Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung. Fortsetzungserkrankung
Leitsatz (amtlich)
- § 20 Abschnitt I Abs 8 Unterabs 2 Satz 1 TV Arb Bundespost verkürzt die von § 1 Abs 1 Satz 2 zweiter Halbsatz LohnFG bestimmte Frist von sechs Monaten, nach der es unerheblich wird, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt, auf vier Wochen.
- Die Zwölfmonatsfrist des § 1 Abs 1 Satz 2 erster Halbsatz LohnFG gilt auch für Arbeitsverhältnisse der Arbeiter der Deutschen Bundespost. Der TV Arb Bundespost enthält keine eigene Regelung dieser sogenannten Rahmenfrist.
- Die Zwölfmonatsfrist des § 1 Abs 1 Satz 2 erster Halbsatz LohnFG ist vom Eintritt der ersten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit an zu berechnen (Bestätigung von BAGE 25, 264 = AP Nr 33 zu § 1 LohnFG; BAGE 44, 234 = AP Nr 56 zu § 1 LohnFG). Das gilt auch für § 20 Abschnitt I Abs 8 Unterabs 2 TV Arb Bundespost.
Normenkette
LohnFG § 1 Abs. 1, § 9; RVO § 182 Abs. 10; SGB X § 115 Abs. 1; TVG § 1 Auslegung; Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb Bundespost) i.d.F. vom 8. August 1980 § 20 Abschn. I Abs. 8; BGB §§ 389, 406, 412, 812
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 03.07.1986; Aktenzeichen 10 Sa 194/86) |
ArbG Köln (Urteil vom 29.11.1985; Aktenzeichen 12 Ca 7559/85) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 3. Juli 1986 – 10 Sa 194/86 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der klagenden Betriebskrankenkasse Lohnfortzahlung aus übergegangenem Recht (§ 115 Abs. 1 SGB X, § 182 Abs. 10 RVO) schuldet.
Bei der Beklagten war bis zum 30. September 1982 Frau M…-W… (im folgenden kurz: die Versicherte) als Arbeitnehmerin beschäftigt. Diese war bei der Klägerin gegen Krankheit versichert. Auf das Arbeitsverhältnis der Versicherten ist kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb Bundespost) anzuwenden.
§ 20 Abschn. I Abs. 8 dieses Tarifvertrags lautet:
“Hat der Arbeiter zwischen dem Ende einer früheren Arbeitsunfähigkeit und dem Beginn der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens vier Wochen gearbeitet, so hat der Arbeiter für die Zeit der erneuten Arbeitsunfähigkeit für eine weitere volle Bezugszeit Anspruch auf Krankenbezüge. Auf die vier Wochen wird ein Erholungsurlaub (einschließlich eines etwaigen Zusatzurlaubs) angerechnet, den der Arbeiter nach Arbeitsaufnahme angetreten hat, weil dies im Urlaubsplan vorgesehen war oder die Bundespost dies verlangt hat.
Wird der in Unterabs. 1 genannte Mindestzeitraum nicht erreicht, beginnt die Bezugszeit nur dann von neuem, wenn der Arbeiter nicht infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig geworden ist. Ein Nachweis hierüber ist vom Arbeiter auf Verlangen der Dienststelle durch unverzügliche Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung zu führen.”
Die Versicherte war wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig
vom 31. Juli bis zum 7. August 1981,
vom 5. Oktober bis zum 6. Oktober 1981,
vom 9. Oktober 1981 bis zum 15. Juni 1982 und
vom 6. Juli 1982 bis zum 9. August 1982.
Während dieser Zeiten hat die Beklagte entsprechend den tariflichen Vorschriften Krankenlohn an die Versicherte gezahlt.
Darüber hinaus war die Versicherte in der Zeit vom 26. August bis zum 26. September 1982 wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig. Für diese Zeit gewährte die Klägerin der Versicherten Krankengeld in Höhe von 1.182,84 DM. Die Beklagte glich der Klägerin gegenüber lediglich einen Teilbetrag von 689,61 DM aus. Weitere Zahlungen lehnte sie ab. Wegen des Unterschiedsbetrags von 493,23 DM nimmt die Klägerin die Beklagte mit ihrer Klage in Anspruch.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Versicherten habe auch für die letzte Erkrankung der volle Krankenlohn zugestanden. Die durch § 1 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz LohnFG angeordnete Rahmenfrist von zwölf Monaten werde durch § 20 Abschn. I Abs. 8 TV Arb Bundespost nicht berührt. Die tarifliche Regelung habe insoweit lediglich die gesetzliche Regelung durch eine kürzere Intervallfrist ergänzt und erweitert.
Die Klägerin hat daher beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 493,23 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Versicherte habe einen neuen Anspruch auf Lohnfortzahlung für sechs Wochen nicht erworben, weil die nach dem Tarifvertrag erforderliche Mindestfrist von vier Wochen zwischen dem Ende der vorausgegangenen und dem Beginn der neuerlichen Arbeitsunfähigkeit nicht erreicht sei. Die tariflichen und die gesetzlichen Ansprüche dürften nicht zusammengerechnet werden. Die tarifliche Regelung des § 20 Abschn. I Abs. 8 TV Arb Bundespost sei insgesamt günstiger als die gesetzliche Regelung und daher an deren Stelle getreten. Das habe zur Folge, daß die Bezugszeit dann nicht neu zu laufen beginne, wenn der Arbeiter vor Ablauf von vier Wochen wieder wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig werde. Dies gelte in gleicher Weise, wenn die Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der Rahmenfrist von zwölf Monaten auftrete.
Der Lohnfortzahlungsanspruch der Versicherten habe nach dem Tarifvertrag für 53 Tage bestanden und sei auch erfüllt worden. Nach dem Lohnfortzahlungsgesetz habe der Versicherten dagegen nur ein Anspruch für 42 Tage zugestanden. Diese Mehrleistung für elf Tage müsse sich die Klägerin anrechnen lassen, wenn sie sich nunmehr auf das Gesetz anstelle des Tarifvertrags berufe. Der gesetzliche Mindestschutz bedeute nicht, daß die Lohnfortzahlung zusätzlich zu tariflichen Leistungen zu gewähren sei, die insgesamt günstiger seien. Jedenfalls sei die in der Vergangenheit empfangene Mehrleistung wegen Rechtsmißbrauchs als eine ungerechtfertigte Bereicherung anzusehen. Mit dem Rückzahlungsanspruch in Höhe der Klageforderung habe die Beklagte aufgerechnet, indem sie die Lohnfortzahlung für 21 Tage zugebilligt und darüber hinausgehende Zahlungen abgelehnt habe. Diese Aufrechnung müsse die Klägerin gegen sich gelten lassen.
Selbst wenn man der Auffassung sein sollte § 20 Abschn. I Abs. 8 TV Arb Bundespost sei insgesamt nichtig, habe das lediglich zur Folge, daß die Versicherte in Höhe des jetzt mit der Klage verlangten Betrags überzahlt worden sei. Insoweit hat die Beklagte ebenfalls die Aufrechnung erklärt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Versicherten stand die volle Lohnfortzahlung für die Zeit ihrer Erkrankung vom 26. August bis zum 26. September 1982 zu. Dieser Anspruch ist auf die Klägerin übergegangen. Ein Recht zur Aufrechnung hatte die Beklagte nicht.
I. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG behält der Arbeiter den Anspruch auf Arbeitsentgelt bis zur jeweiligen Dauer von sechs Wochen, wenn er seine Arbeitsleistung infolge unverschuldeter Krankheit nicht erbringen kann. Für diesen Grundsatz der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 Satz 2 LohnFG eine Einschränkung getroffen: Wird der Arbeiter innerhalb von zwölf Monaten infolge derselben Krankheit (vgl. dazu zuletzt BAGE 47, 195, 198 = AP Nr. 61 zu § 1 LohnFG, zu 1 der Gründe, m.w.N.) wiederholt arbeitsunfähig, so hat er wegen sämtlicher Zeiten seiner Arbeitsunfähigkeit innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten nur Anspruch auf Lohnfortzahlung für die Dauer von längstens sechs Wochen. Die Zwölfmonatsfrist ist vom Eintritt der ersten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit an zu berechnen (BAGE 25, 264 = AP Nr. 33 zu § 1 LohnFG; mit näherer Begründung bestätigt durch BAGE 44, 234, 239 ff. = AP Nr. 56 zu § 1 LohnFG, zu 3 der Gründe). Diese Einschränkung entfällt jedoch dann, wenn der Arbeiter vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit sechs Monate lang nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (§ 1 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz LohnFG). Die erneute Erkrankung ist – im arbeitsrechtlichen Sinne – keine Fortsetzungserkrankung; der Fortsetzungszusammenhang zwischen der früheren und der erneuten Erkrankung ist in solchen Fällen unterbrochen. Die erneute Erkrankung liegt aüßerhalb des Fortsetzungszusammenhangs, für sie ist der Lohn fortzuzahlen wie für eine “normale” Krankheit (vgl. BAGE 44, 234, 236 f. = AP Nr. 56 zu § 1 LohnFG, zu 1 der Gründe, m.w.N.).
Die Regelungen des § 1 LohnFG sind unabdingbar (§ 9 LohnFG). Von ihnen kann auch nicht durch Tarifvertrag abgewichen werden. § 2 Abs. 3 LohnFG gestattet lediglich eine abweichende tarifvertragliche Regelung über die Berechnung der Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts (vgl. Kaiser/Dunkel, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., § 9 Rz 31, § 2 Rz 69, 70; Kehrmann/Pelikan, LohnFG, 2. Aufl., § 2 Rz 28; Feichtinger, AR-Blattei, Krankheit III, Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle, E I 3a). Dagegen ist es stets zulässig, eine für die Arbeiter günstigere tarifvertragliche (wie auch einzelvertragliche) Vereinbarung zu treffen (Günstigkeitsprinzip, vgl. nur Feichtinger, aaO, E I 3a cc, K I 1b).
Zu den der Unabdingbarkeit unterliegenden Regelungen gehört auch die von § 1 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz LohnFG bestimmte Rahmenfrist (Zwölfmonatsfrist). Dem trägt der TV Arb Bundespost Rechnung. Er trifft keine eigene Regelung über die Rahmenfrist.
II.1. § 20 Abschn. I Abs. 8 Unterabs. 1 TV Arb Bundespost besagt allgemein, daß der Arbeiter für eine erneute Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankenbezüge für eine weitere volle Bezugszeit hat, wenn er zwischen dem Ende einer früheren und dem Beginn der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens vier Wochen gearbeitet hat. Ob diese Bestimmung gegen § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG verstößt, braucht hier nicht abschließend erörtert zu werden, weil eine unmittelbare Anwendung der genannte Tarifbestimmung im Streitfall nicht in Betracht kommt. Unterabs. 2 legt fest, daß jedenfalls dann, wenn der Mindestzeitraum von vier Wochen nicht erreicht wird, eine erneute Bezugszeit beginnt, sofern es sich nicht um dieselbe Krankheit handelt. Im Umkehrschluß folgt daraus, daß bei einer Tätigkeit von vier Wochen auch dann eine neue Bezugszeit beginnt, wenn es sich um dieselbe Krankheit (Fortsetzungserkrankung) handelt. Insoweit kommt der Bestimmung des Unterabsatzes 2 eine selbständige Bedeutung zu: sie verkürzt die von § 1 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz LohnFG bestimmte Frist von sechs Monaten, nach der es unerheblich wird, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt, auf vier Wochen. Hinsichtlich der Zwölfmonatsfrist des § 1 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz LohnFG fehlt es dagegen, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, an einer eigenen tariflichen Regelung. Daher ist von der gesetzlichen Regelung auszugehen. Gleichzeitig entfallen damit auch Erwägungen darüber, ob eine vom Gesetz zuungunsten der Arbeiter abweichende Regelung der Rahmenfrist unwirksam sein könnte.
2. Zu prüfen bleibt allerdings die Frage, ob der Beginn der Zwölfmonatsfrist anders als nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 1 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz LohnFG zu berechnen ist, d. h. ob sie ebenfalls mit Anfang der ersten Fortsetzungserkrankung zu laufen beginnt oder jeweils nach Ablauf von vier Wochen mit Eintritt einer neuen Krankheit. Diese letzte Frage ist zu verneinen.
Die für die gesetzliche Regelung maßgeblichen Gesichtspunkte können nicht auf die tarifliche Regelung übertragen werden. Der Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz LohnFG liegt – wie bereits oben ausgeführt – die Vorstellung zugrunde, daß dann, wenn der Arbeiter mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war, der Fortsetzungszusammenhang zwischen der früheren und der erneut auftretenden Arbeitsunfähigkeit unterbrochen ist, daß die spätere Arbeitsunfähigkeit sich als neue Krankheit darstellt und infolgedessen einen neuen Lohnfortzahlungsanspruch auslösen soll. Demgegenüber will die tarifliche Vorschrift den Arbeiter im Falle der Fortsetzungserkrankung insofern besserstellen, als er schon nach vierwöchiger Arbeit einen erneuten Lohnfortzahlungsanspruch erwerben soll. Daher lassen sich Erwägungen, wonach der Fortsetzungszusammenhang bei dieser geringen Dauer der Tätigkeit unterbrochen sein könnte, mit dem Ziel der Vorschrift und auch mit den sonstigen tariflichen Regelungen nicht in Einklang bringen. Es muß folglich dabei bleiben, daß die gesetzliche Zwölfmonatsfrist auch für die Regelung des § 20 Abschn. I Abs. 8 TV Arb Bundespost gilt.
III. Die Anwendung dieser Überlegungen führt dazu, daß die erste Rahmenfrist am 30. Juli 1982 endete und anschließend für die Versicherte eine neue Rahmenfrist von zwölf Monaten zu laufen begonnen hat. Deshalb hatte die Versicherte für die Zeit vom 26. August bis zum 26. September 1982 Anspruch auf Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts; ihre Forderung ist auf die Klägerin übergegangen. Weiter zeigt sich, daß die Beklagte der Versicherten keine Überzahlungen gewährt hat und daß ihr folglich auch kein aufrechenbarer Anspruch aus rechtsgrundloser Bereicherung zustand. Die Beklagte hatte geltend gemacht, sie habe für die Arbeitsunfähigkeit der Versicherten vom 9. Oktober 1981 bis zum 15. Juni 1982 Lohnfortzahlung für 42 Tage geleistet, während sie nur für 31 Tage hätte zu bezahlen brauchen, wenn man die Zeit vom 31. Juli bis zum 7. August und vom 5. bis zum 6. Oktober 1981 mit einbezieht. Diese Auffassung ist jedoch nicht zutreffend, weil ab 5. Oktober 1981 ein neuer Lohnfortzahlungszeitraum für 42 Tage entstanden ist, nachdem die Versicherte vom 8. August bis zum 4. Oktober, also länger als vier Wochen, gearbeitet hatte. Bei dieser Sachlage griff die die Versicherte begünstigende Vorschrift des § 20 Abschn. I Abs. 8 Unterabs. 2 TV Arb Bundespost ein.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Prof. Dr. Krems, Wengeler
Fundstellen
Haufe-Index 872437 |
BAGE, 173 |
JR 1988, 396 |