Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. dynamische Bezugnahmeklausel. Betriebsübergang. EuGH-Vorlage
Leitsatz (amtlich)
1. Der Betriebserwerber ist nach einem Betriebsübergang an die von einem nicht tarifgebundenen Betriebsveräußerer vereinbarte dynamische Verweisung auf einen Tarifvertrag unverändert gebunden. Diese Dynamik entfällt nicht, wenn der Betriebserwerber nicht durch die Mitgliedschaft in einer tarifschließenden Koalition tarifgebunden ist und deshalb auf die künftigen Tarifverhandlungen keinen Einfluss nehmen kann.
2. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wird die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob diese Auslegung von § 613a Abs. 1 BGB mit Art. 3 RL 2001/23/EG und Art. 16 GRC vereinbar ist.
Orientierungssatz
1. Eine arbeitsvertraglich vereinbarte Bezugnahmeklausel begründet nach deutschem Recht nicht die normative Wirkung der in Bezug genommenen Tarifverträge. Sie macht die von den Kollektivparteien ausgehandelten Normen eines Tarifvertrags vielmehr zum Inhalt ihrer individualvertraglichen Einigung und somit des Arbeitsvertrags.
2. Im Fall eines Betriebsübergangs gehen die im Wege einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme begründeten Rechte und Pflichten nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB unverändert auf den Erwerber über. Der Erwerber wird so gestellt, als hätte er die dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegenden Willenserklärungen des Veräußerers gegenüber dem Arbeitnehmer selbst abgegeben und damit die Tarifregelungen zum Inhalt des Arbeitsvertrags gemacht.
3. Eine mit einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber vereinbarte dynamische Bezugnahmeklausel wirkt auch nach dem Beriebsübergang im Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber dynamisch fort. Es kommt nicht darauf an, ob der Betriebserwerber selbst – normativ – tarifgebunden ist und damit durch eine Beteiligung an den Tarifverhandlungen Einfluss auf den künftigen Inhalt der Tarifverträge nehmen kann.
4. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wird die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob diese Auslegung von § 613a Abs. 1 BGB mit Art. 3 RL 2001/23/EG und Art. 16 GRC vereinbar ist.
Normenkette
AEUV Art. 267; Charta der Grundrehte der Europäishen Union (GR) Art. 16, 51; Richtlinie 2001/23/EG vom 12. März 2001 (RL 2001/23/EG) Art. 3; Richtlinie 2001/23/EG vom 12. März 2001 (RL 2001/23/EG) Art. 8; BGB § 613a Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 10.12.2013; Aktenzeichen 8 Sa 538/13) |
ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 12.03.2013; Aktenzeichen 9 Ca 350/12) |
Tenor
A. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um die Beantwortung folgender Fragen ersucht:
I.
- Steht Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 einer nationalen Regelung entgegen, die vorsieht, dass im Falle eines Unternehmensoder Betriebsübergangs alle zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer privatautonom und individuell im Arbeitsvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen auf den Erwerber unverändert übergehen, so als hätte er sie selbst mit dem Arbeitnehmer einzelvertraglich vereinbart, wenn das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht?
- Wenn die Frage 1 insgesamt oder für eine bestimmte Gruppe individuell vereinbarter Arbeitsbedingungen aus dem Arbeitsvertrag zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer mit „Ja” beantwortet wird:
- Ergibt sich aus der Anwendung von Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG, dass von dem unveränderten Übergang auf den Erwerber bestimmte privatautonom vereinbarte Arbeitsvertragsbedingungen zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer auszunehmen und allein aufgrund des Unternehmens- oder Betriebsübergangs anzupassen sind?
Wenn nach den Maßstäben der Antworten des Gerichtshofs auf die Fragen 1 und 2 eine individuelle, einzelvertraglich vereinbarte Verweisung, aufgrund derer bestimmte Regelungen aus einem Kollektivvertrag in dynamischer Weise privatautonom zum Inhalt des Arbeitsvertrags gemacht werden, nicht in unveränderter Form auf den Erwerber übergeht:
- Gilt dies auch dann, wenn weder der Veräußerer noch der Erwerber Partei eines Kollektivvertrags ist oder einer solchen Partei angehört, dh. wenn die Regelungen aus dem Kollektivvertrag bereits vor dem Unternehmens- oder Betriebsübergang ohne die privatautonome arbeitsvertragliche Vereinbarung einer Verweisungsklausel für das Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer keine Anwendung gefunden hätten?
Wenn diese Frage bejaht wird:
Gilt dies auch dann, wenn Veräußerer und Erwerber Unternehmen desselben Konzerns sind?
II.
Steht Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einer in Umsetzung der Richtlinien 77/187/EWG oder 2001/23/EG erlassenen nationalen Regelung entgegen, die vorsieht, dass bei einem Unternehmens- oder Betriebsübergang der Erwerber an die vom Veräußerer mit dem Arbeitnehmer vor dem Betriebsübergang privatautonom und individuell vereinbarten Arbeitsvertragsbedingungen auch dann so gebunden ist, als habe er sie selbst vereinbart, wenn diese Bedingungen bestimmte Regelungen eines andernfalls für das Arbeitsverhältnis nicht geltenden Kollektivvertrags in dynamischer Weise zum Inhalt des Arbeitsvertrags machen, sofern das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht?
B. Der Rechtsstreit wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.
Tatbestand
A. Gegenstand des Ausgangsverfahrens
Der Kläger ist seit 1978 ununterbrochen im Krankenhaus D als Hausarbeiter/Gärtner beschäftigt. Nachdem der Kreis O, eine kommunale Gebietskörperschaft, im Jahr 1995 das Krankenhaus auf eine privatrechtlich organisierte GmbH übertragen hatte, ging der Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt ist, 1997 auf das Unternehmen K GmbH (im Folgenden: K über. Die K, die nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband war, vereinbarte mit der Kläger vertraglich, dass das Arbeitsverhältnis sich – wie zuvor auch – nach dem für den öffentlichen Dienst geschlossenen Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) und den diesen ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträgen richten sollte. Im Folgenden wurde die K Teil des A-Konzerns. In diesem sind zahlreiche Unternehmen des Krankenhauswesens zusammengefasst. Zum 1. Juli 2008 ging der Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt ist, von der K auf eine andere Konzerngesellschaft, die A GmbH, die Beklagte, über. Auch diese war und ist nicht durch die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband an den BMT-G II und den diesen seit dem 1. Oktober 2005 ersetzenden Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und den hierzu vereinbarten Überleitungstarifvertrag (TVÜ-VKA) gebunden.
Der Kläger hat die gerichtliche Feststellung begehrt, dass auf sein Arbeitsverhältnis die Vorschriften des TVöD und der diesen ergänzenden Tarifverträge sowie des TVÜ-VKA in ihren jeweils gültigen Fassungen, dh. dynamisch Anwendung finden.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der nach nationalem Recht vorgesehenen Rechtsfolge einer dynamischen Anwendung der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Kollektivregelungen des öffentlichen Dienstes ständen die RL 2001/23/EG sowie Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) entgegen. Dies führte zu einer lediglich statischen Anwendung der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen aus den im Arbeitsvertrag genannten Kollektivverträgen auf das übergegangene Arbeitsverhältnis des Klägers.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.
Entscheidungsgründe
B. Rechtlicher Rahmen
I. Unionsrecht
Nach dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (RL 2001/23) sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten. Dem vierten Erwägungsgrund zufolge bestehen in Bezug auf den Umfang des Arbeitnehmerschutzes auf diesem Gebiet weiterhin Unterschiede, die verringert werden sollen.
In der RL 2001/23 heißt es ua.:
1. Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.
…
3. Nach dem Übergang erhält der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren.
Die Mitgliedstaaten können den Zeitraum der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen begrenzen, allerdings darf dieser nicht weniger als ein Jahr betragen.
…
Diese Richtlinie schränkt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten nicht ein, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder für die Arbeitnehmer günstigere Kollektivverträge und andere zwischen den Sozialpartnern abgeschlossene Vereinbarungen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind, zu fördern oder zuzulassen.”
II. Nationales Recht
1. Die Rechte und Pflichten im Falle eines Betriebsübergangs regelt in der Bundesrepublik Deutschland § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), dessen Absatz 1 wie folgt lautet:
„Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.”
2. Die nationale Regelung des § 613a BGB dient der Umsetzung der Richtlinie 77/187/EWG (RL 77/187) und der in Art. 3 gleichlautenden RL 2001/23. Dabei hat der nationale Gesetzgeber die in Art. 3 RL 2001/23 vorgegebene Unterscheidung zwischen einzelvertraglich begründeten Rechten und Pflichten (Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23) und solchen Regelungen, die aufgrund eines kollektivrechtlichen Vertrags unmittelbar und zwingend für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelten (Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23), durch § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB einerseits und § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB andererseits nachvollzogen.
3. Zu den nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber übergehenden Rechten und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis gehören nach nationalem Recht auch ein aufgrund einer vertraglich vereinbarten Verweisungsklausel in Bezug genommener Tarifvertrag und dessen Kollektivregelungen.
a) Eine privatautonom vereinbarte Verweisungsklausel begründet nach deutschem Recht nicht die normative Wirkung von Kollektivregelungen. Sie macht die von den Kollektivparteien ausgehandelten Normen eines Tarifvertrags vielmehr zum Inhalt ihrer individualvertraglichen Einigung und damit des Arbeitsvertrags. Eine solche Verweisung ist sowohl hinsichtlich eines gesamten Tarifwerks als auch einzelner Tarifverträge oder einzelner Tarifregelungen (etwa den Urlaub betreffend) möglich und in der betrieblichen Praxis üblich. Dabei sind die Parteien des Arbeitsvertrags frei, auch einen Kollektivvertrag in Bezug zu nehmen, der seinem eigenen Geltungsbereich nach das Arbeitsverhältnis nicht erfassen würde, zB einen branchen- oder ortsfremden Tarifvertrag. Die Regelungen des Kollektivvertrags, die im Arbeitsvertrag genannt sind, finden danach so auf das Arbeitsverhältnis Anwendung, als hätten die Parteien des Arbeitsvertrags diese privatautonom vereinbart. Sie wirken nicht normativ, dh. „von außen” auf das Arbeitsverhältnis ein. Sie können durch die Arbeitsvertragsparteien jederzeit einvernehmlich abgeändert werden. Die Kollektivregelungen können auch in dynamischer Weise in Bezug genommen und so mit ihrem jeweiligen Inhalt zum Gegenstand des Arbeitsvertrags gemacht werden. In gleicher Weise können die Parteien des Arbeitsvertrags auch andere externe Regelungswerke, zB den statistischen Lebenshaltungskostenindex, die für Beamte geltenden Regelungen, die Sozialversicherungsbemessungsgrenze oder den Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank, in Bezug nehmen.
b) Im Fall eines Betriebsübergangs wird der Erwerber so gestellt, als hätte er die dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegenden privatautonomen Willenserklärungen des Veräußerers gegenüber dem Arbeitnehmer selbst abgegeben und die Vereinbarungen in eigener Person, dh. mit der Verweisung auf ein bestimmtes Tarifwerk oder Teile davon in der jeweiligen Fassung abgeschlossen und zum Inhalt des Arbeitsvertrags gemacht. Dabei bleibt der individualvertragliche Charakter der in Bezug genommenen Kollektivregelungen erhalten. Die Vereinbarungen des Vertrags, auch die Verweisungsklauseln mit den dort genannten Tarifverträgen, können zum einen vom Erwerber jederzeit einvernehmlich mit dem Arbeitnehmer – auch zu dessen Lasten – abgeändert werden. Eines sachlichen Grundes hierfür bedarf es nicht (vgl. BAG 23. September 2009 – 4 AZR 331/08 – Rn. 23, BAGE 132, 169; 7. November 2007 – 5 AZR 1007/06 – Rn. 15, BAGE 124, 345). Zum anderen können sie nach deutschem Recht mittels einer Änderungskündigung des Erwerbers – unter Wahrung der gesetzlichen Voraussetzungen (§ 2 Kündigungsschutzgesetz) – auch gegen den Willen des Arbeitnehmers angepasst werden.
4. Von diesen privatautonom begründeten Rechten und Pflichten sind die Arbeitsbedingungen zu unterscheiden, die aufgrund eines kollektivrechtlichen Vertrags gelten. Deren Geltung beruht nicht auf einer Einigung zwischen den Arbeitsvertragsparteien, sondern in der Regel auf der Mitgliedschaft beider Seiten in einer tarifschließenden Koalition (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz – TVG) oder auf einer staatlichen Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 Abs. 4 TVG). Sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgrund ihrer Verbandsmitgliedschaft an denselben Tarifvertrag gebunden, gelten dessen Bedingungen in dem Arbeitsverhältnis als Mindestarbeitsbedingungen normativ, dh. unmittelbar und zwingend. Es bedarf – anders als zB im Recht des Vereinigten Königreichs, das der Entscheidung des Gerichtshofs vom 18. Juli 2013 (– C-426/11 – [Alemo-Herron ua.]) zugrunde lag – keiner gesonderten individualvertraglichen Verweisung (§ 4 Abs. 1 TVG). Abweichende Vereinbarungen der Arbeitsvertragspartner sind dann lediglich zugunsten des Arbeitnehmers oder mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien wirksam (§ 4 Abs. 3 TVG).
Für den Fall des Betriebsübergangs hat der nationale Gesetzgeber in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmt, dass Rechte und Pflichten, die in einem Kollektivvertrag geregelt sind und auf diese Weise als Mindestbedingungen im Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer unmittelbar und zwingend gelten, im Arbeitsverhältnis mit einem nicht an denselben Tarifvertrag gebundenen Erwerber nur statisch, also mit dem Regelungsbestand zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs, den Inhalt des Arbeitsverhältnisses weiter bestimmen. Entsprechend Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23 gilt dies jedoch nur für den Fall, dass die Arbeitsvertragsparteien nach dem Betriebsübergang nicht gemeinsam an einen anderen Tarifvertrag gebunden sind (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB). Die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB übergegangenen statischen Bedingungen können vor Ablauf eines Jahres nur unter bestimmten Voraussetzungen zulasten des Arbeitnehmers geändert werden, nämlich wenn der auf diese besondere Weise statisch weitergeltende Tarifvertrag insgesamt endet oder wenn die Parteien des Arbeitsverhältnisses sich darauf einigen, dass ein anderer Tarifvertrag, dessen Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis umfasst, auf dieses Anwendung finden soll (§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB).
5. Aufgrund der Unterscheidung von arbeitsvertraglich begründeten Rechten und Pflichten auf der einen und unmittelbar und zwingend geltenden Kollektivnormen auf der anderen Seite kann es zu einem Nebeneinander solcher Regelungen für ein Arbeitsverhältnis kommen. Sind die Regelungen eines Kollektivvertrags aufgrund privatautonomer Vereinbarung Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden und gelten gleichzeitig die hiervon abweichenden Normen eines anderen Kollektivvertrags aufgrund beiderseitiger Mitgliedschaft in der jeweiligen tarifschließenden Koalition unmittelbar und zwingend, wird diese Kollision durch das gesetzlich geregelte Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG) gelöst. Danach kommen die aufgrund der Verweisungsklausel, dh. aufgrund privatautonomer Vereinbarung zum Inhalt des Arbeitsvertrags gemachten kollektivvertraglichen Regelungen dann zur Anwendung im Arbeitsverhältnis, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger sind als die unmittelbar und zwingend geltenden Tarifnormen (vgl. BAG 22. April 2009 – 4 AZR 100/08 – BAGE 130, 237; 29. August 2007 – 4 AZR 767/06 – BAGE 124, 34).
C. Entscheidungserheblichkeit und Erläuterung der Vorlagefragen
I. Zur Zulässigkeit der Vorlage
Der Rechtsstreit betrifft zwar einen rein innerstaatlichen Sachverhalt und ist unter Beachtung der nationalen Regelungen des § 613a Abs. 1 BGB zu entscheiden. Die nationale Regelung dient jedoch der Umsetzung der RL 2001/23 bzw. der (Vorgänger-)Richtlinie RL 77/187 und ist deshalb richtlinienkonform auszulegen und entsprechend anzuwenden (vgl. dazu EuGH 7. November 2013 – C-522/12 – [Isbir] Rn. 28).
II. Zu den Vorlagefragen allgemein
Das Ausgangsverfahren betrifft die Frage, ob bei einem Betriebsübergang alle individualvertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Veräußerer des Betriebs in unveränderter Form auf das Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Erwerber des Betriebs so übergehen, als hätte dieser sie selbst mit dem Arbeitnehmer vereinbart. Dabei ist ferner streitig, ob dies auch für eine rein vertragliche Vereinbarung zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer gilt, wonach die Regelungen eines bestimmten Tarifvertrags in seiner jeweiligen (dynamischen) Fassung Inhalt des Arbeitsvertrags sind. Im Ausgangsverfahren ist dabei auch von Bedeutung, dass der im Arbeitsvertrag in Bezug genommene Tarifvertrag nach seinen eigenen Geltungsbereichsbestimmungen normativ weder für den Veräußerer noch für den Erwerber gelten konnte und er deshalb im Arbeitsverhältnis bereits vor dem Betriebsübergang ausschließlich aufgrund der vertraglichen Vereinbarung anzuwenden war. Nach nationalem Recht sind die Regelungen eines individual-vertraglich in Bezug genommenen Kollektivvertrags Teil der Rechte und Pflichten des Arbeitsvertrags, die im Falle eines Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB unverändert auf den Erwerber übergehen. Ob dies auch nach Art. 3 RL 2001/23 der Fall ist, erscheint dem vorlegenden Gericht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH nicht hinreichend geklärt.
1. Der Gerichtshof hat in der Rechtssache Alemo-Herron ua. (18. Juli 2013 – C-426/11 –) entschieden, Art. 3 RL 2001/23 sei dahin gehend auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat verwehrt sei vorzusehen, dass die Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge verwiesen, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar seien, wenn dieser nicht die Möglichkeit habe, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang abgeschlossenen Kollektivverträge teilzunehmen. Art. 3 RL 2001/23 sei im Einklang mit Art. 16 der Charta zur unternehmerischen Freiheit auszulegen. Dem Betriebserwerber müsse es möglich sein, im Rahmen eines zum Kollektivvertragsabschluss führenden Verfahrens, an dem er beteiligt ist, seine Interessen wirksam geltend zu machen und die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Tätigkeit auszuhandeln. Sei dies nicht möglich, sei die Vertragsfreiheit des Betriebserwerbers in einem Ausmaß reduziert, dass dies den Wesensgehalt seines Grundrechts auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigen könnte (EuGH 18. Juli 2013 – C-426/11 – [Alemo-Herron ua.] Rn. 31 ff.).
2. Nach dem Verständnis des vorlegenden Gerichts können die vom Gerichtshof getroffenen Aussagen nicht ohne Weiteres auf privatautonom vereinbarte Verweisungsklauseln iSd. nationalen Vertragsrechts übertragen werden. Für die Auslegung von Unionsrecht ist jedoch allein der Gerichtshof zuständig (Art. 19 EUV).
a) Für die Beantwortung der Vorlagefragen ist aus Sicht des vorlegenden Gerichts die Differenzierung zwischen den Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 RL 2001/23 von grundlegender Bedeutung. Sind Regelungen eines Kollektivvertrags allein aufgrund einer privatautonom zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarten Verweisungsklausel zum Inhalt des Arbeitsvertrags geworden, gebietet Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 wie § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nach dem Verständnis des vorlegenden Gerichts deren gegenüber dem bisherigen Rechtszustand unveränderte Fortwirkung im Falle des Betriebsübergangs.
b) Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23 regelt demgegenüber eine andere Konstellation. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts sind in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie diejenigen Kollektivverträge gemeint, die nach der Regelungsabsicht der Kollektivvertragsparteien das Arbeitsverhältnis seiner Art nach auch erfassen wollen und können. Nach dem Wortlaut der Vorschrift sollen die Arbeitsbedingungen so aufrechterhalten werden, „wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren”. Die Bestimmung soll damit gewährleisten, dass trotz des Betriebsübergangs die kollektivrechtlich geregelten Arbeitsbedingungen so fortwirken, „wie sie von den Parteien des Kollektivvertrags gewollt waren” (EuGH 27. November 2008 – C-396/07 – [Juuri] Rn. 33, Slg. 2008, I-8883). Die nach der Richtlinie zu wahrenden Ansprüche gründen in diesen Konstellationen auf dem übereinstimmenden Willen der Kollektivvertragsparteien, die für ihre Mitglieder unmittelbar und zwingend geltende Arbeitsbedingungen vereinbaren.
c) Diese Konstellation liegt jedoch nicht vor, wenn die Vertragsparteien eines Arbeitsverhältnisses die Regelungen eines Kollektivvertrags privatautonom zum Inhalt ihres individuellen Arbeitsvertrags machen. Das wird besonders deutlich, wenn sie einen Kollektivvertrag in Bezug nehmen, der nach seinem eigenen Geltungsbereich auf das Arbeitsverhältnis grundsätzlich und auch schon beim Veräußerer kollektivrechtlich gar keine Anwendung finden kann, zB weil er die Arbeitsverhältnisse einer anderen Branche regelt. Dann sind die Arbeitsbedingungen bereits für den Veräußerer nicht in dem Kollektivvertrag „vorgesehen”. Der Wille der Parteien des Kollektivvertrags erfasst dieses Arbeitsverhältnis nicht und kann es auch nicht erfassen, weil es außerhalb ihrer Regelungsmacht steht, die sich – nach nationalem Recht – nur auf die von ihnen geregelte Branche und die tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse bezieht. Es kann bei einer solchen rein vertraglichen Klausel deshalb nicht darauf ankommen, ob der Veräußerer oder der Erwerber die Möglichkeit hat, auf die Verhandlungen über die in Bezug genommenen Kollektivverträge Einfluss zu nehmen.
d) Ein solcher Sachverhalt liegt dem Ausgangsverfahren zugrunde. Schon das veräußernde Konzernunternehmen gehörte nicht dem öffentlich-rechtlichen Sektor an. Es konnte deshalb nicht Mitglied des tarifschließenden Verbands (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände) werden. Aus demselben Grund wurde das Arbeitsverhältnis schon vor dem Betriebsübergang und wird auch danach nicht vom Geltungsbereich des in Bezug genommenen Tarifvertrags erfasst. Dieser gilt nur für den öffentlichen Dienst. Trotzdem haben schon der Veräußerer selbst und der Kläger privatautonom gerade dieses Tarifwerk gewählt, um es in dynamischer Form zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses zu machen. Da die Regelungen somit allein auf vertragliche Weise Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer geworden sind, kann auch der Erwerber die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen mithilfe der hierfür nach dem nationalen Recht vorgesehenen vertragsrechtlichen Instrumentarien – zB Änderungsvertrag oder Änderungskündigung – vornehmen. Die Möglichkeit einer Teilnahme an Tarifvertragsverhandlungen kann danach allenfalls dann von Bedeutung sein, wenn dem Erwerber diese vertragsrechtlichen Anpassungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen, sondern die Geltung der Tarifnormen – anders als im Ausgangsfall – kollektivrechtlich, zB durch Mitgliedschaft in einer Koalition, vermittelt ist. Andernfalls würde der vertraglich vereinbarte Inhalt des Arbeitsverhältnisses allein und ausschließlich durch den Betriebsübergang zum Nachteil des Arbeitnehmers verändert. Gerade dies soll Art. 3 RL 2001/23 jedoch ausschließen.
3. Das Recht auf negative Vereinigungsfreiheit ist – ebenso wie in der Rechtssache Alemo-Herron ua. (18. Juli 2013 – C-426/11 – Rn. 31) – nicht Gegenstand des Verfahrens. Nach deutschem Recht kann die privatautonome Vereinbarung der Anwendung eines Tarifvertrags im Ganzen oder in Teilen ohnehin nicht gegen die negative Vereinigungsfreiheit eines der beiden Vertragspartner verstoßen (BAG 23. September 2009 – 4 AZR 331/08 – Rn. 27 bis 29, BAGE 132, 169).
III. Zur Vorlagefrage I.1.
Das vorlegende Gericht versteht Art. 3 RL 2001/23 in der Weise, dass im Falle eines Unternehmens- oder Betriebsübergangs auch unionsrechtlich alle zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer privatautonom und individuell im Arbeitsvertrag vereinbarten Rechte und Pflichten unverändert auf den Erwerber übergehen, so als hätte dieser sie selbst mit dem Arbeitnehmer vereinbart. Für dieses Verständnis sprechen Sinn und Zweck der Richtlinie sowie die Rechtsprechung des Gerichtshofs.
1. Nach dem dritten Erwägungsgrund dienen die Vorschriften der RL 2001/23 dazu, die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel zu schützen. Insbesondere soll die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleistet werden. Hiervon ist auch der Gerichtshof immer ausgegangen (EuGH 28. Januar 2015 – C-688/13 – [Gimnasio Deportivo San Andrés] Rn. 34; 16. Oktober 2008 – C-313/07 – [Kirtruna und Vigano] Rn. 36, Slg. 2008, I-7907; 6. November 2003 – C-4/01 – [Martin ua.] Rn. 39, Slg. 2003, I-12859; 12. November 1992 – C-209/91 – [Rask und Christensen] Rn. 26, Slg. 1992, I-5755). Die Arbeitnehmer sollen ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu den Bedingungen fortsetzen können, die mit dem Veräußerer vereinbart waren (zB EuGH 6. März 2014 – C-458/12 – [Amatori ua.] Rn. 49; 29. Juli 2010 – C-151/09 – [UGT-FSP] Rn. 40, Slg. 2010, I-7591; 27. November 2008 – C-396/07 – [Juuri] Rn. 28 mwN, Sgl. 2008, I-8883; 2. Dezember 1999 – C-234/98 – [Allen ua.] Rn. 20, Slg. 1999, I-8643). Die Richtlinie soll die Fortsetzung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber in unveränderter Form gewährleisten, um eine Verschlechterung der Lage der betroffenen Arbeitnehmer allein aufgrund des Übergangs zu verhindern (EuGH 6. September 2011 – C-108/10 – [Scattolon] Rn. 77, Slg. 2011, I-7491; 15. September 2010 – C-386/09 – [Briot] Rn. 26 mwN, Slg. 2010, I-8471). Dieser Übergang erfolgt ipso iure, dh. automatisch und ohne dass der eventuell entgegenstehende Wille einer der Beteiligten dabei von Bedeutung ist (EuGH 14. November 1996 – C-305/94 – [Rotsart de Hertaing] Rn. 18, Slg. 1996, I-5927). Eine einvernehmliche Änderung, die ansonsten nach dem jeweiligen nationalen Recht zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer genauso möglich sein muss wie zwischen Erwerber und Arbeitnehmer, darf nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht anlässlich des Betriebsübergangs vereinbart werden. Insoweit ist eine Verkürzung der Rechte der Arbeitnehmer selbst mit ihrer Zustimmung unzulässig (zB EuGH 6. November 2003 – C-4/01 – [Martin ua.] Rn. 40, aaO; 10. Februar 1988 – C-324/86 – [Daddy's Dance Hall] Rn. 15, Slg. 1988, 739). Das Recht und die Möglichkeit, eine solche Vereinbarung nach dem Betriebsübergang mit dem Arbeitnehmer zu treffen, in der zB die individualrechtliche Verweisung auf den Tarifvertrag geändert, aufgehoben oder angepasst wird, bleibt dem Erwerber jedoch – anders als bei einer kollektivvertraglichen normativen Geltung – jederzeit offen, wie dies auch vorher dem Veräußerer möglich gewesen war (EuGH 6. November 2003 – C-4/01 – [Martin ua.] Rn. 42, aaO; 12. November 1992 – C-209/91 – [Rask und Christensen] Rn. 28, 31, aaO). Dieses Recht wird nicht angetastet. Es gehört vielmehr zum Bestand der auf den Erwerber übergehenden „Rechte und Pflichten” aus dem Arbeitsvertrag nach Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23.
2. Dieser Schutzzweck wird durch Art. 8 RL 2001/23 bestätigt. Danach wird die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, für die Arbeitnehmer günstigere Regelungen anzuwenden, zu erlassen, zu fördern oder zuzulassen, durch die Richtlinie nicht eingeschränkt (vgl. auch EuGH 28. Januar 2015 – C-688/13 – [Gimnasio Deportivo San Andrés] Rn. 56). Damit ist klargestellt, dass die RL 2001/23 einen nicht zu unterschreitenden unionsrechtlichen Mindeststandard schaffen will, der der Sicherung der Arbeitnehmerrechte bei einem Betriebsübergang dient. Nationalstaatliche Regelungen, die eine für die Arbeitnehmer günstigere Rechtsfolge vorsehen, sollen durch die RL 2001/23 nicht verhindert werden.
3. Dementsprechend ist es nicht Ziel der Richtlinie, eine vollständige Harmonisierung auf dem Gebiet des Arbeitnehmerschutzes durch ein einheitliches Schutzniveau herbeizuführen. Sie soll vielmehr sicherstellen, dass die betroffenen Arbeitnehmer in den Rechtsbeziehungen zum Erwerber in gleicher Weise geschützt sind, wie sie es vor dem Unternehmensübergang gegenüber dem Veräußerer waren. Dabei sind für das Maß des Schutzes die jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften maßgebend (EuGH 6. März 2014 – C-458/12 – [Amatori ua.] Rn. 41; 6. November 2003 – C-4/01 – [Martin ua.] Rn. 41, Slg. 2003, I-12859; 12. November 1992 – C-209/91 – [Rask und Christensen] Rn. 27, Slg. 1992, I-5755; 10. Februar 1988 – C-324/86 – [Daddy's Dance Hall] Rn. 16, Slg. 1988, 739).
4. Wie oben dargestellt ist der Bestandsschutz der Arbeitnehmer betreffend ihre individuell ausgehandelten Rechte und Pflichten beim Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nach nationalem Recht auch insoweit entsprechend Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 ausgestaltet, als diese individuell ausgehandelten Rechte und Pflichten – ganz oder teilweise – auf Arbeitsbedingungen verweisen, die der Bestimmung durch Dritte überlassen sind, wie dies vor allem bei Kollektivverträgen der Fall ist. Besonders deutlich wird dies vor dem Hintergrund, dass die Verweisung auf Regelungen aus Kollektivverträgen im Arbeitsvertrag häufig nur ergänzende Funktion haben und nur soweit reichen sollen, wie die Arbeitsverträge selbst keine eigenständige Regelung getroffen haben (vgl. dazu BAG 11. Dezember 2013 – 4 AZR 473/12 – Rn. 18, BAGE 147, 41). Damit ist die Verweisung auf den Kollektivvertrag ein unselbstständiger Bestandteil eines Ensembles von Vertragsbedingungen, die zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer privatautonom vereinbart worden sind.
Soweit dagegen die unmittelbare und zwingende Wirkung von Kollektivverträgen den Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer bestimmt, ist der Arbeitnehmerschutz – abweichend von Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 – entsprechend Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23 eingeschränkt und unterliegt auch nach nationalem Recht den in der Richtlinie festgelegten Maßgaben. Nach dem Verständnis des vorlegenden Gerichts ist von dieser Zuordnung der jeweils unterschiedlich begründeten und in der Folge unterschiedlich geschützten Rechtspositionen der Arbeitnehmer beim Betriebsübergang, wie sie im nationalen Recht der Bundesrepublik Deutschland – und insofern deutlich abweichend von der Rechtslage im Vereinigten Königreich – geregelt ist, demnach auch bei der Auslegung und Anwendung der Richtlinie auszugehen.
5. Soweit der Gerichtshof in den Entscheidungen Alemo-Herron ua. (18. Juli 2013 – C-426/11 – Rn. 25) und Österreichischer Gewerkschaftsbund (11. September 2014 – C-328/13 – Rn. 29) darauf hingewiesen hat, die Richtlinie diene nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmerinteressen, sondern sie solle auch einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer einerseits und denen des Erwerbers andererseits gewährleisten, geht das vorlegende Gericht davon aus, dass dem kein abweichendes Verständnis der Richtlinie zugrunde liegt. Der Arbeitnehmerschutz ist in diesem Sinne als Grund und Rechtfertigung für die partielle – und in Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 RL 2001/23 unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen unterschiedlich geregelte – Beschränkung der Unternehmerfreiheit zu verstehen. Die – auch durch die Charta geschützten – Erwerberinteressen finden in der Betriebsübergangsrichtlinie ausdrücklich Berücksichtigung, wie insbesondere Art. 3 Abs. 3 und Abs. 4 RL 2001/23 zeigen. Einer unbeschränkten Ausübung der unternehmerischen Freiheit des erwerbenden Arbeitgebers steht gerade der dritte Erwägungsgrund der RL 2001/23 entgegen, nach dem die Bestimmungen der Richtlinie für den Arbeitnehmerschutz bei einem Inhaberwechsel „notwendig” sind. Würden bestimmte individuell zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer ausgehandelte Rechte und Pflichten von dieser Verpflichtung ausgenommen werden, würde dies dem Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 seine volle Wirkung nehmen.
IV. Zu Vorlagefrage I.2.
Sollte der Gerichtshof Art. 3 der RL 2001/23 in der Weise auslegen, dass bestimmte privatautonom vereinbarte Arbeitsvertragsbedingungen nicht unverändert auf den Erwerber übergehen, würde dies nach dem Verständnis des vorlegenden Gerichts bedeuten, dass diese Bedingungen allein aufgrund des Unternehmens- oder Betriebsübergangs anzupassen sind bzw. angepasst werden. Der Gerichtshof hat aber selbst eine einvernehmliche Änderung als durch den Betriebsübergang veranlasst gesehen, in der der Erwerber die Vertragsbedingungen „schlicht und einfach denjenigen Bedingungen [angepasst hat], die im Zeitpunkt des Übergangs für die anderen Beschäftigten des Erwerbers galten”. Eine solche Änderung des Arbeitsverhältnisses hänge mit dem Übergang zusammen und stelle deshalb einen Verstoß gegen das in Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 geregelte Bestandsschutzgebot dar (EuGH 6. November 2003 – C-4/01 – [Martin ua.] Rn. 48, Slg. 2003, I-12859). Dies scheint gegen die Annahme zu sprechen, dass bei einem Unternehmensübergang schon allein die Anwendung der RL 2001/23 auf die vertraglichen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses dazu führen kann, dass diese zum Nachteil des Arbeitnehmers gegenüber den mit dem Veräußerer bestehenden Bedingungen verschlechtert werden. Die nach nationalem Recht für den Erwerber weiterhin – wie vorher für den Veräußerer – gegebene Möglichkeit einer einvernehmlichen oder gar einseitigen Änderung der Vertragsbedingungen bleibt vom Betriebsübergang bzw. der dabei anzuwendenden Regelung des Art. 3 RL 2001/23 unberührt.
Eine dem eventuell entgegenstehende Auffassung, nach der bestimmte privatautonom vereinbarte Vertragsbedingungen zwischen Veräußerer und Arbeitnehmern beim Übergang nicht nach Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 unverändert übergehen, sondern einer inhaltlichen Modifikation unterzogen würden, ist aus Sicht des vorlegenden Gerichts bisher nicht aus der Anwendung der Richtlinie gefolgert worden. Für den Fall der Bejahung der Vorlagefrage I.1. wären die Kriterien ungeklärt, nach denen zwischen Vertragsbedingungen, die unverändert übergehen, und – als ungeschriebene Ausnahme von Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 – Vertragsbedingungen, die nur in veränderter Form zwischen Erwerber und Arbeitnehmer gelten, zu unterscheiden ist.
V. Zur Vorlagefrage I.3.
Sollte der Gerichtshof annehmen, Art. 3 der RL 2001/23 stehe einer Regelung entgegen, die den unveränderten Übergang einer privatautonom vereinbarten Verweisung auf einen Kollektivvertrag vorsieht, die dessen Regelungen in dynamischer Weise zum Inhalt des Arbeitsvertrags macht, stellt sich im Ausgangsverfahren die weitere Frage, ob dies auch dann gilt, wenn bereits der Veräußerer nicht Partei des Kollektivvertrags ist oder einer solchen Partei angehört und wenn der Veräußerer und der Erwerber zu einem Konzern gehören.
1. Hat der Veräußerer – wie im Ausgangsverfahren – eine Bezugnahmeklausel auf einen Kollektivvertrag in dynamischer Form vereinbart, obwohl er nicht Mitglied der tarifschließenden Partei ist und es auch nicht werden kann, hat bereits er – und nicht erst der Erwerber – keine Möglichkeit an den Tarifverhandlungen teilzunehmen. Gleichwohl ist er nach nationalem Recht aufgrund privatautonomer Entscheidung an die in Bezug genommenen Tarifregelungen gebunden wie an jede andere Vereinbarung des Arbeitsvertrags. Für den Erwerber, der das Unternehmen oder den Betrieb aufgrund privatautonomer Entscheidung erwirbt, kann nach dem Verständnis des vorlegenden Gerichts nichts anderes gelten.
Die Bindung an die aufgrund privatautonomer Vereinbarung zum Inhalt des Arbeitsvertrags gewordenen Kollektivregelungen führt – anders als in dem dem Vorabentscheidungsverfahren Alemo-Herron ua. zugrunde liegenden Fall – nicht dazu, dass der Erwerber keine Möglichkeit hätte, sich von den in Bezug genommenen Arbeitsbedingungen zu lösen (zu diesem Erfordernis vgl. EuGH 11. September 2014 – C-328/13 – [Österreichischer Gewerkschaftsbund] Rn. 29; 18. Juli 2013 – C-426/11 – [Alemo-Herron ua.] Rn. 33 ff.). Vielmehr kann dieser nach deutschem Recht mit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres eine andere Abmachung treffen. Auch hat er die Möglichkeit, eine Änderungskündigung zu erklären und somit den Inhalt des Arbeitsvertrags durch einseitige Willenserklärung zu ändern. Auf diese Weise ist nach nationalem Recht gewährleistet, dass er – unter angemessener Wahrung der Arbeitnehmerinteressen (§ 2 Kündigungsschutzgesetz) – die für seine künftige wirtschaftliche Tätigkeit notwendigen Anpassungen vornehmen kann. Der Erwerber kann die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, in das er eintritt, in demselben Umfang und auf dieselbe Weise ändern, wie dies dem Veräußerer möglich war (EuGH 14. September 2002 – C-343/98 – [Collino und Chiappero] Rn. 52, Slg. 2002, I-6659).
Soweit der Gerichtshof in der Rechtssache Alemo-Herron ua. dem Umstand besondere Bedeutung beigemessen hat, dass es sich um den Übergang eines Unternehmens vom öffentlichen auf den privaten Sektor handelte (EuGH 18. Juli 2013 – C-426/11 – Rn. 26 f.), ist für das hiesige Ausgangsverfahren auf einen weiteren wesentlichen tatsächlichen Unterschied hinzuweisen. Der Veräußerer gehörte selbst nie dem öffentlichen Dienst an. Gleichwohl hat er in dem privatautonom geschlossenen Arbeitsvertrag auf die dort normativ geltenden Tarifverträge für das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger verwiesen und sie so zum Inhalt des Arbeitsvertrags gemacht, obwohl sie die Arbeitsbedingungen einer anderen Branche regeln. Auf ein bei dem Erwerber wegen des Übergangs vom öffentlichen auf den privaten Sektor bestehendes Anpassungsbedürfnis kann deshalb vorliegend nicht abgestellt werden.
2. Aus Sicht des vorlegenden Gerichts ist es angesichts des Regelungsziels der RL 2001/23 auch von Bedeutung, dass der Betriebsübergang im Ausgangsverfahren von einer Konzerntochtergesellschaft auf eine andere erfolgt ist. Darauf bezieht sich die Vorlagefrage I.3.b.
a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gelten die Vorschriften der RL 2001/23 gleichermaßen für einen Betriebsübergang zwischen Konzernunternehmen. Eine Lösung, die dazu führen würde, Übergänge zwischen Gesellschaften desselben Konzerns vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen, würde deren Ziel, die Aufrechterhaltung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Unternehmensinhabers soweit wie möglich zu gewährleisten, zuwiderlaufen (EuGH 6. März 2014 – C-458/12 – [Amatori ua.] Rn. 49; 2. Dezember 1999 – C-234/98 – [Allen ua.] Rn. 20, Slg. 1999, I-8643).
b) Wäre die Richtlinie dahin gehend zu verstehen, dass der Betriebserwerber an bestimmte Inhalte des Arbeitsvertrags nicht gebunden ist, die der Betriebsveräußerer privatautonom mit dem Arbeitnehmer vereinbart hatte, wäre es dem Arbeitgeber ohne Weiteres möglich, sich von diesen – privatautonom eingegangenen – arbeitsvertraglichen Verpflichtungen dadurch zu lösen, dass er seinen Betrieb auf ein anderes Konzernunternehmen verlagert. Angesichts des bei einem Konzern vorliegenden einheitlichen Verhaltens der Konzerngesellschaften auf dem Markt (EuGH 6. März 2014 – C-458/12 – [Amatori ua.] Rn. 49) bzw. der nach deutschem Recht bei einem Konzern vorliegenden einheitlichen Leitung (§ 18 Aktiengesetz) sind Betriebs- oder Betriebsteilübertragungen innerhalb eines Konzerns strukturell einfacher zu gestalten als zwischen Unternehmen, die nicht einer einheitlichen Leitung unterliegen. Diesen Besonderheiten einer Konzernverbindung hat der Gerichtshof in der Entscheidung Albron Catering dadurch Rechnung getragen, dass im Einzelfall auch ein demselben Konzern wie der Vertragsarbeitgeber angehörendes Unternehmen als „nichtvertraglicher Arbeitgeber” anzusehen sein könnte (EuGH 21. Oktober 2010 – C-242/09 – Rn. 31, Slg. 2010, I-10309). Angesichts des Schutzzwecks der RL 2001/23 erschiene es problematisch, wenn man es einer nicht tarifgebundenen Konzerntochtergesellschaft, die die dynamische Anwendung eines für sie nicht geltenden Kollektivvertrags in einem Arbeitsverhältnis privatautonom vereinbart hat, ermöglichen würde, das Arbeitsverhältnis allein durch Übertragung der betreffenden wirtschaftlichen Einheit auf eine andere, ebenfalls nicht tarifgebundene Konzerntochtergesellschaft von dieser vertraglichen Verpflichtung zu befreien und sie hierzu nicht auf die dafür nach nationalem Recht zur Verfügung stehenden vertraglichen Mittel einer einvernehmlichen oder einseitigen Vertragsänderung zu verweisen.
VI. Zur Vorlagefrage II.
Ferner möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 16 der Charta einer in Umsetzung der RL 2001/23 erlassenen nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass bei einem Unternehmens- oder Betriebsübergang der Erwerber an die vom Veräußerer mit dem Arbeitnehmer vor dem Betriebsübergang privatautonom und individualvertraglich als Inhalt des Arbeitsvertrags bestimmten Regelungen so gebunden ist, als habe er sie selbst vereinbart, sofern das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht.
1. Der Gerichtshof hat die Entscheidung zur Rechtssache Alemo-Herron ua. auch auf das sich aus Art. 16 der Charta ergebende Grundrecht der Unternehmerfreiheit gestützt, welches das Recht der Vertragsfreiheit beinhaltet. Sei es dem Erwerber nicht möglich, im Rahmen eines zum Vertragsabschluss führenden Verfahrens seine Interessen wirksam geltend zu machen oder die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Tätigkeit auszuhandeln, sei seine Vertragsfreiheit so erheblich reduziert, dass hierdurch der Wesensgehalt des Rechts auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigt sein könne (EuGH 18. Juli 2013 – C-426/11 – [Alemo-Herron ua.] Rn. 32 ff.).
2. Auch wenn der Anwendungsbereich der Charta eröffnet sein sollte, treffen nach dem Verständnis des vorlegenden Gerichts diese Erwägungen nicht gleichermaßen auf den Fall zu, dass – wie im Ausgangsverfahren – die Arbeitsvertragsparteien individuell vereinbart haben, dass einzelne inhaltliche Bestimmungen des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses sich dynamisch aus einem externen Regelwerk ergeben und weiterentwickeln sollen.
a) Aus Sicht des vorlegenden Gerichts ist zweifelhaft, ob der Anwendungsbereich der Charta eröffnet ist. Der Gerichtshof hat in der Entscheidung Alemo-Herron ua. ausgeführt, Art. 3 iVm. Art. 8 RL 2001/23 verwehre es den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu erlassen, die zwar für die Arbeitnehmer günstiger seien, aber den Wesensgehalt des Rechts des Erwerbers auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigen könnten (EuGH 18. Juli 2013 – C-426/11 – Rn. 36). Die Charta gilt nach ihrem Art. 51 Abs. 1 ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union (EuGH 26. Februar 2013 – C-617/10 – [Åkerberg Fransson] Rn. 17; 28. November 2013 – C-258/13 – [Sociedade Agrícola] Rn. 18). Deshalb erscheint es dem vorlegenden Gericht im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht abschließend geklärt, ob in jedem Fall der Wahrnehmung der nationalen Kompetenz zu ergänzenden arbeitnehmerschützenden Maßnahmen iSv. Art. 8 RL 2001/23 eine Durchführung von Unionsrecht iSv. Art. 51 Abs. 1 der Charta liegt. Insoweit hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Grundrechte der Union im Verhältnis zu einer nationalen Regelung unanwendbar sind, wenn die unionsrechtlichen Vorschriften in dem betreffenden Sachverhalt keine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den fraglichen Sachverhalt schaffen (EuGH 6. März 2014 – C-206/13 – [Siragusa] Rn. 26; 10. Juli 2014 – C-198/13 – [Julian Hernández ua.] Rn. 35; 13. Juni 1996 – C-144/95 – [Maurin] Rn. 12, Slg. 1996, I-2909). Dem Anwendungsbereich der Charta unterliegt das Unionsrecht ausschließlich in den Grenzen der der Union übertragenen Zuständigkeiten (EuGH 8. November 2012 – C-40/11 – [Iida] Rn. 78). Nach dem Wortlaut von Art. 8 RL 2001/23 schränkt die Richtlinie die Möglichkeit der Mitgliedstaaten nicht ein, für die Arbeitnehmer günstigere Rechtsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen. Die Richtlinie setzt daher die – unabhängig von ihr bestehende – Kompetenz der Mitgliedstaaten zu Regelungen in diesem Bereich voraus. Sie schafft in ihren vorangegangenen Bestimmungen somit nur Mindeststandards, an die sämtliche Mitgliedstaaten auch nur insoweit gebunden sind. Soweit diese weiter gehende Maßnahmen ergreifen oder regeln, handelt es sich gerade nicht um eine Verpflichtung zur Umsetzung von Unionsrecht. Es genügt auch nicht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann (EuGH 6. März 2014 – C-206/13 – [Siragusa] Rn. 24; 10. Juli 2014 – C-198/13 – [Julian Hernández ua.] Rn. 37).
b) Wenn man dagegen von der Annahme ausgeht, es handele sich bei der Ausgestaltung des Bestandsschutzes der Arbeitnehmer beim Betriebsübergang auch im Falle von Art. 8 RL 2001/23 um die Anwendung von Unionsrecht iSv. Art. 51 Abs. 1 der Charta, ist nach Auffassung des vorlegenden Gerichts durch seine Auslegung von § 613a Abs. 1 BGB das Grundrecht des Erwerbers aus Art. 16 der Charta nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt.
aa) Art. 16 der Charta erkennt die unternehmerische Freiheit nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten an. Wie sich aus den Erläuterungen ergibt, die als Anleitung für die Auslegung der Charta verfasst wurden (Abl. EU C 303 vom 14. Dezember 2007 S. 17), umfasst dieses Grundrecht insbesondere die Vertragsfreiheit, zu der ua. die freie Wahl des Geschäftspartners und die Freiheit, den Preis für eine Leistung festzulegen, gehört (EuGH 22. Januar 2013 – C-283/11 – [Sky Österreich] Rn. 43). Das entspricht dem Recht jedes Unternehmens, in den Grenzen seiner Verantwortlichkeit für seine eigenen Handlungen frei über seine wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Ressourcen verfügen zu können (EuGH 27. März 2014 – C-314/12 – [UPC Telekabel Wien] Rn. 49). Die Vertragsfreiheit beinhaltet nicht nur die Freiheit, Verträge zu schließen, sondern auch die Freiheit, keine Verträge zu schließen. Auch die – im vorliegenden Fall gegebene – Möglichkeit, bestehende Verträge einvernehmlich zu ändern, ist Bestandteil der grundrechtlich geschützten Vertragsfreiheit (EuGH 5. Oktober 1999 – C-240/97 – [Spanien/Kommission] Rn. 99, Slg. 1999, I-6571).
bb) Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 führt – ebenso wie § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB – zu einer Einschränkung der Vertragsfreiheit. Zwar kann der Erwerber eines Unternehmens oder Betriebs oder eines Teils davon die materiellen und immateriellen Betriebsmittel aufgrund freier Entscheidung erwerben, wenn er sich mit dem Veräußerer auf den hierfür zu zahlenden Preis geeinigt hat. Die genannten Regelungen ordnen für den Fall, dass die erworbenen Betriebsmittel eine wirtschaftliche Einheit iSv. Art. 1 Abs. 1 RL 2001/23 bilden, an, dass ohne Rücksicht auf den Willen des Veräußerers oder des Erwerbers die an diese Einheit gebundenen Arbeitsverhältnisse mit den dort geregelten Rechten und Pflichten des Veräußerers auf den Erwerber übergehen. Die Richtlinie soll gerade die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleisten (EuGH 20. November 2003 – C-340/01 – [Abler ua.] Rn. 29, Slg. 2003, I-14023; vgl. auch oben Rn. 33). Dies ist nur dann möglich, wenn der Erwerber an die Gesamtheit der im Arbeitsverhältnis vereinbarten Rechte und Pflichten gebunden ist. Diese Rechtsfolge ist nicht abdingbar. Damit ist es dem Erwerber nicht nur verwehrt, Arbeitsverhältnisse nach seinem freien Willen zu übernehmen oder nicht, sondern auch wegen des Unternehmensübergangs die Arbeitsbedingungen zu ändern (vgl. dazu oben Rn. 33, 40).
cc) Diese Einschränkung verletzt nach Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht die von Art. 16 der Charta geschützte unternehmerische Freiheit und die in ihr enthaltende Vertragsfreiheit.
(1) Art. 52 Abs. 1 der Charta lässt Einschränkungen der Ausübung der Rechte und Freiheiten – wie der unternehmerischen Freiheit – zu, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Europäischen Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Dies gilt insbesondere für Grundrechte, die – wie Art. 16 der Charta – einen eigenen Vorbehalt zugunsten des Unionsrechts sowie der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten enthalten. Speziell zum Grundrecht der unternehmerischen Freiheit hat der Gerichtshof weiterhin darauf hingewiesen, dass dieses nicht schrankenlos gilt, sondern im Zusammenhang mit seiner gesellschaftlichen Funktion zu sehen ist (vgl. nur EuGH 22. Januar 2013 – C-283/11 – [Sky Österreich] Rn. 45; 6. September 2012 – C-544/10 – [Deutsches Weintor] Rn. 54 mwN; 6. Dezember 2005 – C-453/03 ua. – [ABNA ua.] Rn. 87, Slg. 2005, I-10423; 30. Juni 2005 – C-295/03 P – [Alessandrini ua.] Rn. 86, Slg. 2005, I-5673; 9. September 2004 – C-184/02 und C-223/02 – [Spanien und Finnland/Parlament und Rat] Rn. 51 f., Slg. 2004, I-7789). Folglich kann die unternehmerische Freiheit Einschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das Recht in seinem Wesensgehalt antastet (EuGH 30. Juni 2005 – C-295/03 P – [Alessandrini ua.] Rn. 86 mwN, aaO; 14. Dezember 2004 – C-210/03 – [Swedish Match] Rn. 72 mwN, Slg. 2004, I-11893; jeweils für das Eigentumsrecht und die freie Berufsausübung; 9. September 2004 – C-184/02 und C-223/02 – [Spanien und Finnland/ Parlament und Rat] Rn. 52, aaO, für die unternehmerische Freiheit).
(2) Das Unionsrecht wie auch das deutsche Recht knüpfen bereits allein an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zahlreiche einseitig zwingende Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers, zB im Bereich des Kündigungsschutz- und des Arbeitsschutzrechts. An der Rechtmäßigkeit und insbesondere der Verhältnismäßigkeit dieser – sowohl unionsrechtlich als auch national – gesetzlich angeordneten Einschränkungen der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers bestehen keine grundsätzlichen Bedenken.
Als eine solche gesetzliche Einschränkung sieht das vorlegende Gericht auch § 613a Abs. 1 BGB bzw. Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 8 RL 2001/23 an. Die nach nationalem Recht und nach Unionsrecht angeordnete Rechtsfolge, dass bei der identitätswahrenden Übernahme einer wirtschaftlichen Einheit im Sinne der Richtlinie auch die Arbeitsverhältnisse zwingend übergehen, ist bereits als solche ein Eingriff in die Vertragsfreiheit des Erwerbers. Von der Rechtmäßigkeit dieses Eingriffs geht die Richtlinie selbst aus, will man nicht deren Vereinbarkeit mit der Grundrechtecharta infrage stellen. Die dort angeordnete Rechtsfolge darf nicht durch einzelvertragliche Vereinbarungen umgangen werden (EuGH 24. Januar 2002 – C-51/00 – [Temco] Rn. 35, Slg. 2002, I-969; 14. November 1996 – C-305/94 – [Rotsart de Hertaing] Rn. 16 bis 18, Slg. 1996, I-5927, „Übergang ipso iure”; 10. Februar 1988 – C-324/86 – [Daddy's Dance Hall] Rn. 14, Slg. 1988, 739). Dass die dadurch bewirkte Einschränkung nur zulasten des Arbeitgebers einseitig zwingend ist, ergibt sich aus dem Schutzcharakter der Richtlinie. Die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers wird nicht beeinträchtigt. Entscheidet er sich frei dafür, das Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber nicht fortzusetzen, entfällt der Schutzauftrag der Richtlinie und die Mitgliedstaaten können unabhängig davon bestimmen, was in einem solchen Fall zu gelten hat (EuGH 12. November 1998 – C-399/96 – [Europièces] Rn. 37 bis 39, Slg. 1998, I-6965). Entsprechend diesen Grundsätzen muss der Erwerber die unions- und nationalrechtlichen zwingenden Vorgaben bei der Ausübung seiner Vertragsfreiheit in Form der Verhandlungen und ggf. des privatautonomen Abschlusses eines Übernahmevertrags als preisbildenden Faktor einbeziehen. Dies beinhaltet auch den gesetzlich angeordneten Übergang der Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen. Diese Einschätzung und die der Kosten, die mit den verschiedenen Möglichkeiten verbunden sind, gehören zum freien Wettbewerb (EuGH 25. Januar 2001 – C-172/99 – [Liikenne] Rn. 23, Slg. 2001, I-745). Auch führt dies nicht zu einem Eingriff in die Wettbewerbsstellung des Erwerbers gegenüber anderen Marktteilnehmern, weil für diese im Falle des Erwerbs eines Unternehmens- oder Betriebsteils jeweils dieselben Bedingungen gelten. So hat der Gerichtshof bei der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der RL 2001/23 darauf abgestellt, dass die durch die dort angeordnete Rechtsfolge eintretende Einschränkung der Vertragsfreiheit des Erwerbers unmittelbar beabsichtigt und durch den Zweck der Richtlinie gerechtfertigt ist. Dort ging es um die Frage, ob Art. 3 Abs. 1 RL 77/187 (entspricht Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23) dahin auszulegen ist, „dass alle im Zeitpunkt der Veräußerung eines Unternehmens zwischen dem Veräußerer und den Beschäftigten … bestehenden Arbeitsverhältnisse kraft der bloßen Tatsache der Veräußerung automatisch auf den Erwerber übergehen”. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens und die italienische Regierung hatten eingewandt, die Richtlinie würde bei dieser Auslegung die unternehmerische Freiheit beeinträchtigen. Dazu hat der Gerichtshof ausgeführt, diese Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit gehöre „gerade zur Zweckbestimmung der Richtlinie”, die darauf abziele, im Interesse der Arbeitnehmer die sich aus den Arbeitsverträgen oder -verhältnissen ergebenden Verpflichtungen auf den Erwerber zu übertragen (EuGH 25. Juli 1991 – C-362/89 – [d'Urso ua.] Rn. 15, Slg. 1991, I-4105). Ein Veräußerer, der sich arbeitsvertraglich zur dynamischen Anwendung eines Kollektivvertrags oder eines Teils davon verpflichtet hat, ist an dieses Ergebnis der auch von ihm ausgeübten Vertragsfreiheit gebunden. Würde man den Erwerber allein durch den Betriebsübergang von dieser Verpflichtung befreien, wäre er besser gestellt als der Veräußerer und der Arbeitnehmer allein durch den Betriebsübergang schlechter als gegenüber dem Veräußerer.
Unterschriften
Eylert, Creutzfeldt, Rinck, Kiefer, Pieper
Fundstellen
FA 2016, 125 |
NZG 2016, 628 |
NZA-RR 2016, 5 |
GWR 2016, 83 |