Leitsatz
1. Ob das Finanzamt einen Verwaltungsakt erlassen oder nur eine zuvor ergangene Entscheidung des FG nachvollzogen hat, ist durch eine Würdigung des gesamten Inhalts der in Rede stehenden Maßnahme zu ermitteln.
2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die in §§ 48ff. EStG getroffenen Regelungen zum Steuerabzug bei Bauleistungen mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.
3. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der Empfänger einer Bauleistung auch dann für die nicht einbehaltene und abgeführte Abzugsteuer haftet, wenn und soweit eine Steuerschuld des Leistenden nicht besteht.
Normenkette
§ 48, § 48a, § 48b, § 48c Abs. 1 EStG, Art. 49 EG
Sachverhalt
Das FA hatte festgestellt, dass die (im Inland ansässige) Auftraggeberin von einer Kapitalgesellschaft bosnischen Rechts (im Jahr 2003) Bauleistungen erhalten und in diesem Zusammenhang keine Abzugsteuer einbehalten hatte. Die bosnische Gesellschaft habe eine Geschäftsanschrift im Inland besessen. Für den fraglichen Zeitraum habe der Auftraggeberin eine gefälschte Freistellungsbescheinigung vorgelegen. Das FA nahm an, dass die Auftraggeberin verpflichtet gewesen sei, die Freistellungsbescheinigung zu überprüfen. Da sie diese Verpflichtung nicht erfüllt habe, hafte sie für die nicht einbehaltene Steuer.
Auf dieser Basis erließ das FA gegenüber der Auftraggeberin einen Haftungsbescheid, der von der Adressatin mit Einspruch angefochten und über den noch nicht entschieden worden ist.
Zugleich wurde (zunächst vergeblich beim FA und sodann) beim FG die AdV des Haftungsbescheids beantragt, was erfolgreich war (FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.07.2008, 13 V 9389/07, Haufe-Index 2025567).
Entscheidung
Der BFH orientierte sich im summarischen AdV-Verfahren demgegenüber an dem Steuerabzug, dem nach § 50a Abs. 4 und § 50d EStG ausländische beschränkt steuerpflichtige Künstler und Sportler unterworfen sind. Da in jenem Steuerabzug jedenfalls im AdV-Verfahren kein Gemeinschaftsrechtsverstoß zu sehen sei, müsse Gleiches für die Bauabzugsteuer gelten. Deswegen sei der FG-Beschluss im Ergebnis aufzuheben.
Hinweis
Es handelt sich hierbei um eine Entscheidung im Rahmen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. In ihrem Vordergrund ging es um die Gemeinschaftsrechtmäßigkeit der Bauabzugsteuer der §§ 48 ff. EStG.
1. Erbringt jemand im Inland eine Bauleistung an einen Unternehmer, ist der Leistungsempfänger verpflichtet, bei Aufträgen über 5000 Euro im Regelfall bzw. über 15000 Euro in Vermietungsfällen (§ 48 Abs. 2 EStG) von der Gegenleistung einen Steuerabzug i.H.v. 15 % für Rechnung des Leistenden vorzunehmen (§ 48 Abs. 1 S. 1 EStG). Hat der Leistende im Inland keine LSt-Anmeldungen abzugeben und wird er auch nicht zur ESt oder zur KSt veranlagt – mit anderen Worten: ist er Steuerausländer –, dann kann er den einbehaltenen Betrag beantragen (§ 48c Abs. 2 EStG).
Die Bauabzugsteuer erweist sich in derartigen Fällen im Ergebnis i.d.R. als ein reines Sicherungs- und Abschreckungsmittel, dem jedenfalls dann kein "eigentlicher", korrespondierender Besteuerungsanspruch gegen den (ausländischen) Leistenden zugrunde liegt, wenn dieser in Deutschland nicht über und vermittels einer Betriebsstätte operiert (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; s. zum "Wanderarbeiter" mit oder ohne Inlands-Betriebsstätte auch zuletzt BFH, Urteil vom 04.06.2008, I R 30/07, BFH/NV 2008, 1749, BFH/PR 2008, 524).
2. Es wird allerorten in Zweifel gezogen, dass sich die Abzugsteuer mit Gemeinschaftsrecht verträgt, weil sie sich zwar formal an "alle" richtet – also unbeschadet der Ansässigkeit des Leistenden (und Zahlungsempfängers) –, tatsächlich jedoch den Steuerausländer als Dumping-Löhner"erwischen" und treffen will.
3. Gleichwohl hat der BFH keine ernstlichen Zweifel i.S.d. § 69 FGO an der Rechtmäßigkeit:
Das in §§ 48 ff. EStG angeordnete Steuerabzugsverfahren ist in systematischer Hinsicht mit demjenigen vergleichbar, das § 50a Abs. 4 und § 50d EStG im Zusammenhang mit der Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler vorsehen. (Auch) dazu aber ist vom BFH entschieden worden, dass die Vereinbarkeit jener Regelungen mit dem Gemeinschaftsrecht nach den im Jahr 2007 gegebenen Verhältnissen nicht i.S.d. § 69 Abs. 2 S. 2 FGO ernstlich zweifelhaft ist (Beschluss vom 29.11.2007, I B 181/07, BFH/NV 2008, 294, BFH/PR 2008, 100).
Angesichts dessen, dass die Bauabzugsteuer ohnehin jeden Steuerpflichtigen "ins Visier" nimmt, nicht nur den Steuerausländer, ist – so der BFH – diese Abzugsteuer umso weniger verdächtig. Gerade in Letzterem unterscheidet sich die deutsche Regelungslage nämlich von derjenigen – vergleichbaren – in Belgien, was wiederum den EuGH bewogen hat, in der belgischen Abzugsteuervariante wegen Unverhältnismäßigkeit des Mittels auf einen Verstoß gegen die europarechtlichen Grundfreiheiten zu erkennen (EuGH, Urteil vom 09.11.2006, C-433/04 – Kommission vs. Belgien –, BFH/NV Beilage 2007, 137). Darin liegt nach Ansicht des BFH dann auch der ausschlaggebende Unterschied.
4. Fazit und Konsequenze...