Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruchsübergang auf Bundesanstalt für Arbeit und Aufrechnungsverbot
Leitsatz (redaktionell)
Das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB in Verbindung mit § 850c ZPO gilt auch zugunsten der Bundesanstalt für Arbeit, soweit der Anspruch des arbeitslosen Arbeitnehmers auf Zahlung von Arbeitsentgelt nach § 117 Abs 4 AFG (jetzt § 115 Abs 1 SGB 10) auf sie übergegangen ist (Fortführung von BAG Urteil vom 6. Dezember 1978 - 5 AZR 436/77 - AP Nr 4 zu § 115 GewO).
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 08.03.1983; Aktenzeichen 4 Sa 1827/82) |
ArbG Duisburg (Entscheidung vom 07.10.1982; Aktenzeichen 2 Ca 803/82) |
Tatbestand
Der bei der Klägerin versicherte, verheiratete und einem Kind unterhaltspflichtige Albert M war seit November 1978 bis zu seiner fristlosen Entlassung am 25. Oktober 1979 mit einem Monatsgehalt von 2.200,-- DM brutto beim Beklagten als technischer Zeichner beschäftigt. In dem wegen der Kündigung geführten Prozeß haben sich M und der Beklagte vergleichsweise über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 1979 geeinigt. In einem weiteren Rechtsstreit wurde der Beklagte durch rechtskräftiges Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 13. April 1981 - 10 Sa 86/81 - verurteilt, an Albert M 3.100,-- DM brutto (Lohn für November 1979 in Höhe von 2.200,-- DM und Urlaubsabgeltung von 900,-- DM brutto) abzüglich des an M gewährten Arbeitslosengeldes zu zahlen.
Mit der vorliegenden Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Zahlung des an M für die Zeit vom 1. bis 30. November 1979 gezahlten Arbeitslosengeldes von 1.105,-- DM in Anspruch. Sie hat vorgetragen, in Höhe der Klageforderung sei der Lohnanspruch des Versicherten M gemäß § 117 Abs. 4 Satz 2 AFG auf sie übergegangen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die
Klägerin 1.105,-- DM nebst 4 % Zinsen
seit dem 27. April 1982 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und erklärt, er rechne mit Schadenersatzansprüchen in Höhe von mindestens 4.440,-- DM gegen die Klageforderung auf. Durch grob fahrlässige Schlechtleistung des Arbeitnehmers M, der im übrigen seine Arbeitskraft nach der fristlosen Entlassung nicht mehr angeboten habe, sei der Me GmbH ein erheblicher Schaden entstanden, der zum Konkurs der Gesellschaft geführt habe. Die Me GmbH habe ihm die Schadenersatzforderung abgetreten. Die zumindest grob fahrlässige Vertragsverletzung des Arbeitnehmers M sei somit einer vorsätzlichen Vertragsverletzung gleichzusetzen, so daß eine analoge Anwendung des § 394 BGB auf § 117 Abs. 4 AFG nicht in Betracht komme.
Gegen den Beklagten ist am 29. Juli 1982 Versäumnisurteil nach Klageantrag ergangen, welches das Arbeitsgericht mit Urteil vom 7. Oktober 1982 aufrechterhalten hat. Das Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 8. März 1983 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Arbeitsgericht, dessen Rechtsauffassung sich das Landesarbeitsgericht voll angeschlossen hat, hat ausgeführt, der unpfändbare Teil des Lohnes des Arbeitnehmers M für November 1979 in Höhe von 1.120,80 DM netto sei unabhängig vom Pfändungsverbot gemäß § 117 Abs. 4 Satz 3 AFG auf die Klägerin übergegangen. Hiervon mache die Klägerin nur 1.105,-- DM geltend. Das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB sei durch den Übergang der Lohnansprüche auf die Klägerin nicht entfallen, da insoweit nichts anderes gelten könne, wie nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 6. Dezember 1978 - 5 AZR 436/77 - (AP Nr. 4 zu § 115 GewO) für den nach § 182 Abs. 10 RVO auf die Krankenkasse übergegangenen Lohnfortzahlungsanspruch. Auch im Falle des § 117 Abs. 4 AFG sei eine im wesentlichen gleiche Interessenlage gegeben, wie bei § 182 Abs. 10 RVO, die das Bundesarbeitsgericht veranlaßt habe, den Krankenkassen die Berufung auf das Aufrechnungsprivileg gemäß § 394 BGB zu gestatten. Der Arbeitgeber würde auch im vorliegenden Falle durch Nichterfüllung seiner Lohnzahlungspflicht einen Vorteil erlangen, wenn sich die Bundesanstalt für Arbeit gegenüber dem Arbeitgeber nicht auf das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB berufen könnte. Der Beklagte stütze seine angeblichen Schadenersatzansprüche auch nicht auf eine vorsätzlich unerlaubte Handlung des Arbeitnehmers M, die es rechtfertigen würde, den mit § 394 BGB bezweckten Schutz zessieren zu lassen.
II. Diesen vom Landesarbeitsgericht übernommenen Ausführungen des Arbeitsgerichts ist voll beizupflichten; sie begegnen keinen revisionsrechtlichen Bedenken. Dabei sind die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mangels eines Tatbestandsberichtigungsantrages oder einer zulässigen Verfahrensrüge für den Senat bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO).
1. Bei der rechtlichen Beurteilung ist demnach davon auszugehen, daß 1.120,80 DM von den November-Bezügen 1979 des Arbeitnehmers M unpfändbar sind und der Anspruch in Höhe des geltend gemachten Betrages von 1.105,-- DM gemäß der seinerzeit maßgebenden Fassung des § 117 Abs. 4 Satz 2 AFG (vgl. jetzt § 115 Abs. 1 und 2 SGB X) auf die Klägerin übergegangen ist. Entgegen den Bedenken der Revision handelt es sich bei dem von der Klägerin geltend gemachten Betrag auch um den unpfändbaren Anteil des Gehalts für November 1979 des Arbeitnehmers M. Das folgt daraus, daß die Klägerin mit der Zahlung eines Arbeitslosengeldes für einen Zeitraum, für den an sich ein Lohnanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber besteht, nur vorläufig eintritt, um dem arbeitslosen Arbeitnehmer auch während dieses Zwischenzeitraums die notwendige Lebensgrundlage zu gewährleisten. Das ist der wirtschaftliche Zweck des § 117 Abs. 4 Satz 1 AFG. Es handelt sich gleichsam um einen "Sockelbetrag", durch den der Unterhalt des arbeitslosen Arbeitnehmers und seiner Angehörigen sichergestellt werden soll und der damit notwendigerweise dem unpfändbaren Teil des Arbeitseinkommens nach § 850 c ZPO zugeordnet werden muß, der ebenfalls der Existenzsicherung dient.
2. Die allein streitentscheidende Frage, ob das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB in Verbindung mit § 850 c ZPO auch bei einem Übergang der Lohnansprüche auf die Bundesanstalt für Arbeit gemäß § 117 Abs. 4 AFG (jetzt § 115 SGB X) durchgreift, haben die Vorinstanzen mit Recht bejaht.
a) Soweit eine Forderung der Pfändung nicht unterworfen ist, findet die Aufrechnung gegen die Forderung nicht statt (§ 394 Satz 1 BGB). Das rechtfertigt sich daraus, daß die Pfändungsverbote nicht nur im Interesse des Schuldners, sondern auch aus Gründen des Allgemeinwohles mit dem Ziele erlassen worden sind, jedermann die Grundlage für ein bescheidenes menschenwürdiges Dasein zu sichern. Dieser gesetzgeberische Grundgedanke greift aber dann nicht mehr ohne weiteres ein oder ist zumindest infrage gestellt, wenn die unpfändbare Forderung kraft Gesetzes auf einen anderen übergeht, der dieses besonderen sozialen Schutzes nicht bedürftig ist. Grundsätzlich wird deshalb angenommen, daß der Pfändungsschutz (§§ 850 ff. ZPO) und damit auch das Aufrechnungsverbot (§ 394 BGB) entfallen, wenn die Ansprüche kraft Gesetzes, z.B. gemäß § 1542 RVO (jetzt § 116 SGB X), auf den Sozialleistungsträger übergehen, der dieses Schutzes nicht bedarf (BGHZ 35, 317, 326, 327 m.w.N.; BGB-RGRK-Weber, 12. Aufl., § 394 Rz 8). Es gäbe, so wird argumentiert, keinen Rechtssatz, wonach die Aufrechnung, die einem Schuldner gegen einen Gläubiger gesetzlich versagt ist, auch gegenüber dem Rechtsnachfolger des Gläubigers schlechthin unstatthaft sein müsse (RGZ 140, 43, 46). Erst aus dem Zweck des Aufrechnungsverbotes könne die Frage entschieden werden, ob es auch noch nach der Abtretung Geltung beanspruchen könne.
b) Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts ist im Urteil vom 6. Dezember 1978 - 5 AZR 436/77 - (AP Nr. 4 zu § 115 GewO, m. zust. Anm. von Weitnauer und m. zust. Anm. von Herschel in EzA § 115 GewO Nr. 5) dieser Auffassung zwar für den Geltungsbereich des § 1542 RVO (jetzt § 116 SBG X) gefolgt, weil in diesen Fällen die Sozialversicherungsträger unabhängig vom Bestehen von Schadenersatzansprüchen gegen Dritte zur Leistung an ihre Versicherten verpflichtet sind. Er hat diese rechtliche Folgerung für den Bereich der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle aber mit guten und überzeugenden Gründen abgelehnt. Im Falle der Krankheit des Arbeitnehmers müsse der Arbeitgeber im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Lohnfortzahlung die damit verbundenen wirtschaftlichen Lasten tragen. Gemäß § 189 RVO ruhe der Krankengeldanspruch des Versicherten, soweit der Arbeitgeber den Krankenlohn tatsächlich zahle. Komme er dieser Verpflichtung nicht nach, so müsse die Kasse das Krankengeld zahlen. Aus dem für diesen Fall angeordneten gesetzlichen Übergang des Lohnfortzahlungsanspruches nach § 182 Abs. 10 RVO (jetzt § 115 SGB X) werde deutlich, daß die Krankenkassen wirtschaftlich gesehen nur eine vorläufige Einstandspflicht treffe. Wenn sich die Kassen gegenüber dem Arbeitgeber nicht auf das Aufrechnungsprivileg des § 394 BGB berufen könnten, würde der Arbeitgeber durch die Nichterfüllung seiner gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht einen Vorteil erlangen, was aber nicht der im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung bestehenden besonderen Interessenlage entspreche.
c) Dieser Auffassung des Fünften Senats (aaO), die im Schrifttum keinen Widerspruch erfahren hat (aaO), ist auch für den Bereich des Arbeitslosengeldes gemäß § 117 Abs. 4 AFG zu folgen, da insoweit eine gleiche, zumindest aber vergleichbare Interessenlage vorliegt. Die Gleichbehandlung beider Tatbestände legt schon die neuerdings erfolgte Zusammenfassung der den Übergang von Ansprüchen regelnden Vorschriften in § 115 SGB X nahe (vgl. v. Maydell/Schellhorn, GK-SGB X 3, § 115 Rz 1 ff.). Diese formale Betrachtung wird durch sachliche Erwägungen bestätigt.
Nach § 117 Abs. 1 AFG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat. Ähnliches gilt nach § 117 Abs. 2 AFG für die dort aufgeführten Leistungen. Soweit der Arbeitslose die in Abs. 1 und 2 genannten Leistungen tatsächlich jedoch nicht erhält, wird das Arbeitslosengeld auch in der Zeit gewährt, in der der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht (§ 117 Abs. 4 Satz 1 AFG). Um jedoch Doppelleistungen zu vermeiden für den Fall, daß der Arbeitgeber später die geschuldete Leistung zahlt, geht der Anspruch des Arbeitslosen gegen den Arbeitgeber auf die geschuldeten Leistungen in Höhe des gewährten Arbeitslosengeldes auf die Bundesanstalt für Arbeit über (§ 117 Abs. 4 Satz 2 AFG a.F., jetzt § 115 Abs. 1 SGB X). Anlaß des gesetzlichen Forderungsüberganges (§ 412 BGB) ist das in der Zeit des Ruhens (November 1979) gezahlte Arbeitslosengeld. Ebenso wie nach § 182 Abs. 10 RVO a.F. (jetzt § 115 Abs. 1 SGB X) die Krankenkasse vorläufig einstehen muß, so trifft auch nach § 117 Abs. 4 Satz 1 AFG die Bundesanstalt für Arbeit eine vorläufige Einstandspflicht für den Fall, daß der Arbeitgeber seiner Lohnzahlungsverpflichtung nicht nachkommt. Auf diese Weise soll die Lebensgrundlage des Arbeitnehmers auch für diesen Zwischenzeitraum sichergestellt bleiben (vgl. oben unter II 1). Ähnlich wie in dem vom Fünften Senat mit Urteil vom 6. Dezember 1978 (aaO) entschiedenen Fall würde der Arbeitgeber durch die Nichterfüllung seiner Lohnzahlungspflicht zu Lasten der Allgemeinheit bzw. der Solidargemeinschaft durch die nicht rechtzeitige Erfüllung der Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgeltes einen ungerechtfertigten Vorteil erlangen, wenn sich die Bundesanstalt für Arbeit nicht auf das Aufrechnungsprivileg des § 394 BGB berufen könnte. Es widerspräche der in diesen Fällen bestehenden besonderen Interessenlage, wenn der Bundesanstalt für Arbeit dies versagt würde. Für eine analoge Anwendung des § 395 BGB ist somit, wie sich aus der dargelegten Interessenlage ohne weiteres ergibt, entgegen der Auffassung der Revision kein Raum. Eine Aufrechnung mit Gegenforderungen ist daher grundsätzlich ausgeschlossen.
3. Eine Aufrechnung kommt trotz des Aufrechnungsverbotes nach § 394 BGB nur dann in Betracht, wenn der Berufung auf das Aufrechnungsverbot im Einzelfall die Einrede der Arglist entgegensteht. Das ist dann der Fall, wenn die Gegenforderung, mit der aufgerechnet werden soll, auf einer im Rahmen des Arbeitsverhältnisses begangenen vorsätzlichen, wenn auch nicht strafbaren unerlaubten Handlung oder einer vorsätzlichen Vertragsverletzung beruht (BAG 9, 137 = AP Nr. 5 zu § 394 BGB, m. krit. Anm. von A. Hueck; BAG 16, 228 = AP Nr. 9 zu § 394 BGB, m. zust. Anm. von Bötticher; abweichend BAG Urteil vom 16. Juni 1960 - 5 AZR 121/60 - AP Nr. 8 zu § 394 BGB, m. krit. Anm. von Pohle; vgl. ferner BGH Urteil vom 22. April 1959 - IV ZR 255/58 - AP Nr. 4 zu § 394 BGB, wonach nur die Aufrechnung mit einer Schadenersatzforderung aus vorsätzlich unerlaubter Handlung gestattet wird, sowie BGH Urteil vom 4. Dezember 1968 - IV ZR 671/68 - AP Nr. 12 zu § 394 BGB, das offenläßt, ob auch mit einer aus einer vorsätzlichen Vertragsverletzung herrührenden Forderung aufgerechnet werden kann). Diese Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Aufrechnungsverbot sind unstreitig nicht gegeben. Die Forderung, mit der der Beklagte gegen die Klagforderung aufrechnen will, beruht, wie der Beklagte selbst vorgetragen hat, nicht auf einer vorsätzlichen, sondern allenfalls auf einer grob fahrlässigen Vertragsverletzung. Eine Aufrechnung scheidet daher aus, da weder eine Gleichsetzung der groben Fahrlässigkeit mit Vorsatz noch eine Ausweitung der Aufrechnungsmöglichkeit auch auf Forderungen, die auf grob fahrlässigen Vertragsverletzungen beruhen, in Betracht kommt. An dem Erfordernis, daß jedenfalls eine vorsätzliche Schadenszufügung vorliegen muß, ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit festzuhalten (MünchKomm-Feldmann, BGB, § 394 Rz 8; Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl., § 394 Rz 5; BGB-RGRK- Weber, 12. Aufl., § 394 Rz 27).
III. Die Revision war daher aus den dargelegten Gründen mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Hillebrecht Dr. Röhsler Triebfürst
Wellhausen Dr. Bächle
Fundstellen
DB 1985, 499-500 (LT1) |
BlStSozArbR 1985, 3-4 (T) |
NZA 1985, 186-187 (LT1) |
AP § 115 SGB X (LT1), Nr 1 |
AR-Blattei, Aufrechnung im Arbeitsverhältnis Entsch 9 (LT1) |
AR-Blattei, ES 270 Nr 9 (LT1) |
ZfA 1985, 591-592 (T) |