Entscheidungsstichwort (Thema)
Erschwerniszulagen bei den Stationierungsstreitkräften
Orientierungssatz
Parallelsache zu BAG Urteil vom 10.2.1988, 4 AZR 545/87 = nicht amtlich veröffentlicht.
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 23.04.1987; Aktenzeichen 5 Sa 20/87) |
ArbG Mainz (Entscheidung vom 13.11.1986; Aktenzeichen 6 Ca 602/86) |
Tatbestand
Der Kläger ist bei den amerikanischen Streitkräften als Dachdecker beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TVAL II) aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG).
Der Kläger erhielt für verschiedene Tätigkeiten Erschwerniszulagen in Höhe von 10 v.H. seines Grundlohns pro Stunde nach dem Anhang S Ziffer II 1 zum TVAL II. Ab August 1985 schränkten die amerikanischen Streitkräfte die Zahlung von Erschwerniszulagen ein. Dagegen wendete sich der Kläger, wie nunmehr unstreitig ist, unter Einhaltung der tariflichen Aus- schlußfrist.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß ihm weiterhin Erschwerniszulagen zu zahlen seien für das Isolieren von Flachdächern, Bädern und Toiletten mit Heißbitumen. Bei diesen Tätigkeiten sei er in besonderem Maße der Hitze ausgesetzt, da das Heißbitumen eine Temperatur von etwa 220 Grad bis 250 Grad Celsius habe. Außerdem stiegen giftige Teerdämpfe auf.
Die Beklagte sei ferner verpflichtet, wie bisher für die Arbeiten auf Dächern bei Nässe Erschwerniszulagen zu zahlen. Bei diesen Arbeiten sei er in besonderem Maße der Nässe ausgesetzt. Zum einen sei die Tätigkeit durch die Nässe noch gefährlicher, als dies die normale Arbeit auf Dächern ohnehin schon sei. Zum anderen werde er selbst in besonderem Maße durchnäßt. Dies lasse sich auch durch das Tragen von Regenkleidung nicht vollkommen vermeiden. Auch sei das Tragen von Regenkleidung selbst eine Arbeitserschwernis, da seine Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt werde.
Seinen Anspruch auf Zahlung der Erschwerniszulagen für 48 Arbeitsstunden in der Zeit von September 1985 bis August 1986 hat der Kläger auf 72,31 DM brutto beziffert.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 72,31 DM
brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden
Nettobetrag seit dem 15. September 1986 zu zahlen,
2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist,
ihm Erschwerniszuschläge nach Anhang S des Tarifvertrages
für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften
im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland (TVAL II) zu zahlen
a) für das Isolieren von Flachdächern, Bädern und
Toiletten mit Heißbitumen in Höhe von
10 %,
b) für Arbeiten auf Dächern bei Nässe in Höhe
von 10 %.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, daß dem Kläger für die genannten Tätigkeiten keine Ansprüche auf Erschwerniszulagen zustünden.
Die mit den Tätigkeiten verbundenen Arbeitserschwernisse seien für den Beruf des Klägers typisch und stellten keine besonderen Arbeitserschwernisse dar. Sie seien durch die zur Verfügung gestellte Schutzkleidung und entsprechende Geräte auf ein zumutbares Maß begrenzt. Für diese Tätigkeit sei deshalb nur der tarifliche Grundlohn zu zahlen.
Allein das Tragen von Schutzkleidung sei keine Arbeitserschwernis im tariflichen Sinne.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, daß dem Kläger Ansprüche auf die geltend gemachten Erschwerniszulagen nach dem Anhang S II 1 zum TVAL II zustehen. Die Klage ist damit sowohl hinsichtlich des Feststellungsantrags als auch hinsichtlich des Leistungsantrages begründet.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Vorschriften des TVAL II kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach sind für die Ansprüche des Klägers auf die begehrten Erschwerniszulagen folgende tariflichen Vorschriften heranzuziehen:
Anhang S
II. Zulagen für allgemeine Arbeitserschwernisse
1. Tätigkeiten, die in besonderem Maße den
Einflüssen von Schmutz, Schlamm, Hitze,
Kälte, Wasser, Rauch, Dämpfen, Gasen,
Säuren, Ätzstoffen, Giftstoffen, Erschütterungen
oder ähnlichem sowie Witterungseinflüssen
ausgesetzt sind.
2. Arbeiten, die die Körperkräfte außerordentlich
beanspruchen.
Ferner enthält die Vorschrift des § 21 Ziffer 4 TVAL II unter der Überschrift "Erschwerniszulagen" folgende Regelungen:
a) Arbeitserschwernisse - siehe Abschnitt b) sind
grundsätzlich mit dem tarifvertraglich
vereinbarten Lohn oder Gehalt abgegolten,
soweit für sie nicht Erschwerniszulagen im
Anhang S besonders vereinbart sind.
b) Arbeitserschwernisse liegen vor, wenn die
Arbeiten
(1) den Körper oder die eigene Arbeitskleidung
des Arbeitnehmers außerordentlich beschmutzen,
oder
(2) besonders gefährlich, ekelerregend oder gesundheitsschädlich
sind, oder
(3) die Körperkräfte außerordentlich beanspruchen,
oder
(4) unter besonders erschwerenden Umständen ausgeführt
werden müssen.
Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß Anspruchsgrundlage für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung von Erschwerniszulagen allein der Anhang S zum TVAL II und nicht die tarifliche Bestimmung des § 21 Ziffer 4 b TVAL II sei. Dies folgt daraus, daß § 21 Ziffer 4 a TVAL II auf die besondere Vereinbarung von Erschwerniszulagen im Anhang S verweist. Zwar sind als Arbeitserschwernisse in § 21 Ziffer 4 b genannt die außerordentliche Beschmutzung des Körpers und der eigenen Arbeitskleidung (1), besonders gefährliche, ekelerregende oder gesundheitsschädliche Arbeiten (2), Arbeiten, die die Körperkräfte außerordentlich beanspruchen (3) und Arbeiten, die unter besonders erschwerenden Umständen ausgeführt werden müssen. Damit werden die Arbeitserschwernisse jedoch nur allgemein beschrieben. Ein Anspruch auf eine Erschwerniszulage besteht nur dann, wenn die Arbeitserschwernisse einem der Beispielsfälle im Anhang S Ziffer II 1 entsprechen, d.h. wenn die Tätigkeiten - bezogen auf eine Arbeitsstunde - in besonderem Maße den Einflüssen von Schmutz, Schlamm, Hitze, Kälte, Wasser, Rauch, Dämpfen, Gasen, Säuren, Ätzstoffen, Giftstoffen, Erschütterungen oder ähnlichem sowie Witterungseinflüssen ausgesetzt sind oder nach Anhang S II 2 die Körperkräfte außerordentlich beanspruchen. Dabei lassen sich diese Beispielsfälle den in § 21 Ziffer 4 b TVAL II allgemein umschriebenen Arbeitserschwernissen zuordnen, so daß insbesondere hinsichtlich der Frage, welche "ähnlichen" Einflüsse im Sinne des Anhangs S II 1 als erschwerniszulagepflichtig angesehen werden können, die tarifliche Bestimmung des § 21 Ziffer 4 b zur Auslegung herangezogen werden kann (vgl. BAG Urteil vom 3. September 1986 - 4 AZR 315/85 -, AP Nr. 3 zu § 21 TVAL II).
Das Landesarbeitsgericht nimmt ferner zutreffend an, daß es bei der Beurteilung, ob eine Tätigkeit "in besonderem Maße" den im Anhang S Ziffer II 1 genannten Einflüssen ausgesetzt ist, nicht darauf ankommt, ob die Tätigkeit nach dem Berufsbild des Arbeitnehmers in der Regel diesen Einflüssen ausgesetzt ist. Die Tarifvertragsparteien stellen bei den Voraussetzungen für die Zahlung einer Erschwerniszulage nämlich nicht darauf ab, ob die Tätigkeiten dem Berufsbild des Arbeitnehmers entsprechen oder darüber hinausgehende Anforderungen an ihn stellen. Vielmehr ist nach dem Wortlaut des Tarifvertrages allein maßgeblich, ob die konkret ausgeübte Tätigkeit - bezogen auf den Zeitraum einer Stunde - den im Anhang S Ziffer II 1 normierten Anforderungen entspricht (BAG Urteil vom 19. August 1987 - 4 AZR 149/87 -, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen). Zu Recht weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, daß eine Tätigkeit auch dann in besonderem Maße den im Anhang S Ziffer II 1 genannten Einflüssen ausgesetzt sein kann, wenn sie zu den üblichen Aufgaben des betreffenden Arbeitnehmers gehört. In aller Regel wird der Arbeitnehmer diejenigen Aufgaben wahrnehmen, die seinem Berufsbild entsprechen. Sind diese Tätigkeiten in besonderem Maße den im Anhang S Ziffer II 1 genannten Einflüssen ausgesetzt, bestünde nach Auffassung der Beklagten gleichwohl kein Anspruch auf eine Erschwerniszulage, wenn diese Arbeitserschwernis berufstypisch wäre. Die Erschwerniszulagenregelung liefe damit in den meisten Fällen leer. Diese Auslegung des Anhangs S Ziffer II 1 würde somit zu keiner vernünftigen, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führen (BAGE 42, 244 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II).
Das Landesarbeitsgericht nimmt insofern zu Recht auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang Bedacht, der bei der Tarifauslegung neben dem Tarifwortlaut gleichermaßen zu berücksichtigen ist (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Die Tarifvertragsparteien haben nämlich im Anhang S in den Ziffern III, IV und V Erschwerniszulagen für berufstypische Tätigkeiten vorgesehen und im Anhang S Ziffer I 4 (6) bestimmt, daß allein diese Erschwerniszulagen zu zahlen sind, wenn sie mit Arbeitserschwernissen nach Ziffer II 1 oder 2 identisch sind. Daraus folgt, daß die Tarifvertragsparteien davon ausgehen, daß Arbeitserschwernisse nach Ziffer II 1 oder 2 auch bei der Ausübung berufstypischer Tätigkeiten auftreten können. Maßstab dafür, ob eine Tätigkeit in besonderem Maße den im Anhang S Ziffer II 1 genannten Einflüssen ausgesetzt ist, kann mithin nicht das Berufsbild des Arbeitnehmers sein, sondern nur das Maß der Arbeitserschwernisse, das durch die in Ziffer II 1 genannten Einflüsse hervorgerufen wird.
Das Landesarbeitsgericht geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats ferner davon aus, daß Tätigkeiten den in Ziffer II 1 genannten Einflüssen auch dann in besonderem Maße ausgesetzt sein können, wenn das Maß der Arbeitserschwernisse durch Schutzkleidung gemindert und auf ein zumutbares Maß herabgesetzt wird (BAG Urteil vom 3. September 1986 - 4 AZR 315/85 -, AP Nr. 3 zu § 21 TVAL II; Urteil vom 19. August 1987 - 4 AZR 149/87 -, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen). Entgegen der Auffassung des Klägers ist allerdings das Tragen von Schutzkleidung in der Regel keine Arbeitserschwernis, die den Anspruch auf Zahlung einer Erschwerniszulage begründet. Dies folgt schon daraus, daß das Tragen von Schutzkleidung in Ziffer II 1 nicht ausdrücklich genannt ist. Ob im Einzelfalle das Tragen von Schutzkleidung eine "ähnliche" Arbeitserschwernis, wie sie durch die in Ziffer II 1 ausdrücklich genannten Einflüsse hervorgerufen wird, begründen kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Demgegenüber kann nicht der Auffassung der Beklagten gefolgt werden, daß eine Tätigkeit dann nicht mehr in besonderem Maße den in Ziffer II 1 genannten Einflüssen ausgesetzt sein kann, wenn durch die zur Verfügung stehende Schutzkleidung (Gummihandschuhe, Gummistiefel, Regenmantel, warme Kleidung) oder entsprechende Schutzgeräte (Gehörschutz, Atemschutzmaske) bewirkt wird, daß durch die Tätigkeit die Gesundheit des Arbeitnehmers nicht gefährdet wird. Mit Recht führt das Landesarbeitsgericht insoweit aus, daß dies nach den entsprechenden arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen überhaupt erst Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit ist. Mithin kann nach dem Sinn und Zweck der tariflichen Bestimmung die Erfüllung dieser Voraussetzung einen Anspruch auf Erschwerniszulage nicht ausschließen. Ist der Arbeitnehmer bei seiner Tätigkeit den in Ziffer II 1 genannten Einflüssen unmittelbar ausgesetzt, so beurteilt sich das Maß der Arbeitserschwernis nicht danach, ob er auch mit Schutzkleidung in seiner Gesundheit beeinträchtigt wird; entscheidend ist vielmehr, wie sich die in Ziffer II 1 genannten Einflüsse auf die Tätigkeit als solche unmittelbar auswirken.
Das Landesarbeitsgericht nimmt an, daß der Kläger beim Isolieren von Flachdächern, Bädern und Toiletten mit Heißbitumen in besonderem Maße den Einflüssen von Hitze, Rauch, Dämpfen, Giftstoffen (Teer) und Ätzstoffen ausgesetzt sei, so daß ihm für diese Tätigkeiten eine Erschwerniszulage nach Anhang S Ziffer II 1 zustehe. Die Beklagte wendet demgegenüber ein, daß der Kläger nicht ausreichend Tatsachen vorgetragen habe, die den Schluß darauf zuließen, daß diese Tätigkeit "in besonderem Maße" diesen Einflüssen ausgesetzt sei. Damit kann sie keinen Erfolg haben.
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß die Tätigkeiten des Klägers den genannten Einflüssen ausgesetzt sind. Ob diese Einflüsse das im Anhang S Ziffer II 1 geforderte besondere Maß erreichen, liegt im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz, der vorliegend besonders groß ist, weil die Tarifvertragsparteien mit der Anforderung "in besonderem Maße" einen besonders weitgefaßten allgemeinen (unbestimmten) Rechtsbegriff verwenden (vgl. BAG Urteil vom 4. Oktober 1978 - 4 AZR 191/77 -, AP Nr. 9 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Wenn das Landesarbeitsgericht aus den zwischen den Parteien unstreitigen Einflüssen von Hitze, Rauch, Dämpfen, Gift- und Ätzstoffen auf die Tätigkeiten des Klägers folgert, daß das im Anhang S Ziffer II 1 geforderte Maß erreicht sei, so ist dies im Hinblick auf den Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Landesarbeitsgericht nimmt ferner an, daß die Arbeiten des Klägers auf Dächern bei Nässe in besonderem Maße Witterungseinflüssen nach Anhang S Ziffer II 1 ausgesetzt seien. Bei dieser Tätigkeit komme eine Gesundheitsgefährdung unmittelbar zum Ausdruck, weil durch die Bildung eines Schmutzfilmes auf den Dächern eine besonders starke Abrutschgefahr bei Nässe eintrete. Auch diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind im Hinblick auf den Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz aus Rechtsgründen nicht angreifbar.
Insgesamt ergibt sich damit, daß die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrages begründet ist. Soweit das Landesarbeitsgericht dem Leistungsantrag in bezug auf 48 Arbeitsstunden, in denen die genannten Erschwernisse vorlagen, für den Zeitraum von September 1985 bis August 1986 stattgegeben hat, werden von der Beklagten keine Einwendungen erhoben.
Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision nach § 97 Abs.1 ZPO zu tragen.
Dr. Feller Dr. Etzel Dr. Freitag
Schaible Koerner
Fundstellen