränkt ist. Entscheidend, wenn es sich um eine Arbeitszeitversäumnis infolge einer Betriebsratstätigkeit in einem einzelnen, nicht auf lange Sicht im voraus zu regelnden Fall handelt, ist, daß andernfalls die Betriebsratstätigkeit zu sehr von der formellen Genehmigung durch den Arbeitgeber abhängig wäre. Wenn dieser auch die Pflicht zur Freistellung des Betriebsratsmitgliedes hat, soweit das für die Erfüllung der Betriebsratsaufgaben erforderlich ist, so würde, wollte man in jedem Fall eine Freistellung fordern, das doch darauf hinauslaufen, daß letzten Endes in einem ganz einschneidenden Maße der Arbeitgeber es zu beurteilen hätte, welche Fälle den Betriebsrat zur Arbeitsversäumnis berechtigen. Das würde in unzulässiger Weise die Rechte des Betriebsrats beschränken, zumal auch ein Beschlußverfahren über die Notwendigkeit der Freistellung dann nicht rechtzeitig genug durchgeführt werden kann, wenn es sich um eine Arbeitsversäumnis in einem einzelnen, nicht vorhersehbaren Fall handelt. Auch würde dadurch dem Arbeitgeber ein Einblick in die interne Betriebsratsarbeit gewährt, wie er ihm nicht zugebilligt ist. Dies folgt auch daraus, daß dem Arbeitgeber grundsätzlich ein Recht zur Einsicht in die Betriebsratsakten verwehrt bleibt (u. a. Dietz, BetrVG, § 33 Anm. 11, § 39 Anm. 17).
Es besteht hier eine Konfliktsituation, die dazu zwingt, das Schutzbedürfnis für die Tätigkeit des Betriebsrats gegen die Interessen des Arbeitgebers an der Arbeitsleistung des Betriebsratsmitgliedes abzuwägen. In Fällen plötzlich notwendig werdender Arbeitsversäumnis ist mit Rücksicht darauf, daß die Betriebsratsaufgaben nicht weniger wichtig sind als die nach dem Arbeitsvertrag zu leistende Arbeit, eine Regelung gewollt, die nicht den Betriebsrat einseitig belastet. Eine Freistellung des Betriebsratsmitgliedes ist hier also nicht erforderlich, so daß es auch einer Einwilligung des Arbeitgebers nicht bedarf. Ein Eingriff in das Direktionsrecht liegt dabei wegen der gesetzlich begründeten, unabhängigen Stellung, die der Betriebsrat gegenüber dem Arbeitgeber einnimmt, vor, und die für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben erforderliche Arbeitsversäumnis ist in einem solchen Fall grundsätzlich nicht rechtswidrig. Ob im Bereich des Personalvertretungsgesetzss, das wegen seines Zuschnitts auf die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes andere Lösungen zulassen mag, die Frage anders zu beurteilen ist, mag dahingestellt bleiben. Im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes ist jedenfalls die einseitige Abmeldung in Fällen des § 37 Abs. 2 ausreichend. Handelt es sich allerdings um längere Zeit voraussehbare oder abschätzbare Arbeitsversäumnisse regelmäßig wiederkehrender Art, so greift § 37 Abs. 3 BetrVG Platz, und es bedarf einer Freistellung, also der Zustimmung des Arbeitgebers, da hier seine Interessen in besonderem Maße betroffen werden. Diese kann aber auch in solchen Fällen erforderlich sein, in denen sich die längere Zeit voraussehbare Arbeitsbehinderung auf eine geraume Zeitspanne, etwa von mehreren Wochen erstreckt, ohne daß es sich hierbei um ein wiederkehrendes Ereignis handelt.
Auf der anderen Seite ist stets zu beachten, daß von der Befugnis, die Betriebsratsmitglieder selbst von der Arbeit freizustellen, vom Betriebsrat und seinen Angehörigen nur Gebrauch gemacht werden darf, wenn es zur Durchführung von Betriebsratsaufgaben wirklich erforderlich ist. Entscheidend ist hierfür nicht nur das subjektive Ermessen des Betriebsrats und der Betriebsratsmitglieder, sondern die Arbeitsversäumnis muß nach Art und Umfang des Betriebes unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange (vgl. BAG 1, 158) durch die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben objektiv geboten sein. Wollte man hierbei nur auf das subjektive Ermessen des Betriebsrats und der Betriebsratsmitglieder abstellen, so würde der gesetzlichen Vorschrift nicht genügend Rechnung getragen, daß die Arbeitsversäumnis eben wirklich erforderlich sein muß. Andererseits handelt es sich insoweit teilweise auch um Ermessensfragen. Entscheidend für die. Frage des Erfordernisses ist hiernach, ob ein vernünftig denkender Dritter unter Berücksichtigung der Interessen des Betriebs einerseits, des Betriebsrats und der Belegschaft andererseits die Arbeitsversäumnis für sachlich geboten halten würde.
Aus diesem Grunde ist es in den Fällen des § 37 Abs. 2 BetrVG immer erforderlich, daß sich das Betriebsratsmitglied bei dem Arbeitgeber abmeldet. Diese Pflicht ergibt sich schon daraus, daß es gleichzeitig auch Arbeitnehmer ist und der Arbeitgeber bei dem Ausfall der Arbeitskraft des Betriebsratsmitgliedes die Möglichkeit haben muß, umdisponieren zu können. Auch dann, wenn der Betriebsratsangehörige sich selbst von der Arbeit freistellen darf, bedarf es also der Unterrichtung des Arbeitgebers. Das ist schon deshalb erforderlich, um eine Gewähr dafür zu geben, daß von einer solchen Selbstbefreiung von der Arbeitspflicht nur in wirklich begründeten Fällen, d. h. bei Vorliegen einer wirklichen Notwendigkeit, Gebrauch gemacht wird.
Glaubt der Betriebsrat, in solchen Fällen eingreifen zu müssen, in denen sowohl die Belange des Arbeitgebers wie die des Betriebsrats berührt werden, ist es weiter zu fordern, daß er dem Arbeitgeber in großen Zügen Mitteilung von den Gründen macht, die die Arbeitsversäumnis bedingen. In diesen Fällen, in denen es sich nicht um vertrauliche Angelegenheiten des Betriebsrats oder der Belegschaft handelt, kann der Arbeitgeber verlangen, daß er vom Betriebsrat über dessen Tun in einer allgemeinen Weise unterrichtet wird. Um einen solchen Fall aber handelt es sich hier, da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts Akkordstreitigkeiten zu regeln waren. Hier genügte deshalb nicht die Abmeldung ohne Grundangabe, da es sich nicht um interne Angelegenheiten des Betriebsrats oder der Belegschaft handelte, sondern um Streitfragen, die auch den Arbeitgeber berühren. Wenn im ersteren Falle auch eine Offenlegung der die Arbeitsversäumnis bedingenden Gründe bei der Abmeldung selbst nicht verlangt werden kann, sondern diese Gründe in Streitfällen erst im Laufe des Gerichtsverfahrens darzutun sind, so verlangt doch in Fällen letzterer Art eine verständige Abwägung der Konfliktsituation, daß gleichmäßig die Unabhängigkeit des Betriebsrats und die Interessen des Arbeitgebers gewahrt werden. Das setzt aber hier eine vorherige Unterrichtung des Arbeitgebers über die Gründe der Arbeitsversäumnis voraus.
Mit Rücksicht auf diese Erfordernisse sind die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausreichend, um die angefochtene Entscheidung zu tragen. Das Landesarbeitsgericht führt zwar rechtsirrtumsfrei aus, daß der Kläger hinsichtlich der Dauer der Fahrt vom 19. März 1954 nicht gegen die in BAG 1, 158 entwickelten Grundsätze verstoßen hat. Hinsichtlich der Vorfragen der Abmeldung und des Erfordernisses dieser Fahrt stellt es jedoch lediglich fest, daß Akkordstreitigkeiten vorgelegen haben, und zwar erst seit kurzer Zeit, und daß deshalb nach Ansicht des Klägers die Möglichkeit bestanden habe, sie schneller zu regeln, wenn ihre Regelung sofort versucht wurde. Diese Feststellungen sind aber ungenügend, denn es ist aus ihnen nichts über die Art dieser Akkordstreitigkeiten, über ihren Umfang und ihre Bedeutung zu erkennen, Eine gerechte Wertung der Frage, ob der Kläger gerade am 19. März 1954 zur Regelung dieser Streitigkeiten die Baustellen besuchen musste, setzt eine genaue Kenntnis dieser Umstände voraus. Nur danach kann das Erfordernis im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG beurteilt werden. Der Grund für die Arbeitsversäumnis des Klägers kann sich allerdings ggf. aus der Sachlage selbst ergeben, so daß es seiner besonderen Angabe nicht bedarf.
Da die tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich des vom Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung zugrundegelegten Sachverhalts nicht ausreichen, um die Nachprüfung zu ermöglichen, ob der Vorderrichter den Begriff des Erfordernisses im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG richtig erkannt hat, musste die Sache zur weiteren Aufklärung an die Vorinstanz zurückverwiesen, das angefochtene Urteil musste aufgehoben werden. In der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht zu klären haben, ob die Gründe, die dem Kläger Anlaß zu der Fahrt vom 19. März 1954 gaben, wirklich so schwerwiegender Art waren, daß sie gemäß den in § 37 Abs. 2 BetrVG genannten Voraussetzungen den Vorrang vor den Arbeiten in der Deutschen Werft verdienten. Auch ist vom Landesarbeitsgericht weitere Aufklärung zu schaffen zu der Frage, ob der Kläger bei seiner Abmeldung den Grund seiner Arbeitsversäumnis in ausreichender Weise bekanntgegeben hat. Dagegen kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, daß der Kläger in anderen Fällen unberechtigterweise Betriebsratsaufgaben vorgeschoben oder die Belegschaft aufgehetzt hätte. Hier kommt es nur auf die Situation vom 19. März 1954 an. Wollte man das Verhalten des Klägers in anderen Fällen berücksichtigen, so würde dadurch in das Selbstverwaltungsrecht des Betriebsrats unberechtigt eingegriffen für den Fall, daß der Kläger für den 19. März 1954 das Erfordernis der Arbeitsversäunmis nachweisen kann. Etwaigen Verstößen des Klägers als Arbeitnehmer und Betriebsratsmitglied muß die Beklagte vielmehr mit den ihr nach dem Gesetz zu Gebote stehenden Mitteln entgegentreten.
Unterschriften
gez. Dr. Müller, Dr. Schröder, Wichmann, Dr. Kaulen, Niedermair
Fundstellen