Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzurlaub für Schwerbehinderte
Leitsatz (amtlich)
Die Ungewißheit über das Ergebnis des Feststellungsverfahrens nach § 4 Abs 1 SchwbG kann die Übertragung des Zusatzurlaubs nach § 47 Abs 7 Unterabsatz 2 Satz 1 BAT bis zum 30. April des Folgejahres nicht bewirken.
Normenkette
BAT § 47 Abs. 7 Unterabs. 2 Fassung: 1991-12-31; BAT § 47 Abs. 7 Unterabs. 4 Fassung: 1991-12-31; SchwbG §§ 4, 47
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 11.05.1993; Aktenzeichen 11 Sa 1761/92) |
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 16.10.1992; Aktenzeichen 8 Ca 1695/92) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Umfang des Anspruchs des Klägers auf Zusatzurlaub für Schwerbehinderte im Urlaubsjahr 1991.
Der Kläger wird bei der Standortverwaltung U der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Beide Parteien sind tarifgebunden.
Auf den Antrag des Klägers hat das zuständige Versorgungsamt mit Rückwirkung auf den Antragseingang, den 30. Oktober 1991, das Vorliegen einer Behinderung festgestellt und den Grad der Behinderung auf 50 festgesetzt. Den Bescheid des Versorgungsamtes erhielt der Kläger am 17. Februar 1992. Daraufhin verlangte er von der Beklagten die Gewährung von fünf Tagen Schwerbehindertenurlaub für das Jahr 1991. Mit Schreiben vom 17. März 1992 teilte die Beklagte mit, daß ihm für das Jahr 1991 lediglich ein anteiliger Anspruch für die Monate November und Dezember 1991 zustehe. Zur Erfüllung dieses Anspruchs stellte die Beklagte den Kläger für einen Tag von der Arbeit frei.
Mit der am 29. April 1992 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm aus 1991 vier Tage Urlaub zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
1. Der Kläger hat im Urlaubsjahr 1991 einen Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 47 Satz 1 SchwbG erworben; denn er war im Urlaubsjahr 1991 Schwerbehinderter im Sinne von § 1 SchwbG. Dies hat das zuständige Versorgungsamt mit Wirkung zum 30. Oktober 1991, dem Tage der Antragstellung nach § 4 SchwbG, festgestellt.
2. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, betrug der Anspruch des Klägers auf vollen Zusatzurlaub nach § 47 SchwbG bei einer Arbeitsverpflichtung von fünf Arbeitstagen in der Kalenderwoche fünf Urlaubstage.
Entgegen der Auffassung der Beklagten war der Zusatzurlaub nicht in entsprechender Anwendung des § 48 Abs. 5 BAT auf 2/12 zu verringern, weil der Bescheid des Versorgungsamtes die Feststellung erst mit Rückwirkung auf den Tag des Eingangs des Antrags zum 30. Oktober 1991 getroffen hat. Unabhängig davon, ob die Behinderung schon vor der Antragstellung vorhanden war, steht dem Kläger der volle Zusatzurlaub und nicht nur ein Teilurlaub zu. Maßgeblich für das Entstehen des vollen Zusatzurlaubsanspruchs ist nämlich allein der Umstand, daß im Urlaubsjahr eine Schwerbehinderung im Sinne des § 1 SchwbG vorlag. § 47 SchwbG enthält keine § 5 BUrlG vergleichbare Teilurlaubsregelung für die Fälle, in denen die Schwerbehinderung erst im späteren Verlauf des Urlaubsjahres entsteht oder festgestellt wird. Nach § 47 Satz 1 SchwbG ist für die Entstehung des Zusatzurlaubsanspruches keine Erfüllung einer „Wartezeit” erforderlich. Daraus folgt, daß der Schwerbehinderte, der während des gesamten Urlaubsjahrs beschäftigt wird, den vollen Zusatzurlaub erhält (so bereits BAGE 52, 258 = AP Nr. 6 zu § 44 SchwbG und BAGE 65, 122 = AP Nr. 53 zu § 7 BUrlG Abgeltung; a.A. unzutreffend Bengelsdorf, RdA 1983, 25, 36; Cramer, SchwbG, 4. Aufl., § 47 Rz 4).
Ein Teilanspruch auf Zusatzurlaub als Teil des dem Schwerbehinderten zustehenden Gesamturlaubs kommt entsprechend §§ 4, 5 BUrlG nur für die Urlaubsjahre in Betracht, in denen das Arbeitsverhältnis begründet oder beendet wird (vgl. Senatsurteile vom 21. Februar 1995 - 9 AZR 675/93 - und - 9 AZR 166/94 - beide zur Veröffentlichung vorgesehen).
3. Der Anspruch des Klägers auf restlichen Zusatzurlaub ist allerdings mit Ablauf des Jahres 1991 erloschen (§ 47 Abs. 7 Unterabs. 4 BAT). Das Landesarbeitsgericht hat übersehen, daß der Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 47 Abs. 7 Unterabs. 4 BAT verfällt, wenn er nicht nach § 47 Abs. 7 Unterabs. 2 BAT übertragen worden ist.
a) Das Erlöschen des Anspruchs auf Zusatzurlaub richtet sich nach denselben Regelungen wie für den tariflichen Grundurlaub (BAGE 65, 122, 127 = AP Nr. 53 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu II der Gründe). Nach § 47 Abs. 7 Unterabs. 1 BAT war der Urlaub des Urlaubsjahres 1991 einschließlich des Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte bis zum 31. Dezember 1991 anzutreten. Nach § 47 Abs. 7 Unterabs. 2 Satz 1 BAT mußte daher auch der Zusatzurlaub, der bis zum 31. Dezember 1991 nicht genommen werden konnte, bis zum 30. April 1992 angetreten werden. Die Übertragung des Urlaubs bis zum 30. April 1992 setzt einen sachlichen Grund voraus, der den Urlaubsantritt bis zum 31. Dezember 1991 aus betrieblichen oder persönlichen Gründen verhindert (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Februar 1995, § 47 Erl. 11 a; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, BAT, Stand Februar 1995, § 47 Erl. 26).
b) Die Ungewißheit über das Ergebnis des versorgungsamtlichen Feststellungsverfahrens nach § 4 SchwbG ist kein in der Person des Arbeitnehmers liegender Übertragungsgrund. Das hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts bereits mehrfach entschieden (vgl. BAG Urteil vom 13. Juni 1991 - 8 AZR 360/90 - AuR 1991, 248 und BAGE 52, 258 = AP Nr. 6 zu § 44 SchwbG). Der erkennende Senat schließt sich dem auch für die Übertragungsregelung des BAT an (vgl. Senatsurteil vom 21. Februar 1995 - 9 AZR 675/93 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
c) Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß bei der Beklagten eine abweichende betriebliche Übung bestand. Der Kläger hat keine Tatsachen dafür dargelegt, daß es bei der Beklagten üblich war, zunächst das Ergebnis des Feststellungsverfahrens abzuwarten und dann im nachhinein den – zwischenzeitlich verfallenen – Zusatzurlaub zu gewähren.
4. Der Kläger hat keinen Ersatzanspruch auf Zusatzurlaub. Voraussetzung für einen derartigen Ersatzanspruch wäre, daß sich die Beklagte beim Untergang des Anspruchs in Verzug befunden hätte. Der Kläger hat aber seinen Anspruch auf Zusatzurlaub nicht bis zum 31. Dezember 1991 geltend gemacht. Nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger erstmalig die Gewährung von Zusatzurlaub verlangt, nachdem er am 17. Februar 1992 den Bescheid des Versorgungsamtes erhalten hatte.
II.
Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Rechtsmittel nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Leinemann, Dörner, Düwell, Gaber, Ott
Fundstellen
Haufe-Index 60027 |
BB 1995, 1801 |
BB 1995, 1801-1802 (LT1) |
NZA 1995, 1008 |
NZA 1995, 1008-1009 (LT1) |
ZTR 1995, 466-467 (LT1) |
AP, (LT1)chst) |
AR-Blattei, ES 1440 Nr 115 (LT1) |
EzA, (LT1) |
br 1995, 163 (L) |