Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Die Umsatzsteuer entsteht grundsätzlich mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem eine Leistung ausgeführt worden ist. Eine Ausnahme liegt lediglich dann vor, wenn der Unternehmer die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnen kann. Gerade bei der Ausführung von Bauleistungen wird aber der leistende Unternehmer seine Rechnung nicht erst nach vollständiger Ausführung der Leistung erstellen, sondern Abschlagszahlungen einfordern. Im Regelfall wird dabei der Leistungsempfänger – sowohl bei den Abschlagszahlungen als auch bei der Schlussrechnung – einen Sicherheitseinbehalt zurückbehalten (i. d. R. nach VOB – Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – für 4 Jahre oder nach BGB für 5 Jahre). Da sich die Umsatzsteuerentstehung bei Anzahlungen nach dem vereinnahmten Entgelt richtet, bei Leistungserbringung aber das vereinbarte Entgelt herangezogen wird, ergeben sich unterschiedliche Rechtsfolgen für die Sicherheitseinbehalte bei Anzahlungs- und Schlussrechnungen.
Darüber hinaus muss geprüft werden, ob der leistende Unternehmer in der Lage ist, den Sicherheitseinbehalt durch eine Bankbürgschaft abzulösen. Der BFH hat dazu entschieden, dass Unternehmer nicht verpflichtet sind, Umsatzsteuer über mehrere Jahre vorzufinanzieren. In dem zu entscheidenden Fall bestanden Gewährleistungsfristen von 2–5 Jahren. Die Kunden waren vertraglich bis zum Ablauf der Gewährleistungsfrist zu einem Sicherungseinbehalt von 5–10 % berechtigt. Der Bauunternehmer hätte den Einbehalt nur durch Bankbürgschaft abwenden können, war aber nicht in der Lage, entsprechende Bürgschaften beizubringen. Gemäß der bisherigen Rechtsauffassung setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für den Bauunternehmer auch auf den Sicherheitseinbehalt fest. Eine Uneinbringlichkeit war nicht gegeben, da die Kunden keine Mängelansprüche geltend gemacht hatten.
Nach Auffassung des BFH soll aber der Unternehmer nicht mit der Umsatzsteuer als indirekter Steuer belastet werden. Damit ist eine Vorfinanzierung für einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht vereinbar. Darüber hinaus hat es der BFH für erforderlich gehalten, im Verhältnis von Soll- und Istversteuerung den Gleichbehandlungsgrundsatz zu wahren. Daher ist von einer Steuerberichtigung nach § 17 UStG bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung auszugehen.
Keine Änderung der Bemessungsgrundlage bei Ablösung durch Bankbürgschaft
Der BFH hat den Vorgang an das zuständige FG zurück verwiesen. Es müsse geklärt werden, ob der leistende Unternehmer in der Lage gewesen wäre, durch Stellung einer Bankbürgschaft für eine Auszahlung des Sicherheitseinbehalts zu sorgen. Somit kann eine Änderung der Umsatzsteuer nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG nur dann infrage kommen, wenn der leistende Unternehmer den Sicherheitseinbehalt nicht durch Bankbürgschaft ablöst oder ablösen kann.
Soweit der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer – wenn der Sicherheitseinbehalt nicht durch Bankbürgschaft ablösbar ist – sofort nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG berichtigen kann, muss auch der Leistungsempfänger – sofern er überhaupt zum Vorsteuerabzug berechtigt ist – seinen Vorsteuerabzug entsprechend anpassen.
Die Finanzverwaltung hat die Grundsätze aus der Rechtsprechung des BFH übernommen. Uneinbringlichkeit i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG liegt aber dann nicht vor, wenn der leistende Unternehmer das Entgelt vollständig erhalten hat, weil er eine Bankbürgschaft zur Sicherung der Ansprüche der Leistungsempfänger gestellt hat oder ihm eine derartige Bürgschaftsgestellung möglich war. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen für eine Minderung der Bemessungsgrundlage wegen Uneinbringlichkeit nachzuweisen. Aus den Nachweisen muss sich leicht und einwandfrei ergeben, dass für jeden abgeschlossenen Vertrag konkrete, im Einzelnen vom Unternehmer begehrte Gewährleistungsbürgschaften beantragt und abgelehnt wurden.
Korrespondierende Behandlung bei beiden Vertragspartnern
Die Finanzverwaltung hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Uneinbringlichkeit der nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG auf der Seite des leistenden Unternehmers auch zu einer Konsequenz bei dem Leistungsempfänger führt. Zwar muss der leistende Unternehmer seinen Vertragspartner nicht darüber informieren, dass und in welchem Umfang er ein Entgelt als uneinbringlich steuerlich erfasst hat. Das Finanzamt des Unternehmers ist jedoch berechtigt, das Finanzamt des Leistungsempfängers auf die Behandlung der offenen Entgeltansprüche als uneinbringlich hinzuweisen. Damit kann sich bei nachträglicher Feststellung einer Korrektur des Vorsteuerabzugs eine Verzinsung eines Nachzahlungsbetrags nach § 233a AO ergeben.
Es besteht für die Praxis aber noch eine weitere Schwierigkeit im Umgang mit dieser den leistenden Unternehmer auf den ersten Blick begünstigenden Rechtslage: Die Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG ist für den leistenden Unternehmer kein Wahlrecht oder erst dann anzuwenden, wenn er die Sachlage erkennt. Eine Änderung der Bemessungsgrundla...