Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialkassenverfahren im Baugewerbe. Betreiben eines Bauhofs für einen angeschlossenen Betrieb. Tarifauslegung

 

Orientierungssatz

  • Der Begriff des “Zusammenschlusses” iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 VTV ist weit auszulegen; er verlangt keine ausdrückliche vertragliche Regelung.
  • Das Betreiben des Bauhofs für einen angeschlossenen Betrieb des Baugewerbes nach der genannten Tarifvorschrift ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil auch der angeschlossene Betrieb über einen Bauhof verfügt.
 

Normenkette

VTV § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4, Abs. Abschn. V Nr. 39, § 21; ArbGG § 61 Abs. 2; GmbHG § 46 ff.

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 04.10.2001; Aktenzeichen 10 Sa 1147/01)

ArbG Berlin (Urteil vom 19.04.2001; Aktenzeichen 62 Ca 61609/00)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die klagende Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe – VVaG – , eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien, die nach näherer Maßgabe der tariflichen Bestimmungen des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes von den Arbeitgebern einzieht, nimmt den Beklagten auf Auskunft und hilfsweise Entschädigungszahlung in Anspruch.

Der Beklagte betreibt ein Unternehmen, das sich mit der Vermietung von Tiefbau- , Straßenbau- sowie Rohrbaumaschinen befaßt. Er verfügt in seinem Maschinenpark über neun Bagger 10 bis 25 t, vier Minibagger bis zu 2,5 t, zwei Raupen, zwei Walzen, einen Kettenbagger 25 t, zwölf Radlader, zwei Kompressoren sowie diverse Container, Bauwagen, Hänger und anderes. Diese Geräte sind auf dem Betriebshof des Beklagten, einem Gelände mit ca. 4.000 qm, abgestellt. Dort führt der Beklagte auch eine Werkstatt, die der Wartung und Reparatur der genannten Baumaschinen und Fahrzeuge dient.

Der Beklagte vermietet diese Maschinen ausschließlich an die B Tief- und Straßenbau GmbH, deren Hauptgesellschafter er ist. Die GmbH nimmt am Sozialkassenverfahren des Baugewerbes teil. Die Vermietung der Baumaschinen durch den Beklagten erfolgt ohne Bedienungspersonal; die Maschinen werden mit eigenem Personal des Beklagten und mit eigenen LKW-Tiefladern an die Baustellen der GmbH transportiert. Die Einzelfirma des Beklagten und die genannte GmbH entstanden im Jahre 1993 aus einer Betriebsaufspaltung des zuvor unter der Firma P B existierenden Bauunternehmens. Die B Tief- und Straßenbau GmbH unterhält einen eigenen Bauhof in einer Größe von 8.000 qm; in ihrem Besitz sind eigene Lastkraftwagen, die zum Transport von Baumaterial Verwendung finden. Über Baumaschinen wie die von dem Beklagten angemieteten verfügt die GmbH selbst nicht. Die Bauhöfe beider Unternehmen sind voneinander durch einen Zaun getrennt.

§ 1 Abs. 2 des für allgemeinverbindlich erklärten VTV bestimmt ua.:

“(2) Betrieblicher Geltungsbereich:

Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.

Abschnitt IV

Betriebe, in denen die nachstehend aufgeführten Arbeiten ausgeführt werden:

  • Erfaßt werden auch solche Betriebe, die im Rahmen eines mit einem oder mehreren Betrieben des Baugewerbes bestehenden Zusammenschlusses – unbeschadet der gewählten Rechtsform – für die angeschlossenen Betriebe des Baugewerbes entweder ausschließlich oder überwiegend die kaufmännische Verwaltung, den Vertrieb, Planungsarbeiten, Laborarbeiten oder Prüfarbeiten übernehmen oder ausschließlich oder in nicht unerheblichem Umfang (zumindest zu einem Viertel der betrieblichen Arbeitszeit) den Bauhof und/oder die Werkstatt betreiben, soweit diese Betriebe nicht von einem spezielleren Tarifvertrag erfaßt werden.

Abschnitt V

Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z.B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden:

  • Vermieten von Baumaschinen mit Bedienungspersonal, wenn die Baumaschinen mit Bedienungspersonal zur Erbringung baulicher Leistungen eingesetzt werden;
  • …”

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, daß der Beklagte dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV auf der Grundlage des § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 4 VTV unterfalle. Er betreibe einen Bauhof und eine Werkstatt für die GmbH. Es handle sich um die rechtliche Auslagerung einer Teiltätigkeit, die von den tarifvertraglichen Regelungen umfaßt werde. Diese Tätigkeit erfolge auf der Grundlage eines “Zusammenschlusses” im Tarifsinne zwischen dem Beklagten und der GmbH, deren Hauptgesellschafter er sei. Daß solche Konstellationen dem Geltungsbereich des VTV unterfallen sollen, entspreche dem Willen der Tarifparteien.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen,

  • ihr auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen, wie viele gewerbliche Arbeitnehmer, die einen nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Januar bis Oktober 2000 in dem Betrieb der Beklagtenseite beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsummen und welche Sozialkassenbeiträge insgesamt für diese Arbeitnehmer in den jeweils genannten Monaten angefallen sind,
  • ihr für den Fall, daß diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt wird, eine Entschädigungssumme in Höhe von 10.400,00 DM zu zahlen.

Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag geltend gemacht, er betreibe nicht den Bauhof für die GmbH; die GmbH habe einen eigenen, im übrigen doppelt so großen Bauhof wie er. Die Werkstatt diene nur der Reparatur der eigenen Baumaschinen und Fahrzeuge, nicht aber derjenigen der GmbH. Mithin nehme er keine Tätigkeiten für die GmbH vor, sondern werde nur im Rahmen seines eigenen Betriebes unternehmerisch tätig. Die Unabhängigkeit zwischen beiden Betrieben zeige sich auch in der unterschiedlichen räumlichen Unterbringung und in dem jeweils eigenen Personal sowie ferner darin, daß die GmbH über eigene Fahrzeuge verfüge. Die von der Klägerin angestrebte weite Auslegung von § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 4 VTV sei mit der Regelung des § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 39 VTV nicht zu vereinbaren, wonach nur die Vermietung von Baumaschinen mit Bedienungspersonal die Anwendbarkeit des VTV begründe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben.

Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet.

  • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagte betreibe im Rahmen eines bestehenden Zusammenschlusses einen Bauhof für die B Tief- und Straßenbau GmbH und erfülle damit die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 4 VTV. Diese Vorschrift solle dem Ausscheiden von Arbeitnehmern aus dem Baugewerbe infolge einer Abspaltung oder rechtlichen Verselbständigung von Betriebsteilen oder einzelnen Tätigkeiten vorbeugen. Dem Einsatz menschlicher Arbeitskraft für den angeschlossenen Baubetrieb komme bezogen auf das Merkmal des “Betreibens des Bauhofs” kein entscheidendes Gewicht zu. Entscheidend sei, daß der Beklagte dasjenige vorhalte, was die GmbH zur Ausübung ihrer Betriebstätigkeit benötige, dh. daß die GmbH ohne die von dem Beklagten angemieteten Maschinen ihre Betriebstätigkeit nicht durchführen könne. Daß die GmbH auch einen eigenen Bauhof habe und der Beklagte somit nicht den kompletten Bauhof für sie betreibe, stehe unter diesen Umständen nicht entgegen. Der tariflich geforderte Zusammenschluß sei durch die Personenidentität des Beklagten und des Hauptgesellschafters der GmbH indiziert und ergebe sich ferner daraus, daß der Beklagte seine Baumaschinen ausschließlich an die GmbH vermiete, was ohne eine über die einzelnen Mietverträge hinausgehende rechtliche Verbindung nicht denkbar sei. Die befürwortete Auslegung mache auch § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 39 VTV keineswegs überflüssig; eine Vermietung von Baumaschinen ohne Personal könne durchaus erfolgen, ohne daß zugleich ein Bauhof im Rahmen eines Zusammenschlusses mit einem Baubetrieb für diesen betrieben werde.
  • Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung. Die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin ergeben sich aus § 21 VTV iVm. § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 4 VTV und § 61 Abs. 2 ArbGG.

    • Der Auslegung des § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 4 VTV durch das Berufungsgericht steht nicht entgegen, daß die GmbH auch einen eigenen Bauhof betreibt. Ein Baubetrieb kann durchaus mehrere Bauhöfe unterhalten. Daß auf dem einen Material und LKW's vorgehalten werden und auf einem anderen nur spezielle Baumaschinen, nimmt letzterem nicht den Charakter eines Bauhofs. Wird einer der Bauhöfe mit einer eigenständigen betrieblichen Organisation versehen, so ändert dies tarifrechtlich nichts, wenn der eine der nunmehr getrennten Betriebe im Rahmen eines zwischen den Betrieben bestehenden Zusammenschlusses “den Bauhof” für den angeschlossenen, die Bauwerke ausführenden Betrieb betreibt. Daß er den gesamten oder den einzigen Bauhof für den angeschlossenen Betrieb des Baugewerbes betreibt, verlangt § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 4 VTV weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck nach. Auf die für die separierte betriebliche Organisation gewählte Rechtsform kommt es dabei nach der genannten Tarifnorm nicht an, dh. auch eine unternehmensrechtliche Verselbständigung des Bauhofbetriebes steht nicht entgegen, wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Folglich ist es unerheblich, daß die Arbeitnehmer des den Bauhof betreibenden Unternehmens ihre Arbeitsleistung nicht dem angeschlossenen, die Bauwerke ausführenden Unternehmen schulden, sondern eben ihrem davon unternehmensrechtlich separierten Arbeitgeber. Die Arbeitnehmer setzen gleichwohl ihre Arbeitskraft (mittelbar) für den angeschlossenen Betrieb des Baugewerbes ein, der auf die Ressourcen des Bauhofs im Rahmen des bestehenden Zusammenschlusses zwischen den Betrieben zurückgreift, um seine Bautätigkeit durchführen zu können.
    • Daß das Landesarbeitsgericht vorliegend einen solchen Zusammenschluß zwischen dem Betrieb und Unternehmen des Beklagten und der GmbH angenommen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 4 VTV soll dem Ausscheiden von Arbeitnehmern aus dem Baugewerbe durch Aufspaltung und rechtliche Verselbständigung ihres Betriebsteils oder einzelner Tätigkeiten vorbeugen (vgl. Koch Die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes Rn. 138). Dabei haben die Tarifvertragsparteien mit den Begriffen des “Zusammenschlusses” und der “angeschlossenen Betriebe” relativ weite, nicht von vornherein mit bestimmten Rechtsformen oder bestimmten Rechtsbeziehungen korrespondierende Begriffe gewählt und mit dem Zusatz “- unbeschadet der gewählten Rechtsform -” nochmals verdeutlicht, daß diese Begriffe entsprechend dem Sinn und Zweck der Tarifbestimmung weit auszulegen sein sollen. Für den geforderten “Zusammenschluß” genügt es, wenn zwei Betriebe dergestalt arbeitsteilig zusammenwirken, daß der eine genau die Baumaschinen vorhält, wartet und repariert, die der andere Betrieb für die von ihm auszuführenden Bauwerke benötigt, jedoch nicht selbst besitzt, sondern ständig von ersterem anmietet. Dies gilt erst recht, wenn wie hier die Zusammenarbeit dadurch gewährleistet wird, daß der Inhaber des Bauhofs zugleich Hauptgesellschafter der GmbH ist, die den bauausführenden Betrieb innehat, also gem. §§ 46 ff. GmbHG Einfluß nehmen kann (vgl. auch Hessisches LAG 3. September 1990 – 16 Sa 227/90 – nv.). Daß ein solcher Zusammenschluß ausdrücklich vertraglich fixiert und abgesichert wird, verlangt § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 4 VTV nicht. Spezifische Rügen hat die Revision insoweit auch nicht mehr erhoben.
    • Darüber hinaus setzt § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 4 VTV lediglich voraus, daß der Bauhof und/oder die Werkstatt ausschließlich oder zumindest zu einem Viertel der betrieblichen Arbeitszeit für den angeschlossenen Betrieb des Baugewerbes betrieben wird und daß der Bauhof- und/oder Werkstattbetrieb nicht von einem spezielleren Tarifvertrag erfaßt wird. Die Anwendbarkeit eines spezielleren Tarifvertrages hat der Beklagte weder eingewandt, noch ist sie sonst ersichtlich. Auch betreibt der Beklagte den Bauhof nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ausschließlich für die B Tief- und Straßenbau GmbH.
    • Entgegen der Ansicht der Revision wird mit der von ihr angegriffenen Auslegung des § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 4 VTV die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 39 VTV nicht obsolet. Wenn ein Betrieb Baumaschinen mit Bedienungspersonal zur Erbringung baulicher Leistungen ausschließlich an nicht angeschlossene Betriebe des Baugewerbes vermietet oder wenn er eine solche Vermietung zwar auch an angeschlossene Baubetriebe vornimmt, die darauf entfallende Arbeitszeit aber weniger als ein Viertel der gesamten betrieblichen Arbeitszeit ausmacht, ist nur Abschnitt V Nr. 39, nicht dagegen Abschnitt IV Nr. 4 VTV einschlägig.
    • Die angegriffene Auslegung des § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 4 VTV führt entgegen der Ansicht der Revision nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung im Vergleich zu Betrieben, die Baumaschinen ohne Bedienungspersonal an verschiedene Unternehmen vermieten. Entscheidend ist, ob die Vermietung in der oben zu 2. dargestellten Art der Zusammenarbeit zu mindestens einem Viertel der betrieblichen Arbeitszeit an einen angeschlossenen Betrieb des Baugewerbes erfolgt oder nicht. Werden Baumaschinen ohne Bedienungspersonal ausschließlich oder zu mehr als drei Vierteln der betrieblichen Arbeitszeit an nicht angeschlossene Betriebe des Baugewerbes vermietet, liegen die Voraussetzungen der Tarifnorm nicht vor. Diese tarifrechtliche Unterscheidung ist auf Grund der Unterschiedlichkeit der Sachverhalte unbedenklich.
  • Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, v. Baumgarten, Trümner

 

Fundstellen

Haufe-Index 843042

FA 2002, 395

IBR 2003, 228

NZA 2003, 120

NJOZ 2003, 1933

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