Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzurlaub für Schwerbehinderte. Geltendmachung
Orientierungssatz
1. Parallelsache zu BAG Urteil vom 26.6.1986 8 AZR 550/84.
2. Auslegung des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Eisen und Metall erzeugenden und verarbeitenden Industrie im Landes Rheinland-Pfalz vom 9.9.1959 in der Fassung vom 1.1.1979 § 21.
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 09.05.1984; Aktenzeichen 2 Sa 121/84) |
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 22.12.1983; Aktenzeichen 1 Ca 1575/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin für das Jahr 1982 zusätzlicher Urlaub nach § 44 SchwbG zusteht.
Die Klägerin arbeitet als Montagearbeiterin bei der Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Eisen und Metall erzeugenden und verarbeitenden Industrie im Lande Rheinland-Pfalz vom 9. September 1959 in der Fassung vom 1. Januar 1979 (MTV) Anwendung. Am 7. Juli 1982 stellte die Klägerin beim Versorgungsamt Landau einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderte. Mit Schreiben vom 9. Juli 1982 teilte sie dies der Beklagten mit und machte zugleich vorsorglich einen möglichen Anspruch auf Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach § 44 SchwbG geltend. Durch Bescheid vom 27. Juni 1983 wurde die Klägerin ab 7. Juli 1982 als Schwerbehinderte anerkannt. Mit Schreiben vom 29. August 1983 machte der Schwerbehindertenobmann im Betrieb der Beklagten für die Klägerin den anteiligen Zusatzurlaub für 1982 geltend. Diesen lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 21. September 1983 ab.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihr den Zusatzurlaub für 1982 in Höhe von zwei Tagen nachträglich gewähren. Sie hat einen entsprechenden Sachantrag gestellt.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Urlaub für 1982 sei mit Ablauf dieses Urlaubsjahres verfallen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin den Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Der Anspruch der Klägerin auf zusätzlichen Urlaub nach § 44 SchwbG für das Jahr 1982 ist erloschen.
1. Der Klägerin stand für das Jahr 1982 ein zusätzlicher Urlaub zu, weil sie schwerbehindert war.
Nach § 44 Satz 1 SchwbG haben Schwerbehinderte Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von sechs Arbeitstagen im Jahr. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 28. Januar 1982 - 6 AZR 636/79 - BAG 37, 379, 381 = AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG, zu 2 der Gründe, mit weiteren Nachweisen), der der erkennende Senat folgt, entsteht der Anspruch auf Zusatzurlaub aufgrund der Schwerbehinderteneigenschaft, d. h. wenn der Arbeitnehmer infolge seiner Behinderung in der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 50 v.H. nicht nur vorübergehend gemindert ist (§ 1 SchwbG). Auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft durch die zuständige Behörde kommt es nicht an. Der Bescheid nach § 3 SchwbG hat nur deklaratorische Bedeutung.
2. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Anspruch der Klägerin auf Zusatzurlaub erloschen ist.
a) Da der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte, abgesehen von dem Merkmal der Schwerbehinderteneigenschaft, hinsichtlich seines Entstehens und Erlöschens dem Anspruch auf Erholungsurlaub folgt (vgl. BAG Urteil vom 18. Oktober 1957 - 1 AZR 437/56 - AP Nr. 2 zu § 33 SchwBeschG), muß er innerhalb des jeweiligen Urlaubsjahrs geltend gemacht werden. Geschieht dies nicht, erlischt er mit Ablauf des Urlaubsjahrs (BAG 37, 379, 381 = AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG, zu 3 a der Gründe, mit weiteren Nachweisen).
b) Im vorliegenden Fall bedeutet dies, daß die Klägerin den Zusatzurlaub für 1982 bis 31. März 1983 hätte nehmen müssen. Dies folgt aus § 21 Nr. 7 MTV. Danach erlischt der Urlaubsanspruch mit Ablauf des Kalenderjahres; wurde der Urlaub während des Kalenderjahres aus betrieblichen oder persönlichen Gründen nicht gewährt und nicht in Anspruch genommen, muß er im ersten Vierteljahr des folgenden Jahres gewährt und in Anspruch genommen werden. Nach dieser dem § 7 Abs. 3 BUrlG entsprechenden Tarifbestimmung bestand somit der Urlaubsanspruch der Klägerin nicht mehr, als der Schwerbehindertenobmann ihn mit Schreiben vom 29. August 1983 geltend machte.
c) Diesem Ergebnis kann nicht mit der Kritik entgegengetreten werden, die Gröninger an der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Januar 1982 - 6 AZR 636/79 - geübt hat (Anm. zu AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG).
Soweit Gröninger meint, der Arbeitnehmer könne wegen der noch ausstehenden behördlichen Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft seinem Arbeitgeber nicht erklären, er sei Schwerbehinderter und verlange deshalb Zusatzurlaub, verkennt er die Voraussetzungen dieses Urlaubsanspruchs und die rechtlichen Möglichkeiten, die dem Arbeitnehmer schon vor der behördlichen Feststellung zur Verfügung stehen. Da der Anspruch auf Zusatzurlaub schon vom Zeitpunkt der Schwerbehinderung an und nicht erst nach behördlicher Feststellung besteht, muß er auch vom Zeitpunkt der Schwerbehinderung an geltend gemacht werden können. Zutreffend weisen Wilrodt/Neumann (SchwbG, 6. Aufl., § 3 Rz 37) darauf hin, daß ein Arbeitnehmer sich schon vor Feststellung der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit auf seine Schwerbehinderteneigenschaft berufen könne, dann aber im Streitfall nachweisen müsse, daß er um wenigstens 50 v.H. erwerbsgemindert sei.
Auch dem Hinweis, der Schwerbehindertenzusatzurlaub sei Teilurlaub im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG und damit nach § 7 Abs. 3 Satz 4 BUrlG auf das nächste Kalenderjahr übertragbar (Gröninger, aaO, zu 5), ist nicht zu folgen. Der Zusatzurlaub tritt zu dem Grundurlaub hinzu und verlängert dadurch den Gesamturlaub des Arbeitnehmers. Er ist nicht Teilurlaub. Das folgt daraus, daß er, wie dargelegt, hinsichtlich seines Entstehens und seines Erlöschens dem Grundurlaub folgt.
II. Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht als Schadenersatzanspruch begründet.
1. Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 7. November 1985 - 6 AZR 169/84 - zur Veröffentlichung vorgesehen und vom 5. September 1985 - 6 AZR 86/82 - AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Treueurlaub) hat für den Fall, daß der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch erfolglos geltend gemacht hatte und dem Arbeitgeber die Erteilung des Urlaubs möglich war, angenommen, der Arbeitgeber habe für die infolge Zeitablaufs eingetretene Unmöglichkeit, als welche das Erlöschen des Urlaubsanspruchs anzusehen sei, einzustehen (§ 286 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 287 Satz 2 BGB). An die Stelle des ursprünglichen Urlaubsanspruchs trete in diesem Fall als Schadenersatzanspruch (§ 249 Satz 1 BGB) ein Urlaubsanspruch (Ersatzurlaubsanspruch) in gleicher Höhe. Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung.
2. Die Voraussetzungen dieses Anspruchs sind jedoch im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Beklagte befand sich mit der Gewährung des Urlaubs nicht in Leistungsverzug.
a) Nach § 284 Abs. 1 BGB bedarf es zur Herbeiführung des Verzugs einer Mahnung des Gläubigers, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt.
Das Schreiben der Klägerin vom 9. Juli 1982 erfüllt die Voraussetzungen einer Mahnung nicht. Eine solche muß bestimmt und eindeutig sein. Sie erfordert zwar keine Fristsetzung oder Androhung bestimmter Folgen, sie muß aber erkennen lassen, daß das Ausbleiben der Leistung Folgen haben wird (vgl. BGH LM Nr. 1 zu § 284 BGB; Palandt/Heinrichs, BGB, 45. Aufl., § 284 Anm. 3 b). Die in der Mahnung zum Ausdruck kommende Aufforderung an den Schuldner muß dahin zu verstehen sein, daß die geschuldete Leistung nunmehr unverzüglich zu bewirken ist (vgl. Jauernig/Vollkommer, BGB, 3. Aufl., § 284 Anm. 4). Diese Voraussetzungen erfüllte das Schreiben vom 9. Juli 1982 nicht.
In ihm teilte die Klägerin der Beklagten mit, daß sie den Antrag beim Versorgungsamt gestellt habe und daß sie vorsorglich einen möglichen Anspruch auf Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach § 44 SchwbG geltend mache. Diese Erklärung stellte nicht das bestimmte Leistungsverlangen an die Beklagte dar, diese möge den Urlaub für 1982 nunmehr zeitlich festlegen (§ 7 Abs. 1 BUrlG). Das Schreiben der Klägerin konnte von der Beklagten vielmehr auch als Mitteilung aufgefaßt werden (§§ 133, 157 BGB), sie wolle den Urlaub erst endgültig fordern, nachdem ihre Schwerbehinderteneigenschaft behördlich festgestellt sei. Die Beklagte sah sich somit keinem Leistungsverlangen gegenüber, durch das sie zur alsbaldigen Gewährung des Urlaubs veranlaßt werden sollte. Sie geriet somit nicht in Leistungsverzug und hat daher den Untergang des Urlaubsanspruchs für 1982 nicht nach § 287 Satz 2 BGB zu vertreten.
b) Die Beklagte ist auch nicht wegen Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht (§ 242 BGB) gehalten, der Klägerin Schadenersatz zu leisten. Eine Pflicht der Beklagten, die Klägerin darauf hinzuweisen, sie möge den Urlaub noch im Jahr 1982 in Anspruch nehmen, bestand nicht. Es obliegt vielmehr dem Arbeitnehmer, seinen Anspruch geltend zu machen und gegebenenfalls durchzusetzen.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Neuroth Dr. Johannsen
Fundstellen