Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Tariföffnung
Orientierungssatz
1. Betriebsvereinbarungen, die ursprünglich gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßen haben, können durch eine spätere Tariföffnungsklausel rückwirkend wirksam werden.
2. Eine rückwirkende Tariföffnung kann auch in bereits entstandene und fällig gewordene, aber noch nicht erfüllte Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer eingreifen.
Normenkette
BetrVG 1972 § 77 Abs. 3; Urlaubsabkommen für Beschäftigte Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 18. Dezember 1996 §§ 3, 4.3; Tarifvertrag über die Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 18. Dezember 1996 § 2.2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 11. April 2001 – 4 Sa 263/00 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung eines Betrags in Höhe von 4.725,49 Euro aus einem „Sicherungsschein 1998”.
Der Kläger war bei der Beklagten seit Oktober 1993 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Tarifverträge der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden Anwendung. Es endete durch Kündigung des Klägers zum 31. Dezember 1998.
Nach § 4 des Urlaubsabkommens für Beschäftigte Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden von 18. Dezember 1996 besteht ein Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgeld pro Urlaubstag in Höhe von 50 % von 1/21,75 des normalen Urlaubsentgelts. Nach § 4.5 des Abkommens ist das zusätzliche Urlaubsgeld grundsätzlich vor Antritt des Urlaubs zu zahlen. Durch Betriebsvereinbarung kann der Termin für die Fälligkeit einheitlich festgelegt werden, jedoch nicht später als zum 30. Juni eines Urlaubsjahres. Darüber hinaus besteht nach dem Tarifvertrag über die Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen vom 18. Dezember 1996 nach einer Beschäftigungsdauer von 36 Monaten ein Anspruch auf eine Sonderzahlung in Höhe von 55 % eines Monatsverdienstes. Als Zeitpunkt der Auszahlung gilt, sofern nicht durch Betriebsvereinbarung geregelt, nach § 3 dieses Tarifvertrags der 1. Dezember.
Auf Grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten schlossen die Beklagte und der Betriebsrat unter dem 2. Mai 1997 eine Betriebsvereinbarung zur Kürzung des Urlaubsgeldes und der Sonderzahlung. Darin ist im einzelnen bestimmt:
„1.Zusätzliches Urlaubsgeld und betriebliche Sonderzahlung
Das zusätzliche Urlaubsgeld und die betriebliche Sonderzahlung werden unter Bezugnahme auf den Zusatztarifvertrag vom 03.06.1997, 1997 und 1998 in der Weise für alle Beschäftigten nach demselben Prozentsatz abgesenkt, daß pro Jahr ein Gesamtvolumen von DM 1 Mio. eingespart wird.
Die Auszahlung erfolgt jeweils mit der August-Abrechnung im September.
…
3.Gewinnausschüttung
Die Betriebsparteien haben bezüglich einer Gewinnausschüttung folgendes vereinbart:
Gewinne werden an die Belegschaft ab dem Geschäftsjahr 1999 in Höhe von 10 % der jährlich erzielten Gewinne vor Steuer ausgeschüttet. Diese Gewinnbeteiligung endet, wenn ein Betrag in Höhe von DM 3.024.050,56 an die gesamte Belegschaft ausgeschüttet wurde (Anlage 2).
…
7.Inkrafttreten
Diese Betriebsvereinbarung tritt am 01.04.1997 in Kraft und tritt außer Kraft mit Erfüllung der materiellen Ansprüche aus dieser Vereinbarung. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die Betriebsvereinbarung nicht gekündigt werden.
Die Anlagen 1 – 4 sind Bestandteil dieser Betriebsvereinbarung.”
In der Anlage 2 zu dieser Betriebsvereinbarung ist ua. geregelt:
„Erfolgsprämie
- Die am 01.07.1997 bei der W GmbH, D oder hieraus ausgegliederter Unternehmen tätigen Beschäftigten leisten durch Verzicht auf Teile ihres zusätzlichen Urlaubsgeldes und der betrieblichen Sonderzahlung jeweils im Jahr 1997 und 1998 durch die Einstellung ihrer Zeitguthaben in ein Langzeitkonto einen betrieblichen Sanierungsbeitrag, der durch die Regelungen der vorliegenden Vereinbarung ausgeglichen wird.
- 10 % der Gewinne vor Steuer, die ab Geschäftsjahr 1999 in der jeweiligen konsolidierten Bilanz des Vorjahres ausgewiesen wurden, kommen im Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses an die anspruchsberechtigten Beschäftigten vorgenannter Firmen als Erfolgsprämie zur Auszahlung.
- Anspruchsberechtigt sind Beschäftigte, die am 30.09.97/30.09.98 und am Auszahlungstermin in einem Arbeitsverhältnis mit den vorgenannten Firmen stehen und in den Jahren 1997 und 1998 ein zusätzliches Urlaubsgeld und eine betriebliche Sonderzahlung erhalten, sowie ihr Zeitguthaben in ein Langzeitkonto (gemäß Punkt 1 der Betriebsvereinbarung vom 02.05.1997) eingestellt haben.
Jede/r Beschäftigte, die/der am jeweiligen Stichtag 01.04.97, 30.09.97, 30.09.98 in einem Arbeitsverhältnis zur Fa. W GmbH, D oder hieraus ausgegliederten Unternehmen steht, erhält mit der Abrechnung des Monats in dem der Stichtag liegt einen Sicherungsschein über die jeweilige Summe. Dieser Sicherungsschein weist seinen persönlichen prozentualen Anteil an dem Sanierungsbeitrag aller Beschäftigten des/der Unternehmen aus.
…
- Die Gewinnbeteiligung der Beschäftigten nach der vorliegenden Vereinbarung endet, sobald DM 3.024.050,56 ausbezahlt sind.
…”
Unter dem 3. Juni 1997 schlossen der Verband der Metallindustrie Baden-Württemberg e.V., Stuttgart und die Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitung Stuttgart einen Zusatztarifvertrag ua. für die Beklagte. Darin heißt es:
„2. Änderung von Tarifverträgen
2.1.1 Das zusätzliche Urlaubsgeld aus dem Urlaubsabkommen vom 18.12.1996 wird in den Jahren 1997 und 1998 abgesenkt.
2.1.2 Die Sonderzahlung aus dem Tarifvertrag Sonderzahlung vom 18.12.1996 wird in den Jahren 1997 und 1998 abgesenkt.
2.1.3 Das Volumen der Absenkung regelt die Betriebsvereinbarung vom 2. Mai 1997.
…
4. Der Zusatztarifvertrag tritt am 1.4.1997 in Kraft. …”
Der Kläger erhielt mit Datum vom 14. Dezember 1998 einen „Sicherungsschein 1998” über den Kürzungsbetrag des Urlaubsgeldes und der betrieblichen Sonderzahlung bezogen auf die Jahre 1997 und 1998. Darin heißt es:
„Folgende Beträge sind Bestandteil des Sicherungsscheins:
1. |
Aus zusätzlichem Urlaubsgeld und betrieblicher Sonderzahlung 1997 |
DM 4.434,24 |
…. |
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3. |
Aus zusätzlichem Urlaubsgeld und betrieblicher Sonderzahlung 1998 |
DM 4.808,01 |
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Summe: |
DM 9.242,25 |
Ihr Anteil an der Gewinnausschüttung = 0,2989 %
…”
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, für das durch Betriebsvereinbarung gekürzte Urlaubsgeld und die betriebliche Sonderzahlung sei ihm der Sicherungsschein ausgehändigt worden. Darin seien im Wege der Schuldumschaffung die Kürzungsbeträge verbrieft worden. Mit seinem Ausscheiden aus dem Betrieb sei die Zahlung dieses Betrags fällig geworden. Ein endgültiger Rechtsverlust in Folge der Eigenkündigung widerspreche dem Zweck des Sicherungsscheins.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 9.242,25 DM (4.725,49 Euro) brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 3. Juli 1999 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, durch den Zusatztarifvertrag vom 3. Juni 1997 seien das zusätzliche Urlaubsgeld sowie die Sonderzahlung für die Jahre 1997 und 1998 wirksam abgesenkt worden. Der durch Betriebsvereinbarung geregelte Sicherungsschein dokumentiere lediglich den persönlichen Anteil des Klägers an einem vom Unternehmen zu erwirtschaftenden Gewinn. Ein Gewinn sei bisher nicht erzielt worden; der Anspruch sei daher nicht fällig. Im übrigen stehe nur denjenigen Arbeitnehmern eine Gewinnbeteiligung zu, die zum Zeitpunkt der Ausschüttung noch betriebszugehörig seien.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Er kann von der Beklagten nicht die Zahlung des restlichen Urlaubsgeldes und der restlichen betrieblichen Sonderzahlung für die Jahre 1997 und 1998 in Höhe von insgesamt 4.725,49 Euro verlangen (I). Ihm steht auch kein Anspruch auf Auszahlung einer Erfolgsprämie nach Maßgabe des Sicherungsscheins zu (II).
I. Der Kläger hat für die Zeit von 1997 bis einschließlich 1998 keinen Anspruch auf Zahlung des vollen Urlaubsgeldes nach § 4.3 des Urlaubsabkommens für Beschäftigte Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 18. Dezember 1996 und der vollständigen betrieblichen Sonderzahlung nach dem Tarifvertrag über die Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen. Diese Ansprüche sind durch die Betriebsvereinbarung vom 2. Mai 1997 wirksam gekürzt worden. Die Betriebsvereinbarung verstieß zwar gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG. Dieser Verstoß ist aber rückwirkend durch den Zusatztarifvertrag vom 3. Juni 1997 beseitigt worden.
1. Nach Nr. 1 der Betriebsvereinbarung von 1997 waren das tarifliche Urlaubsgeld und die Sonderzahlung für die Jahre 1997 und 1998 für alle Arbeitnehmer nach einem einheitlichen Prozentsatz bis zum Erreichen eines darin bezifferten Einsparvolumens zu kürzen. Der auf den Kläger entfallende Kürzungsbetrag belief sich danach auf 4.725,49 Euro.
2. Diese Betriebsvereinbarung war zunächst unwirksam. Sie verstieß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG, nach dem Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können. Das gewährleistet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Dazu räumt die Vorschrift den Tarifvertragsparteien den Vorrang zur Regelung von Arbeitsbedingungen ein. Diese Befugnis soll nicht durch ergänzende oder abweichende Regelungen der Betriebsparteien ausgehöhlt werden (BAG 20. Februar 2001 – 1 AZR 233/00 – AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 15 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 65; 20. April 1999 – 1 ABR 72/98 – BAGE 91, 210, 221). Die Höhe des zusätzlichen Urlaubsgeldes und der betrieblichen Sonderzahlung sind in Tarifverträgen abschließend geregelt. Über sie konnten die Betriebsparteien ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien nicht verfügen (§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG).
3. Eine solche Tariföffnung enthält der Zusatztarifvertrag vom 3. Juni 1997. Dadurch ist die Betriebsvereinbarung 1997 nachträglich wirksam geworden.
a) Der Zusatztarifvertrag vom 3. Juni 1997 hat zum Ziel, die maßgeblichen Tarifverträge für die Betriebsvereinbarung 1997 zu öffnen und ihr nachträglich Wirksamkeit zu verschaffen. Das folgt aus dem systematischen Zusammenhang der Tarifvorschriften. Danach regeln Nr. 2.1.1 und Nr. 2.1.2 die Absenkung der entsprechenden Tarifansprüche. Die Höhe des Kürzungsbetrags soll durch die Betriebsvereinbarung vom 2. Mai 1997 festgelegt werden. Damit haben die Tarifvertragsparteien nicht durch eine statische Verweisung auf die bereits bestehende Betriebsvereinbarung deren Inhalt zum Gegenstand des Tarifvertrags gemacht, sondern die Festlegung der Höhe der Absenkung den Betriebsparteien überantwortet.
b) Die zuständigen Tarifvertragsparteien konnten die Öffnungsklausel auch rückwirkend zum 1. April 1997 vereinbaren.
Nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG ist es den Tarifvertragsparteien vorbehalten, ob sie eine abweichende Betriebsvereinbarung zulassen wollen oder nicht. Sie allein haben darüber zu befinden, inwieweit sie den Betriebsparteien die ihnen von § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG entzogene Gestaltungsmacht zurückgeben. Dieser Schutzzweck schließt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats die nachträgliche Billigung einer tarifwidrigen Vereinbarung nicht aus (BAG 20. April 1999 – 1 AZR 631/98 – BAGE 91, 244).
c) Die rückwirkende Tariföffnung griff nicht in unzulässiger Weise in erworbene Rechte des Klägers ein.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts tragen tarifliche Regelungen während ihrer Laufzeit den Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich. Das gilt unter Beachtung des Vertrauensschutzes auch für bereits entstandene und fällig gewordene, aber noch nicht erfüllte Ansprüche. Sie genießen keinen Sonderschutz gegenüber rückwirkenden Änderungen (BAG 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – BAGE 78, 309 = AP TVG § 1 Rückwirkung Nr. 12 mit Anm. Wiedemann und Buchner).
Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Zusatztarifvertrags am 3. Juni 1997 waren die Ansprüche des Klägers auf die Sonderzahlung für die Jahre 1997 und 1998 noch nicht einmal entstanden. Nach § 3 Tarifvertrag Sonderzahlung setzt das Entstehen des Anspruchs auf die Sonderzahlung ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Auszahlung voraus. Der für den Kläger geltende tarifvertragliche Auszahlungszeitpunkt des 1. Dezember des jeweiligen Jahres war bei Abschluß des Zusatztarifvertrags noch nicht erreicht. Eine anteilige Zahlung sieht der Tarifvertrag Sonderzahlung nicht vor.
Für das Urlaubsgeld 1998 gilt nichts anderes. Ein darauf gerichteter Anspruch konnte vor Erreichen des zugrunde liegenden Urlaubsjahres nicht entstehen. Auch gegen die Kürzung des Urlaubsgeldes für 1997 war der Kläger nicht geschützt. Sein Anspruch auf das Urlaubsgeld für das Jahr 1997 war bei Abschluß des Tarifvertrags zwar entstanden, aber noch nicht fällig. Nach § 4.5 des Urlaubsabkommens ist die Urlaubsvergütung, bestehend aus dem Urlaubsentgelt und dem zusätzlichen Urlaubsgeld, vor Antritt des Urlaubs zu zahlen. Der Kläger hatte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts vor Abschluß des Zusatztarifvertrags aber noch keinen Urlaub in Anspruch genommen.
II. Ein Zahlungsanspruch des Klägers folgt auch nicht aus der im Anhang 2 zur Betriebsvereinbarung 1997 geregelten Erfolgsprämie oder der Aushändigung des Sicherungsscheins vom 14. Dezember 1998.
1. Der Anhang 2 zur Betriebsvereinbarung vom 2. Mai 1997 regelt weder eine Stundung fortbestehender Ansprüche noch deren Ersetzung durch Schuldumschaffung, sondern begründet Ansprüche auf eine von künftigen Gewinnen des Unternehmens abhängige „Erfolgsprämie”.
a) Dies kommt bereits in der Überschrift und der Benennung des Anspruchs als Erfolgsprämie zum Ausdruck. Es entspricht auch dem Zweck der Regelung, der sich anhand der Bestimmungen zur Prämienberechtigung und zum Prämienvolumen erschließt. Danach sollen diejenigen Arbeitnehmer im Falle eines wirtschaftlichen Erfolgs begünstigt werden, die dazu durch ihre Arbeitsleistung und die durch die Betriebsvereinbarung ermöglichte finanzielle Entlastung der Beklagten in den Jahren 1997 und 1998 beigetragen haben.
b) In der Betriebsvereinbarung finden sich weder für eine Stundung tariflicher Ansprüche noch für eine Schuldumschaffung Anhaltspunkte. Stundung ist das Herausschieben der Fälligkeit einer weiterhin zu erfüllenden Forderung. Die Betriebsvereinbarung 1997 regelt hinsichtlich des Urlaubsgeldes und der Sonderzahlung indessen keinen anderen Fälligkeitszeitpunkt, sondern eine Kürzung, die den Verlust des darauf gerichteten Teilanspruchs zur Folge hat. Der Sicherungsschein ist auch nicht Ausdruck einer Schuldumschaffung. Eine Schuldumschaffung ist gekennzeichnet durch die Aufhebung eines Schuldverhältnisses, an dessen Stelle ein anderes Schuldverhältnis tritt. Der Sicherungsschein weist aber lediglich die Höhe des Anspruchs auf eine künftige Gewinnbeteiligung aus. Etwas Gegenteiliges folgt auch nicht daraus, daß dem Kläger der Sicherungsschein kurz vor der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses von der Beklagten noch ausgehändigt worden ist. Damit hat die Beklagte keinen Anspruch zu Gunsten des Klägers begründen wollen. Sie hat lediglich ihrer Verpflichtung aus der Betriebsvereinbarung 1997 genügt. Diese sah in der Nr. 4 ihres Anhangs 2 ua. vor, daß jeder Arbeitnehmer, der nach Ablauf des 30. September 1998 noch bei der Beklagten beschäftigt war, einen Sicherungsschein erhalten sollte.
2. Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Zahlung einer Gewinnbeteiligung.
a) Der Kläger gehört nicht zum Kreis der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer. Nach Nr. 3 der Prämienregelung sind nur diejenigen Arbeitnehmer bezugsberechtigt, die zum 30. September 1997, zum 30. September 1998 und zum Auszahlungstermin bei der Beklagten beschäftigt sind. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Sein Arbeitsverhältnis hat bereits mit dem 31. Dezember 1998 geendet.
Die Betriebsparteien konnten Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – bereits vor der erstmals zu berücksichtigenden Gewinnausschüttung aus dem Unternehmen ausgeschieden wären, wirksam von einer Gewinnbeteiligung ausschließen. Nach § 75 Abs. 1 BetrVG haben die Betriebsparteien bei der Ausgestaltung einer Prämienregelung allerdings den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Dieser verbietet ihnen die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen gegenüber anderen in vergleichbarer Lage. Die Differenzierung ist sachfremd, wenn es nach dem Zweck der Leistung oder Vergünstigung dafür keine sachlichen oder billigenswerte Gründe gibt und sich damit die unterschiedliche Behandlung als sachwidrig und willkürlich erweist (BAG 23. Januar 2001 – 1 AZR 235/00 – nv., zu II 1 der Gründe; 9. November 1994 – 10 AZR 281/94 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 85 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 78, zu II 2 der Gründe; 19. Juli 1995 – 10 AZR 885/94 -BAGE 80, 286, 291; 3. August 1999 – 1 AZR 677/98 – nv., zu II 2 a der Gründe).
Die Stichtagsregelung in Nr. 3 der Betriebsvereinbarung soll vergangene wie künftige Betriebstreue honorieren. Solche Stichtagsregelungen sind grundsätzlich zulässig (BAG 26. Oktober 1994 – 10 AZR 109/93 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 167 = EzA BGB § 611 Gratifikation/Prämie Nr. 115, zu II 3 der Gründe; 19. November 1992 – 10 AZR 264/91 – BAGE 72, 1). Dabei ist der Ausschluß von Arbeitnehmern, die – wie der Kläger – aus dem Unternehmen ausscheiden, bevor überhaupt der Zeitpunkt erreicht ist, zu dem erstmals ein zur Ausschüttung kommender Gewinn zur Verfügung stehen kann, nicht sachfremd. Mit der Gewinnbeteiligung soll eine stärkere Verbundenheit der Arbeitnehmer mit dem Unternehmen erreicht werden. Es sollen die Arbeitnehmer belohnt werden, die sowohl durch die Absenkung der tariflichen Ansprüche als auch durch ihre Tätigkeit für die Beklagte im Zeitraum ab 1999 zur wirtschaftlichen Konsolidierung des Unternehmens beigetragen haben. Damit sollen die Arbeitnehmer auch für die Zukunft zur engagierten Mitarbeit bewegt werden. Diese Wirkung kann die Prämie bei den Arbeitnehmern, die bereits vor 1999 ausgeschieden sind, nicht mehr erreichen.
b) Überdies wäre ein Anspruch nach der Betriebsvereinbarung 1997 nicht fällig. Gemäß Nr. 2 der Betriebsvereinbarung kommen 10 % der Gewinne vor Steuer, die vom Geschäftsjahr 1999 an in der jeweiligen konsolidierten Bilanz des Vorjahres ausgewiesen werden, im Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses an die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer zur Auszahlung. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist im Geschäftsjahr 1999 aber kein Gewinn erwirtschaftet worden.
Unterschriften
Wißmann, Schmidt, Kreft, H. Blanke, Rösch
Fundstellen
Haufe-Index 749361 |
FA 2002, 327 |
NZA 2002, 927 |
SAE 2002, 350 |
EzA |
NJOZ 2003, 1179 |