Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahrung der Ausschlußfrist bei außergerichtlichem Vergleich
Orientierungssatz
Nach § 17 Nr 2 Satz 3 des Manteltarifvertrages für den Groß- und Außenhandel des Landes Hessen, gültig ab 1.1.1982, sind Ansprüche nach Ziffer 1 (Gehalt und Lohn, Provisionen und Vergütungen) sowie alle übrigen Ansprüche aus dem Tarifvertrag dann nicht verfallen, wenn sie binnen drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht wurden.
Sind Forderungen eines Arbeitnehmers in einem außergerichtlichen Vergleich vom Arbeitgeber anerkannt worden, so können sie nicht mehr aufgrund einer tariflichen Ausschlußfrist verfallen.
Normenkette
TVG § 4
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 06.11.1985; Aktenzeichen 2 Sa 566/85) |
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 19.12.1984; Aktenzeichen 11 Ca 131/84) |
Tatbestand
Die Klägerin war vom 7. September 1971 bis 30. Juni 1983 bei der Beklagten als Datentypistin zu einem Monatsgehalt von zuletzt 2.800,-- DM brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel in Hessen vom 1. Januar 1982 (im folgenden MTV) Anwendung.
Die Beklagte wollte der Klägerin kündigen. Hierüber kam es zu einer Korrespondenz zwischen Rechtsanwalt P, der seinerzeit die Klägerin vertrat, und der Beklagten. Am 29. März 1983 wurde folgende Vereinbarung getroffen:
1. Das Arbeitsverhältnis endet aufgrund der ordentlichen,
fristgerechten und betriebsbedingten
Kündigung der Firma C vom 29. 3. 1983.
2. Frau K legt gegen die Kündigung keinen
Widerspruch und keine Klage ein, da die Firma
C versichert, daß eine Weiterbeschäftigung
im Betrieb auf einem anderen als dem bisherigen
Arbeitsplatz nicht in Betracht kommt und der bisherige
Arbeitsplatz aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen
fortfällt.
3. Als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes
zahlt die Firma C eine am Tage des Ausscheidens
fällige Abfindung in Höhe von DM 16.000,-- z.H. Ihres
Bevollmächtigten, Rechtsanwalt H-U P,
G-Straße, F. Die Abfindungszahlung
erfolgt brutto für netto nach
§§ 9/10 Kündigungsschutzgesetz in Verbindung mit den
einschlägigen Bestimmungen des Einkommenssteuergesetzes.
Kosten und Auslagen werden gegenseitig nicht erstattet.
Am 13. April 1983 erhob die Klägerin beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main - 2 Ca 198/83 - eine Klage mit dem Antrag festzustellen, daß die Vereinbarung über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien nichtig sei und das Arbeitsverhältnis fortbestehe. Sie machte geltend, sie habe keine Kündigungserklärung der Beklagten zum 30. Juni 1983 erhalten.
Die Beklagte beantragte in diesem Rechtsstreit Klageabweisung und berief sich auf die Wirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung vom 29. März 1983. Unter anderem machte sie folgendes geltend:
"Daß in der Vereinbarung das Beendigungsdatum nicht
genannt ist, ist unschädlich, da es den Parteien der
Vereinbarung vom 29. März 1983 klar war, daß das
Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1983 enden sollte, wie
es auch in der Kündigung zum Ausdruck kommt. Eine
weitere gleichlautende Kündigung wurde dem Bevollmächtigten
der Klägerin, Herrn RA P, übergeben.
Außerdem war der RA P zum Abschluß der Vereinbarung
vom 29. März 1983 von der Klägerin bevollmächtigt.
Es muß sich der Beklagten der Eindruck aufdrängen,
als reue es die Klägerin, die Vereinbarung abgeschlossen
zu haben, weil sie meint, mehr herausholen zu
können."
Das Arbeitsgericht wies die Klage durch Urteil vom 20. Oktober 1983, der Klägerin am 14. Dezember 1983 zugestellt, ab und führte dazu aus, die Vereinbarung vom 29. März 1983 sei rechtswirksam. Vor ihrem Abschluß sei der Klägerin mit Schreiben vom 29. März 1983 eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte zum 30. Juni 1983 ausgesprochen worden.
Mit Schreiben vom 23. Januar 1984 forderte die Klägerin die Beklagte vergebens zur Zahlung der vereinbarten Abfindung auf, die sie mit der vorliegenden Klage begehrt.
Die Klägerin hat geltend gemacht, durch die Vereinbarung vom 29. März 1983 habe festgestanden, daß ihr eine entsprechende Forderung zustehe, eine nochmalige Geltendmachung sei daher nicht erforderlich gewesen. Die Beklagte habe durch ihr Verhalten in dem Rechtsstreit über die Wirksamkeit der Vereinbarung deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sie die Forderung auch gelten lassen wolle. In jedem Falle habe sie die etwaige Dreimonatsfrist nach § 17 Nr. 2 MTV eingehalten, denn der Lauf der Frist habe erst begonnen, nachdem rechtskräftig festgestanden habe, daß das Arbeitsverhältnis aufgelöst worden sei (14. Januar 1984).
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 16.000,-- DM nebst 4 % Zinsen seit 1. April 1983 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
Sie hat geltend gemacht, der Anspruch sei nach § 17 Nr. 2 MTV verfallen, da die Klägerin ihn nicht fristgerecht angezeigt habe. Durch die Erhebung der "unsinnigen" Feststellungsklage habe die Klägerin gerade nicht Klarheit darüber geschaffen, welche Ansprüche sie eigentlich noch geltend machen wolle. In der Hoffnung, mehr zu erhalten, habe sie ihre Rechte aus der Vereinbarung vom 29. März 1983 eben nicht verfolgt, sondern verfallen lassen. Darauf sei sie erst nach Abweisung ihrer Klage zurückgekommen. Der Anspruch sei zudem verwirkt, da die Klägerin in dem vorangegangenen Verfahren in sittenwidriger Weise versucht habe, die Vereinbarung zu beseitigen. Sie habe der Wahrheit zuwider vortragen lassen, eine rechtswirksame Kündigung sei ihr nicht zugegangen. Die Beweisaufnahme in dem Vorverfahren habe jedoch ergeben, daß ihr die Kündigung am 29. März 1983 um 9.30 Uhr in den Briefkasten geworfen worden sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben (Zinsen erst ab 1. Juli 1983). Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Anspruch sei nicht verfallen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne der Anspruch auf eine Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG, der in einem gerichtlichen Vergleich vereinbart werde, nicht aufgrund einer tariflichen Ausschlußfrist verfallen. Diese Grundsätze müßten auch auf einen außergerichtlichen Vergleich Anwendung finden. Die Beklagte habe spätestens seit der Verkündung des Urteils im Vorprozeß am 20. Oktober 1983 gewußt, daß das Arbeitsgericht die Vereinbarung vom 29. März 1983 als rechtswirksam beurteilt habe. Damit habe für die Beklagte kein Zweifel mehr bestanden, daß das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1983 geendet habe und daß demgemäß die Abfindung zu zahlen sei.
II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Der Klägerin steht der Anspruch auf Zahlung von 16.000,-- DM nebst den vom Arbeitsgericht zuerkannten Zinsen in Höhe von 4 % seit 1. Juli 1983 aus der Vereinbarung der Parteien vom 29. März 1983 zu. Über die Höhe der Forderung besteht zwischen den Parteien kein Streit.
Der Anspruch ist nicht verfallen nach § 17 MTV. Nach § 17 Nr. 2 Satz 1 MTV sind der Anspruch nach Ziff. 1 (Gehalt und Lohn, Provisionen und Vergütungen) sowie alle übrigen Ansprüche aus dem Tarifvertrag binnen drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Nach § 17 Nr. 2 Satz 3 MTV sind weitere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis spätestens drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich anzuzeigen. Nach § 17 Nr. 3 Satz 1 MTV erlöschen die Ansprüche nach Ziff. 1 und 2, wenn sie nicht innerhalb der darin festgesetzten Fristen schriftlich dem anderen Vertragspartner gegenüber erhoben wurden. Durch die schriftliche Vereinbarung der Parteien vom 29. März 1983 ist der Anspruch als "angezeigt" anzusehen im Sinne von § 17 Nr. 2 Satz 3 MTV. Es kann daher auf sich beruhen, ob die Voraussetzungen nach § 17 Nr. 3 Satz 2 MTV (Aushang des Tarifvertrages im Betrieb) vorliegen, da Feststellungen des Landesarbeitsgerichts insoweit fehlen.
Die Tarifvertragsparteien sprechen in § 17 Nr. 2 Satz 1 MTV von "schriftlich geltend zu machen", in Satz 2 von "geltend zu machen" und in Satz 3 (weitere Ansprüche) von "schriftlich anzuzeigen". In § 17 Nr. 3 MTV ist das "Erlöschen" für den Fall festgelegt, daß die Ansprüche nach Nr. 1 und 2 nicht innerhalb der darin festgesetzten Fristen schriftlich dem anderen Vertragspartner gegenüber erhoben wurden. Das Wort "wurden" bringt damit zum Ausdruck, daß die Anforderungen für die Geltendmachung nach Nr. 2 als das "Erheben" nach Nr. 3 anzusehen sind.
2. Ausschlußfristen sollen alsbald Klarheit darüber schaffen, welche Ansprüche der Gläubiger gegen den Schuldner noch geltend machen will. Der Schuldner soll wissen, mit welchen Ansprüchen er noch zu rechnen hat (BAG 43, 71 = AP Nr. 78 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
Eine tariflich geforderte schriftliche Geltendmachung wird als "überflüssig" und "unnütze Förmelei" angesehen, wenn der Arbeitgeber in einer schriftlichen Lohnabrechnung, die er innerhalb einer im Tarifvertrag vorgesehenen Ausschlußfrist erteilt, die Lohnforderung des Arbeitnehmers streitlos stellt (BAG Urteil vom 20. Oktober 1982 - 5 AZR 110/82 - AP Nr. 76 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; BAG Urteil vom 29. Mai 1985 - 7 AZR 124/83 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Ebenso wird eine - tariflich notwendige Klageerhebung - als entbehrlich angesehen, wenn der Schuldner während des Laufs der Ausschlußfrist den Eindruck erweckt, eine gerichtliche Klärung des Anspruches sei entbehrlich (BAG Urteil vom 18. Dezember 1984 - 3 AZR 383/82 - AP Nr. 87 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
Auch Forderungen eines Arbeitnehmers, die in einem gerichtlichen Vergleich vereinbart werden, können nicht mehr verfallen, denn Grund und Höhe der Forderung stehen fest, der Schuldner hat seine Verpflichtung anerkannt, der Gläubiger kann aus dem Vergleich die Zwangsvollstreckung betreiben (so BAG 37, 274 = AP Nr. 7 zu § 9 KSchG 1969, zu § 11 MTV für Angestellte des Groß- und Außenhandels Nordrhein-Westfalen vom 22. Februar 1977, der eine schriftliche Geltendmachung der Forderung und Klageerhebung innerhalb eines weiteren Monats verlangt).
Diesen von der Rechtsprechung entschiedenen Fallgestaltungen ist gemeinsam, daß der Arbeitnehmer auf Grund des Verhaltens des Arbeitgebers davon ausgehen konnte, der Arbeitgeber kenne seine Verpflichtung und werde sie auch erfüllen.
3. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte durch Abschluß der Vereinbarung die Forderung ebenfalls der Sache nach "streitlos" gestellt und sie hat in einem anschließenden Prozeß über die Wirksamkeit der Vereinbarung diese ausdrücklich verteidigt. Damit wäre eine nochmalige Anzeige nach § 17 Nr. 2 Satz 3 MTV eine unnütze Förmelei gewesen, darüber hinaus verhält sich die Beklagte widersprüchlich, wenn sie jetzt behauptet, sie habe wegen des Prozesses nicht gewußt, was auf sie zukomme. Sie wollte nämlich den Prozeß gewinnen und wußte, daß sie im Falle des Obsiegens die Zahlung zu erbringen hatte.
4. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, daß die Klägerin erfolglos versucht hat, die Nichtigkeit der Vereinbarung vom 29. März 1983 gerichtlich feststellen zu lassen. Die Klägerin hat sich zwar nicht vertragstreu verhalten, die Beklagte hat aber hieraus keine Konsequenzen gezogen, weil sie offenbar die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, und zwar entsprechend der getroffenen Regelung, nach wie vor als erstrebenswert ansah. Sie hat daher erfolgreich Klageabweisung mit dem Vortrag begehrt, die getroffene Vereinbarung sei wirksam, sie wisse nicht, was die Klägerin eigentlich wolle. Die Beklagte hat damit hinreichend zum Ausdruck gebracht, daß sie von der Rechtsbeständigkeit ihrer Verpflichtung ausging. Anhaltspunkte dafür, die Klägerin verlange die Abfindung selbst dann nicht, wenn sie den Vorprozeß verliere, liegen nicht vor, es kann deshalb auch nicht von einer Verwirkung ausgegangen werden. Die Forderung blieb hilfsweise aufrecht erhalten. Es bedurfte auch im Vorprozeß keiner - wie die Beklagte meint - hilfsweise gerichtlichen Geltendmachung des Anspruches durch die Klägerin. Für eine solche Klageerhebung hätte überhaupt kein Rechtsschutzinteresse bestanden, da die Beklagte gerade im Vorprozeß durch ihren Vortrag zum Ausdruck gebracht hat, daß sie hinsichtlich der Abfindung erfüllungsbereit war.
Hillebrecht Dr. Weller Ascheid
Timpe Binzek
Fundstellen