Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialverwaltungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Abgrenzung der Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X und der Aufhebung nach § 48 SGB X.
2. Eine Umdeutung eines auf § 45 SGB X gestützten Bescheides in einen nach § 48 SGB X scheidet jedenfalls dann aus, wenn neben der Änderung der Rechtslage noch Begründungen zu weiteren Änderungen wie hier hinsichtlich des aufzuhebenden Verwaltungsaktes vorgenommen werden.
Tenor
Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Oktober 2008 aufgehoben.
Die Bescheide vom 10. August 2007, vom 21. August 2007, soweit dieser einen Nachzahlungsbetrag vorläufig einbehalten hat, sowie vom 23. August 2007, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2008, werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob ein gegenüber der Klägerin ergangener Rentenbescheid teilweise aufgehoben werden kann und diese für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis 30. September 2007 bzw. bis 31. Dezember 2005 überzahlte Hinterbliebenenrente in Höhe von 2.901,27 EUR zurückzahlen muss.
Die Beklagte gewährte der Klägerin als Witwe des am 15. August 1994 verstorbenen Versicherten J. A. mit Bescheid vom 25. November 1994 eine große Witwenrente in Höhe von zunächst 800,35 DM, zuletzt in der Fassung der Bescheide vom 17. Februar 2004 und 2. März 2006 (ab 1. Oktober 2005: 523,72 EUR monatlich). Dabei führte die Klägerin die Metzgerei ihres Ehemannes bis 30. September 2005 fort; anschließend verpachtete sie den Gewerbebetrieb zu einem Pachtzins von monatlich 1.000 EUR. Mit Bescheid vom 16. Mai 2006 hob die Beklagte den bisherigen Bescheid hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 1. Juli 2006 nach § 48 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) wegen Änderung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens auf und berechnete die große Witwenrente ab 1. Juli 2006 neu (393,37 EUR).
Am 2. März 2007 ging der Beklagten die Einkommensteuererklärung 2005 und am 31. Mai 2005 der Bescheid für 2005 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag zu. Dieser wies Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 404.111,00 EUR aus. Der Steuerberater teilte mit Schreiben vom 29. Juni 2007 auf Nachfrage der Beklagten mit, dass sich der ausgewiesene steuerliche Gewinn bis zur Betriebsaufgabe am 30. September 2005 aus Forderungsverzichten der Bank in Höhe von 417.498,00 EUR begründe. Bereits 2005 habe sich für den Zeitraum 1. Oktober bis 31. Dezember 2004 im Rahmen des ruhenden Gewerbebetriebs ein Verlust in Höhe von 13.201,44 EUR ergeben. Für das Jahr 2006 ergab sich ein Verlust in Höhe von 44.303,20 EUR.
Mit Bescheid vom 10. August 2007 berechnete die Beklagte die Rente ab 1. Oktober 2007 neu (394,02 EUR monatlich). Für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 30. September 2007 habe sich eine Überzahlung von 2.901,27 EUR ergeben, die zu erstatten sei. Mit Bescheid vom 21. August 2007 berechnete die Beklagte nochmals die Rente ab 1. Oktober 2007 neu (444,02 EUR), so dass sich eine Nachzahlung vom 1. April bis 30. September 2007 in Höhe von 293,83 EUR ergab. Diesen Betrag behielt sie vorläufig ein und verrechnete die Nachzahlung mit Bescheid vom 23. August 2007, so dass sich die Überzahlung auf 2.607,44 EUR verringerte.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2008 zurück. Erstmals benannte die Beklagte als Rechtsgrundlage § 45 SGB X. Der Bescheid vom 16. Mai 2006 sei zu Recht aufgehoben worden, da er bei Erlass rechtswidrig begünstigend gewesen sei. Er habe den 2005 erzielten Gewinn nicht berücksichtigt. Unmaßgeblich sei, dass sich im Laufe der Jahre Verlustvorträge von ca. 500.000,00 EUR ergeben hätten, da diese nicht den Gewinn, sondern nur die Steuerschuld verringerten. Dies habe die Klägerin mit Blick auf den im August 2005 erfolgten Schuldenerlass erkennen müssen. Die Neufeststellung der Hinterbliebenenrente stelle für die Klägerin auch keine unbillige Härte dar, da die Feststellung der Überzahlung in ihrer gesamten Höhe nicht auf einem Behördenfehler beruhe und die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer Einkünfte aus Verpachtung und ihres Renteneinkommens in der Lage sein werde, die entstandene Überzahlung in angemessenen Raten, worüber noch zu entscheiden sein werde, zu tilgen. Die Erstattungspflicht ergebe sich zwingend aus § 50 SGB X. Insoweit sei auch die Verrechnung mit Bescheid vom 23. August 2007 zutreffend gewesen.
Die hiergegen gerichtete Klage zum Sozialgericht München wies das Sozialgericht mit Urteil vom 30. Oktober 2008 ab. Der Gewinn in Höhe von 404.111,00 EUR aus dem Steuerbescheid des Jahres 2005 habe ohne Abzüge zur Berechnung der Witwenrente angesetzt werden können. Auch die Rücknahme des Verwaltungsaktes sei korrekt gewesen, da die Voraussetzungen des § 45 SGB X vorgelegen hätten. Die Klägerin könne sich insbesondere nicht auf Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes berufen, da sie entsprechend § 45 Abs. 2 Nr. 3 ...