Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Kündigungsbeschränkungen. Rückwirkung
Leitsatz (redaktionell)
Tarifliche Kündigungsbeschränkungen sind auf Kündigungen, die vor Beginn des zeitlichen Geltungsbereichs des einschlägigen Tarifvertrages (hier: Tarifvertrag zur Änderung des Tarifvertrages über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 17.12.1985) ausgesprochen worden sind, jedenfalls dann nicht anwendbar, wenn sich aus dem Tarifvertrag nicht eindeutig der Wille der Tarifpartner ergibt, die neue Regelung auch auf Tatbestände zu erstrecken, die in der Vergangenheit liegen (Bestätigung des Urteils des Senates vom 1. Dezember 1977, 2 AZR 429/76 = DB 1978, 701 und im Anschluß an BAG Urteil vom 1.12.1977, 2 AZR 429/76 = BAGE, 38, 107, 111 = AP Nr 2 zu § 2 KSchG 1969).
Normenkette
TVG § 1; BGB § 612a
Verfahrensgang
LAG Bremen (Entscheidung vom 03.06.1987; Aktenzeichen 2 Sa 709/86) |
ArbG Bremen (Entscheidung vom 24.09.1986; Aktenzeichen 7 Ca 7068/86) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung von Vorruhestandsgeld und als Vorfrage um die Wirksamkeit einer Kündigung des Beklagten zum 31. Dezember 1985.
Der am 23. Februar 1928 geborene Kläger war bei dem Beklagten, der im Sommer drei und im Winter zwei Arbeitnehmer beschäftigt, als Maurer ab dem 13. April 1983 bis zunächst zum 31. Dezember 1983 beschäftigt. Ab 1. Januar 1984 war der Kläger arbeitslos und erhielt Arbeitslosengeld. Vom 7. Mai 1984 bis zum 31. Dezember 1984 war er wieder bei dem Beklagten beschäftigt. Vom 1. Januar 1985 an erhielt er erneut Arbeitslosengeld, da er die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verursacht hatte. Der Kläger schied in diesen Jahren jeweils aufgrund ordentlicher Kündigung durch den Beklagten aus. Ab dem 28. Mai 1985 wurde der Kläger wiederum bei dem Beklagten beschäftigt.
In der Zeit vom 1. März 1971 bis einschließlich Februar 1986 war der Kläger 158 Monate lang in Bauunternehmen, die unter den Geltungsbereich des BRTV für das Baugewerbe fallen, beschäftigt. Vom 1. März 1981 bis zum 28. Februar 1986 war der Kläger an 1.246 Kalendertagen beitragspflichtig beschäftigt.
Am 9. November 1985 übergab der Kläger dem Beklagten einen schriftlichen Antrag auf Gewährung von Vorruhestandsgeld ab dem 1. März 1986 gemäß dem Tarifvertrag über Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. September 1984 (VRTV 84). Der VRTV 84 ist mit Wirkung vom 1. Oktober 1984 mit hier nicht interessierenden Einschränkungen allgemeinverbindlich (BAnz 1984, 13662). Die hier maßgebenden Tarifvorschriften lauten wie folgt:
"§ 2
Anspruchsvoraussetzungen
(1) der Anspruch auf Vorruhestandsgeld entsteht unter
den Voraussetzungen des Abs. 2
im Jahre 1985 für Arbeitnehmer, die vor dem Jahr
1928 geboren sind,
im Jahre 1986 für Arbeitnehmer, die vor dem Jahr
1929 geboren sind,
im Jahre 1987 für Arbeitnehmer, die vor dem Jahr
1930 geboren sind,
im Jahre 1988 für Arbeitnehmer, die vor dem Jahr
1931 geboren sind,
ab dem 1. Januar 1989 für Arbeitnehmer, die vor
diesem Zeitpunkt das 58. Lebensjahr vollendet
haben.
(2) Voraussetzung für den Anspruch auf Vorruhestandsgeld
ist, daß der Arbeitnehmer
a) das 58. Lebensjahr vollendet hat,
b) innerhalb der letzten 15 Jahre vor Beginn des
Vorruhestandes eine Wartezeit von 120 Monaten
zurückgelegt hat; als Wartezeit gelten alle
Zeiten der Tätigkeit und eines Lehr- (Ausbil-
dungs-) oder Anlernverhältnisses in Betrieben
des Baugewerbes, ferner Zeiten der nachgewiese-
nen Krankheit oder Arbeitslosigkeit oder einer
baufachbezogenen Berufsförderung nach dem Ar-
beitsförderungsgesetz (AFG) zur Vermeidung von
Arbeitslosigkeit bis zu insgesamt 30 Monaten
und Tätigkeitszeiten gemäß § 5 Abs. 7 TVA,
c) innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beendigung
des Beschäftigungsverhältnisses mindestens 1080
Kalendertage in einer die Beitragspflicht be-
gründenden Beschäftigung im Sinne des § 168 AFG
gestanden hat; Zeiten des Bezuges von Arbeits-
losengeld oder Arbeitslosenhilfe sowie Zeiten im
Sinne des § 107 Nrn. 2 bis 6 AFG stehen diesen
Beschäftigungszeiten gleich,
d) dem Betrieb (Unternehmen) unmittelbar vor Beginn
des Vorruhestandes ununterbrochen mindestens
zwölf Monate angehört hat; die Betriebszugehörig-
keit gilt als ununterbrochen, wenn die Unter-
brechung nicht vom Arbeitnehmer veranlaßt wurde
und nicht länger als sechs Monate gedauert hat;
Unterbrechungszeiten bleiben unberücksichtigt.
........
§ 4
Beginn des Vorruhestandes und Einspruchsrecht
(1) Der Vorruhestand kann nur am Ersten eines Kalender-
monats beginnen, frühestens am Ersten des auf die
Vollendung des 58. Lebensjahres folgenden Monats.
(2) Die Zahlung von Vorruhestandsgeld ist unter Angabe
des gewünschten Beginns des Vorruhestandes schrift-
lich beim Arbeitgeber zu beantragen. Der Vorruhe-
stand beginnt frühestens drei Monate nach Zugang
des Antrags.
(3) Der Arbeitgeber ist berechtigt, den Beginn des
Vorruhestandes durch schriftlichen Einspruch ge-
genüber dem Arbeitnehmer hinauszuschieben,
längstens um sechs Monate, gerechnet vom Zeitpunkt
des beantragten Beginns des Vorruhestandes an. Sind
die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 zu diesem Zeit-
punkt noch nicht erfüllt, so beginnt die aufschie-
bende Wirkung des Einspruchs, sofern der Arbeitneh-
mer seinen Antrag aufrechterhält, zu dem Zeitpunkt,
in welchem die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 er-
füllt sind. Der Einspruch bedarf keiner Begründung.
Das Recht zum Einspruch erlischt, wenn dieser dem
Arbeitnehmer nicht spätestens einen Monat vor dem
gemäß Abs. 2 beantragten Beginn des Vorruhestandes
zugegangen ist.
(4) Während der Zeit, um die der Beginn des Vorruhe-
standes durch den Einspruch des Arbeitgebers
hinausgeschoben wird, kann das Arbeitsverhältnis
nur aus wichtigem Grund gekündigt werden."
Einen schriftlichen Einspruch gegen den Vorruhestand erhob der Beklagte nicht.
Im Laufe des Dezember 1985 - spätestens am 16. - kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum Jahreswechsel.
Am 1. Januar 1986 trat der Tarifvertrag vom 17. Dezember 1985 zur Änderung des Tarifvertrages über den Vorruhestand vom 26. September 1984 (ÄndTV) in Kraft, mit dem die §§ 4, 5 und 6 VRTV 84 neu gefaßt wurden. § 4 Abs. 5 ÄndTV, der infolge eines neu eingefügten Absatzes den bisherigen Absatz 4 ablöste, lautet wie folgt:
"In den letzten 3 Monaten vor dem beantragten Vorruhestandsbeginn und während der Zeit, um die der Beginn hinausgeschoben wird, kann das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber nur aus wichtigem Grund gekündigt werden."
Am 19. Februar 1986 wurde der VRTV 84 in der Fassung des ÄndTV mit Wirkung vom 1. Januar 1986 an für allgemeinverbindlich erklärt (BAnz 1986, 2098).
Mit seiner am 28. Februar 1986 dem Beklagten zugestellten Klage begehrt der Kläger vom Beklagten Zahlung des Vorruhestandsgeld ab 1. März 1986.
Er hat behauptet, bei der Übergabe des Antrages auf Vorruhestandsgeld habe der Beklagte ihm erklärt, er könne in den Vorruhestand gehen, wenn ihn dies kein Geld koste. Erst nachdem der Beklagte von der ZVK in Wiesbaden erfahren habe, daß er die Sozialversicherungsbeiträge anteilig für den Vorruhestand zu tragen habe, habe er die Kündigung ausgesprochen. Die Kündigung sei allein zu dem Zweck erfolgt, die mit dem Vorruhestand verbundenen finanziellen Belastungen zu vermeiden.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei unwirksam, weil sie gegen Treu und Glauben verstoße.
Er hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ab 1. März 1986 ein Vorruhestandsgeld von monatlich 2.417,07 DM brutto, fällig am jeweils Letzten des jeweiligen Monats, zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat behauptet, der Kläger sei nicht wegen des Antrages auf Vorruhestandsgeld, sondern wegen der saisonbedingt schlechten Auftragslage gekündigt worden. Die Kündigung sei bereits zu einem früheren Zeitpunkt beabsichtigt gewesen. Nur um dem Kläger den Lohnausgleich zwischen Weihnachten und Sylvester aus der ZVK zu erhalten, sei sie zunächst zurückgestellt worden. Bereits Anfang Dezember 1985 sei absehbar gewesen, daß für drei Arbeitnehmer keine Beschäftigungsmöglichkeit vorhanden gewesen wäre. Hauptauftraggeber seines Betriebes sei die Evangelische Kirche Bremen. Deren Etat erlaube die Vergabe von Bauarbeiten lediglich bis zum 31. Dezember eines Jahres. Neubewilligungen erfolgten danach erst im März oder April des Folgejahres. Die anderen Arbeitnehmer seien länger im Betrieb beschäftigt und höher qualifiziert. Der Kläger sei bereits bei Beantragung des Vorruhestandsgeldes von ihm befragt worden, was dieser Antrag solle, da er ohnehin wisse, daß demnächst die Kündigung wegen Arbeitsmangel erfolgen müsse.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.
Zur Begründung seiner dagegen gerichteten Berufung hat der Beklagte vorgetragen, dem Kläger sei bereits bei der Einstellung im März 1985 erklärt worden, das Arbeitsverhältnis werde, wie in den vorangegangenen Jahren, höchstens bis Ende Dezember aufrechterhalten. Seine Kündigung sei zum 31. Dezember 1985 wirksam geworden. Selbst wenn man mit dem Arbeitsgericht von einer Beendigung zum 1. Januar 1986 ausgehe, führe dies nicht zur Anwendung der an diesem Tage in Kraft getretenen Kündigungsbeschränkung des § 4 Abs. 5 ÄndTV. Die Wirksamkeit einer Kündigung sei nach der Rechtslage bei ihrem Ausspruch zu beurteilen. Es verstieße gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot, wenn bereits beendete Arbeitsverhältnisse durch die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages mit rückwirkender Kraft wieder "ins Leben gerufen" werden könnten.
Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger verfolgt mit der Revision sein Klageziel weiter, während der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Vorruhestandsgeld zu.
Nach dem VRTV sowohl in der Fassung vom 26. September 1984 als auch in der Fassung des ÄndTV vom 17. September 1985 sei Voraussetzung für den Anspruch auf Vorruhestandsgeld das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bis zum Beginn des Vorruhestandes.
Die zum Jahresende ausgesprochene ordentliche Kündigung sei gemäß § 3 des allgemeinverbindlichen TV Lohnausgleich zwar erst mit Ablauf des 1. Januar 1986 aber damit vor dem vorliegenden maßgebenden Zeitpunkt (1. März 1986) wirksam geworden. Mit Beginn des Jahres 1986 sei zwar auch die Neufassung des VRTV in Kraft getreten, nach der die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in den letzten drei Monaten vor dem beantragten Vorruhestandsbeginn vom Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängig gemacht werde. Die ab 1. Januar geltende Kündigungsbeschränkung sei aber bei der Beurteilung der streitigen Kündigung nicht zu berücksichtigen. Dies ergebe sich aus den allgemeinen Grundsätzen der Tarifauslegung zur Frage der Rückwirkung eines Tarifvertrages. Die Kündigung des Klägers sei als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung mit ihrem Zugang abgeschlossen gewesen. Eine Rückwirkung des in § 4 Abs. 5 ÄndTV enthaltenen Kündigungsverbotes komme daher schon aus Rechtsgründen nicht in Betracht. Die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften müsse grundsätzlich an den Rechtsnormen gemessen werden, die zur Zeit ihrer Vornahme bestanden.
Selbst wenn die Tarifvertragsparteien dem § 4 Abs. 5 ÄndTV Rückwirkung hätten beilegen wollen, so wäre dies aus Rechtsgründen unzulässig gewesen. Tatsächlich finde sich in dem Tarifvertrag jedoch auch kein Hinweis, daß ein solcher Wille der Tarifvertragsparteien bestanden habe.
Die Kündigung könne wegen fehlender Anwendbarkeit des KSchG nur dann rechtsunwirksam sein, wenn sie sittenwidrig sei oder gegen Treu und Glauben verstieße. Sittenwidrig sei eine Kündigung dann, wenn sie die Grenze der Sozialwidrigkeit überschreite und wegen ihres Zwecks und der Motive des Kündigenden verwerflich sei. Darlegungs- und beweispflichtig für einen solchen Sachverhalt sei der Arbeitnehmer. Dieser Verpflichtung sei der Kläger nicht nachgekommen. Er habe dazu lediglich vorgetragen, es sei davon auszugehen, daß die Kündigung allein aufgrund des Antrages auf Vorruhestandsgeld erfolgt sei. Dem stehe schon der unstreitige Sachverhalt entgegen, wonach der Kläger auch in den beiden vorausgegangenen Jahren jeweils nur bis zum 31. Dezember bei dem Beklagten beschäftigt gewesen sei. Der Kläger habe auch nicht substantiiert bestritten, daß bei dem Beklagten aufgrund der Jahreszeit und aufgrund der Tatsache, daß der Hauptauftraggeber des Beklagten Mittel für Bauleistungen lediglich bis zum 31. Dezember des jeweiligen Jahres bewillige, im Zeitpunkt der Kündigung des Klägers nur noch Aufträge für zwei Mitarbeiter für etwa ein bis zwei Wochen vorgelegen hätten.
Der Beklagte habe dem Kläger die Zahlung von Vorruhestandsgeld auch nicht zugesagt. Selbst wenn man insoweit den Sachvortrag des Klägers als richtig unterstelle, fehlten Anhaltspunkte dafür, daß der Beklagte unabhängig vom Eintritt der ZVK dem Kläger Vorruhestandsgeld zahlen wollte.
II. Der Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung zuzustimmen. Die Revision ist unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht bis zum Beginn des vom Kläger beantragten Vorruhestandes (1. März 1986) fortbestanden, sondern durch die Kündigung des Beklagten zum Ablauf des 1. Januar 1986 beendet worden ist.
1. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, ist die ab 1. Januar 1986 geltende Kündigungsbeschränkung des § 4 Abs. 5 ÄndTV vom 17. Dezember 1985 auf die spätestens am 16. Dezember 1985 ausgesprochene Kündigung des Beklagten nicht anzuwenden.
a) Entgegen den Rügen der Revision beruht das angefochtene Urteil nicht auf dem Fehler, nicht genügend zwischen einer "Rückwirkung" aufgrund des Tarifabschlusses am 17. Dezember 1985 und der späteren Allgemeinverbindlichkeitserklärung unterschieden zu haben. Da der Beklagte wegen fehlender Verbandszugehörigkeit nicht tarifgebunden ist, können die Rechtsnormen des ÄndTV vom 17. Dezember 1985 nach § 5 Abs. 4 TVG das noch am 1. Januar 1986 bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien zwar nur aufgrund der Allgemeinverbindlichkeitserklärung erfaßt haben. Entscheidend ist aber vorliegend nicht, ob der ÄndTV überhaupt rückwirkend zum 1. Januar 1986 für allgemeinverbindlich erklärt werden konnte. Dagegen bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, weil bei Änderung eines bereits allgemeinverbindlichen Tarifvertrages auch deren weitere Allgemeinverbindlichkeitserklärung voraussehbar ist und deswegen rechtsstaatliche Grundsätze auch bei einer Rückwirkung regelmäßig nicht verletzt werden (vgl. BAGE 2, 297, 300 = AP Nr. 1 zu § 4 TVG Effektivklausel; 40, 288, 292 = AP Nr. 18 zu § 5 TVG; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, § 5 Rz 20; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 5 Rz 55).
Wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, geht es im Streitfall hingegen um die spezielle Problematik, ob § 4 Abs. 5 ÄndTV auf Kündigungen anzuwenden ist, die vor dem Inkrafttreten der tariflichen Neuregelung ausgesprochen worden waren.
b) Das hängt primär von der Auslegung des ÄndTV ab, weil die Allgemeinverbindlichkeitserklärung sich auf diejenigen Tarifnormen beschränkt, die im zeitlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages am 1. Januar 1986 anwendbar waren. Die Grenzen der Tarifautonomie wären nur dann zu bestimmen, wenn § 4 Abs. 5 ÄndTV nach dem im Vertrag erkennbar verlautbarten Willen der Tarifpartner auch auf vor dem 1. Januar 1986 erklärte ordentliche Kündigungen (rückwirkend) auswirken soll. Diese Voraussetzung hält der Senat ebenso wie das Landesarbeitsgericht nicht für erfüllt.
aa) Ob ein Tarifvertrag sich auch auf Tatbestände erstreckt, die in der Vergangenheit liegen, ist durch Auslegung der tariflichen Regelung zu ermitteln (Wiedemann/Stumpf, aaO, § 4 Rz 134). Im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit ist für diese Art der Rückwirkung eine klare und unmißverständliche Vereinbarung erforderlich (BAGE 6, 251 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Deputat; 7, 81 = AP Nr. 69 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteile vom 5. März 1957 - 1 AZR 420/56 - AP Nr. 1 zu § 1 TVG Rückwirkung und vom 1. Dezember 1977 - 2 AZR 429/77 - DB 1978, 701; Wiedemann/Stumpf, aaO; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, aaO, § 4 Rz 29; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 622 BGB Rz 133).
Der Wortlaut des § 4 Abs. 5 ÄndTV liefert ebensowenig wie die Systematik dieser zusätzlichen Regelung einen Anhaltspunkt dafür, daß die neu eingeführte Kündigungsbeschränkung auch für Kündigungen wirken sollte, die vor dem 1. Januar 1986 ausgesprochen worden sind, und zwar auch dann nicht, wenn der Kündigungstermin nach dem Inkrafttreten der Neuregelung liegt. Die Formulierung, das Arbeitsverhältnis könne nur unter bestimmten Voraussetzungen "vom Arbeitgeber ... gekündigt werden", deutet eher auf den künftigen Ausspruch einer Kündigung hin. Für diese Auslegung spricht auch, daß dieselben Tarifvertragsparteien eine andere Fassung gewählt haben, wenn sie erkennbar auf den Beendigungszeitpunkt abstellen wollten. Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 TV Lohnausgleich wird eine in den Ausgleichszeitraum wirkende Kündigung nicht bei Ablauf dieses Zeitraumes wirksam. Es hätte nahegelegen und wäre zu erwarten gewesen, daß die Tarifpartner eine eventuelle Absicht, alle Kündigungen, durch die das Arbeitsverhältnis nach dem 1. Januar 1986 beendet werden konnte, der Beschränkung des § 4 Abs. 5 ÄndTV zu unterwerfen, entsprechend verdeutlicht hätten.
bb) Die eindeutige Vereinbarung einer Rückwirkung tariflicher Normen ist aus folgenden Gründen notwendig und unverzichtbar:
Tarifnormen gelten ebenso wie Gesetze grundsätzlich nur für die Zukunft (BAG Urteil vom 1. Dezember 1977, aaO).
Die rückwirkende Anwendung von Tarifänderungen, durch die die Voraussetzungen oder die Formen der Ausübung des Kündigungsrechts abweichend von der bisherigen Rechtslage geregelt werden, widerspricht zudem der Systematik des Kündigungsrechts. Für die Wirksamkeit einer Kündigung sind grundsätzlich die im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestehenden Umstände und Rechtsnormen maßgebend und nicht veränderte Verhältnisse, die bis zum Beendigungszeitpunkt eintreten (Wiedemann/Stumpf, aaO, § 4 Rz 149; KR-Hillebrecht, aaO, § 622 BGB Rz 136; BAGE 29, 17, 23 = AP Nr. 1 zu § 12 SchwbG, zu B 2 der Gründe). Dies gilt z.B. für die Frage der Sozialwidrigkeit nach § 1 KSchG (BAGE 9, 131, 133 f. = AP Nr. 7 zu § 7 KSchG, zu II der Gründe; 20, 345, 350 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Krankheit; 23, 371, 377 = AP Nr. 83 zu § 1 KSchG, zu III 1 der Gründe; 43, 129, 137 = AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II der Gründe; BAG Urteil vom 30. Mai 1985 - 2 AZR 321/84 - AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; KR-Becker, 2. Aufl., § 1 KSchG Rz 156; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 1 Rz 76), die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB (vgl. BAGE 2, 245, 250 ff. = AP Nr. 1 zu § 67 HGB, zu III der Gründe; 14, 65 = AP Nr. 50 zu § 626 BGB; KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 71), das Eingreifen des besonderen Kündigungsschutzes der §§ 12 ff. SchwbG (BAGE 29, 17, 23 = AP, aaO; 29, 334, 336 = AP Nr. 2 zu § 12 SchwbG, zu I der Gründe; KR-Etzel, 2. Aufl., vor §§ 12 bis 19 SchwbG, Rz 14) oder die Geltung des Kündigungsverbotes des § 9 MuSchG (BAG 26, 161, 165 = AP Nr. 3 zu § 9 MuSchG, zu III 1 der Gründe; KR-Becker, aaO, § 9 MuSchG Rz 28).
Der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat diesen Grundsatz im Urteil vom 10. März 1982 (- 4 AZR 158/79 - BAGE 38, 107, 111 = AP, aaO) ausdrücklich zutreffend auch auf die Frage des Eingreifens tariflicher Kündigungsbeschränkungen erstreckt (ebenso bereits der Senat im Urteil vom 1. Dezember 1977, aaO und KR-Friedrich, 2. Aufl., § 13 KSchG Rz 261 a).
c) Die Wirksamkeit der Kündigung des Beklagten ist demgemäß nach der Rechtslage im Dezember 1985 zu beurteilen. Die Kündigungsbeschränkung des § 4 Abs. 5 ÄndTV greift insoweit noch nicht ein.
2. Auch der Annahme des Berufungsgerichts, die Kündigung des Beklagten zum 1. Januar 1986 sei auch im übrigen materiell-rechtlich nicht zu beanstanden, ist im Ergebnis zu folgen.
a) Das Berufungsgericht hat zutreffend von einer Prüfung der Sozialwidrigkeit dieser Kündigung abgesehen, weil das KSchG nach § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anwendbar ist. Schon aus diesem Grunde war für die vom Arbeitsgericht angestellte Erwägung, ob der Beklagte die Kündigung durch Kurzarbeit hätte vermeiden können, kein Raum. Die Wirksamkeit der Kündigung kann nur unter Anwendung derjenigen Rechtsvorschriften überprüft werden, deren Regelungsgehalt nicht in Vorschriften des KSchG erfaßt und abschließend geregelt ist.
b) In der Begründung nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht allerdings, soweit es die Kündigung am Maßstab des § 138 BGB überprüft hat.
aa) Sittenwidrig ist eine Kündigung, wenn sie auf einem verwerflichen Motiv des Kündigenden beruht, wie insbesondere Rachsucht oder Vergeltung, oder wenn sie aus anderen Gründen dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht (BAGE 31, 1, 10; KR-Friedrich, aaO, § 13 KSchG Rz 123).
bb) Vorliegend ist jedoch nach dem Urteil des Senates vom 2. April 1987 (- 2 AZR 227/86 - EzA § 612 a BGB Nr. 1 = DB 1987, 2525 = NZA 1988, 18 = AiB 1988, 93 m. Anm. Degen) nicht auf den Prüfungsmaßstab des § 138 BGB, sondern auf den des § 612 a BGB abzustellen. Wie der Senat in dem angezogenen Urteil ausgeführt hat, erfaßt die seit dem 21. August 1980 geltende Vorschrift des § 612 a BGB einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit, die Kündigung als Maßregelung wegen eines berechtigten Verlangens des Arbeitnehmers (vgl. KR-Friedrich, aaO, Rz 141 a). Da die Sittenwidrigkeit im Streitfall nach dem Vortrag des Klägers ausschließlich deswegen zu behandeln ist, weil der Beklagte mit der Kündigung auf den zulässigen Antrag des Klägers auf Zahlung von Vorruhestandsgeld reagiert haben soll, wird insoweit die allgemeine Regelung des § 138 BGB durch die Spezialvorschrift des § 612 a BGB verdrängt.
c) Das Berufungsgericht hat die Kündigung zwar nicht nach dem Maßstab des § 612 a BGB geprüft. Die von ihm getroffenen Feststellungen und Würdigungen ermöglichen dem Senat aber die abschließende Beurteilung, daß der Kläger auch die Voraussetzungen des § 612 a BGB nicht hinreichend dargelegt hat.
aa) Nach dem Urteil des Senates vom 2. April 1987 (aaO) kann eine Maßnahme i. S. von § 612 a BGB allerdings insbesondere auch eine Kündigung des Arbeitgebers sein. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 612 a BGB ist die rechtsgeschäftliche Maßnahme des Arbeitgebers als gesetzwidrige Reaktion auf eine zusätzliche Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer nach § 134 BGB nichtig. Die Benachteiligung braucht nicht zwingend im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern bestehen. Es genügt vielmehr, wenn der Arbeitgeber einer zulässigen Rechtsausübung mit einer Vereinbarung oder Maßnahme begegnet, die er dem Betroffenen gegenüber ohne die Rechtsausübung nicht vorgenommen hätte.
bb) Ob eine Maßnahme wegen einer zulässigen Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten vorliegt, richtet sich bei einer Kündigung nach den gleichen Grundsätzen, die der Senat für das Verbot der Kündigung wegen des Betriebsübergangs nach § 613 a Abs. 4 BGB aufgestellt hat. Eine Kündigung wegen einer zulässigen Rechtsausübung liegt demgemäß dann vor, wenn die zulässige Rechtsausübung des Arbeitnehmers für die Kündigung durch den Arbeitgeber nicht nur irgendwie auch ursächlich und nicht nur deren äußerer Anlaß, sondern für die Kündigung der tragende Beweggrund, d. h. das wesentliche Motiv gewesen ist. Für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 612 a BGB trifft den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast.
cc) Diesem Prüfungsmaßstab entsprechen zwar nicht formal, wohl aber in der Sache die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, die sich auf die Prüfung des Beweggrundes für die Kündigung im Rahmen des § 138 BGB beziehen. Das ergibt sich aus dem Obersatz, eine Sittenwidrigkeit der Kündigung sei nur anzunehmen, wenn sie ... wegen ihres Zweckes und der Motive verwerflich sei. Das Berufungsgericht hat dazu weiter ausgeführt, der Kläger sei insoweit seiner Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Er habe lediglich vorgetragen, es sei davon auszugehen, daß die Kündigung wegen seines Antrages auf Gewährung des Vorruhestandsgeldes erfolgt sei. Dem stehe schon der unstreitige Sachverhalt entgegen, wonach das Arbeitsverhältnis auch in den beiden vorausgegangenen Jahren jeweils zum Jahresschluß beendet und dann in den Folgejahren neu begründet worden sei. Der Kläger habe zudem auch den behaupteten jahreszeitbedingten Auftragsrückgang im Dezember 1985 und dessen voraussichtliche Dauer nicht substantiiert bestritten.
dd) Mit dieser Begründung hat das Landesarbeitsgericht ersichtlich nicht auf die Beweisfälligkeit des Klägers abgestellt, sondern es hat bereits den Tatsachenvortrag des Klägers zum entscheidenden Kausalzusammenhang zwischen Kündigung und Vorruhestandsantrag nicht für ausreichend erachtet.
Auch diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist frei von Rechtsfehlern. Sie ist zwar auf das für § 138 BGB beachtliche Kündigungsmotiv bezogen, enthält sachlich aber wegen der Konkretisierung der Frage des Motives und der Kausalität durch den Kläger zugleich die Prüfung des Beweggrundes für die Kündigung nach dem Maßstab des § 612 a BGB.
Die der Beurteilung des Berufungsgerichts zugrundeliegenden Feststellungen sind von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden und deswegen für den Senat bindend. Die darauf beruhende Schlüssigkeitsprüfung ist auch bei materiell-rechtlicher Überprüfung nicht zu beanstanden. Der Kläger, der den Kausalzusammenhang zwischen Rechtsausübung und Kündigung darzulegen hat, konnte sich deswegen nicht auf die pauschale Behauptung dieses Zusammenhanges beschränken, weil der Beklagte auf Tatsachen verwiesen hat, die als Gründe für die Kündigung ernsthaft in Betracht kommen. Der Kläger hätte entweder diese Tatsachen (z. B. Auftragsrückgang) substantiiert bestreiten oder hinsichtlich der Beendigungen in den Vorjahren konkret darlegen müssen, weshalb der bisherige Verlauf des Arbeitsverhältnisses für die Frage des Motivs und der Kausalität bei der dritten Kündigung nicht aufschlußreich sein soll.
ee) Die Revision rügt erfolglos, allein aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Vorruhestandsantrag und der Kündigung ergebe sich der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß die Kündigung wegen des begehrten Vorruhestandsgeldes erfolgt sei. Es ist unerheblich, ob darin eine Verfahrensrüge nach § 286 ZPO liegt oder ob der Kläger sich insoweit sachlich auf die Erleichterung bereits seiner Darlegungslast durch den Beweis des ersten Anscheins beruft. Eine Verletzung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis scheidet vorliegend deswegen aus, weil das Landesarbeitsgericht aufgrund der von ihm erwogenen Umstände ersichtlich nicht nur von der entfernten, sondern von der ernsthaften Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ausgegangen ist, als der Kläger allein wegen der zeitlichen Abfolge im letzten Beschäftigungsjahr annimmt (vgl. BGHZ 6, 169, 171; 8, 239, 240; BGH Urteil vom 9. Dezember 1977, VersR 1978, 75; BAGE 19, 66, 72 = AP Nr. 5 zu § 282 BGB, zu IV 2 der Gründe). Da das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht nur einmal, sondern auch in den beiden Vorjahren jeweils zum Jahresschluß wegen Arbeitsmangels beendet worden ist, kann der Beweis des ersten Anscheins nicht allein aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Antrag des Klägers und dem Ausspruch der Kündigung durch den Beklagten hergeleitet werden, weil der Beklagte insoweit die Praxis der vorangegangen Jahre bestätigt hat. Beim Anzeichenbeweis sind alle Hilfstatsachen darauf zu prüfen, ob sie für die zu beweisende Haupttatsache erheblich sind. Es bedarf insoweit einer tatrichterlichen Gesamtschau und Gesamtwürdigung (BGH, aaO, VersR 1978, 76). Daran hat sich das Landesarbeitsgericht gehalten, während die Sicht des Klägers allenfalls dann richtig wäre, wenn das Arbeitsverhältnis in den Vorjahren auch in der Winterzeit fortgesetzt worden wäre.
ff) Es kann demgemäß auch vorliegend dahingestellt bleiben, ob im Rahmen des § 612 a BGB hinsichtlich der Kausalität und des Motivs des Kündigenden und der Kausalität zugunsten des Arbeitnehmers der Beweis des ersten Anscheins eingreifen kann.
d) Die vom Kläger verfolgten Ansprüche sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 162 BGB begründet.
Nach dieser Vorschrift wird der Eintritt einer Bedingung fingiert, wenn er von der Partei, zu deren Nachteil er gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert wird. Betrachtet man das Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Vorruhestandsbeginns als Bedingung i. S. dieser Regelung, dann müßte die Kündigung treuwidrig gewesen sein. Sie müßte also zur Vereitelung des Vorruhestandsanspruchs ausgesprochen worden sein, und diese Voraussetzungen hat der Kläger nach den vorstehenden Ausführungen nicht substantiiert dargelegt.
Hillebrecht - zugleich für Triebfürst
den durch Urlaub an der Unter-
schrift verhinderten
Richter Ascheid
Thieß Strümper
Fundstellen
Haufe-Index 438023 |
DB 1989, 1296 (L1) |
NZA 1989, 559-561 (LT1) |
RdA 1989, 128 |
RzK, I 8f Nr 5 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 46/89 (S) |
ZTR 1989, 193-194 (LT1) |
AP § 1 TVG Rückwirkung (LT1), Nr 10 |
AR-Blattei, ES 1550.4 Nr 18 (LT1) |
AR-Blattei, Tarifvertrag IV Entsch 18 (LT1) |
EzA § 4 TVG Bauindustrie, Nr 44 (LT1) |