Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Nahauslösung und Urlaubsvergütung

 

Leitsatz (redaktionell)

Nahauslösungen nach dem Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues mit Anmerkungen vom 30. April 1980 sind in die Berechnung der Urlaubsvergütung nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 einzubeziehen.

 

Normenkette

TVG § 1; BUrlG §§ 11, 13

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.02.1985; Aktenzeichen 16 Sa 1769/84)

ArbG Essen (Entscheidung vom 16.10.1984; Aktenzeichen 2 Ca 2197/84)

 

Tatbestand

Der Kläger ist bei der Beklagten als Montagestammarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 (MTV) und der Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues mit Anmerkungen vom 30. April 1980 (BMTV) anzuwenden.

§ 12 MTV lautet:

"Urlaubsvergütung

----------------

1. Bei der Berechnung der Urlaubsvergütung sind

zugrunde zu legen

a) bei den Arbeitern hinsichtlich der Lohnhöhe

150 % des regelmäßigen Arbeitsverdienstes

(Berechnung s. § 15);

..."

In § 15 MTV ist bestimmt:

"Berechnung des Arbeitsverdienstes

---------------------------------

1. In allen Fällen, in denen dieser Tarifvertrag

Anspruch auf Zahlung des 'regelmäßigen Arbeitsverdienstes'

regelt, wird für die Berechnung des

regelmäßigen Arbeitsverdienstes folgendes zugrunde

gelegt:

a) Gewerbliche Arbeitnehmer

Hinsichtlich der Lohnhöhe der durchschnittliche

Stundenverdienst in den letzten drei abgerechneten

Monaten oder in den diesem Zeitraum

annähernd entsprechenden Abrechnungszeiträumen

vor Beginn des Fortzahlungszeitraums (Gesamtverdienst

des Arbeitnehmers in dem betreffenden

Zeitraum einschließlich aller Zuschläge, jedoch

ohne einmalige Zuwendungen sowie Leistungen,

die Aufwendungsersatz darstellen, z.B. Auslösungen,

soweit sie nicht Arbeitsentgelt sind,

geteilt durch die Zahl der bezahlten Arbeitsstunden);

..."

In § 7 BMTV ist u.a. folgendes geregelt:

"§ 7.1.1 Begriff:

Nahmontage ist eine Montage, bei der dem Montagestammarbeiter

die tägliche Rückkehr zum Ausgangspunkt

zumutbar ist.

.....

§ 7.3.1

Die Nahauslösung ist eine Pauschalerstattung, die

den Mehraufwand bei auswärtigen Arbeiten abdecken

soll.

(Hierzu heißt es in der Anmerkung 6:

Die Regelung über Nahauslösung trägt dem Umstand

Rechnung, daß die Beschäftigung auf einer außerbetrieblichen

Arbeitsstelle eine längere Abwesenheit

des Montagestammarbeiters von zu Hause erfordert.

Die längere Abwesenheit bedingt Mehraufwendungen

während des Erreichens der Montagestelle

und auf der Montagestelle, die pauschal erstattet

werden. Eine Vergütung für den Zeitaufwand erfolgt

nicht.)

§ 7.3.11

Soweit und solange Auslösungen zu versteuern sind,

werden sie nach Maßgabe der gesetzlichen und tariflichen

Bestimmungen wie Arbeitsentgelt behandelt."

Der Kläger hatte vom 30. Dezember 1983 bis zum 3. Januar 1984 und vom 19. Februar 1984 bis zum 28. März 1984 Urlaub. Bei der Berechnung der Urlaubsvergütung ließ die Beklagte Nahauslösungen in Höhe von 870,48 DM unberücksichtigt.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 870,48 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit 7. August 1984 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Bezahlung der begehrten Nahauslösungen. Die Beklagte ist verpflichtet, die Nahauslösungen i.S. von § 7.3 BMTV bei der nach den §§ 12, 15 MTV zu berechnenden Urlaubsvergütung einzubeziehen, weil sie der Lohnsteuerpflicht unterliegen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, § 12 Nr. 1 Buchst. a und § 15 Nr. 1 Buchst. a MTV gewährten keinen Anspruch auf Zahlung von Nahauslösungen während des Urlaubs. Nach diesen Regelungen sei Arbeitsentgelt fortzuzahlen. § 7.3.1 BMTV definiere indessen Nahauslösungen nicht als Arbeitsentgelt, sondern als Aufwendungsersatz. Zwar seien nach dem Wortlaut des § 7.3.11 BMTV zu versteuernde Nahauslösungen wie Arbeitsentgelt zu behandeln. Eine systematische Auslegung ergebe aber, daß Nahauslösungen nicht anders als die bei der Berechnung der Urlaubsvergütung nicht einzubeziehenden Fernauslösungen (§ 6.4 BMTV) behandelt werden könnten.

2. Dieser Auffassung folgt der erkennende Senat nicht.

Nahauslösungen nach dem BMTV gehören nach § 15 Nr. 1 Buchst. a Abs. 1 MTV zum "regelmäßigen Arbeitsverdienst" und damit zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt, soweit sie versteuert werden müssen. Dies hat der Fünfte Senat in seinen Urteilen vom 14. August 1985 (- 5 AZR 76/85 - AP Nr. 14 zu § 2 LohnFG, sowie - 5 AZR 35/85 - SAE 1987, 52, bestätigt im Urteil vom 23. April 1986 - 5 AZR 353/85 -, nicht veröffentlicht) im Anschluß an seine Entscheidung vom 2. Oktober 1974 (- 5 AZR 555/73 - AP Nr. 5 zu § 2 LohnFG) festgestellt. Dieser Rechtsprechung hat sich der erkennende Senat in seinem Urteil vom 10. März 1987 (- 8 AZR 494/84 -, nicht veröffentlicht) angeschlossen. Ebenso hat der Vierte Senat im Urteil vom 24. September 1986 (- 4 AZR 543/85 - AP Nr. 50 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG) für einen Anspruch auf Feiertagslohnzahlung angenommen, daß Nahauslösungen bis 5 km nach § 7 BMTV Arbeitsverdienst im Sinne von § 1 FeiertLohnzG sind.

3. Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, von seiner Auffassung im Urteil vom 10. März 1987 (aaO) abzuweichen.

Auslösungen sind nach § 15 Nr. 1 Buchst. a Abs. 1 MTV in Verb. mit § 12 Nr. 1 Buchst. a MTV bei der Berechnung der Urlaubsvergütung nicht einzubeziehen, "soweit sie nicht Arbeitsentgelt sind". Bei der Ermittlung dessen, was unter "Arbeitsentgelt" zu verstehen ist, sind die Regelungen des BMTV über die Nahauslösung mit heranzuziehen. Nach § 7.3.11 BMTV in Verb. mit § 7.3.1 BMTV sind Nahauslösungen wie Arbeitsentgelt zu behandeln, soweit sie zu versteuern sind.

Die dem Kläger für die Zeit seines Urlaubs zu gewährenden Nahauslösungen sind zu versteuern, weil sie in den Ausnahmekatalog nach § 3 EStG nicht aufgenommen sind und unabhängig davon gezahlt werden, ob dem Arbeitnehmer Auslagen oder Mehraufwendungen durch die auswärtige Tätigkeit entstanden sind (vgl. dazu Klein/Flockermann/Kühr, EStG, 3. Aufl., § 3 Rz 268 ff.; Schmidt, EStG, 5. Aufl., § 3 Stichwort Auslösungen zu b). Damit gehören sie tarifrechtlich zum Arbeitsentgelt im Sinne von § 15 MTV und sind daher auch bei der Berechnung der Urlaubsvergütung zu berücksichtigen (so bereits der erkennende Senat in seinem Urteil vom 10. März 1987, aaO).

4. Die gegen diese Rechtsprechung von der Beklagten erhobene Kritik ist unbegründet.

Die Auffassung, der Fünfte Senat habe sich zu der Entscheidung des Sechsten Senats vom 28. Januar 1982 (- 6 AZR 911/78 - AP Nr. 11 zu § 2 LohnFG) sowie zu seinen eigenen Entscheidungen vom 15. Juni 1983 (- 5 AZR 598/80 - BAGE 43, 87 und - 5 AZR 399/82 - BAGE 43, 95 = AP Nr. 12 und 13 zu § 2 LohnFG) in Widerspruch gesetzt, trifft nicht zu. In der Entscheidung vom 15. Juni 1983 (- 5 AZR 399/82 -) ging es zwar auch um die Frage, ob Nahauslösungen zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt gehörten. Zwischen den Parteien jenes Verfahrens fand aber ein anderer Tarifvertrag, nämlich der Manteltarifvertrag für die Arbeiter und Angestellten in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 29. Oktober 1979 (MTV Metall Nordwürttemberg/Nordbaden) Anwendung. § 12.3.1 MTV Metall Nordwürttemberg/Nordbaden schließt eine Einbeziehung jeglicher Auslösungen in die Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts im Gegensatz zu § 15 Nr. 1 Buchst. a Abs. 1 MTV ausdrücklich aus. Im Urteil vom 15. Juni 1983 (- 5 AZR 598/80 -) hat der Fünfte Senat - der Entscheidung des Sechsten Senats vom 24. Januar 1982 (aaO) folgend - angenommen, daß Fernauslösungen im Sinne des § 6 BMTV nicht zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt gehören. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dies müsse im Hinblick auf den übereinstimmenden Wortlaut des § 6.4.3 BMTV und des § 7.3.11 BMTV auch für Nahauslösungen gelten. Zu Recht hat der Fünfte Senat darauf hingewiesen, daß § 6 BMTV Regelungen über die Einbeziehung von Fernauslösungen enthält, die in § 7 BMTV für die Nahauslösungen fehlen. Anders als bei der Nahauslösung werden Auslösungen, z. B. für Übernachtungskosten, nur nach tatsächlichem Aufwand gezahlt (§ 6.5 BMTV), vermindert sich die Auslösung bei vorübergehender Abwesenheit vom Montageort (§ 6.8 BMTV) und entfällt die Auslösung bei ärztlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit am Heimatort. Insoweit sind beide Auslösungsarten nur bedingt miteinander vergleichbar. Während die Fernauslösung in einer Reihe von Fällen lediglich als Ersatz für Aufwand gezahlt wird, der tatsächlich entsteht, richtet sich der Anspruch auf Nahauslösung auf eine pauschale Zahlung, die ohne Rücksicht darauf gewährt wird, ob im Einzelfall Aufwendungen entstanden sind.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

Dr. Liebers Terbrack

 

Fundstellen

Haufe-Index 441539

DB 1988, 2368 (T)

NZA 1989, 111-112 (LT1)

RdA 1988, 380

AP § 11 BUrlG (LT1), Nr 21

EzA § 4 TVG Metallindustrie, Nr 39 (LT1)

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge