Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung anderweiter Versorgungsleistungen
Leitsatz (amtlich)
- Setzt sich die betriebliche Altersrente aus einem dienstzeitunabhängigen Sockelbetrag und aus dienstzeitabhängigen Steigerungsbeträgen zusammen, dürfen Versorgungsleistungen aus vorausgegangenen Arbeitsverhältnissen auf den Sockelbetrag angerechnet werden.
- Eine solche Anrechnungsbestimmung verstößt nicht gegen § 5 Abs. 2 BetrAVG und den Gleichbehandlungsgrundsatz. Versorgungsansprüche des Arbeitnehmers gegen eine vom früheren Arbeitgeber finanzierte Unterstützungskasse beruhen nicht auf eigenen Beiträgen des Arbeitnehmers. Es ist nicht willkürlich, wenn derjenige Arbeitnehmer ein höheres Ruhegeld erhält, dem es nicht gelungen ist, in früheren Arbeitsverhältnissen eine betriebliche Altersversorgung mindestens in Höhe des kürzbaren Sockelbetrages zu erwerben.
Normenkette
BetrAVG § 5 Abs. 2, §§ 1, 2 Abs. 5 S. 3, § 7 Abs. 7; GG Art. 14 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.11.1989; Aktenzeichen 4 b Sa 52/89) |
ArbG Heilbronn (Urteil vom 08.06.1989; Aktenzeichen 2 Ca 496/88 C) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 23. November 1989 – 4 b Sa 52/89 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte, der frühere Arbeitgeber des Klägers, auf die geschuldeten Versorgungsleistungen Beträge anrechnen darf, die der Kläger vom Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) als Versorgung aus einem früheren Arbeitsverhältnis erhält.
Der am 1. April 1925 geborene Kläger war vom 1. September 1977 bis zum 31. März 1988 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte gewährt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Die Ansprüche sind in einer Betriebsvereinbarung vom 23. September 1976 geregelt. Der Kläger hat nach dieser Versorgungsordnung – vorbehaltlich der Anrechnung anderweitiger Versorgungsbezüge – ab 1. April 1988 Anspruch auf eine Altersrente von 140,50 DM. Dieses Ruhegehalt setzt sich aus einem Sockelbetrag von 89,70 DM und einem Steigerungsbetrag von 50,80 DM (je Dienstjahr 5,08 DM in der für den Kläger maßgeblichen Rentengruppe) zusammen.
Auf den rechnerisch unstreitigen Betrag von 140,50 DM will die Beklagte die Zahlungen anrechnen, die der Kläger vom PSV aufgrund eines früheren Arbeitsverhältnisses erhält. Der Kläger hatte bei der H… GmbH & Co. KG eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben. Für diesen Arbeitgeber, über dessen Vermögen am 28. Oktober 1976 das Konkursverfahren eröffnet wurde, zahlte der PSV dem Kläger ab 1. April 1988 monatlich 59,93 DM und ab 1. Oktober 1988 monatlich 64,80 DM. Die Beklagte kürzte deshalb das Ruhegehalt des Klägers um diese Leistungen. Sie stützt sich auf § 11 Nr. 3 der Versorgungsordnung:
“Auf den in der Tabelle (Anlage 1) vorgesehenen Sockelbetrag (Anspruch nach 10 Dienstjahren abzüglich des Zehnfachen des jährlichen Steigerungsbetrages) werden zeitanteilig alle Ansprüche und Abfindungen von Versorgungsansprüchen sowie Renten angerechnet, die der Mitarbeiter oder seine Hinterbliebenen aufgrund eines früheren Arbeitsverhältnisses gegen einen früheren Arbeitgeber bzw. dessen selbständige Versorgungseinrichtung geltend machen können oder von diesem erhalten, soweit diese nicht auf eigener Beitragsleistung beruhen.”
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung von Versorgungsansprüchen gegen frühere Arbeitgeber auf die bei der Beklagten erworbenen Versorgungsansprüche sei nicht zulässig; der Versorgungsanspruch gegen die H… GmbH & Co. KG (hier gegen den PSV) beruhten auf seiner Arbeitsleistung und damit auf eigenen Beiträgen. Auch sei die Anrechnung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbaren. Sie führe zu einer willkürlichen Schlechterstellung der Arbeitnehmer, die durch ihre Arbeitsleistung unverfallbare Anwartschaften anderweitig erworben hätten.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn restliches Ruhegeld für die Zeit vom 1. April 1988 bis 31. Mai 1989 in Höhe von 877,80 DM nebst 4 % Zinsen seit 1. Juni 1989 zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 1. Juni 1989 über die bereits gezahlten 75,70 DM hinaus monatlich weitere 64,80 DM, also eine Betriebsrente von monatlich 140,50 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die vorgenommene Anrechnung verstoße weder gegen zwingende Bestimmungen des Betriebsrentenrechts noch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger kann von der Beklagten keine höhere Altersrente verlangen. Die Beklagte hat zu Recht die Versorgungsleistungen des PSV auf das betriebliche Ruhegeld angerechnet.
I. Voraussetzungen und Umfang der Anrechnungen sind für die Arbeitnehmer erkennbar und eindeutig beschrieben (vgl. BAG Urteil vom 5. September 1989 – 3 AZR 654/87 – AP Nr. 32 zu § 5 BetrAVG). Nach § 11 Nr. 3 der Allgemeinen Versorgungsordnung ist der Arbeitgeber berechtigt, die Leistungen eines früheren Arbeitgebers anzurechnen.
Zu den anrechenbaren Versorgungsleistungen gehören auch Leistungen des PSV, die dieser anstelle des früheren Arbeitgebers nach § 7 Abs. 2 BetrAVG erbringen muß.
Die Anrechnung von Renten aus einem früheren Arbeitsverhältnis ist nach der Versorgungsordnung der Beklagten nur eingeschränkt möglich. Diese Renten können nicht auf das gesamte betriebliche Ruhegeld der Beklagten, sondern nur auf den Sockelbetrag angerechnet werden (§ 5 der Versorgungsordnung in Verb. mit Anlage 1, dem Leistungsplan). Für jedes Dienstjahr erhält der Arbeitnehmer entsprechend seiner Rentengruppe einen in DM ausgewiesenen Betrag. Im Falle des Klägers sind das 5,08 DM. Nach zehn Dienstjahren hätte der Kläger daher Anspruch auf eine monatliche Rente von 50,80 DM. Dieser Betrag bleibt nach der Anrechnungsregelung unangetastet. Dasselbe gilt für die Beträge, die der Arbeitnehmer in den folgenden Dienstjahren durch weitere Betriebszugehörigkeit erdient. Der Anrechnung unterliegt daher nur ein Teil der Rente, der dienstzeitunabhängig errechnet und als “Sockelbetrag” bezeichnet wird.
II. Diese Regelung über die Anrechnung von Renten aus einem früheren Arbeitsverhältnis auf den Sockelbetrag verstößt nicht gegen zwingendes Recht.
1. Die Anrechnungsbestimmung weicht nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer von den §§ 2 bis 5 BetrAVG ab (§ 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG). Sie verstößt auch nicht gegen die Unverfallbarkeitsregelung in § 1 BetrAVG.
a) Durch die Anrechnungsregel wird die Unverfallbarkeitsregelung des § 1 BetrAVG entgegen der Auffassung des Klägers nicht “aus den Angeln gehoben”. § 1 BetrAVG regelt nicht die Berechnung der Versorgungsleistungen aus späteren Arbeitsverhältnissen. Diese Bestimmung schränkt vielmehr die Verfallbarkeit eines Versorgungsanspruchs beim Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Unternehmen ein. Die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt unter den Voraussetzungen des § 1 BetrAVG nicht zum Verlust einer Versorgungsanwartschaft. Diese Anwartschaft wird nach § 11 Nr. 3 der Versorgungsordnung nicht angetastet. Ansprüche aus dieser Versorgungsanwartschaft bleiben dem Arbeitnehmer in jedem Falle erhalten (vgl. BAG Urteil vom 17. Mai 1988 – 3 AZR 400/86 – AP Nr. 27 zu § 5 BetrAVG).
b) § 2 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG steht der Anrechnung ebenfalls nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung dürfen Versorgungsanwartschaften, die der Arbeitnehmer nach seinem Ausscheiden erwirbt, zu keiner Kürzung des Teilanspruchs führen. Das ist hier auch nicht der Fall. Von der H… GmbH & Co. KG (hier vom PSV) erhält der Kläger seinen ungekürzten Teilanspruch.
Die Bestimmung kann nicht auf den umgekehrten Fall der Kürzung eines später erworbenen Versorgungsanspruchs um den aufrechterhaltenen Versorgungsanspruch gegen den ersten Arbeitgeber angewendet werden. Die Bestimmung sichert die Unverfallbarkeit. Sie steht in sachlichem Zusammenhang mit § 1 BetrAVG und ist im ersten Abschnitt dieses Gesetzes geregelt. Fragen der Anrechnung werden erst im zweiten Abschnitt des Gesetzes geregelt.
c) Die Betriebsvereinbarung mit der beschränkten Anrechnungsmöglichkeit verstößt nicht gegen § 5 Abs. 2 BetrAVG.
Zwar dürfen nach § 5 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht durch Anrechnung oder Berücksichtigung anderer Versorgungsbezüge gekürzt werden, soweit diese Versorgungsbezüge auf eigenen Beiträgen des Versorgungsempfängers beruhen. Die Versorgungsbezüge, die der Kläger vom PSV erhält, beruhen aber nicht auf eigenen Beiträgen des Klägers. Die Betriebsrente aus dem ersten Arbeitsverhältnis mit der H… GmbH & Co. KG war zunächst als Leistung einer Unterstützungskasse vorgesehen, die ausschließlich vom früheren Arbeitgeber finanziert wurde. Betriebstreue und Arbeitsleistungen, auf die der Kläger abstellen will, stellen keinen eigenen Beitrag im Sinne des § 5 Abs. 2 BetrAVG dar.
Was mit Beiträgen gemeint ist, ergibt sich aus § 5 Abs. 2 Satz 2 BetrAVG. Diese Bestimmung schränkt das Anrechnungsverbot des § 5 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG ein. Beide Bestimmungen stehen in einem sachlichen Zusammenhang. Dieser systematische Zusammenhang muß bei der Auslegung berücksichtigt werden. Satz 2 dieser Bestimmung verdeutlicht, daß Arbeitsleistungen und Betriebstreue kein eigener Beitrag sind, sondern daß es darauf ankommt, wer die Mittel für die anderen Versorgungsbezüge aufgebracht hat.
Nur ein solches Verständnis der Norm entspricht auch dem Gesetzeszweck und der Entstehungsgeschichte. Das Anrechnungsverbot des § 5 Abs. 2 BetrAVG will die Eigenvorsorge eines Arbeitnehmers fördern und schützen. Diese Auslegung läßt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes belegen (BT-Drucks. 7/1281, S. 29 und 7/2843, S. 8 und 25). Sie entspricht der überwiegenden Auffassung in der Literatur (Blomeyer/Otto, BetrAVG, § 5 Rz 69; Höfer/Abt, BetrAVG, 2. Aufl., § 5 Rz 72 und 73; Höhne in Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, BetrAVG, 2. Aufl., § 5 Rz 62). Danach dürfen nur Versorgungsleistungen nicht angerechnet werden, die sich der Arbeitnehmer ohne Beteiligung des Arbeitgebers auf eigene Kosten verschafft hat (vgl. BAG Urteil vom 10. August 1970 – 3 AZR 443/69 – AP Nr. 145 zu § 242 BGB Ruhegehalt und BAG Urteil vom 26. Oktober 1973 – 3 AZR 377/72 – AP Nr. 161 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Im vorliegenden Fall hat der Kläger keine Beiträge im Sinne dieser Bestimmung erbracht.
Aus § 5 Abs. 2 Satz 2 BetrAVG ergeben sich keine weiteren Anrechnungsverbote. Diese Bestimmung schränkt nur das Anrechnungsverbot des § 5 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG ein. Wenn bereits § 5 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG einer Anrechnung nicht entgegensteht, kommt es auf § 5 Abs. 2 Satz 2 BetrAVG nicht mehr an.
2. Auch gesetzliche Regelungen außerhalb des BetrAVG stehen einer Anrechnung im vorliegenden Fall nicht entgegen.
a) § 5 Abs. 2 BetrAVG enthält keine abschließende Regelung (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, u.a. Urteil vom 24. März 1987 – 3 AZR 344/85 – AP Nr. 24 zu § 5 BetrAVG; BAGE 59, 217, 221 = AP Nr. 28 zu § 5 BetrAVG, zu II 2b der Gründe). Sie sollte es nach dem Willen des Gesetzgebers auch nicht sein. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ging davon aus, daß “Anrechnungsbegrenzungen über die Regelungen des § 5 hinaus auch künftig nach sonstigen gesetzlichen Vorschriften und nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen (insbesondere Gleichbehandlung, Willkürverbot) gelten”.
b) Art. 14 Abs. 1 GG wird durch die Regelung des § 11 Nr. 3 der Versorgungsordnung nicht verletzt. Der Kläger erhält seine betriebliche Altersversorgung aus dem früheren Arbeitsverhältnis ungekürzt.
c) Die Versorgungsordnung verstößt auch nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Versorgungsordnung stellt sowohl auf Leistungen des Arbeitnehmers (Betriebstreue und Arbeitsleistungen) als auch auf den Versorgungsbedarf des Begünstigten ab. Die Arbeitnehmer erhalten den leistungsbezogenen und dienstzeitabhängigen Anteil der Rente ungekürzt. Das sind im vorliegenden Fall 50,80 DM (10 × 5,08 DM). Zum anderen wird ihnen ein dienstzeitunabhängiger Sockelbetrag gewährt. Diese Leistung ist allein am Bedarf der Arbeitnehmer orientiert. Mit dem Sockelbetrag soll eine Versorgungslücke geschlossen werden. Gegen die Orientierung am Versorgungsbedarf bestehen keine rechtlichen Bedenken (BAG Urteil vom 17. Mai 1988 – 3 AZR 400/86 – AP, aaO, zu 4a der Gründe). Den Versorgungsbedarf können Arbeitgeber und Betriebsrat näher beschreiben. Es ist nicht willkürlich, wenn derjenige Arbeitnehmer ein höheres Ruhegeld erhält, dem es nicht gelungen ist, in früheren Arbeitsverhältnissen eine betriebliche Altersversorgung mindestens in Höhe des kürzbaren Sockelbetrages zu erwerben.
Unterschriften
Dr. Heither, Griebeling, Kremhelmer, Gnade, Dr. Kiefer
Fundstellen
BAGE, 282 |
BB 1991, 1718 |
RdA 1991, 253 |
ZIP 1991, 951 |