Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung von Rufbereitschaft und Überstunden
Leitsatz (redaktionell)
Bestimmt der Arbeitgeber, daß die Arbeit im unmittelbaren Anschluß an die Beendigung der regelmäßigen Arbeitszeit fortzusetzen ist, so liegt darin die Anordnung von Überstunden. Dies gilt auch, wenn der Angestellte im Anschluß an die regelmäßige Arbeitszeit dienstplanmäßig zur Rufbereitschaft eingeteilt ist. Die Anordnung des Arbeitgebers enthält dann eine Änderung des Dienstplans, nicht aber einen Abruf zur Aufnahme der Arbeit.
Normenkette
BAT SR 2; BAT § 17; BAT SR 2a Nr. 6 Abschn. A; BAT SR 2a Nr. 6 Abschn. B Abs. 6
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Vergütungsanspruch für Rufbereitschaft zusteht.
Der Kläger ist Krankenpfleger in der Anästhesieabteilung der Kinderklinik der Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Vereinbarung der BAT nebst Sonderregelungen Anwendung.
Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit des Klägers dauert von 7.30/8.00 Uhr bis 16.00 Uhr. Darüber hinaus hat der Kläger dienstplanmäßig monatlich etwa sechs- bis siebenmal Rufbereitschaft zu leisten, die sich an das Dienstende anschließt und bis zum Dienstbeginn am nächsten Morgen dauert. Die Zeit der Rufbereitschaft wird mit 12,5 v.H. als Arbeitszeit gewertet und mit der Überstundenvergütung bezahlt; für anfallende Arbeit einschließlich einer etwaigen Wegezeit wird daneben die Überstundenvergütung gezahlt (Nr. 6 Abschn. B Abs. 6 Unterabs. 4 und 5 zu SR 2 a BAT). Es kommt vor, daß der Kläger im Anschluß an das Dienstende Überstunden leisten muß, wenn Operationen nicht innerhalb der Dienstzeit beendet werden können oder noch operative Eingriffe vorzunehmen sind.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, solche Überstunden seien, wenn sie in die Zeit einer vorher dienstplanmäßig angeordneten Rufbereitschaft fielen, nicht nur als Überstunden zu vergüten, sondern daneben gemäß Nr. 6 Abschn. B Abs. 6 Unterabs. 4 zu SR 2 a BAT mit 12,5 v.H. als Arbeitszeit zu werten und zusätzlich zu vergüten.
Der Kläger hat beantragt festzustellen,
daß die Beklagte mit Wirkung ab dem 1. Juli 1989
verpflichtet ist, dem Kläger Vergütungszuschlag
für Rufbereitschaft entsprechend seiner Eingrup-
pierung gem. §22 BAT (Vergütungsgruppe Kr V) zu
gewähren, wenn während angeordneter Rufbereit-
schaft Überstunden unmittelbar nach Dienstende zu
absolvieren sind.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat gemeint, es habe in solchen Fällen mit der Bezahlung der geleisteten Überstunden sein Bewenden, weil der Kläger nicht aus einer Rufbereitschaft abgerufen werde.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe kein Vergütungsanspruch für die Zeit der Rufbereitschaft zu. Überstunden, die unmittelbar nach der regelmäßigen Arbeitszeit zu leisten seien, könnten nicht allein deshalb als Zeiten der Rufbereitschaft angesehen werden, weil sie in die Zeit einer zuvor angeordneten Rufbereitschaft fallen. Der Arbeitgeber habe das Recht, die ursprüngliche Anordnung der Rufbereitschaft zu ändern und statt dessen Überstunden anzuordnen. Auch seien Überstundenarbeit und anfallende Arbeit während der Rufbereitschaft durch unterschiedliche Notwendigkeiten bedingt.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung von Rufbereitschaft, wenn er im unmittelbaren Anschluß an die regelmäßige Arbeitszeit Überstunden leisten muß, die in die Zeit dienstplanmäßig angeordneter Rufbereitschaft fallen.
2. Nach Nr. 6 Abschn. B Abs. 6 Unterabs. 4 zu SR 2 a BAT in der bis 31. März 1991 gültigen Fassung wird die Zeit der Rufbereitschaft mit 12,5 v.H. als Arbeitszeit gewertet und mit Überstundenvergütung bezahlt. Die Voraussetzungen dieses Anspruchs liegen nicht vor, wenn der Kläger im unmittelbaren Anschluß an seine regelmäßige Arbeitszeit weiterarbeiten muß. Er leistet dann keine Rufbereitschaft, sondern Überstunden.
a) Wird angeordnet, daß der Angestellte über die betriebliche Arbeitszeit hinaus weiterzuarbeiten hat, so ist das nicht die Anordnung von Rufbereitschaft, denn dem Angestellten wird nicht die Weisung erteilt, sich an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Vielmehr werden in einem solchen Fall Überstunden angeordnet, denn der Angestellte wird verpflichtet, Arbeitsstunden zu leisten, die über die dienstplanmäßig bzw. betrieblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen (vgl. § 17 Abs. 1 BAT; zur Anordnung von Überstunden vgl. weiter Urteil des Senats vom 24. Oktober 1990 - 6 AZR 37/89 - BAGE 66, 154).
Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber zuvor in einem Dienstplan Rufbereitschaft angeordnet hatte. Der Arbeitgeber darf grundsätzlich in Ausübung seines Weisungsrechts, das Zeit, Ort und Art der Arbeitsleistung umfaßt, bestimmen, welche Art von Leistung der Arbeitnehmer zu erbringen hat (vgl. BAG Urteil vom 4. Dezember 1986 - 6 AZR 123/84 - EzBAT SR 2 c Bereitschaftsdienst Nr. 1, zu II 2 der Gründe). Er darf also entweder Rufbereitschaft oder Überstunden anordnen und ist auch berechtigt, die in einem Dienstplan im voraus getroffene Anordnung zu ändern. Statt der zunächst dienstplanmäßig vorgesehenen Rufbereitschaft darf er somit Überstunden anordnen. Gebunden ist der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung nur durch Gesetz, Kollektiv- und Einzelarbeitsvertragsrecht. Tatsächliche Umstände, die unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt zu Bedenken gegen die Wirksamkeit der vom Kläger beanstandeten Anordnungen des Beklagten Anlaß geben, sind nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich. Eine Anordnung von Überstunden ist nach Nr. 6 Abschn. A zu SR 2 a BAT in dringenden Fällen zulässig. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß diese Voraussetzung gegeben ist, wenn eine Operation nicht innerhalb der regelmäßigen Dienstzeit beendet werden kann oder weitere Operationen vorzunehmen sind.
b) Zu Unrecht meint die Revision, bei dienstplanmäßig angeordneter Rufbereitschaft sei die Anordnung der Überstunden rechtlich als ein Arbeitsabruf im Sinne der Rufbereitschaftsregelung anzusehen.
Gemäß Nr. 6 Abschn. B Abs. 6 Unterabs. 1 zu SR 2 a BAT liegt Rufbereitschaft vor, wenn sich der Angestellte auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufhalten muß, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber anordnet, der Angestellte habe im unmittelbaren Anschluß an die regelmäßige Arbeitszeit weiterzuarbeiten.
aa) Arbeitet ein Angestellter unmittelbar im Anschluß an die regelmäßige betriebliche Arbeitszeit auf Anordnung weiter, so stellt diese Anordnung rechtlich keinen Abruf i. S. der Nr. 6 Abschn. B Abs. 6 Unterabs. 1 zu SR 2 a BAT dar. Ein Abruf zur Arbeit setzt denknotwendig voraus, daß er außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit in der Zeit der Rufbereitschaft erfolgt. Arbeiten, die im voraus und damit innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden, erfüllen nicht die Voraussetzungen des Abrufs aus der Rufbereitschaft (vgl. BAG Urteil vom 4. Dezember 1986 - 6 AZR 123/84 - aaO).
bb) Außerdem hält der Angestellte sich in diesem Fall nicht an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle auf. Diese tarifliche Voraussetzung bedeutet, daß der Angestellte frei und selbstbestimmt seinen Aufenthaltsort wählen konnte (vgl. Senatsurteile vom 4. Dezember 1986 - 6 AZR 123/84 - aaO, zu II 4 a der Gründe, vom 4. August 1988 - 6 AZR 48/86 - ZTR 1989, 147, 148 = EzBAT SR 2 a Rufbereitschaft Nr. 4, zu II 3 b der Gründe, und vom 19. Dezember 1991 - 6 AZR 592/89 - EzA § 611 BGB Arbeitsbereitschaft Nr. 1 = ZTR 1992, 247, 248, zu II 2 der Gründe). Dies ist aber nicht der Fall, wenn der Arbeitgeber Überstunden und damit den Aufenthalt des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz angeordnet hat.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Peifer Dr. Jobs Dr. Armbrüster
Fohrmann Kamm
Fundstellen
Haufe-Index 440787 |
BAGE 72, 26-29 (LT1) |
BAGE, 26 |
BB 1993, 1517 |
BB 1993, 1517-1518 (LT1) |
DB 1993, 692 (LT1) |
ARST 1993, 97-98 (LT1) |
NZA 1993, 659 |
NZA 1993, 659-660 (LT1) |
USK, 92106 (ST) |
WzS 1994, 172 (S) |
ZAP, EN-Nr 417/93 (S) |
ZTR 1993, 202-203 (LT1) |
AP § 17 BAT (LT1), Nr 20 |
ArztR 1993, 231-232 (T) |
EzA § 611 BGB Arbeitsbereitschaft, Nr 2 (LT1) |
EzBAT § 15 BAT Rufbereitschaft, Nr 3 (LT1) |
MDR 1993, 454 (LT1) |
SVFAng Nr 82, 13 (1994) (S) |