Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsanspruch und Mutterschaftsurlaub

 

Orientierungssatz

Mit der Vorschrift in § 10 Nr 4.4 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Metallindustrie im Nordverbund vom 31.3.1979 haben die Tarifvertragsparteien keine Bestimmung vereinbart, mit der sie für die übrigen Arbeitnehmer (Ausnahme: Arbeitnehmer die aus Alters- oder Invaliditätsgründen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden) den Anspruch auf Urlaub bei geringer oder fehlender Arbeitsleistung im Urlaubsjahr ausgeschlossen hätten.

 

Normenkette

TVG § 1; MuSchG §§ 8a, 8d; BUrlG § 7 Abs. 4, 3

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 22.08.1985; Aktenzeichen 5 Sa 10/85)

ArbG Kiel (Entscheidung vom 16.11.1984; Aktenzeichen 3b Ca 1589/84)

 

Tatbestand

Die Klägerin war seit 1970 bei der Beklagten als technische Zeichnerin mit einem Monatsgehalt von zuletzt 1.318,50 DM und einem Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen teilzeitbeschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien war kraft Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Metallindustrie im Nordverbund vom 31. März 1979 (MTV) anzuwenden.

§ 10 Nr. 4.4 MTV lautet:

"Ein Arbeitnehmer, der aus Alters- oder Invaliditätsgründen

ausscheidet, erhält den vollen

Urlaub, sofern er 10 Jahre ununterbrochen dem

Betrieb angehört hat, jedoch nur so viel Tage,

wie er im Urlaubsjahr gearbeitet hat. ..."

Die Klägerin hat wegen der Mutterschutzfristen vom 15. Dezember 1983 bis zum 17. März 1984 nicht gearbeitet. Anschließend hat sie bis zum 21. Juli 1984 Mutterschaftsurlaub in Anspruch genommen. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der Kündigung der Klägerin mit diesem Tag.

Mit ihrer der Beklagten am 7. September 1984 und - nach Klagerweiterung - am 10. Oktober 1984 zugestellten Klage hat die Klägerin von der Beklagten Urlaubsabgeltung und tarifliches Urlaubsgeld in rechnerisch unstreitiger Höhe begehrt.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.067,65 DM (brutto) nebst 4 % Zinsen auf 719,18 DM seit dem 7. September 1984 und auf weitere 1.348,47 DM seit dem 10. Oktober 1984 zu zahlen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage nur in Höhe von 988,88 DM nebst Zinsen stattgegeben und im übrigen die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichteten Berufungen der Klägerin und der Beklagten waren erfolglos. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klagantrag weiter, soweit er bisher erfolglos war. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Der Klägerin steht die Urlaubsabgeltung nicht nur in Höhe des gesetzlichen Urlaubsanspruchs, sondern in voller Höhe zu. Entsprechend ist ihr das Urlaubsgeld in der von ihr begehrten Höhe zu gewähren.

1. Die Klägerin hatte im Jahre 1984 einen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen. Hiervon hat sie mit Rücksicht auf die Kürzungsbefugnis der Beklagten nach § 8 d MuSchG für die Monate April, Mai und Juni 1984 drei Zwölftel des Urlaubsanspruchs abgezogen und hieraus zutreffend für sich 23 Urlaubstage errechnet (vgl. zur Berechnung des Urlaubsanspruchs in einem solchen Fall das Urteil des erkennenden Senats vom 27. November 1986 - 8 AZR 221/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Daher bedarf es keiner Prüfung durch den Senat, ob die Beklagte von der Kürzungsbefugnis Gebrauch gemacht hat.

Dieser Urlaubsanspruch war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 21. Juli 1983 noch nicht erfüllt, so daß er bei Ausscheiden der Klägerin als Urlaubsabgeltungsanspruch zustand. Der Anspruch scheitert nicht etwa an mangelnder Arbeitsfähigkeit der Klägerin. Die Klägerin war nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis unstreitig jedenfalls für die Dauer des ihr nicht gewährten Urlaubs arbeitsfähig. Daß sie aus persönlichen Gründen das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nicht fortsetzen wollte und deshalb das Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 Satz 2 MuSchG gekündigt hat, ändert daran nichts. Damit war die Beklagte bei Ausscheiden der Klägerin verpflichtet, den Urlaubsanspruch abzugelten und auch das Urlaubsgeld zu zahlen.

2. Zu Unrecht haben beide Vorinstanzen angenommen, daß § 10 Nr. 4.4 MTV dem Anspruch der Klägerin jedenfalls insoweit entgegenstehe, als die Klägerin von einem höheren als dem gesetzlichen Urlaubsanspruch ausgegangen ist.

§ 10 Nr. 4.4 MTV enthält eine Regelung für Arbeitnehmer, die aus Alters- oder Invaliditätsgründen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Ein solcher Arbeitnehmer hat ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt seines Ausscheidens abweichend von § 10 Nr. 4.1 MTV Anspruch auf den vollen Urlaub, wenn er zehn Jahre ununterbrochen dem Betrieb angehört hat, jedoch nur so viel Tage, wie er im Urlaubsjahr gearbeitet hat.

Es bedarf keiner Erwägung des Senats, ob gegen diese Regelung insoweit rechtliche Bedenken bestehen können, als wegen der Bindung des Urlaubsanspruchs an Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers dadurch in den gesetzlichen Mindesturlaub eingegriffen wird (vgl. dazu BAG Urteil vom 8. März 1984, BAGE 45, 199), weil die Vorschrift auf die Klägerin nicht anwendbar ist. Die Klägerin ist nach § 10 Abs. 1 Satz 2 MuSchG bei der Beklagten ausgeschieden, nicht aus den in § 10 Nr. 4.4 MTV genannten Gründen.

3. Entgegen der Auffassung beider Vorinstanzen ist auch eine Begrenzung des Anspruchs der Klägerin auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch durch entsprechende Anwendung von § 10 Nr. 4.4 MTV nicht möglich.

Das Arbeitsgericht hat zur Begründung hierzu ausgeführt, aus der Tatsache, daß selbst der Urlaubsanspruch der aus Alters- oder Invaliditätsgründen ausscheidenden Arbeitnehmer dieser Beschränkung unterliege, dokumentiere sich der Wille der Tarifvertragsparteien, diese Regelung erst recht für alle übrigen Arbeitnehmer - auch für die Klägerin - gelten zu lassen. Das Landesarbeitsgericht hat sich hierauf in vollem Umfang bezogen.

b) Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Zu Recht weist die Revision darauf hin, daß aus § 10 Nr. 4.4 MTV keine Wirkungen für den Anspruch der Klägerin hergeleitet werden können, weil diese Bestimmungen auf Merkmale abstellen, die für die Klägerin nicht zutreffen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergeben sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen zum Urlaubsanspruch keine Anhaltspunkte, die den Anspruch der Klägerin entsprechend § 10 Nr. 4.4 MTV schmälern könnten.

Richtig ist, daß bei einer Tarifauslegung der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien über den Tarifwortlaut hinaus berücksichtigt werden muß, wie er in den tariflichen Normen enthalten ist. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Dies bedeutet nicht, daß es allgemein darauf ankommen kann, welche Vorstellungen die Tarifvertragsparteien sich über den Inhalt des Urlaubsanspruchs nach dem Bundesurlaubsgesetz und der hiervon möglicherweise abweichenden Regelungen im Tarifvertrag gemacht haben. Maßgeblich ist der von den Tarifvertragsparteien gewollte Inhalt einer Tarifbestimmung nur, wenn er in ihrem Wortlaut für Dritte erkennbar Ausdruck gefunden hat.

Auch wenn mit der Beklagten davon ausgegangen wird, daß die Tarifvertragsparteien mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Ausschluß des Urlaubsanspruchs bei geringer oder fehlender Arbeitsleistung wegen Rechtsmißbrauchs vor dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Januar 1982 (BAGE 37, 382) die Regelung in § 10 Nr. 4.4 MTV getroffen haben, um den in dieser Bestimmung genannten Arbeitnehmern den Urlaubsanspruch zu gewährleisten, kann daraus keine Regelung hergeleitet werden, mit der für andere Arbeitnehmer der tarifliche Urlaub versagt oder eingeschränkt wird. Mit der Vorschrift in § 10 Nr. 4.4 MTV haben die Tarifvertragsparteien keine Bestimmung vereinbart, mit der sie für die übrigen Arbeitnehmer den Anspruch auf Urlaub bei geringer oder fehlender Arbeitsleistung im Urlaubsjahr ausgeschlossen hätten. Erkennbarer Wille der Tarifvertragsparteien ist insoweit allenfalls, daß eine Bestimmung über den Ausschluß des Urlaubs bei geringer oder fehlender Arbeitsleistung im Tarifvertrag für entbehrlich gehalten worden ist. Solche möglicherweise vorhandenen Motive der Tarifvertragsparteien sind daher nicht Regelungsinhalt des Tarifvertrags geworden. Den Gerichten für Arbeitssachen ist es verwehrt, anstelle der Tarifvertragsparteien eine eigene Tarifbestimmung zu setzen, weil hierdurch in die Tarifautonomie entgegen Art. 9 Abs. 3 GG eingegriffen würde (vgl. z. B. BAGE 36, 218 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten, m. w. N.).

Ob im übrigen die Tarifvertragsparteien eine Regelung vereinbart hätten, wie sie von den Vorinstanzen aus § 10 Nr. 4.4 MTV geschlossen worden ist, scheint zweifelhaft. Diese Vorschrift ist jedenfalls auch getroffen worden, um Arbeitnehmern, die aus Altersgründen in der ersten Hälfte des Jahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, entgegen § 10 Nr. 4.1 Nr. 3 MTV, nach dem jeweils nur ein Zwölftel des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat des bestehenden Arbeitsverhältnisses zu gewähren ist, den Anspruch auf den gesamten Jahresurlaub zu erhalten.

4. Steht der Klägerin daher der volle, nur nach § 8 d MuSchG gekürzte tarifliche Urlaubsabgeltungsanspruch zu, ist die Klage auch für die zusätzliche Urlaubsvergütung i. S. von § 10 Nr. 10.3 Nr. 1 MTV begründet. Auch über die Höhe dieses Anspruchs besteht zwischen den Parteien kein Streit.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

Wittendorfer Dr. Haible

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441695

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