Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsurlaub - Tarifliche Sonderzahlung
Orientierungssatz
Parallelsache zu BAG Urteil vom 10.5.1989 6 AZR 660/87.
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer tariflichen Sonderzahlung.
Die 1960 geborene Klägerin ist seit dem 1. August 1977 im metallverarbeitenden Betrieb der Beklagten als Arbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens vom 30. Oktober 1976 nach dem Stand vom 3. Juli 1984 in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens (TV 13. ME) kraft Tarifbindung Anwendung. Darin ist u.a. bestimmt:
"§ 2
1. Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am
Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis bzw.
Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeit-
punkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate an-
gehört haben, haben je Kalenderjahr einen An-
spruch auf betriebliche Sonderzahlungen.
Ausgenommen sind Arbeitnehmer und Auszubildende,
die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis
bzw. Ausbildungsverhältnis gekündigt haben.
2. Die Sonderzahlungen werden nach folgender Staffel
gezahlt:
nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit 20 %
nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit 30 %
nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit 40 %
nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit 50 %
eines Monatsverdienstes bzw. einer Monatsvergütung.
.....
6. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer bzw. Auszubildende,
deren Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis im
Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht,
erhalten keine Leistungen. Ruht das Arbeitsverhältnis
bzw. das Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr teil-
weise, so erhalten sie eine anteilige Leistung."
Die Protokollnotiz zu § 2 Ziff. 6 lautet:
"Es besteht Einigkeit darüber, daß Anspruchsbe-
rechtigte, die unter das Mutterschutzgesetz fal-
len und erkrankte Anspruchsberechtigte nicht von
§ 2 Ziff. 6 Abs. 1 erfaßt werden."
Die Klägerin hat am 5. Februar 1986 entbunden und im Anschluß an die achtwöchige Schutzfrist des § 6 Abs. 1 MuSchG bis zum 5. Dezember 1986 Erziehungsurlaub nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz vom 6. Dezember 1985 in Anspruch genommen. Die Beklagte gewährte der Klägerin für 1986 anstelle von rechnerisch unstreitigen 886,77 DM brutto für eine volle Sonderzahlung lediglich einen Betrag von 260,00 DM netto. Sie berücksichtigte die Zeiten des Erziehungsurlaubs anspruchsmindernd.
Die Klägerin hat gemeint, sie habe Anspruch auf die volle Jahressonderzahlung nach § 2 Nr. 1 und 2 TV 13. ME. Ihr Arbeitsverhältnis habe während des Erziehungsurlaubs nicht geruht. Im übrigen falle sie unter das Mutterschutzgesetz im Sinne der Protokollnotiz zu § 2 Nr. 6 TV 13. ME.
Sie hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
886,77 DM brutto abzüglich 260,-- DM netto zu-
züglich 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Net-
tobetrag seit dem 11. Dezember 1986 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Klägerin habe nur Anspruch auf eine anteilige Sonderzahlung, weil ihr Arbeitsverhältnis während des Erziehungsurlaubs geruht habe. Die Klägerin könne sich nicht auf die Protokollnotiz zu § 2 Nr. 6 TV 13. ME berufen, weil sie während der Zeit des Erziehungsurlaubs nicht unter das Mutterschutzgesetz gefallen sei.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin weiter ihr erstinstanzliches Ziel.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat einen weiteren Anspruch auf tarifliche Sonderzahlung über 260,-- DM netto hinaus bis zur Höhe von 886,77 DM brutto.
A. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, das Arbeitsverhältnis der Parteien habe während des Erziehungsurlaubs kraft Gesetzes und Vereinbarung im Sinne des § 2 Nr. 6 TV 13. ME geruht. Die Klägerin könne sich auch nicht auf die Protokollnotiz zu dieser Vorschrift berufen, weil sie für die Zeit des Erziehungsurlaubs nicht unter das Mutterschutzgesetz falle. Deshalb habe sie nur den bereits erfüllten Anspruch auf eine anteilige tarifliche Sonderzahlung.
B. Dieser Auffassung des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zuzustimmen.
I. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für die volle tarifliche Sonderzahlung. Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 TV 13. ME sind gegeben. Die Klägerin stand am 1. Dezember 1986, dem Auszahlungstag gemäß § 3 Nr. 2 TV 13. ME, in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Sie gehörte zu dieser Zeit dem Betrieb ununterbrochen sechs Monate an. Sie hatte ihr Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt nicht gekündigt.
II. Die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 2 Nr. 6 TV 13. ME, nach denen anspruchsberechtigte Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Nr. 1 TV 13. ME keine Leistungen bzw. nur eine anteilige Leistung erhalten, liegen nicht vor.
1. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Arbeitsverhältnis der Parteien während des Erziehungsurlaubs der Klägerin im Sinne des § 2 Nr. 6 TV 13. ME geruht.
a) Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff des Ruhens nicht definiert. Es ist daher durch Auslegung zu ermitteln, was die Tarifvertragsparteien darunter verstehen.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Zunächst ist vom Wortlaut der Tarifvorschrift auszugehen. Dabei ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat (BAGE 42, 86, 89 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; Senatsurteil vom 24. März 1988 - 6 AZR 785/85 - AP Nr. 1 zu § 27 MTL II; Senatsurteil vom 24. November 1988 - 6 AZR 243/87 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, gegebenenfalls auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, aaO).
b) Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses ist ein in der Rechtssprache gebräuchlicher Begriff. Nutzen Tarifvertragsparteien ohne weitere Erläuterung einen derartigen Rechtsbegriff, so kann davon ausgegangen werden, daß sie ihn im allgemeinen anerkannten Sinne verstanden wissen wollen (BAG Urteil vom 19. Juni 1963 - 4 AZR 125/62 - AP Nr. 116 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 4. November 1970 - 4 AZR 121/70 - AP Nr. 119 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 5. Februar 1971 - 4 AZR 66/70 - AP Nr. 120 zu § 1 TVG Auslegung). Für den Begriff des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses gibt es allerdings keine allgemeine, für alle Erscheinungsformen der Nichtarbeit im Rahmen eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses gültige Definition. Vielmehr werden die unterschiedlichsten Erscheinungsformen als Ruhen des Arbeitsverhältnisses bezeichnet.
c) Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses wird gesetzlich z.B. durch § 1 ArbPlSchG, § 1 EÜG, § 15 Abs. 1 ASG angeordnet, ohne die Voraussetzungen des Ruhens zu nennen. Diesen gesetzlichen Regelungen ist gemeinsam, daß der Arbeitnehmer wegen anderweitiger Verpflichtungen seine Hauptpflicht, die Erbringung von Arbeitsleistungen, nicht mehr erfüllen kann und der Arbeitgeber deshalb von seiner Hauptpflicht, die zugesagte Vergütung zu leisten, befreit ist. Die beiderseitigen Hauptpflichten sind suspendiert (Sahmer, ArbPlSchG, 3. Aufl., E § 1 Anm. 4). Die Nebenpflichten, angepaßt an die jeweiligen tatsächlichen Umstände, bestehen fort. Tarifvertragliche Bestimmungen über das Ruhen von Arbeitsverhältnissen finden sich u.a. in § 9 Nr. 2.1 BRTV-Bau und in § 8 Nr. 2.1 des Rahmentarifvertrages für die technischen und kaufmännischen Angestellten des Baugewerbes und in § 9 Nr. 2.1 des Rahmentarifvertrages für die Poliere des Baugewerbes. Danach ruhen die Arbeitsverhältnisse der gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten zum Stammbetrieb, wenn sie zu einer Tätigkeit bei einer Arbeitsgemeinschaft freigestellt werden. Auch in diesen Fällen gehen die Arbeitnehmer einer anderen Beschäftigung nach.
d) Die anderweitige Tätigkeit des Arbeitnehmers in einem Arbeitsverhältnis oder einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis ist jedoch keine Voraussetzung für das Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Ein Arbeitsverhältnis ruht auch dann, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft nicht anderweitig verwendet, nämlich z.B. bei der Gewährung von Sonderurlaub ohne Vergütung in Notfällen (BAGE 7, 197 = AP Nr. 2 zu § 7 AltbankenG Berlin; BAGE 7, 207 = AP Nr. 3 zu § 7 AltbankenG Berlin), bei einer widerspruchslos hingenommenen Suspendierung (BAG Urteil vom 10. November 1959 - 1 AZR 29/56 - AP Nr. 2 zu § 133 BGB; BAGE 14, 343 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Ruhen des Arbeitsverhältnisses) und bei Gewährung von Sonderurlaub zumeist im Anschluß an den Erholungsurlaub.
e) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die herrschende Auffassung im Schrifttum nahmen ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses auch im Bereich des Mutterschutzgesetzes an. Zwar ruht ein Arbeitsverhältnis nicht während der Mutterschutzfristen vor und nach der Geburt gemäß § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG (BAG Urteil vom 3. Juni 1987 - 5 AZR 153/86 -, nicht veröffentlicht; ebenso Meisel/Sowka, MuSchG, 3. Aufl., § 15 BErzGG Rz 32). Es ruht jedoch während des Mutterschaftsurlaubs mit der Maßgabe, daß die Arbeitsvertragsparteien von ihren bisherigen Hauptleistungspflichten freigestellt sind (BAGE 40, 214, 218 = AP Nr. 113 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG Urteil vom 3. Juni 1987 - 5 AZR 153/86 - n.v.; Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl., Vorbem. §§ 8 a - 8 d Rz 20; Gröninger/Thomas, MuSchG, Stand Oktober 1982, § 8 a Anm. 3 b; Zmarzlik/Zipperer, MuSchG, 3. Aufl., § 8 a Rz 10; Klischan, Tarifliche Jahressonderzahlungen, NZA 1985, 653, 655).
f) Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat ebenso ein Ruhen der beiderseitigen Hauptpflichten während des Erziehungsurlaubs angenommen, in dem keine erlaubte Teilzeitarbeit erbracht wird (Urteil vom 22. Juni 1988 - 5 AZR 526/87 - DB 1988, 2365 = NZA 1989, 13 = EzA § 16 BErzGG Nr. 1; ebenso Meisel/Sowka, aaO, § 15 BErzGG Rz 32; a.A. Halbach, Erziehungsurlaub ab 1986, DB Beil. Nr. 1/86, S. 11; Winterfeld, Neues Arbeitsrecht, Stand Mai 1987, Teil M, Rz 183). Dem pflichtet der erkennende Senat bei. Ein Arbeitsverhältnis ruht nicht nur, wenn die Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses vorübergehend zum Erlöschen gebracht sind und der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft anderweitig einsetzt oder die Suspendierung überdurchschnittlich lange dauert. Von einem ruhenden Arbeitsverhältnis kann bereits dann gesprochen werden, wenn nur die wechselseitigen Hauptpflichten (Arbeitsleistung und Vergütung) suspendiert sind und somit der jeweilige Gläubiger von seinem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht verlangen und nicht durchsetzen kann, während die Nebenpflichten wie die Fürsorgepflicht und die Treuepflicht, die Verschwiegenheitspflichten, die Unterlassungspflichten, das Wettbewerbsverbot, die Auskunfts-, Rechnungs- und Herausgabepflichten, die Pflichten zum Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers und seines Eigentums weiterbestehen. Das gilt auch für den Begriff des Ruhens in einem Tarifvertrag, solange er keinen Anhaltspunkt dafür enthält, daß nur bestimmte Fälle des Ruhens, z.B. mit den Auswirkungen nach dem Arbeitsplatzschutzgesetz gemeint sein könnten. Soweit ein Teil des Schrifttums meint, während des Mutterschutzurlaubs und des Erziehungsurlaubs ruhe das Arbeitsverhältnis nicht, weil im Erziehungsurlaub wie im Mutterschaftsurlaub lediglich die Hauptpflichten suspendiert seien, während die arbeitsrechtlichen Nebenpflichten weiterhin beständen, so beschreiben diese Autoren damit gerade die wesentlichen Merkmale des Ruhens. Denn auch das nach dem Arbeitsplatzschutzgesetz kraft gesetzlicher Anordnung ruhende Arbeitsverhältnis wird ebenso definiert (vgl. Sahmer, aaO).
2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ruhte während des Erziehungsurlaubs allerdings weder kraft Gesetzes noch aufgrund einer Vereinbarung der Parteien.
a) Der Zustand des Ruhens des Arbeitsverhältnisses während des Erziehungsurlaubs ist nicht auf eine Vereinbarung zurückzuführen. Denn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer, die die gesetzlichen Voraussetzungen des § 15 BErzGG erfüllen, sind nicht auf das Einverständnis des Arbeitgebers bei der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs angewiesen (BAG Urteil vom 22. Juni 1988, aaO, m.w.N. aus dem Schrifttum), sondern haben das Alleinentscheidungsrecht, ob sie den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen wollen oder nicht. Sind die Anspruchsvoraussetzungen nach § 15 BErzGG erfüllt, so entsteht der Urlaubsanspruch, ohne daß ein Einverständnis des Arbeitgebers hierzu erforderlich ist. Der Arbeitgeber muß das Fernbleiben des Arbeitnehmers von dem gewünschten Zeitpunkt ab hinnehmen. Demgegenüber setzt eine Vereinbarung ein wenigstens zweiseitiges übereinstimmendes, regelmäßig rechtsgeschäftliches Handeln voraus (BAG Urteil vom 3. Juni 1987, aaO, zu I 2 der Gründe).
b) Der Erziehungsurlaub wird wie früher der Mutterschaftsurlaub nicht kraft Gesetzes gewährt. Ihn erhält der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin auf Verlangen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Damit tritt auch der Zustand des Ruhens des Arbeitsverhältnisses nicht "kraft Gesetzes" ein, sondern nach entsprechender Willensbetätigung des berechtigten Arbeitnehmers, wenn auch auf gesetzlicher Grundlage. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrages wird die Klägerin deshalb nicht von der Vorschrift des § 2 Nr. 6 TV 13. ME erfaßt. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann die Bestimmung auch nicht aus teleologischen Gründen dahin ausgelegt werden, die Voraussetzung "kraft Gesetzes" umfasse alle Fälle, in denen der Ruhenstatbestand aus der Geltendmachung gesetzlicher Ansprüche folge. Das verbietet sich aus systematischen und teleologischen Gründen. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung sind in der Grundnorm des § 2 Nr. 1 TV 13. ME geregelt, während in seiner Nr. 6 die Ausnahmen bestimmt sind. Ausnahmeregelungen sind aber nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts restriktiv auszulegen (Senatsurteil vom 24. November 1988 - 6 AZR 243/87 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Auch der Charakter der Sonderzahlung als im wesentlichen Entlohnung für die vergangenen Dienste rechtfertigt keine extensive Interpretation der Ausnahmebestimmung. Denn die Tarifvertragsparteien haben den erkennbaren Grundsatz, nur für Zeiten eine Sonderzahlung zu gewähren, in denen gearbeitet worden ist, bereits für zwei weitreichende Fallgruppen aufgehoben, nämlich für die Zeiten von Mutterschutz und Krankheit (Protokollnotiz zu § 2 Nr. 6 TV 13. ME). Insbesondere bei Ausfällen wegen Krankheit sind Fallgestaltungen denkbar, in denen Arbeitnehmer trotz fehlender Arbeitsleistung über eine lange Zeit hinweg eine Sonderzahlung beanspruchen können. Deshalb ist eine Auslegung zur Erhaltung des Grundsatzes nicht geboten. Letztlich führt eine extensive Interpretation des Tatbestandsmerkmals "kraft Gesetzes" zur Erfassung aller denkbaren Fälle des Ruhens, weil sie entweder auf Vereinbarung oder kraft Gesetzes zustande kommen. Damit entbehrte die einschränkende Formulierung in der Tarifvorschrift jeden Sinns, wovon der Senat nicht ausgehen kann. Wenn die Tarifvertragsparteien jeglichen Ruhenstatbestand hätten erfassen wollen, wäre diese Absicht besser zu erreichen gewesen, wenn sie lediglich vom Ruhen des Arbeitsverhältnisses ohne die kausale Verknüpfung mit den Worten "kraft Gesetzes oder Vereinbarung" gesprochen hätten (im Ergebnis ebenso BAG Urteil vom 3. Juni 1987, aaO, zu I 2 der Gründe).
3. Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seinem Urteil vom 3. Juni 1987, aaO, zur Frage der Auswirkungen des Mutterschaftsurlaubs auf den tariflichen Sonderzahlungsanspruch eine nachträgliche unbewußte Lücke im Tarifvertrag angenommen, die von den Gerichten für Arbeitssachen nicht geschlossen werden könne. Er hat daraus gefolgert, die Klägerin habe zur Zeit keinen Anspruch auf die ungeteilte Sonderzahlung.
Dem vermag sich der Senat in beiden Punkten nicht anzuschließen.
a) Der Tarifvertrag enthält keine nachträgliche unbewußte Lücke. Normlücken wie Regelungslücken sind Lücken innerhalb des Regelungszusammenhangs des Gesetzes oder Tarifvertrages. Ob eine derartige Lücke vorliegt, ist zu beurteilen vom Standpunkt des Gesetzes oder Tarifvertrages selbst, der ihnen zugrunde liegenden Regelungsabsicht und der mit ihr verfolgten Zwecke des gesetzgeberischen oder tarifvertraglichen Plans. Eine Lücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit des Normenwerkes. Der dem Gesetz oder Tarifvertrag zugrunde liegende Regelungsplan ist aus ihm selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu erschließen (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., S. 358 f.). Der Wortlaut der Tarifbestimmungen in § 2 Nr. 6 TV 13. ME läßt eine Regelungsabsicht der Tarifvertragsparteien, alle denkbaren Ruhenstatbestände zu erfassen und die betroffenen Arbeitnehmer vom Anspruch auf eine Jahressonderzahlung ganz oder teilweise auszunehmen, nicht erkennen. Eine derartige Vorstellung wäre einfach dadurch zu realisieren gewesen, wenn die Ausklammerung der ruhenden Arbeitsverhältnisse ohne Nennung einer kausalen Verknüpfung angeordnet worden wäre. Aus der einschränkenden Formulierung "kraft Gesetzes oder Vereinbarung" läßt sich vielmehr folgern, die Tarifvertragsparteien müßten noch anders begründete Ruhenstatbestände für möglich gehalten haben, deren Inanspruchnahme die Verhinderung des Sonderzahlungsanspruchs nicht zur Folge haben sollte. Läßt sich somit nicht feststellen, daß die Tarifvertragsparteien alle bei Abschluß des Tarifvertrages bekannten Ruhenstatbestände und ihre Auswirkungen auf die Jahressonderzahlung umfassend regeln wollten, kann auch nicht von einer durch die veränderte Gesetzgebung entstandenen Tariflücke ausgegangen werden. Soweit dieser Auffassung die Entscheidung des Fünften Senats vom 3. Juni 1987, aaO, entgegensteht, hält der für Fragen der Gratifikation allein zuständige erkennende Senat daran nicht fest.
b) Der Senat weist ferner darauf hin, daß bei Annahme einer Tariflücke lediglich von einer Normlücke, nicht aber von einer Regelungslücke ausgegangen werden könnte. Da diese angesichts der vielfältigen Möglichkeiten seitens der Tarifvertragsparteien von den Gerichten für Arbeitssachen nicht hätte geschlossen werden können, wäre der Anspruch der Klägerin nach § 2 Nr. 1 TV 13. ME nicht berührt gewesen. Denn die Lückenhaftigkeit einer einzelnen Ausnahmenorm hat die Vernichtung des ursprünglichen Anspruchs nur dann zur Folge, wenn dadurch von einer Lückenhaftigkeit der gesamten Regelung hätte ausgegangen werden müssen.
4. Besteht somit der Anspruch der Klägerin nach § 2 Nr. 1 TV 13. ME, weil die Voraussetzungen der anspruchsbegrenzenden Ausnahmevorschrift des § 2 Nr. 6 TV 13. ME nicht gegeben sind, kommt es nicht darauf an, inwieweit die Klägerin ihren Anspruch auf die Protokollnotiz zu § 2 Nr. 6 TV 13. ME stützen kann und ob und inwieweit der Tarifvertrag gegen höherrangiges Recht wie die §§ 15, 16 BErzGG, § 10 Abs. 2 MuSchG und § 612 a BGB i.V. mit Art. 6 GG verstößt.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Dr. Röhsler Dr. Jobs Dörner
Ostkamp Buschmann
Fundstellen