Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbildungskosten. zweistufige Ausschlussfrist
Leitsatz (redaktionell)
Der Anspruch auf Erstattung von Ausbildungskosten durch den Arbeitnehmer entsteht im Zweifel erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht bereits mit Zugang einer Kündigung.
Normenkette
BGB §§ 133, 242, 157, 187 Abs. 1, 2 S. 1, § 188 Abs. 2, § 203 Abs. 2, §§ 206, 307 nF, § 308 nF, § 309 nF, § 310 nF; EGBGB Art. 229 § 5 S. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; ZPO §§ 167, 233
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Erstattung von Kosten für die Ausbildung des Beklagten zum Kfz-Prüfingenieur.
Der Beklagte war bei der Klägerin auf Grund eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 22. Januar 2001 als Kfz-Prüfingenieur beschäftigt. Für diese Tätigkeit wurde er ab dem 1. Februar 2001 von der Kraftfahrzeug-Überwachungsorganisation freiberuflicher Kfz-Sachverständiger e.V. (KÜS) ausgebildet. Die Ausbildungskosten trug die Klägerin. Nach dem Bestehen der Prüfung wurde das Arbeitsverhältnis im November 2001 in Vollzug gesetzt. Am 27. Dezember 2001 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis schriftlich zum 30. Juni 2002. Im Arbeitsvertrag heißt es:
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Beendigung des Arbeitsverhältnisses
…
6. Wird das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers oder aus Gründen beendet, die der Arbeitnehmer zu vertreten hat, so sind die Aus- und Weiterbildungskosten – soweit sie die Arbeitgeberin getragen hat – der letzten fünf Jahre vor dem Ausscheiden nach folgender Staffelung von dem Arbeitnehmer zu erstatten:
…
§ 21
Verfallfristen
Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, sind von dem Vertragsschließenden binnen einer Frist von 6 Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen und im Falle der Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Frist von 2 Monaten einzuklagen.”
In einem Schreiben vom 15. Mai 2002 wies die Klägerin den Beklagten darauf hin, dass mit seinem Ausscheiden aus dem Betrieb zum 30. Juni 2002 die Rückzahlung der Ausbildungskosten iHv. 56.344,37 Euro fällig wird. In einem weiteren Schreiben vom 14. Juni 2002 berücksichtigte die Klägerin die Beschäftigungszeit des Klägers anspruchsmindernd und bat diesen, einen Betrag von 49.770,86 Euro bis zum 1. Juli 2002 zu zahlen. Das lehnte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 27. Juni 2002 schriftlich ab.
Am 18. Juli 2002 erstellte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen an das Arbeitsgericht gerichteten Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids. Das Antragsformular wurde aber so gefaltet, dass im Adressfeld des Fensterumschlages Name und Anschrift des Beklagten sichtbar waren. Dieser übergab das ihm von der Post zugestellte Antragsformular seinem Prozessbevollmächtigten. Am 23. September 2002 erfuhr der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf Grund einer Nachfrage beim Arbeitsgericht, dass sein Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids dort nicht eingegangen ist. Sodann erfolgte eine gerichtliche Geltendmachung durch Mahnbescheid am 23. September 2002.
Die Klägerin hat gemeint, ihr Erstattungsanspruch sei kein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis und werde deshalb nicht von den im Arbeitsvertrag vereinbarten Verfallfristen erfasst. Jedenfalls sei ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Im Übrigen sei die Verfallklausel unwirksam. Der Beklagte berufe sich auch rechtsmissbräuchlich auf diese. Er sei verpflichtet gewesen, den ihm zugestellten Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids zurückzusenden oder an das Arbeitsgericht weiterzuleiten.
Die Klägerin hat beantragt
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 49.770,86 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 31. Juli 2002 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin kann von dem Beklagten keine Rückzahlung der von ihr verauslagten Ausbildungskosten verlangen. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch iHv. 49.770,86 Euro ist verfallen. Die Klägerin hat die zweite Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist versäumt. Ob ein Anspruch nach Grund und Höhe bestanden hätte, braucht nicht entschieden zu werden.
1. Die in § 21 des Arbeitsvertrags der Parteien vereinbarte Ausschlussfrist erfasst den geltend gemachten Erstattungsanspruch. Die darauf gerichtete Auslegung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Nach § 21 des Arbeitsvertrags sind alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, von den Vertragsschließenden binnen einer Frist von sechs Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen und im Falle der Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Frist von zwei Monaten einzuklagen. Ob die im Arbeitsvertrag der Parteien vom 22. Januar 2001 enthaltenen Erklärungen atypische Willenserklärungen sind, deren Auslegung durch das Landesarbeitsgericht nur einer beschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterläge (st. Rspr., vgl. BAG 15. November 2000 – 5 AZR 296/99 – BAGE 96, 237, 241 f. mwN), oder die Klägerin das Arbeitsvertragsformular in einer Vielzahl von Fällen für Ingenieure verwendet, deren Ausbildung zum Kfz-Prüfingenieur sie finanziert, und somit typische Willenserklärungen vorliegen, die vom Senat in der Revisionsinstanz unbeschränkt und selbständig gemäß §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden könnten (st. Rspr., vgl. BAG 21. Januar 2004 – 6 AZR 583/02 – AP MTA-O § 12 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 2b aa der Gründe mwN), kann dahingestellt bleiben. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, der Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung von Ausbildungskosten ergebe sich aus dem Arbeitsverhältnis, hält auch einer unbeschränkten Überprüfung stand.
b) Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein könnten, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG 3. April 2003 – 6 AZR 163/02 –, zu II 2 der Gründe; 26. September 2002 – 6 AZR 434/00 – AP BBiG § 10 Nr. 10 = EzA BBiG § 10 Nr. 6, zu I 3 der Gründe).
c) Danach hatte die Klägerin für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Erstattung von Ausbildungskosten die Fristen der in § 21 des Arbeitsvertrags vereinbarten zweistufigen Ausschlussfrist zu wahren. Das folgt bereits aus dem Wortlaut der Verfallklausel, der alle Ansprüche erfasst, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben. Die sprachliche Ausgestaltung bezieht damit zwar nicht alle zwischen den Parteien bestehenden Ansprüche ein. Sie ergreift nur solche, die sich aus den Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als einheitlichem Lebensvorgang ergeben (vgl. BAG 26. April 1990 – 8 AZR 153/89 – ZTR 1991, 26). Der Rückzahlungsanspruch der Klägerin erfüllt diese Voraussetzung. Sein Rechtsgrund liegt im Arbeitsverhältnis der Parteien. Das durch Vertrag vom 22. Januar 2001 begründete Arbeitsverhältnis war die Grundlage dafür, dass die Klägerin die Kosten der Ausbildung des Beklagten zum Kfz-Prüfingenieur getragen hat. Ohne eine darauf gerichtete und allein im Arbeitsvertrag geregelte Rückzahlungsvereinbarung hätte die Klägerin schon keine Erstattung der von ihr verauslagten Kosten verlangen können. Hinzu kommt die Verknüpfung des Entstehungsgrundes der Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten mit der von ihm ausgesprochenen oder veranlassten Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Selbst die Modalitäten der Rückzahlung stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen der Parteien. Nach der vertraglichen Vereinbarung ist der Erstattungsanspruch der Klägerin gestaffelt nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses.
2. Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch nach § 21 des Arbeitsvertrags verfallen ist.
a) Nach dieser Bestimmung sind alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, von den Vertragsschließenden binnen einer Frist von sechs Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen und im Falle der Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Frist von zwei Monaten einzuklagen. Die Frist zur Wahrung der zweiten Stufe der Verfallklausel hat die Klägerin versäumt.
aa) Schuldrechtliche Ansprüche entstehen regelmäßig mit Abschluss des Rechtsgeschäfts, durch das die Rechtsbeziehungen der Vertragsschließenden geregelt werden. Das gilt jedoch nicht, wenn der Entstehenszeitpunkt nach der im Vertrag zum Ausdruck kommenden Interessenlage der Parteien auf einen späteren Termin festgelegt wird (BAG 26. August 1997 – 9 AZR 227/96 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 8 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 29). Hier haben die Parteien das Entstehen und die daran knüpfende Fälligkeit des Erstattungsanspruchs der Klägerin an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebunden. Dazu haben sie in § 16 Nr. 6 Satz 1 des Arbeitsvertrags bestimmt, dass die von der Klägerin getragenen Aus- und Weiterbildungskosten vom Beklagten zu erstatten sind, wenn das Arbeitsverhältnis auf Grund einer Eigenkündigung des Beklagten oder aus Gründen beendet wird, die der Beklagte zu vertreten hat. Damit haben sie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Verpflichtung zur Erstattung von Ausbildungskosten in einen unmittelbaren Zusammenhang gebracht. Das entspricht dem Interesse des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer, dessen Ausbildung er finanziert hat, möglichst lange an den Betrieb zu binden und dem Interesse des Arbeitnehmers, einer Rückzahlungsverpflichtung durch entsprechende Betriebstreue zu entgehen (BAG st. Rspr. 5. Dezember 2002 – 6 AZR 539/01 – BAGE 104, 125). Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des Beklagten vom 27. Dezember 2001 nach Ablauf der in § 16 Nr. 2 des Arbeitsvertrags vereinbarten Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende zum 30. Juni 2002 aufgelöst worden. Der Erstattungsanspruch der Klägerin ist damit erst am 1. Juli 2002 entstanden und an diesem Tag nach § 271 Abs. 1 BGB zugleich auch fällig geworden. Die Vereinbarung der Parteien in § 16 Nr. 7 Satz 2 des Arbeitsvertrags, wonach die Aufwendungen der Klägerin für die ganztägige Betreuung des Beklagten sowie die Kosten für die Benutzung von Geräten und Materialien nach Aufforderung im Rahmen eines Rechtsgutachtens zu ermitteln sind, bestimmt keinen davon abweichenden Fälligkeitszeitpunkt. Der Regelungsgehalt dieser Vereinbarung beschränkt sich allein auf das Recht beider Vertragsparteien, ein Rechtsgutachten über die Erstattungsfähigkeit bestimmter Kosten nach Grund und Höhe verlangen zu können.
bb) Ob der Anspruch bereits vor seinem Entstehen und seiner Fälligkeit zur Wahrung der ersten Stufe der Verfallklausel von der Klägerin wirksam geltend gemacht werden konnte, wovon beide Parteien erkennbar ausgegangen sind, bedarf keiner Entscheidung. Nach der von den Parteien in § 21 des Arbeitsvertrags getroffenen Abrede schließt sich die zweimonatige Klagefrist nicht an die Frist von sechs Monaten zur schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs an. Der Wortlaut der zweiten Stufe ist eindeutig. Danach sind im Falle der Ablehnung durch die Gegenpartei alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, binnen einer Frist von zwei Monaten einzuklagen. Die zweite Stufe der Verfallklausel ergreift damit alle von der Gegenpartei abgelehnten Ansprüche, ohne dass es auf deren Fälligkeit ankommt. Für die Frage der Ablehnung durch die Gegenpartei ist es nach der Verfallklausel auch ohne Bedeutung, ob der Anspruch zuvor innerhalb der Frist der ersten Stufe wirksam angemeldet worden ist. Für die zweite Stufe ist allein die Ablehnung des Anspruchs durch die Gegenpartei maßgebend, die vorliegend mit Schreiben vom 27. Juni 2002 erfolgt ist.
cc) Die Klägerin kann sich in diesem Zusammenhang nicht auf die Senatsentscheidung vom 11. Dezember 2003 (– 6 AZR 539/02 – AP BMT-G II § 63 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 170, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) berufen. Danach setzt eine ordnungsgemäße Geltendmachung eines Anspruchs nach § 63 Abs. 1 BMT-G II innerhalb der in dieser Tarifvorschrift geregelten Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit voraus, dass der geltend gemachte Anspruch bereits entstanden war. Diese Entscheidung ist zu einer einstufigen Ausschlussfrist ergangen, für deren Lauf es nicht auf die Ablehnung durch die Gegenpartei ankommt.
dd) Allerdings hat die Frist von zwei Monaten, innerhalb der nach der Verfallklausel im Falle der Ablehnung durch die Gegenpartei die Ansprüche einzuklagen sind, noch nicht mit Zugang des Schreibens vom 27. Juni 2002 bei der Klägerin begonnen, sondern erst mit Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs am 1. Juli 2002. Ebenso wie bei einer tariflichen zweistufigen Ausschlussfrist (vgl. BAG 13. Februar 2003 – 8 AZR 236/02 – AP BGB § 613a Nr. 244 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 162, zu II 2a der Gründe) läuft die Frist für die gerichtliche Geltendmachung bei einer arbeitsvertraglichen Verfallklausel nicht vor der Fälligkeit des Anspruchs. Der Zweck der zweistufigen Ausschlussfrist besteht darin, den Anspruchsteller zu veranlassen, durch rechtzeitige Klageerhebung Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs zu schaffen. Ein solcher Zwang ist allerdings nur sinnvoll, wenn der Anspruchsteller die in der zweiten Stufe geforderte Klage auch durchsetzen kann, was bei nicht fälligen Ansprüchen in der Regel nicht möglich ist (vgl. BAG 13. Februar 2003 – 8 AZR 236/02 – aaO, zu II 2a der Gründe).
ee) Da der Rückzahlungsanspruch am 1. Juli 2002 fällig geworden ist, war gemäß § 187 Abs. 2 Satz 1 BGB der Beginn dieses Tages für den Anfang der Frist zur Klageerhebung maßgebend. Nach § 188 Abs. 2 BGB ist die Klagefrist von zwei Monaten damit am 31. August 2002 abgelaufen. Mit dem erst am 23. September 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids hat die Klägerin die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung nicht gewahrt.
3. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Verfallklausel in § 21 des Arbeitsvertrags wirksam. Verfallklauseln für abdingbare Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis können nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch in einem Einzelarbeitsvertrag wirksam vereinbart werden (24. März 1988 – 2 AZR 630/87 – AP BGB § 241 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 72, zu II 2a der Gründe; 13. Dezember 2000 – 10 AZR 168/00 – BAGE 96, 371, 377; 27. Februar 2002 – 9 AZR 543/00 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 162 = EzA BGB § 138 Nr. 30, zu I 2b (1) der Gründe). Sie unterliegen dann einer Inhaltskontrolle nach § 138 BGB. Dieser Kontrolle hält sie stand. Die im Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 mit Wirkung zum 1. Januar 2002 geregelten Vorschriften zur Inhaltskontrolle (§§ 307 – 309 BGB nF) vorformulierter Vertragsbedingungen (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB nF) finden nach Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB vorliegend keine Anwendung (vgl. BAG 24. Juni 2004 – 6 AZR 383/03 – EzA BGB 2002 § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 6, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 1 der Gründe mwN). Dahingestellt bleiben kann daher, ob die Klägerin sich ohne Rechtsmissbrauch auf eine Unwirksamkeit der von ihr formulierten Vertragsbedingung berufen könnte oder sich damit entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu ihrem früheren Verhalten in Widerspruch setzen würde.
4. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist ihr wegen der versäumten Klagefrist nicht nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
a) Nach dieser Bestimmung ist einer Partei auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden gehindert war, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde, der Rechtsbeschwerde oder der Beschwerde nach §§ 621e, 629a Abs. 2 ZPO oder die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO einzuhalten. Die Klägerin hat keine Notfrist und auch keine andere der in § 233 ZPO genannten Fristen versäumt, sondern eine vertragliche Verfallfrist und damit eine Frist mit materiell-rechtlichem Charakter.
b) Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf vertragliche Ausschlussfristen ist nicht geboten.
aa) Die in § 233 ZPO geregelte Möglichkeit, im Falle unverschuldeter Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, beruht auf einer Abwägung der Erfordernisse der Rechtssicherheit gegen die Forderung der materiellen Gerechtigkeit (vgl. BVerfG 25. November 1994 – 2 BvR 852/93 – NJW 1995, 711). Die Wiedereinsetzung dient somit unter Beachtung der rechtsstaatlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes in bürgerlichen Streitigkeiten (BVerfG 2. März 1993 – 1 BvR 249/92 – BVerfGE 88, 118, 123) und des von Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Anspruchs der Parteien auf ein faires Verfahren (BVerfG 22. Oktober 2004 – 1 BvR 894/04 – VersR 2004, 1585) der Verwirklichung der Einzelfallgerechtigkeit und einer rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Verfahrensgestaltung. Das Recht der Wiedereinsetzung will verhindern, dass einer Partei durch den Ablauf der in der Vorschrift genannten gesetzlichen Fristen ein unwiederbringlicher Nachteil entsteht, obwohl eine tatsächliche Möglichkeit zur Fristwahrung nicht bestanden hat. Die Gerichte sind nach dem durch Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip verbürgten Recht der Parteien auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gehalten, bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Anforderungen an das, was der Betroffene zur Fristwahrung veranlasst haben muss, nicht zu überspannen (BVerfG 30. Mai 1997 – 1 BvR 200/96 – NJW 1997, 2941).
bb) Eine analoge Anwendung des § 233 ZPO würde nicht schon grundsätzlich an dem Ausnahmecharakter der Vorschrift scheitern. Es ist anerkannt, dass auch Ausnahmevorschriften in den Grenzen ihres Sinns und Zwecks der Analogie fähig sind (BAG 22. Februar 1966 – 1 ABR 9/65 – BAGE 18, 159, 161 f.). Das Bundesverfassungsgericht (6. Juni 1967 – 1 BvR 282/65 – BVerfGE 22, 83, 88) hat dementsprechend entschieden, dass eine analoge Anwendung von § 233 ZPO dann nicht ausgeschlossen ist, wenn der objektive Sinn und Zweck des Wiedereinsetzungsrechts das erforderlich macht.
cc) Aus der Beschränkung der Restitutionsmöglichkeit auf bestimmte gesetzliche Fristen in § 233 ZPO wird allerdings deutlich, dass der Gesetzgeber der materiellen Gerechtigkeit Vorrang vor der Rechtssicherheit nur bei Versäumung gesetzlicher Fristen einräumen wollte. Daraus folgt zugleich, dass nach der gesetzgeberischen Wertung eine Fristenrestitution bei vertraglichen Fristen ausgeschlossen ist (BAG 10. November 1977 – 2 AZR 269/77 – BAGE 29, 358, 361). Dementsprechend kommt nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 22. Januar 1998 – 2 AZR 367/97 – BAGE 87, 352, 358 mwN) gegen die Versäumung einer Vergleichswiderrufsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO in Betracht. Denn bei vertraglich vereinbarten Fristen haben es die Parteien in der Hand, die Dauer der Frist und die Modalitäten ihres Ablaufs so zu bestimmen, dass einer unverschuldeten Versäumung vorgebeugt werden kann (BAG 10. November 1977 – 2 AZR 269/77 – BAGE 29, 358, 361 f.). Das gilt auch für vertragliche Verfallfristen. Mit der Vereinbarung von Ausschlussfristen räumen die Arbeitsvertragsparteien im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit der Rechtssicherheit Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit ein. Dieser Zielsetzung widerspräche es, bei einer Versäumung einer vertraglichen Ausschlussfrist einer Partei auf ihren Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Aus dem vertraglichen Charakter im Arbeitsvertrag vereinbarter Verfallfristen ergeben sich so bedeutende Unterschiede zu den in § 233 ZPO genannten gesetzlichen Fristen, dass eine Gleichbehandlung nicht geboten ist.
dd) Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf die Entscheidung des Fünften Senats vom 8. März 1976 (– 5 AZR 361/75 – AP ZPO § 496 Nr. 4 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 26). Der Fünfte Senat hat in jenem Fall nicht einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung einer Ausschlussfrist stattgegeben. Er hat angenommen, dass ein Anspruchsteller in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 BGB aF (§ 206 BGB nF) bis zur Grenze höherer Gewalt die Gefahr trägt, dass die Klage innerhalb der Ausschlussfrist zugestellt wird, wenn er vor Ablauf einer einstufigen tariflichen Ausschlussfrist Klage einreicht, obwohl für die Wahrung der Frist ein einfacher Brief genügt hätte. Ein Fall höherer Gewalt liegt entgegen der Auffassung der Klägerin schon nicht vor. Der Mahnbescheidsantrag ihres Prozessbevollmächtigten wurde nicht auf Grund eines von der Klägerin oder ihrem Prozessbevollmächtigten nicht zu beeinflussenden Zustellungsfehlers der Post an den Beklagten fehlgeleitet. Der Antrag war so gefaltet, dass im Adressfeld des Fensterumschlags Name und Anschrift des Beklagten sichtbar waren. Das schließt den von der Klägerin behaupteten Zustellfehler der Post aus.
5. Die zweite Stufe der vertraglichen Ausschlussfrist ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht in analoger Anwendung von § 167 ZPO als gewahrt anzusehen. Diese Bestimmung regelt, dass die Wirkung der Zustellung bereits mit dem Eingang des Antrags oder der Erklärung eintritt, wenn die Zustellung demnächst erfolgt, wenn durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden soll. Die Vorschrift bezweckt einen Ausgleich zwischen den Interessen des Zustellungsadressaten und den des Zustellungsbetreibers, der das Zustellungsverfahren weitgehend nicht beeinflussen kann (Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 167 Rn. 1). Die rückbezogene Rechtswirkung soll eine vom Gericht verursachte Verzögerung der Zustellung im Interesse des Zustellungsbetreibers ausgleichen. Das gilt im Interesse des Zustellungsadressaten aber nur zeitlich begrenzt. Die Zustellung muss “demnächst”, also in einem nicht allzu erheblichen zeitlichen Abstand zum Fristablauf erfolgen. Diese Zwecksetzung des § 167 ZPO verbietet eine entsprechende Anwendung der Vorschrift, wenn ein Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids erst nach Ablauf einer Ausschlussfrist zur gerichtlichen Geltendmachung bei Gericht eingeht. In einem solchen Fall beruht eine Zustellung nach Fristablauf nicht auf einer vom Gericht verursachten Verzögerung.
6. Die Berufung des Beklagten auf die Versäumung der Ausschlussfrist ist nicht nach § 242 BGB treuwidrig.
a) Eine gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßende und damit gemäß § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung stellt die Berufung auf eine Ausschlussfrist dar, wenn die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit durch ein Verhalten der Gegenpartei veranlasst worden ist (BAG 5. Juni 2003 – 6 AZR 249/02 – EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 167, zu II 2c aa der Gründe; 10. Oktober 2002 – 8 AZR 8/02 – BAGE 103, 71, 77; 5. August 1999 – 6 AZR 752/97 – ZTR 2000, 36, zu 2a der Gründe; 8. August 2000 – 9 AZR 418/99 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 151 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 133, zu I 3 der Gründe; 22. Januar 1997 – 10 AZR 459/96 – AP BAT § 70 Nr. 27 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 125, zu II 1 der Gründe). Eine rechtsmissbräuchliche Berufung des Beklagten auf die zweistufige Verfallklausel setzt damit voraus, dass dieser die Klägerin von einer fristgerechten Klageerhebung abgehalten hat.
b) Daran fehlt es. Der Beklagte hat bei der Klägerin nicht den Eindruck erweckt, diese brauche die vereinbarten Fristen zur Geltendmachung des Rückzahlungsanspruches nicht einzuhalten. Er hat die Forderung der Klägerin unmissverständlich dem Grunde und der Höhe nach zurückgewiesen und mitgeteilt, dass eine Zahlung nicht erfolgen wird.
c) Weder der Beklagte noch sein Prozessbevollmächtigter mussten den dem Beklagten zugestellten Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids an die Klägerin zurück oder an das zuständige Arbeitsgericht weiterleiten. Das von der Klägerin insoweit geltend gemachte pflichtwidrige Unterlassen setzt eine entsprechende Rechtspflicht zum Handeln voraus. Ein solche Verpflichtung bestand nicht. Sie ergibt sich nicht auf Grund einer nachvertraglichen Treuepflicht des Beklagten. Dieser musste nicht seinen eigenen Interessen zuwider die Durchsetzung eines aus seiner Sicht ungerechtfertigten gegen ihn gerichteten Anspruchs der Klägerin fördern. Auch sein Prozessbevollmächtigter durfte den ihm vom Beklagten übergebenen Mahnbescheidsantrag in dessen Interesse behalten. Ob bei einer Weiterleitung des Antrags der Tatbestand des Parteiverrats erfüllt gewesen wäre, wie das der Prozessbevollmächtigte des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußert hat, braucht nicht entschieden zu werden. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hatte nicht den Rückzahlungsanspruch der Klägerin durchzusetzen. Der Beklagte hatte ihn zur Abwehr dieses Anspruchs beauftragt. Das schließt eine Verpflichtung zur Zurück- oder Weiterleitung des Antrags aus.
Unterschriften
Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, Hinsch, Reimann
Fundstellen