Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebungsvertrag; Bedenkzeit; Widerrufsrecht; rechtsmißbräuchlicher Überrumpelungsversuch
Leitsatz (redaktionell)
Ein Aufhebungsvertrag ist nicht allein deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- bzw Widerrufsrecht eingeräumt und ihm auch das Thema des beabsichtigten Gesprächs vorher nicht mitgeteilt hat (gegen LArbG Hamburg Urteil vom 3. Juli 1991 - 5 Sa 20/91 - LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr 6).
Orientierungssatz
Auslegung des § 10 Ziffer 9 des Manteltarifvertrages für dem Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 6.7.1989.
Normenkette
TVG § 1; BGB §§ 242, 305, 123, 138
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 11.11.1992; Aktenzeichen 3 Sa 1141/92) |
ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 04.06.1992; Aktenzeichen 2 Ca 41/92) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen am 2. Januar 1992 begründete Arbeitsverhältnis durch einen am 16. Januar 1992 abgeschlossenen Aufhebungsvertrag beendet worden ist.
Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen, das Filialen in der gesamten Bundesrepublik unterhält. Die 1968 geborene ledige Klägerin wurde von der Beklagten ab 2. Januar 1992 als Verkäuferin gegen ein Bruttomonatsgehalt von 1.900,00 DM für die Filiale H eingestellt. Es war eine Probezeit bis zum 1. April 1992 mit einer Kündigungsfrist von einem Monat während der Probezeit vereinbart. Schon bei der Einstellung hatte die Klägerin den Bezirksverkaufsleiter, der gleichzeitig Mitglied des für die Filiale zuständigen Betriebsrats ist, darauf hingewiesen, sie habe wegen verminderter Merkfähigkeit ihre bisherige Stelle verloren. Die Klägerin wurde trotzdem eingestellt, erbrachte dann aber die erhoffte Arbeitsleistung als Verkäuferin und Kassiererin nicht. Am 16. Januar 1992 bat der Bezirksverkaufsleiter die Klägerin kurz vor Feierabend in den Aufenthaltsraum und erklärte ihr in Anwesenheit des Gebietsverkaufsleiters in einem ruhig geführten Gespräch, sie habe die erwartete Arbeitsleistung nicht erbracht und eine Weiterbeschäftigung habe keinen Sinn mehr. Er schlug der Klägerin vor, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufzulösen, Rat beim Arbeitsamt einzuholen und evtl. aus dem Einzelhandel auszuscheiden. Er legte der Klägerin eine vorgefertigte Auflösungsvereinbarung vor, wobei er die Klägerin darauf hinwies, sie solle sich die Vereinbarung in Ruhe genau durchlesen; wie das Arbeitsamt über die Sperrzeit entscheide, könne er ihr nicht sagen. Die Klägerin bedankte sich für das offene Gespräch, las die folgende Vereinbarung in Ruhe durch und unterschrieb sie dann:
"Das Arbeitsverhältnis zwischen Fräulein
R , tätig als Verkäuferin in
Filiale H
und der Fa. Warenhandelsgesellschaft mbH &
Co. oHG, Zweigniederlassung Hamm, ,
,
wird im beiderseitigen Einvernehmen mit Wirkung
vom 16.01.92 beendet.
Auf die tariflich vereinbarte Bedenkzeit von
3 Werktagen wird ausdrücklich beiderseits ver-
zichtet.*
Die tariflich vereinbarte Bedenkzeit von 3 Werk-
tagen wird in Anspruch genommen.*
Der Arbeitnehmer wurde darüber informiert, daß
verbindliche Auskünfte über Art, Höhe und Dauer
von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung
sowie mögliche Sperrfristen nur die zuständige
Arbeitsverwaltung geben kann.
Jede der beiden unterzeichnenden Parteien erhält
eine Ausfertigung dieser Vereinbarung.
H , am 16.01.1992
gez. R gez.: W
gez.:S
(Unterschrift des Arbeit- (Unterschrift des
nehmers) GVL/BVL)
*Nichtzutreffendes bitte streichen und von
beiden Parteien abzeichnen"
Mit Schreiben vom 17. Januar 1992 erklärte die Klägerin die Anfechtung der Vereinbarung vom 16. Januar 1992 zunächst wegen arglistiger Täuschung. Mit ihrer am 23. Januar 1992 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt sie die Feststellung des Fortbestandes ihres Arbeitsverhältnisses über den 16. Januar 1992 hinaus und ihre Weiterbeschäftigung. Zunächst stützte sie die Klage ebenfalls darauf, sie sei am 16. Januar 1992 arglistig getäuscht worden, weil man ihr wahrheitswidrig erklärt habe, die Kündigungsfrist betrage innerhalb der Probezeit einen Tag. Diese Behauptung hat die Klägerin später nicht mehr aufrechterhalten. Mit einem am 27. April 1992 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz berief sie sich erstmalig darauf, der Aufhebungsvertrag sei schon deshalb unwirksam, weil ihr am 16. Januar 1992 keine Bedenkzeit bzw. kein Widerrufsrecht eingeräumt worden sei. Da ihr der Gesprächsinhalt nicht vorher mitgeteilt worden sei, sei sie in dem Gespräch überrumpelt worden und es stelle deshalb eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn sich die Beklagte auf die Wirksamkeit der Auflösungsvereinbarung berufe. Außerdem scheitere die Wirksamkeit der Vereinbarung daran, daß der Verzicht auf die tarifvertragliche Bedenkzeit von drei Werktagen nicht gesondert unterschrieben sei.
Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, das Gespräch vom 16. Januar 1992 sei erforderlich gewesen, da der Filialleiter bei der Einarbeitung habe feststellen müssen, daß die Klägerin offensichtlich den Anforderungen an eine Verkäuferin und Kassiererin nicht gewachsen gewesen sei. Sie habe eine außerordentlich schlechte Merkfähigkeit bezüglich der Preise gehabt, so daß ein Kasseneinsatz nicht zu verantworten gewesen sei. Außerdem habe ihr Arbeitstempo zu wünschen übrig gelassen und sie habe in erhöhtem Maße Unaufmerksamkeiten bei der Preisauszeichnung gezeigt, was zu einer ständigen Mehrbelastung der anderen Mitarbeiter geführt habe. Als sich gezeigt habe, daß ein weiterer Einsatz der Klägerin in der Filiale und eine weitere Einarbeitung völlig sinnlos gewesen seien, habe man der Klägerin in dem ruhig und sachlich geführten Gespräch am 16. Januar 1992 erklärt, sie sei für die vereinbarte Beschäftigung nicht geeignet. Die Klägerin habe selbst eingesehen, daß sie den Anforderungen nicht genügt habe und sei über die Klärung der Angelegenheit sichtlich erleichtert gewesen. Der Inhalt der Vereinbarung sei mit der Klägerin ruhig erörtert worden und es habe ihrer freien Willensentscheidung unterlegen, den Vertrag zu unterzeichnen oder nicht.
Die Klägerin ist in den Vorinstanzen unterlegen und verfolgt mit der Revision ihren Klageantrag auf Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch den Aufhebungsvertrag zum 16. Januar 1992 beendet worden. Der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbare Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 1989 gewähre den Vertragspartnern bei Auflösungsverträgen zwar das Recht, eine Bedenkzeit von drei Werktagen in Anspruch zu nehmen. Auf dieses Recht habe die Klägerin jedoch rechtswirksam schriftlich verzichtet. Es sei nicht erforderlich, daß der Verzicht in einer besonderen Urkunde erklärt werde. Die Klägerin habe ihre Erklärung auch nicht wirksam nach § 123 Abs. 1 BGB angefochten. Unterstelle man zugunsten der Klägerin, die Beklagte habe ihr mit dem Ausspruch einer ordentlichen Kündigung gedroht, so sei jedenfalls die Drohung unter Berücksichtigung aller Umstände nicht als widerrechtlich anzusehen, da der Versuch einer Zusammenarbeit zwischen den Parteien als gescheitert anzusehen sei, und der Beklagten deshalb das Recht zugestanden habe, das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit ordentlich zu kündigen. Der Beklagten könne es auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt werden, sich auf den abgeschlossenen Auflösungsvertrag zu berufen. Die Beklagte habe die Klägerin zwar unerwartet zu dem Gespräch eingeladen. Die sachliche, ruhige Führung des Gesprächs, für die sich die Klägerin sogar noch bedankt habe, und der besondere Hinweis, die Vereinbarung in Ruhe und genau vorher durchzulesen, ließen die plötzliche Einladung als auslösenden Faktor für den Abschluß der Vereinbarung in den Hintergrund treten.
II. Dem angefochtenen Urteil ist im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung zu folgen.
Der zulässige Antrag auf Feststellung, daß zwischen den Parteien über den 16. Januar 1992 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht, ist unbegründet, denn der Aufhebungsvertrag hat das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam zum 16. Januar 1992 beendet.
1. Die Parteien haben am 16. Januar 1992 vereinbart, das Arbeitsverhältnis im beiderseitigen Einvernehmen mit Wirkung vom 16. Januar 1992 zu beenden. Die nach § 10 Abs. 9 des für allgemeinverbindlich erklärten und deshalb auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren Manteltarifvertrags für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 1989 für den Auflösungsvertrag erforderliche Schriftform ist gewahrt. Wenn die Klägerin der Beklagten in den Vorinstanzen vorgehalten hat, diese habe ihre verminderte Merkfähigkeit ausgenutzt und sie mit den Verhandlungen über den Aufhebungsvertrag überrumpelt, so ist dieses Vorbringen jedenfalls nicht geeignet, eine Nichtigkeit der Erklärung der Klägerin nach § 105 BGB zu begründen.
2. Die Klägerin hat ihre Erklärung auch nicht wirksam nach § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten. Nach durchgeführter Beweisaufnahme hat die Klägerin den entsprechenden Sachvortrag über die zunächst behauptete Angabe einer falschen Kündigungsfrist durch die Beklagte nicht mehr aufrechterhalten.
3. Auch die Voraussetzungen einer nach § 123 BGB wirksamen Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung sind - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt - nicht gegeben.
a) Eine Drohung i.S. des § 123 Abs. 1 BGB setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird (vgl. BAGE 41, 229, 236 = AP Nr. 23 zu § 123 BGB, zu B I 1 der Gründe, m.w.N.; BAG Urteil vom 16. Januar 1992 - 2 AZR 412/91 - EzA § 123 BGB Nr. 36). Auch in der Ankündigung einer ordentlichen Kündigung liegt eine Drohung i.S. des § 123 Abs. 1 BGB, denn auch die ordentliche Kündigung bringt stets für den Arbeitnehmer Nachteile mit sich (Senatsurteil vom 24. Januar 1985 - 2 AZR 317/84 - AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel, zu III 2 und 3 der Gründe). Die Drohung ist widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Es ist nicht erforderlich, daß die angekündigte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozeß als rechtsbeständig erwiesen hätte.
b) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist es schon nicht ganz unproblematisch, überhaupt davon auszugehen, daß die Beklagte der Klägerin mit einer ordentlichen Kündigung gedroht hat. Da die Beklagte ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Kündigung nicht hingewiesen hat, könnte allenfalls eine Drohung durch schlüssiges Verhalten angenommen werden. Ob lediglich aus der Erklärung der Beklagten, eine Weiterbeschäftigung der Klägerin habe keinen Zweck, auf eine Kündigungsandrohung geschlossen werden kann, kann aber - wie das angefochtene Urteil zutreffend feststellt - letztlich dahinstehen.
c) Jedenfalls war eine solche Drohung unter den gegebenen Umständen nicht als widerrechtlich anzusehen. Der Klägerin war mit der Einstellung eine Chance gegeben worden, trotz der von ihr selbst dargelegten Bedenken während der Probezeit ihre Eignung für die Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin bei der Beklagten unter Beweis zu stellen. Wenn dann die Klägerin unstreitig bei der Beklagten nicht die erhoffte Arbeitsleistung erbrachte, sondern in dem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten die gleichen Probleme auftraten, wegen derer die Klägerin schon ihren letzten Arbeitsplatz verloren hatte, so ist es unbedenklich anzunehmen, daß ein verständiger Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin, die sich noch in der Probezeit befand und keinen Kündigungsschutz genoß, unter den gegebenen Umständen fristgerecht beendet hätte.
4. In der Literatur wird teilweise eine widerrechtliche Drohung auch dann angenommen, wenn der Drohende eine überstürzte Entscheidung erzwingt und dem Bedrohten durch das Ablehnen jeder Überlegungsfrist die Möglichkeit der freien Entschließung nimmt (vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 28 Nr. 2, S. 537 f.; MünchKomm-Kramer, 2. Aufl., § 123 BGB Rz 36; ähnlich MünchKomm-Schwerdtner, 2. Aufl., Vor § 620 BGB Rz 14). Das Bundesarbeitsgericht ist dem bisher nicht gefolgt (BAG Urteil vom 16. Februar 1983 - 7 AZR 134/81 - AP Nr. 22 zu § 123 BGB; offengelassen Urteil vom 30. Januar 1986 - 2 AZR 196/85 - NZA 1987, 91; Urteil vom 16. Januar 1992 - 2 AZR 412/91 - AP, aaO; vgl. auch BGH Urteil vom 7. Juni 1988 - IX ZR 245/86 - AP Nr. 33 zu § 123 BGB).
Das braucht auch vorliegend nicht abschließend geklärt zu werden, weil jedenfalls keine Rede davon sein kann, daß die Beklagte der Klägerin durch ihr Verhalten die Möglichkeit einer freien Entschließung genommen hätte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Klägerin in einem längeren, ruhig und sachlich geführten Gespräch die Problematik einer Weiterbeschäftigung geschildert und der Abschluß eines Aufhebungsvertrages angeboten worden. Die Klägerin hätte das Angebot einfach ablehnen können.
5. Eine analoge Anwendung des § 123 BGB auf Fälle, in denen eine rechtsgeschäftliche Erklärung zwar ohne widerrechtliche Drohung und mit der Möglichkeit einer freien Entschließung zustandegekommen ist allein wegen eines "Zeitdruckes", ist nicht gerechtfertigt. Nur eine durch widerrechtliche Drohung verursachte Zwangslage berechtigt zur Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB. Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Einzelnen wird nicht allgemein gegen jede Art von Beeinträchtigung durch eine Zwangslage geschützt, sondern nur gegen die rechtswidrige Beeinflussung durch arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung (BAG Urteil vom 16. Februar 1983 - 7 AZR 134/81 - AP Nr. 22 zu § 123 BGB; BGH Urteil vom 7. Juni 1988 - IX ZR 245/86 - AP Nr. 33 zu § 123 BGB).
6. Auch eine Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages nach § 138 Abs. 1 BGB kommt nicht ernsthaft in Betracht. Zwar ist § 138 Abs. 1 BGB neben § 123 BGB anwendbar (BGH Urteil vom 7. Juni 1988 - IX ZR 245/86 - AP, aaO; ebenso schon RGZ 112, 226, 229). Da aber die widerrechtliche Drohung durch § 123 BGB eine rechtliche Sonderregelung erfahren hat, müssen besondere Umstände hinzukommen, um die Annahme zu rechtfertigen, das Geschäft sei nach seinem Gesamtcharakter gemäß § 138 BGB als sittenwidrig und damit als nichtig anzusehen. Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich.
7.a) Auch die Rüge der Revision, der Verzicht der Klägerin auf die tarifvertraglich eingeräumte Bedenkzeit von drei Werktagen sei unwirksam, ist unbegründet. § 10 Abs. 9 des allgemeinverbindlichen und deshalb auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren Manteltarifvertrags für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 1989 enthält im Hinblick auf den Abschluß von Auflösungsverträgen die folgende Regelung:
Auflösungsverträge bedürfen der Schriftform. Jede
Partei kann eine Bedenkzeit von drei Werktagen in
Anspruch nehmen. Ein Verzicht hierauf ist
schriftlich zu erklären.
Damit ist den Parteien des Auflösungsvertrages das verzichtbare Recht eingeräumt worden, den Vertrag innerhalb einer Frist von drei Werktagen zu widerrufen. Der zulässige Verzicht auf das Widerrufsrecht kann in die Vertragsurkunde aufgenommen werden und muß nicht gesondert von dem übrigen Vertragstext oder in einer besonderen Urkunde erklärt werden. Das hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 24. Januar 1985 (- 2 AZR 317/84 - AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel) zu einem Vorläufer des hier anwendbaren Tarifvertrages entschieden. Hieran ist festzuhalten. Nach § 10 Abs. 9 MTV ist für den Aufhebungsvertrag selbst wie auch für den Widerrufsverzicht allein die Schriftform ohne weitere Formerfordernisse vorgeschrieben. Für eine engere Auslegung unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes, wie sie die Revision befürwortet, fehlt im Wortlaut des Tarifvertrages jeder Anhaltspunkt.
b) Auch aus der Vertragsurkunde ergibt sich nicht, daß die Parteien die Aufhebungsvereinbarung schärferen Formerfordernissen unterworfen hätten, was nach § 125 Satz 2 BGB im Zweifel die Nichtigkeit der Vereinbarung zur Folge hätte. Die Revision macht geltend, nach dem Wortlaut der Vereinbarung müßten beide Parteien zwei Unterschriften leisten, eine unter die Vereinbarung, eine zweite unter den Verzicht auf die tariflich vereinbarte Bedenkzeit. Diese Auslegung trifft nicht zu. Die Aufforderung "*Nichtzutreffendes bitte streichen und von beiden Parteien abzeichnen" steht am Ende der Vereinbarung. Darüber befindet sich ein Freiraum für die Unterschrift des Arbeitnehmers und die Unterschriften der zeichnungsberechtigten Mitarbeiter der Beklagten. Unter den beiden Alternativen hinsichtlich der tariflich vereinbarten Bedenkzeit bleibt demgegenüber kein Raum für etwaige Unterschriften. Damit kann der Hinweis am Schluß der Vereinbarung sinnvollerweise nur bedeuten, es solle hinsichtlich der Bedenkzeit die zutreffende Alternative gewählt und dann der Vertrag einmal an der markierten Stelle unterzeichnet werden.
c) Zu Unrecht macht die Revision geltend, es stelle eine unzulässige Rechtsausübung i.S.v. § 242 BGB dar, wenn sich die Beklagte darauf berufe, die Parteien hätten den Verzicht auf die tarifliche Bedenkzeit vereinbart. Selbst wenn die Beklagte den entsprechenden Passus in der Vereinbarung nicht in Anwesenheit der Klägerin, sondern schon vorher gestrichen hat, so daß als Erklärungsinhalt nur der Verzicht auf die Bedenkzeit blieb, war der Wortlaut der Vereinbarung, die die Klägerin selbst unterzeichnet hat, klar. Die Beklagte war auch nicht, wie die Klägerin meint, gehalten, sachliche Gründe dafür darzulegen, warum sie die Bedenkzeit nicht hat bestehen lassen. Der Tarifvertrag sieht die Möglichkeit des schriftlichen Verzichts auf die Bedenkzeit vor, und diesen Verzicht hat die Klägerin rechtswirksam erklärt.
8. Eine Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn man mit dem Landesarbeitsgericht Hamburg (Urteil vom 3. Juli 1991 - 5 Sa 20/91 - LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 6; dagegen: Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 3. Aufl., Rz 89; Ehrich, DB 1992, 2239, 2244; Boemke, NZA 1993, 532; Ernst, Aufhebungsverträge zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen, § 4 V und § 10; Bengelsdorf, Anmerkung zu LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 6; wohl auch LAG Düsseldorf Urteil vom 26. Januar 1993 - 16 Sa 1037/92 - NZA 1993, 702) annehmen würde, es stelle in der Regel eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn sich der Arbeitgeber auf eine Vereinbarung über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruft, die in der Weise zustande gekommen ist, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu einem Gespräch gebeten hat, ohne ihm vorher das Thema dieses Gesprächs mitzuteilen, und ohne ihm eine angemessene Bedenkzeit oder ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einzuräumen. Eine solche Annahme, die im Ergebnis darauf hinausläuft, im Wege der Rechtsfortbildung ein gesetzlich nicht geregeltes Rücktritts- oder Widerrufsrecht zu gewähren, ist jedoch de lege lata nicht gerechtfertigt (so schon für den Fall, daß der Arbeitnehmer nicht ausdrücklich um eine Bedenkzeit gebeten hat: BAG Urteil vom 30. Januar 1986 - 2 AZR 196/85 - NZA 1987, 91). Es soll nicht verkannt werden, daß mit beachtlichen Argumenten in letzter Zeit immer häufiger die rechtspolitische Forderung erhoben wird, der Gesetzgeber möge ein Widerrufsrecht des Arbeitnehmers bei Aufhebungsverträgen einführen (vgl. § 131 Abs. 2 des Gesetzentwurfs zum Arbeitsvertragsgesetz des Arbeitskreises Deutsche Rechtseinheit, abgedruckt NZA Beilage zu Heft 17/1992; allgemein zu diesen Bemühungen Ernst, aaO, § 28 II, m.w.N.). Aus dem geltenden Recht läßt sich ein solches Widerrufsrecht allerdings nicht herleiten.
a) Das Recht der Arbeitsvertragsparteien, das Arbeitsverhältnis einverständlich zu beenden, gehört zum Grundrecht der Berufsfreiheit. Für den Arbeitnehmer zählt die Freiheit, ein Arbeitsverhältnis zu beenden, zur freien Wahl des Arbeitsplatzes, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. Auch die Freiheit des Arbeitgebers zur einvernehmlichen Vertragsbeendigung ist an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Das Bundesverfassungsgericht prüft im Einzelfall, ob die Berufsausübung des Arbeitgebers durch eine Regelung eingeschränkt wird, die die Beendigung der Arbeitsverhältnisse der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer erschwert (BVerfGE 81, 156 = AP Nr. 1 zu § 128 AFG).
b) Die Beendigungsfreiheit ist gleichzeitig als negative Vertragsfreiheit ein Bestandteil der Privatautonomie im Arbeitsvertragsrecht (vgl. Ernst, aaO, § 4 V; Boemke, NZA 1993, 532). Die Privatautonomie als das Prinzip der Rechtsgestaltung durch die einzelnen Rechtssubjekte nach dem Grundsatz der Selbstbestimmung ist als Grundprinzip der Privatrechtsordnung anerkannt und wird durch Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantiert. Im Privatrecht ist die Privatautonomie konkretisiert durch den Grundsatz der Vertragsfreiheit (§§ 241, 305 BGB), also die Freiheit, einen Vertrag abzuschließen, ihn inhaltlich zu gestalten und auch wieder aufzulösen.
c) Unmittelbarer Ausdruck der privatautonomen Vertragsbeendigungsfreiheit der Arbeitsvertragspartei ist die Freiheit zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages (Boemke, aaO, S. 537). Es obliegt grundsätzlich der freien Entscheidung des Arbeitnehmers, ob er an seinem Arbeitsvertrag festhalten will und deshalb den angebotenen Aufhebungsvertrag ablehnt, oder ob er sich durch gute Worte oder ein lukratives Abfindungsangebot zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages bewegen läßt. Welche Entscheidung er trifft, hat er grundsätzlich selbst zu bestimmen und selbst zu verantworten. An dem wirksam abgeschlossenen Aufhebungsvertrag muß er sich nach §§ 145 ff. BGB festhalten lassen.
d) Wird zugunsten des Arbeitnehmers ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rücktritts- oder Widerrufsrecht konstruiert, so wird damit der Grundsatz "pacta sunt servanda" durchbrochen. Ein Vertrag, der nach den Grundsätzen des BGB wirksam wäre, wird für die Dauer der Bedenkzeit in den Zustand der schwebenden Unwirksamkeit versetzt.
e) Der Rückgriff auf § 242 BGB ist nicht geeignet, einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Privatautonomie, wie ihn die Gewährung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Widerrufsrechts bei Aufhebungsverträgen darstellt, zu begründen. Die allgemeinen zivilrechtlichen Generalklauseln sind weder Quelle noch Grundlage einer freien richterlichen Rechtsschöpfung. Die Regelung einer solchen Frage ist Sache des Gesetzgebers, nachdem ein solches Widerrufsrecht im Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission enthalten war und seither im Zusammenhang mit der Schaffung eines Arbeitsgesetzbuches immer wieder diskutiert worden ist. Allein die Regelung von Widerrufstatbeständen in anderen Gesetzen (§ 1 HaustürWG vom 16. Januar 1986, § 7 Verbraucherkreditgesetz vom 17. Dezember 1990 etc.) reicht nicht für eine entsprechende Rechtsfortbildung im Arbeitsvertragsrecht, denn diese vereinzelten Regelungen betreffen andere Tatbestände und Personenkreise und sind jedenfalls nicht analog heranzuziehen.
f) Im vorliegenden Fall ist eine Rechtsfortbildung zu dem noch weniger erforderlich als in vergleichbaren Fällen aus anderen Branchen, denn angesichts des Fehlens einer gesetzlichen Regelung haben sich die Tarifvertragsparteien der Frage angenommen und ein spezielles Widerrufsrecht für den Arbeitnehmer geschaffen. Die Klägerin erfüllt nur nicht die Voraussetzungen der tarifvertraglichen Sondervorschrift, weil sie ausdrücklich schriftlich auf ihr tarifvertragliches Widerrufsrecht verzichtet hat.
9. Der vorliegende Fall zeigt deutlich, daß es auch aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedenklich ist, den Arbeitgeber mit einem aus § 242 BGB hergeleiteten, gesetzlich nicht normierten Gestaltungsrecht des Arbeitnehmers zu konfrontieren, mit dem er nach der bestehenden Gesetzeslage nicht zu rechnen brauchte: Die Klägerin hatte noch keinen Kündigungsschutz und befand sich in der Probezeit. Sie hatte den Arbeitgeber selbst auf Leistungseinschränkungen hingewiesen, die sich während der zweiwöchigen Beschäftigungsdauer in einer Weise bemerkbar machten, daß sich nach der eigenen Sachdarstellung der Klägerin eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht vermeiden ließ. Der Aufhebungsvertrag wurde dann im Beisein eines Betriebsratsmitglieds in einer Atmosphäre ausgehandelt, die für die Klägerin nicht bedrohlich war, und sie veranlaßte, sich unaufgefordert für das offene Gespräch zu bedanken. Den Aufhebungsvertrag, den die Klägerin dann unterzeichnete und der den tariflichen Vorgaben entsprach, focht die Klägerin zunächst mit einer völlig unzutreffenden Begründung an und machte erst Monate später geltend, sie sei bei dem Gespräch überrumpelt worden. Wollte man unter diesen Umständen die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrages an Treu und Glauben scheitern lassen, wie dies die Revision geltend macht, so wäre dies ein einschlägiges Beispiel für das von Zöllner (in: Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz 1992, S. 85, 116) trefflich dargestellte "April-April-Syndrom".
Hillebrecht Bröhl Bitter
Dr. Fischer Dr. Wolter
Fundstellen
BAGE 74, 281-291 (LT1) |
BAGE, 281 |
BB 1994, 76 |
BB 1994, 785 |
BB 1994, 785-787 (LT1) |
DB 1994, 279-280 (LT1) |
NJW 1994, 1021-1023 (LT1) |
BuW 1994, 211 (K) |
EBE/BAG 1994, 14-16 (LT1) |
DRsp, VI(610) 243a (LT1) |
WiB 1994, 168 (LT) |
ARST 1994, 43-45 (LT1) |
EWiR 1994, 115 (L) |
NZA 1994, 209 |
NZA 1994, 209-212 (LT1) |
RzK, I 9i Nr 27 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 150/94 (S) |
ZIP 1994, 1047 |
ZIP 1994, 1047-1050 (LT1) |
ZTR 1994, 168-169 (LT1) |
AP § 123 BGB (LT1), Nr 37 |
AP § 620 BGB Aufhebungsvertrag (L1), Nr 1 |
AR-Blattei, ES 260 Nr 2 (LT1) |
EzA-SD 1994, Nr 1/2, 6-8 (LT1) |
EzA § 611 BGB Aufhebungsvertrag, Nr 13 (LT1) |
EzBAT § 58 BAT, Nr 2 (LT1) |
GdS-Zeitung 1994, Nr 9, 19 (KT) |
JuS 1994, 620 (L) |
MDR 1994, 594-595 (LT1) |