Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsrechtlicher Status einer Musikpädagogin
Orientierungssatz
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unterscheidet sich ein Arbeitsverhältnis von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstvertrag) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in welcher der zur Dienstleistung Verpflichtete jeweils steht. Danach ist Arbeitnehmer derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen hat.
Normenkette
BGB § 611; HGB § 84 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 08.07.1987; Aktenzeichen 3 Sa 63/87) |
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 21.01.1987; Aktenzeichen 3 Ca 258/86) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin als freie Mitarbeiterin oder als Arbeitnehmerin an der Musikhochschule des beklagten Landes beschäftigt worden ist und ob das Beschäftigungsverhältnis als Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht.
Die Klägerin ist Japanerin und mit einem Deutschen verheiratet. Sie ist Pianistin mit einem abgeschlossenen Studium.
Die Musikhochschule des beklagten Landes hat ihr erstmals mit Schreiben vom 20. April 1982 einen als "Gastkurs" bezeichneten Lehrauftrag "Korrepetition in den Bläserklassen" mit zunächst sechs Unterrichtsstunden wöchentlich im Sommersemester 1982 erteilt und diesen Lehrauftrag in den folgenden Semestern bis zum 31. Mai 1986 mit zuletzt neun Wochenstunden verlängert.
Der Rektor der Musikhochschule hat am 21. Mai 1986 eine Weiterbeschäftigung der Klägerin in den folgenden Semestern abgelehnt.
Die Klägerin ist der Auffassung, sie sei nicht freie Mitarbeiterin sondern Arbeitnehmerin des beklagten Landes und hätte weiterbeschäftigt werden müssen. Dazu hat sie folgendes vorgetragen:
Zwar könne sie innerhalb des wöchentlichen Zeitrahmens die Lage der Unterrichtsstunden weitgehend selbst bestimmen, jedoch sei sie in der Gestaltung des Unterrichts an die Weisungen der Professoren gebunden. Sie hätten zu bestimmen, mit welchen Studenten die Klägerin zusammenarbeiten müßte, welche Werke sie mit ihnen einzustudieren habe und auf welche Schwächen der Studenten sie besonders acht geben solle. Die Klägerin hätte sich an die künstlerischen Vorgaben der Professoren halten müssen und habe in didaktischer und methodischer Hinsicht ihre Anweisungen befolgen müssen. Außerdem hätten die Professoren ihr vorgeschrieben, welche Werke sie im einzelnen mit den Studenten durcharbeiten sollte. Die Professoren hätten auch den Prüfungsstoff vorgegeben. Sie habe ihre Tätigkeit in den Räumen der Hochschule verrichtet und ihren Lebensunterhalt im wesentlichen mit dieser Tätigkeit verdient.
Dieses Arbeitsverhältnis sei nicht gekündigt worden. Die Befristung für jeweils ein Semester sei unwirksam. Die Weiterbeschäftigung sei ihr auch erlaubt, denn seit Ende März 1985 habe sie eine Arbeitserlaubnis "für freiberufliche Tätigkeit, Korrepetition an der Staatlichen Hochschule für Musik... und Konzerte".
Die Klägerin hat zuletzt - soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung - beantragt
festzustellen, daß zwischen der Klägerin und
dem Beklagten ein Arbeitsverhältnis besteht
und dieses weder durch die Erklärung des Herrn
Prof. G vom 21. Mai 1986 noch durch Zeit-
ablauf beendet worden ist, sondern über den
31. März 1986 hinaus ungekündigt fortbesteht.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und dargelegt, daß die Klägerin keine Arbeitnehmerin gewesen sei, denn sie habe sich ihre Beschäftigungszeit frei einteilen können und sei in ihrer künstlerischen Gestaltung frei gewesen. Die Vorgabe der Unterrichtsziele und des Prüfungsstoffes ergebe sich aus der Art der Tätigkeit und schränkten ihre Gestaltungsfreiheit nicht ein.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin will mit ihrer Revision die Feststellung erreichen, daß sie Arbeitnehmerin des beklagten Landes ist und zu ihm in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I.1. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, zwischen den Parteien sei ein privatrechtliches Dienstverhältnis begründet worden. Ein privatrechtliches Dienstverhältnis kann ein Arbeitsverhältnis oder das Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters sein.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unterscheidet sich ein Arbeitsverhältnis von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstvertrag) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in welcher der zur Dienstleistung Verpflichtete jeweils steht. Danach ist Arbeitnehmer derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen hat. Insoweit enthält § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbständig, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und daher persönlich abhängig ist der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Allerdings gilt die genannte Regelung unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbständigen Handelsvertreters zum abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten. Über diesen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus enthält die Bestimmung jedoch eine allgemeine gesetzgeberische Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienstvertrags vom Arbeitsvertrag zu beachten ist, zumal da sie die einzige Norm darstellt, die Kriterien hierfür aufzählt (vgl. BAGE 36, 77, 84 = AP Nr. 38 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3 b der Gründe; sowie aus neuester Zeit BAGE 41, 247, 253 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 1 der Gründe). Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation wird insbesondere dadurch deutlich, daß ein Arbeitnehmer hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der versprochenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Häufig tritt auch eine fachliche Weisungsgebundenheit hinzu, sie ist andererseits für Dienste höherer Art - auch künstlerische Tätigkeit gehört dazu - nicht immer typisch (vgl. BAGE 41, 247, 253 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 1 der Gründe, m.w.N.).
2. Über die danach vorzunehmende Einordnung des Rechtsverhältnisses (Dienstvertrag oder Arbeitsvertrag) entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge (z.B. Dienstvertrag ohne Kündigungsschutz) oder eine von ihnen gewählte Bezeichnung, die dem Geschäftsinhalt in Wahrheit nicht entspricht. Der jeweilige Vertragstyp kann nur aus dem wirklichen Geschäftsinhalt erkannt werden. Dieser Geschäftsinhalt kann sich aus den getroffenen Vereinbarungen wie auch aus der praktischen Durchführung des Vertrags ergeben. Widersprechen Vereinbarungen und tatsächliche Durchführung des Vertrags einander, ist die letztere maßgebend. Aus der praktischen Handhabung lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien ausgegangen sind (vgl. statt vieler BAGE 41, 247, 258 f. = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu B II 3 der Gründe, m.w.N.).
3. Das Landesarbeitsgericht hat sich bei der rechtlichen Bewertung des von ihm festgestellten Sachverhalts an diese Grundsätze gehalten. Das von ihm gefundene Subsumtionsergebnis ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. An die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Senat gebunden, weil die Revision diese nicht mit Verfahrensrügen nach § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO angegriffen hat (§ 561 Abs. 2 ZPO).
II.1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin unterliege hinsichtlich der Unterrichtszeit keinen Weisungen des beklagten Landes. Sie könne die Unterrichtszeiten mit den einzelnen Studenten frei abstimmen, ohne daß die Musikhochschule an dieser Vereinbarung in irgend einer Form beteiligt sei. Daß bei der Abstimmung die Pflichtstundenzahlen der Studenten, die festgelegten Gruppenunterrichtszeiten und sonstige Studienverpflichtungen berücksichtigt werden müßten, führe lediglich zu einem tatsächlichen Sachzwang, der aber charakteristisch für die Lektorentätigkeit an Hochschulen sei. Außerdem sei die Klägerin nicht in den Betrieb der Hochschule eingegliedert gewesen, weil es an einer durch Urlaub und Krankheit bedingten Vertretungsregelung gefehlt habe. Darüber hinaus habe die Wochenarbeitszeit der Klägerin nur einen geringen Umfang gehabt. Im Anschluß hieran führt das Landesarbeitsgericht zur zeitlichen Inanspruchnahme der Klägerin aus:
"Ihre Arbeitszeit konnte sie im wesentlichen
selbst bestimmen. Das tragen die Parteien
(in Wahrheit) übereinstimmend vor. Sicher
mußte sie die für den von der Hochschule
zugewiesenen Studierenden maßgebenden Prü-
fungs-, Aufführungs- oder Vorspieltermin
und die für diesen vorgegebene Zahl der
Stunden in Einklang bringen. Innerhalb
dieses Rahmens war sie jedoch frei. In diesem
Sinn oblag ihr die Entscheidung, an welchen
Tagen und zu welchen Zeiten die Stunden abge-
halten wurden."
Die Möglichkeit der Klägerin, ihre Unterrichtszeiten mit den Studenten unter Berücksichtigung der beiderseitigen zeitlichen Verpflichtungen im übrigen frei zu bestimmen, spricht für das Rechtsverhältnis einer freien Mitarbeiterin und nicht für ein Arbeitsverhältnis. Eine freie Zeiteinteilung ist ein starkes Indiz gegen eine Arbeitnehmereigenschaft (BAG Urteil vom 21. September 1977 - 5 AZR 373/76 - AP Nr. 24 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 3 a bb der Gründe; BAGE 36, 77, 84 = AP Nr. 38 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 3 b der Gründe).
2. Das Landesarbeitsgericht hat weiter angenommen, die Klägerin sei hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung im wesentlichen frei. Zwar müsse sie die Studenten auf ein Examen mit genau festgelegten Anforderungen vorbereiten, die sich hieraus ableitende Vorgabe des Unterrichtsstoffes lege aber nur den Gegenstand der vertraglich geschuldeten Leistung fest.
Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit es um die Festlegung des Unterrichtsstoffes geht, handelt es sich um die Abgrenzung des Vertragsgegenstandes (vgl. BAGE 39, 329, 335 = AP Nr. 32 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten, zu II 3 der Gründe; vgl. ferner die nicht veröffentlichte Entscheidung - 5 AZR 422/84 - vom 5. Februar 1986, zu III 2 der Gründe). Die Bindung des Verpflichteten an einen bestimmten Unterrichtsstoff bedeutet keine persönliche Abhängigkeit. Zur Vermittlung eines bestimmten Wissensbereichs kann man sich als Arbeitnehmer wie auch als freier Mitarbeiter verpflichten.
Das sind aber nur solche Weisungen, die jedem künstlerischen Mitarbeiter erteilt werden, gleich in welcher Rechtsstellung er sich befindet. Diese Vorgaben sind nicht typisch gerade für ein Arbeitsverhältnis. Sie sind für die Abgrenzung ohne großen Wert. Das gilt einmal, soweit die Klägerin geltend macht, sie habe mit den Studenten bestimmte Werke einzustudieren und müsse sie auf ein Examen mit genau festgelegten Anforderungen vorbereiten. Dadurch wird jedoch lediglich der Lehrgegenstand bestimmt und die vertraglich geschuldet Leistung näher umschrieben. Die Sachlage entspricht insoweit derjenigen eines Dozenten, der Sprachkurse an Volkshochschulen zu erteilen hat (vgl. BAGE 39, 329 = AP Nr. 32 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten). Ebensowenig ergibt sich eine Weisungsgebundenheit daraus, daß der Klägerin bestimmte Studenten zugewiesen wurden, die auf Prüfungen und Vortragsabende vorzubereiten waren. Die Auswahl der Studenten beeinträchtigt nicht ihre Arbeitsmethoden mit ihnen. Das gilt auch, soweit sie auf besondere Schwächen der Studenten hingewiesen wurde, damit sie den Unterrichtsstoff mit ihnen im Hinblick hierauf besonders einübt und erarbeitet. Soweit sie allerdings geltend macht, sie habe von den Professoren didaktische und methodische Anweisungen erhalten, ist ihr Vortrag zu allgemein gehalten.
III. Neben ihrem Antrag auf Feststellung, daß ein Arbeitsverhältnis besteht, begehrt die Klägerin die weitere Feststellung, daß "dieses" ungekündigt fortbesteht. Dieser Antrag ist schon deswegen unbegründet, weil es an einem Arbeitsverhältnis fehlt. Insoweit hat die Vorinstanz zu Recht darauf abgestellt, daß es nicht darauf ankommt, ob die Befristungsabrede eines sachlich gerechtfertigten Grundes bedurfte. Eine Ausdehnung dieser Rechtsprechung auf sog. arbeitnehmerähnliche Personen lehnt das Berufungsgericht zutreffend ab.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Ehrenamtlicher Richter
Fischer ist durch Urlaub
an der Unterschrift ver-
hindert
Dr. Thomas Arntzen
Fundstellen