Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung eines bedingten Rechtsverhältnisses - Klärung des Freistellungsanspruches vor Mitteilung nach § 5 Abs 1 ArbWeitBiG NW
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Arbeitgeber in der Vergangenheit die Freistellung des Arbeitnehmers zum Zwecke der Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung abgelehnt, entsteht dadurch noch kein rechtliches Interesse an der Feststellung eines künftigen Freistellungsanspruches für den Fall, daß dieselbe Weiterbildungseinrichtung die gleiche Veranstaltung erneut durchführen wird.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 27.06.1991; Aktenzeichen 4 Sa 268/91) |
ArbG Herford (Entscheidung vom 09.01.1991; Aktenzeichen 2 Ca 1160/90) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger für den künftigen Besuch eines Sprachkurses bezahlt von der Arbeit freizustellen.
Der Kläger ist Diplomingenieur. Er wird bei der Beklagten als technischer Angestellter im Bauamt beschäftigt und im Bereich der Denkmalspflege eingesetzt. Nachdem ein anderer Mitarbeiter des Bauamtes, der über keine schulischen Englischkenntnisse verfügte, von der Arbeit freigestellt worden war, um bei der Volkshochschule der Stadt Bad O einen Englischkurs zu besuchen, bat der Kläger am 8. August 1990 um Freistellung für den in der Zeit vom 27. August bis 31. August 1990 veranstalteten Wiederholungskurs "ON THE WAY, Band I". Die Beklagte lehnte die Freistellung ab, da die Veranstaltung nicht der beruflichen Weiterbildung i.S. von § 1 Abs. 2 AWbG NW diene und im übrigen die Mindestmitteilungsfrist von 4 Wochen vor Beginn der Veranstaltung nicht eingehalten sei.
Mit seiner 1990 erhobenen Klage verfolgt der Kläger das Ziel, für eine künftige Wiederholung des Sprachkurses freigestellt zu werden. Da die Beklagte sich geweigert habe, den gewünschten Sprachkurs als Weiterbildungsmaßnahme anzuerkennen, sei Klage geboten.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist,
dem Kläger für die Teilnahme an einem Englisch-
sprachkurs bei der Volkshochschule auf seinen
rechtzeitigen Antrag Bildungsurlaub für eine Wo-
che zu gewähren, soweit der Sprachkurs nach § 9
AWbG als Bildungsveranstaltung anerkannt ist und
die Gründe des § 5 Abs. 2 AWbG nicht entgegenste-
hen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, der Kläger benötige für seine Tätigkeit keine Englischkenntnisse. Es sei auch nicht beabsichtigt, den Kläger an einem Bildschirmarbeitsplatz einzusetzen. Deshalb sei er mit seinem für den Besuch des Sprachkurses im Jahre 1990 freigestellten Arbeitskollegen nicht vergleichbar.
Das Arbeitsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen, da der Kläger nicht dargelegt habe, wie er die beim Sprachkurs vermittelten Kenntnisse bei seiner beruflichen Tätigkeit verwerten könne. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger weiterhin seinen Feststellungsantrag. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist unbegründet. Für die vom Kläger begehrte Feststellung ist das Feststellungsinteresse zu verneinen.
1. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, die begehrte Feststellung beziehe sich auf einen abgeschlossenen Vorgang der Vergangenheit, aus dem der Kläger noch Ansprüche ableite. Tatsächlich verfolgt der Kläger aber keine Ansprüche aus der im August 1990 verweigerten Freistellung. Der Vorfall aus dem Jahre 1990 hat lediglich den Streit der Parteien ausgelöst, ob ein Englisch-Sprachkurs der beruflichen Weiterbildung des Klägers im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (AWbG) dient und die Beklagte unter der Bedingung, daß die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, verpflichtet ist, ihn von seiner Arbeit freizustellen.
Nach § 256 Abs. 1 ZPO muß eine Feststellungsklage auf das gegenwärtige Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses gerichtet sein (BAGE 46, 322, 339 = AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAGE 58, 138, 141 = AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Senatsurteil vom 8. Dezember 1992 - 9 AZR 113/92 - NZA 1993, 475). Die Erwartung eines künftig entstehenden Rechtsverhältnisses genügt nicht (Zöller/Greger, ZPO, 18. Aufl., § 256 Rz 3; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 256 Rz 45). Der Inhalt künftiger Rechtsbeziehungen ist nur feststellungsfähig, soweit bedingte oder betagte Rechtsverhältnisse vorliegen, also die rechtserzeugenden Tatsachen, abgesehen von den Bedingungen oder dem Zeitablauf, bereits gegeben sind (BAG Urteil vom 26. November 1964 - 5 AZR 48/64 - AP Nr. 20 zu § 16 AOGÖ; BGHZ 28, 225, 234; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 51. Aufl., § 256 Rz 17; Zöller/Greger, ZPO, 18. Aufl., § 256 Rz 3; MünchKomm-Lüke, ZPO, § 256 Rz 28, 29; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 256 Rz 46). Im Streitfall liegen folgende rechtserzeugende Tatsachen bereits vor:
1. Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit Schwer--
punkt in Nordrhein-Westfalen (§ 2 AWbG An-
spruchsberechtigung),
2. Anerkennung des Trägers der Bildungsveranstal-
tung (sog. Trägeranerkennung gem. § 9 Satz 1 a
AWbG für die VHS Bad O ).
In dem Feststellungsantrag des Klägers werden die nach Auffassung des Klägers noch zu erfüllenden weiteren Bedingungen mit der Einhaltung der Mindestankündigungsfrist des § 5 Abs. 1 AWbG und dem Nichtentgegenstehen von zwingenden dienstlichen Belangen oder von Urlaubsanträgen anderer Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 2 AWbG umschrieben. Es wird daher keine abstrakte Rechtsfrage gestellt, sondern aus einer bereits bestehenden Rechtsbeziehung die begehrte Rechtsfolge, deren Eintritt von weiteren Bedingungen abhängig ist, abgeleitet.
2. Für diese Feststellung fehlt jedoch das vom Kläger nachzuweisende Feststellungsinteresse.
Ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen gerichtlichen Feststellung besteht, wenn dem Recht des Feststellungsklägers eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (BGHZ 69, 144, 147; BGH Urteil vom 7. Februar 1986 - V ZR 201/84 - MDR 1986, 743; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 51. Aufl., § 256 Rz 36; MünchKomm-Lüke, ZPO, § 256 Rz 37; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 256 Rz 63).
Mit der vom Kläger erstrebten bedingten Feststellung ist im Streitfall keine abschließende Klärung verbunden; denn es ist zweifelhaft, ob ein Feststellungsurteil die Unsicherheit für die Rechtsstellung des Klägers beseitigen könnte. Weder aus den Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts noch aus dem Vortrag der Parteien kann mit hinreichender Sicherheit entnommen werden, daß die VHS Bad O den im Antrag des Klägers bezeichneten Englischwiederholungskurs "ON THE WAY, Band I" aus dem August 1990 auch noch künftig veranstaltet. Wird dieser Sprachkurs überhaupt nicht mehr angeboten, geht die erstrebte Feststellung ins Leere. Wird in dem künftigen Angebot der Volkshochschule der Sprachkurs in veränderter Form angeboten, so tritt ebenfalls nicht die vom Kläger verfolgte Klärung ein; denn ob der veränderte Kurs als anerkannte Arbeitnehmerweiterbildung i.S. des § 9 Satz 1 in Verb. mit § 1 Abs. 2 AWbG gilt, hängt von seiner konkreten Programmgestaltung und seiner organisatorischen Durchführung ab. Eine rechtliche Prüfung des im August 1990 durchgeführten Sprachkurses nach den Maßstäben des § 1 Abs. 2 AWbG führt selbst dann nicht zu einer erschöpfenden Bereinigung des Streits der Parteien, wenn alle im Antrag genannten weiteren Bedingungen eintreten würden.
Durch diese Entscheidung wird der Kläger nicht rechtlos gestellt. Er hat es selbst in der Hand, durch eine frühzeitige Mitteilung an den Arbeitgeber i.S. des § 5 Abs. 1 AWbG die Voraussetzungen für die gerichtliche Durchsetzung eines Freistellungsanspruches zu schaffen.
II. Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Dr. Leinemann Dörner Düwell
Sperl Arntzen
Fundstellen
BB 1994, 2419 |
BB 1994, 2419-2420 (LT1) |
BB 1994, 652 |
DB 1994, 737 (LT1) |
NZA 1994, 452 |
NZA 1994, 452-453 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 372/94 (L) |
AP § 256 ZPO 1977 (LT1), Nr 23 |
EzA § 256 ZPO, Nr 39 (LT1) |
PersV 1994, 555-556 (L) |