Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung: Beratungspflicht des Rentenversicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
Dass sich eine Beratung beim Rentenversicherungsträger (vermutlich) nicht mit der Frage befasst hat, unter welchen Voraussetzungen die Vorschrift über Mindestentgeltpunkte (§ 262 SGB VI) zur Anwendung kommt und welche Auswirkungen dies auf die Höhe der Rente haben könnte, stellt kein Unterlassen einer erforderlichen oder sich aufdrängenden Beratung dar.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 21.09.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin auf ihren Überprüfungsantrag hin eine höhere Rente zusteht, wobei insbesondere die Verschiebung des Beginns der Altersrente und das Erlangen von zusätzlichen Mindestentgeltpunkten von Bedeutung sind.
Die 1948 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie ist im September 1992 aus Kasachstan nach Deutschland zugezogen und verfügt über einen Vertriebenenausweis A. Die Klägerin übte zuletzt geringfügige Beschäftigungen aus, aus denen Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden. Mit Schreiben vom 27.06.2008 kündigte die Firma K. GmbH gegenüber der Klägerin das Anstellungsverhältnis als Reinigungskraft zum 31.08.2008, da die Tätigkeiten zukünftig durch eine externe Firma erfolgen sollten. Mit Schreiben vom 16.03.2009 beendete der Allgemeinmediziner Dr. W. - "wie mündlich besprochen" - das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin als Reinigungskraft in seiner Praxis zum 30.04.2009.
Am 24.06.2008 sprach die Klägerin in der Rentenberatungsstelle der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern in A-Stadt vor und hatte dabei offensichtlich einen Beratungstermin mit der Rentenberaterin A. C. (im Weiteren: "Beraterin"). Am 01.07.2008 stellte die Klägerin bei dieser Beraterin einen Antrag auf eine Altersrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit als Vollrente mit Beginn zum 01.12.2008. Sie gab hierbei an, noch laufend geringfügig beschäftigt zu sein und zwar bei Dr. W.. In der Folgezeit forderte die Beklagte bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern Kontenklärungsakten zur FRG-Herstellung aus dem Jahr 1996 und 2003 an, die aber in schriftlicher Form nicht mehr vorlagen. Eine durch die Beklagte vorgesehene ärztliche Begutachtung wurde wegen stationärer Behandlung der Klägerin zunächst zurückgestellt. Am 03.09.2008 wurde die Klägerin durch Dr. G. chirurgisch-orthopädisch und am 09.09.2008 durch Dr. Dr. H. internistisch untersucht. Der beratende Arzt der Beklagten Dr. L. kam am 16.09.2008 zum Ergebnis, dass bei der Klägerin das Einsatzvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als aufgehoben anzusehen sei. Die Prüfung hinsichtlich Zahlungen aus einer geringfügigen Beschäftigung bei Dr. W. zog sich bis in das Frühjahr 2009. Am 17.06.2009 wurde von der Beklagten eine Probeberechnung unter Berücksichtigung von rentenrechtlichen Zeiten bis 30.11.2008 durchgeführt mit einem zugrunde gelegten Rentenbeginn 01.12.2008 und einer monatlichen Rentenanwartschaft von 326,76 Euro. An diesem Tag wurde von einem Mitarbeiter der Beklagten verfügt, dass die Rente der Klägerin unverzüglich festzusetzen sei und zu prüfen sei, ob bis Dezember 2008 Erwerbsminderungsrente gewährt werden könne. Wenn ja, sei die Versicherte entsprechend zu unterrichten.
Mit Datum vom 19.06.2009 erging der Rentenbescheid: Die Klägerin erhalte auf den Antrag vom 01.07.2008 Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Rentenbeginn am 01.12.2008. Für die Zeit ab 01.07.2009 würden laufend monatlich 301,67 Euro gezahlt, für die Zeit davor erhalte die Klägerin eine Nachzahlung. Im Rentenbescheid wurde auf Seite 3 dargelegt, dass für die Pflichtbeiträge vor dem 01.01.1992 nicht geprüft worden sei, ob die Summe der Entgeltpunkte für diese Beiträge auf einen Mindestwert zu erhöhen sei, weil die anerkannten rentenrechtlichen Zeiten keine 35 Jahre ergeben würden. Zu den rentenrechtlichen Zeiten würden nicht Monate aus geringfügiger versicherungsfreier Beschäftigung, aus Versorgungsausgleich oder Rentensplitting zählen.
Im Nachgang dazu stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin auch einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung haben würde. Die Beklagte fragte telefonisch bei der Klägerin nach, ob ihr Rentenantrag sich auch auf eine Erwerbsminderungsrente beziehen solle, was die Klägerin bejahte.
Mit Bescheid vom 28.07.2009 wurde der Klägerin daraufhin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab 01.08.2008 zuerkannt und für die Zeit vom 01.08.2008 bis 30.11.2008 eine Nachzahlung veranlasst.
Am 13.09.2010 stellte der Bevollmächtigte der Klägerin den hier streitgegenständlichen Antrag auf Überprüfung der Altersrente im Hinblick auf die Rentenhöhe. Es habe ein Beratungsfehler seitens der Beklagten vorgelegen, weil der Klägerin nicht der Hinweis gegeben worden sei, dass sie den Beginn der Altersrente um sieb...