Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachliche Reichweite einer Bezugnahmeklausel bei Ausgliederung. Einwand der Verwirkung
Leitsatz (redaktionell)
Eine Bezugnahmeklausel auf Tarifverträge der Deutschen Bundespost kann grundsätzlich nicht dahingehend ausgelegt werden, dass auch die Haustarifverträge von Tochterunternehmen erfasst werden, die von der Deutschen Telekom AG gegründet worden sind und auf die die Arbeitsverhältnisse im Wege des Betriebsübergangs übergegangen sind.
Normenkette
BGB §§ 242, 613a Abs. 1 S. 1, Abs. 6; ZPO § 256 Abs. 1, §§ 265, 325 Abs. 1, § 559 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. September 2012 – 5 Sa 1256/12 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, welche tariflichen Regelungen aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf ihr Arbeitsverhältnis anzuwenden sind.
Der Kläger, Mitglied der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), ist seit dem Jahr 1991 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag mit der Deutschen Bundespost vom 1. März 1991, mit dem der Kläger als Arbeiter eingestellt wurde, heißt es unter Nr. 2:
„Für das Arbeitsverhältnis gelten
in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart. Die Zuordnung zum Geltungsbereich des TV Ang oder dem des TV Arb ergibt sich in Anwendung des § 1 TV Ang bzw. des § 1 TV Arb aus der jeweils ausgeübten Tätigkeit.”
Im Zuge der sog. Postreform II wurden die drei Geschäftsbereiche des Sondervermögens Deutsche Bundespost durch das Gesetz zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (vom 14. September 1994, BGBl. I S. 2325, 2339 – Postumwandlungsgesetz – PostUmwG) privatisiert. Aus dem Geschäftsbereich, in dem der Kläger tätig gewesen war (Deutsche Bundespost TELEKOM), entstand kraft Gesetzes die Deutsche Telekom AG (nachfolgend: DT AG). Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde zum 1. Januar 1995 auf die DT AG übergeleitet. Die von der DT AG geschlossenen Tarifverträge wurden seither auf das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger angewendet.
Mit Wirkung zum 25. Juni 2007 wurde der Geschäftsbereich im Wege eines Betriebsübergangs von der Beklagten, einer Tochtergesellschaft der DT AG, übernommen. Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte nicht. Gleichfalls am 25. Juni 2007 schloss die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di Haustarifverträge ab, darunter einen Manteltarifvertrag und einen Entgeltrahmentarifvertrag, die von den Tarifverträgen der DT AG ua. bei der Arbeitszeit und beim Entgelt abwichen. Mit Schreiben vom 17. Juli 2007 unterrichteten die Beklagte und die DT AG den Kläger über den Übergang seines Arbeitsverhältnisses und dessen rechtliche Folgen. In dem Schreiben heißt es ua.:
„Soweit Sie tariflicher Arbeitnehmer sind, gelten grundsätzlich Ihre bisher bei der DTAG durch Tarifvertrag geregelten Arbeitsbedingungen auch nach dem Übergang zur Deutschen Telekom Netzproduktion GmbH auf arbeitsvertraglicher Ebene weiter und können innerhalb eines Jahres nicht zu Ihrem Nachteil geändert werden. Dieser Grundsatz gilt allerdings dann nicht, soweit bei der Deutschen Telekom Netzproduktion GmbH zum selben Regelungskomplex Tarifverträge mit ver.di … bestehen oder abgeschlossen werden. In diesem Fall lösen die Regelungen bei der Deutschen Telekom Netzproduktion GmbH die bisher geltenden Regelungen der DTAG ab. …
Bei dem Übergang auf die Deutsche Telekom Netzproduktion GmbH kommt es zu der soeben beschriebenen Ablösung der tarifvertraglichen Regelungen. … Basis dieses Tarifwerks sind die Ihnen bekannten Tarifverträge der DTAG, die allerdings an verschiedenen Stellen auf die Bedürfnisse der Deutschen Telekom Netzproduktion GmbH angepasst wurden.”
Nach erfolgloser Geltendmachung mit Schreiben vom 11. Januar 2012, die Tarifverträge der DT AG mit Stand vom 24. Juni 2007 auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis anzuwenden, hat der Kläger mit seiner am 5. März 2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage sein Begehren weiter verfolgt und die Auffassung vertreten, die Tarifverträge der DT AG seien weiter anzuwenden. Sie seien ua. hinsichtlich der Arbeitszeit günstiger.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zu der Beklagten die Tarifverträge der Deutschen Telekom AG, Tarifstand 24. Juni 2007, anzuwenden sind.
Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dem Kläger fehle das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Zudem habe er seinen Anspruch verwirkt. Schließlich sei nach der widerspruchslosen Weiterarbeit des Klägers über einen Zeitraum von weit mehr als vier Jahren seit dem Betriebsübergang von einer konkludenten Vertragsänderung auszugehen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Feststellungsklage zu Recht stattgegeben.
I. Für den als sog. Elementenfeststellungsklage zulässigen (st. Rspr., etwa BAG 26. Januar 2011 – 4 AZR 333/09 – Rn. 12; 22. Oktober 2008 – 4 AZR 784/07 – Rn. 11 mwN, BAGE 128, 165) und hinreichend bestimmten (vgl. BAG 6. Juli 2011 – 4 AZR 494/09 – Rn. 18 f.) Feststellungsantrag besteht entgegen der Auffassung der Beklagten das erforderliche Feststellungsinteresse.
1. Der Feststellungsantrag ist in seiner in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellten Fassung allein darauf gerichtet, festzustellen, dass die Regelungen der Tarifverträge der DT AG mit dem Regelungsbestand vom 24. Juni 2007 insoweit Anwendung finden, als sie Gegenstand der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen kraft Bezugnahme sind. Dass daneben die nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend geltenden Tarifbestimmungen der von der Beklagten selbst abgeschlossenen Haustarifverträge nach Maßgabe des Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 TVG) für das Arbeitsverhältnis gelten, ist für die Zulässigkeit des Antrags ohne Bedeutung (s. nur BAG 20. Juni 2012 – 4 AZR 657/10 – Rn. 14; 14. Dezember 2011 – 4 AZR 179/10 – Rn. 18; 6. Juli 2011 – 4 AZR 494/09 – Rn. 19).
2. Durch eine Entscheidung über die begehrte Feststellung wird jedenfalls die zwischen den Parteien streitige Frage abschließend geklärt, ob die tariflichen Regelungen der DT AG aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme überhaupt heranzuziehen sind, was die Annahme eines rechtlichen Interesses auch dann rechtfertigt, wenn es nachfolgend doch noch zu Rechtsstreitigkeiten darüber kommen sollte, ob sich einzelne Rechte und Pflichten aus den Tarifverträgen der DT AG als günstigere einzelvertragliche Regelung im Arbeitsverhältnis der Parteien durchsetzen oder ob sie durch die firmentarifvertragliche Regelung verdrängt werden (vgl. BAG 6. Juli 2011 – 4 AZR 494/09 – Rn. 23 mwN).
II. Die Klage ist begründet. Die Tarifverträge der DT AG finden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme in Nr. 2 des Arbeitsvertrags auf das Arbeitsverhältnis der Parteien mit dem tariflichen Regelungsbestand vom 24. Juni 2007, dem Tag vor dem Betriebsübergang auf die Beklagte, Anwendung.
1. Bei der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag vom 1. März 1991 handelt es sich um eine sog. Gleichstellungsabrede iSd. früheren Rechtsprechung des Senats, die auf die fachlich einschlägigen Tarifverträge, an die die damalige Arbeitgeberin, die Deutsche Bundespost, gebunden war (ausf. zu einer inhaltlich identischen Bezugnahme BAG 6. Juli 2011 – 4 AZR 501/09 – Rn. 18 ff.).
2. Die Anwendbarkeit der Tarifverträge der DT AG ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus der arbeitsvertraglichen Bezugnahme, sie folgt aber aus deren ergänzender Auslegung. Das hat der Senat anhand tatsächlich und rechtlich gleichgelagerter Fallgestaltungen bereits mehrfach ausführlich begründet. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (BAG 6. Juli 2011– 4 AZR 706/09 – Rn. 22 ff. mwN, BAGE 138, 269; weiterhin 22. Februar 2012 – 4 AZR 579/10 – Rn. 39 f. mwN; 14. Dezember 2011 – 4 AZR 179/10 – Rn. 28 ff.; 16. November 2011 – 4 AZR 822/09 – Rn. 21 ff.). Für die Begründetheit des klägerischen Feststellungsbegehrens, welches sich allein auf die grundsätzliche Anwendbarkeit der Tarifverträge der DT AG bezieht, ist es entgegen der Auffassung der Revision ohne Bedeutung, ob im jeweiligen Einzelfall ein sachgruppenbezogener Günstigkeitsvergleich (BAG 12. Dezember 2012 – 4 AZR 328/11 – Rn. 46 ff. mwN) mit den kraft Tarifgebundenheit maßgebenden Tarifregelungen dazu führt, dass sich die vertraglichen Vereinbarungen durchsetzen.
3. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist keine konkludente vertragliche Änderung der Bezugnahmeregelung im Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1991 dahingehend erfolgt, dass die von der Beklagten geschlossenen Haustarifverträge nunmehr anzuwenden sind.
a) Das Landesarbeitsgericht hat – kurz zusammengefasst – angenommen, eine konkludente Vertragsänderung sei deshalb nicht anzunehmen, weil die Beklagte gegenüber dem Kläger keine Änderung vertraglicher Abreden angekündigt oder solche vollzogen habe. Dem Kläger sei die Anwendung der neuen, bei der Beklagten geltenden Tarifverträge als von seinem Willen nicht abhängige gesetzliche Rechtsfolge des Betriebsübergangs auf einer unveränderten vertraglichen Grundlage dargestellt worden. Dies zeige auch das Unterrichtungsschreiben der Beklagten vom 17. Juli 2007.
b) Diese Auslegung des Verhaltens der Parteien durch das Landesarbeitsgericht, die ebenso wie die Auslegung einer ausdrücklichen nichttypischen Willenserklärung nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegt (BAG 24. Juni 2010 – 6 AZR 75/09 – Rn. 22 mwN), lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
c) Solche hat auch die Revision nicht aufgezeigt.
aa) Soweit sich die Beklagte auf eine nicht näher benannte Rechtsprechung des Senats bezieht, nach der sie davon habe ausgehen dürfen, der Inhalt einer Bezugnahme ändere sich bereits durch einen Betriebsübergang, hat der Senat schon in seinen Entscheidungen vom 30. August 2000 (– 4 AZR 581/99 – zu I 1 c bb der Gründe, BAGE 95, 296), vom 25. Oktober 2000 (– 4 AZR 506/99 – zu II 3 b aa der Gründe, BAGE 96, 177) und vom 16. Oktober 2002 (– 4 AZR 467/01 – zu I 1 b bb aaa der Gründe, BAGE 103, 141) die regelmäßige Auslegung einer sog. Gleichstellungsabrede als Tarifwechselklausel abgelehnt und dies zudem für eine mit dem Entscheidungsfall nahezu identische Sachverhaltsgestaltung ausführlich begründet (BAG 16. November 2011 – 4 AZR 822/09 – Rn. 56 ff.). Einen „Vertrauensschutz” in die von der Beklagten geltend gemachte Auslegung, die sich möglicherweise auf die Entscheidung des Senats vom 4. September 1996 (– 4 AZR 135/95 – BAGE 84, 97) stützen soll, hat der Senat bereits im Urteil vom 29. August 2007 abgelehnt (– 4 AZR 765/06 – Rn. 30 ff.).
bb) Die weitere Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe ihren Vortrag unberücksichtigt gelassen, nach dem der Kläger seit dem Betriebsübergang das Arbeitsverhältnis „bewusst, im Sinne einer aktiven Teilhabe” auf Basis der für sie geltenden Haustarifverträge „durchgeführt” habe, ist unerheblich. Im Hinblick auf das Unterrichtungsschreiben der Beklagten konnte das Landesarbeitsgericht diese Umstände rechtsfehlerfrei außer Betracht lassen, weil aus ihm allein noch kein Änderungswille der Beklagten erkennbar wurde. In der Folge kann dem Verhalten des Klägers ohne weitere Begleitumstände (vgl. dazu etwa BAG 25. April 2007 – 5 AZR 504/06 – Rn. 12; 13. November 2013 – 10 AZR 1082/12 – Rn. 35 ff.) ein bestimmter rechtsgeschäftlicher Erklärungswert nicht entnommen werden. Solche macht auch die Revision nicht geltend. Im Ergebnis setzt die Beklagte lediglich ihre Auffassung, das von ihr geschilderte Verhalten sei als Willenserklärung auszulegen, gegen diejenige des Landesarbeitsgerichts. Damit wird ein revisibler Auslegungsfehler des Landesarbeitsgerichts nicht aufgezeigt.
4. Die Klage ist entgegen der Auffassung der Revision nicht deshalb unbegründet, weil der Kläger das Recht, sich auf den Inhalt der vertraglichen Abrede zu berufen, verwirkt hat (§ 242 BGB). Dabei kann der Senat erneut, wie bereits in mehreren Entscheidungen (zB BAG 22. Februar 2012 – 4 AZR 580/10 – Rn. 43) offenlassen, ob gegen die Geltendmachung der vertraglichen Grundlage des Arbeitsverhältnisses bei einer einseitigen Änderung seiner praktischen Durchführung überhaupt der Einwand der Verwirkung erhoben werden kann oder ob in diesem Fall nicht allein die Grundsätze einer – möglicherweise konkludenten – Vertragsänderung anzuwenden sind. Das Landesarbeitsgericht ist jedenfalls zutreffend davon ausgegangen, sowohl das im Rahmen einer Verwirkung nach Treu und Glauben neben dem Zeitmoment erforderliche Umstandsmoment als auch das Zumutbarkeitsmoment (zu diesen Voraussetzungen etwa BAG 22. Februar 2012 – 4 AZR 579/10 – Rn. 43 mwN) seien in keinem Fall gegeben. Deshalb scheidet eine Verwirkung schon aus diesem Grund aus.
a) Der Kläger war weder verpflichtet, die Beklagte darauf aufmerksam zu machen, dass er sich vorbehält, seine Rechte geltend zu machen, noch ergibt sich aus der widerspruchslosen Durchführung des Arbeitsverhältnisses seitens des Klägers auf Basis der Haustarifverträge der Beklagten eine besonders vertrauensbegründende Verhaltensweise (ausf. in einem ähnlich gelagerten Sachverhalt BAG 22. Februar 2012 – 4 AZR 579/10 – Rn. 44 ff.). Den Kläger treffen auch keine Pflichten zur Überprüfung des Unterrichtungsschreibens oder Hinweispflichten gegenüber dem Arbeitgeber auf dessen möglicherweise fehlerhafte rechtliche Auffassung (vgl. BAG 22. Februar 2012 – 4 AZR 580/12 –Rn. 50 f. mwN). Für die Annahme, dem Kläger seien die fehlerhaften Angaben in dem Unterrichtungsschreiben vor Veröffentlichung der Entscheidungen des Senats vom 6. Juli 2011 (– 4 AZR 706/09 – BAGE 138, 269; ua.) bekannt gewesen und er sei „in Kenntnis seiner Rechte treuwidrig gegenüber der Beklagten untätig geblieben”, fehlt es an Anhaltspunkten. Soweit die Revision nunmehr eine solche Kenntnis pauschal behauptet, handelt es sich um ein nach § 559 Abs. 1 ZPO in der Revisionsinstanz unzulässiges und im Übrigen unsubstantiiertes neues Vorbringen.
b) Die weitere – in der Sache zutreffende – Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen es für die Beklagte unzumutbar sein soll, etwaige Forderungen des Klägers zu erfüllen, wird von der Revision nicht angegriffen.
III. Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Eylert, Treber, Creutzfeldt, Drechsler, Schuldt
Fundstellen