Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Übernahme der Instandhaltungskosten eines Kraftfahrzeugs. Angewiesensein auf die Benutzung. fehlende Alternativen. Regelmäßigkeit der Nutzung. Mindesthäufigkeit. besondere Bedeutung einer ehrenamtlichen Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Ein behinderter Mensch, der neben einem Elektrorollstuhl stets medizinische Gerätschaften von erheblichem Gewicht mit sich führen muss (hier: 46 kg), kann nicht auf die Nutzung des Behindertenfahrdienstes verwiesen werden.
2. Der Begriff der Regelmäßigkeit im Sinne von § 10 Abs 6 EinglHV (juris: BSHG§47V) verlangt eine Mindesthäufigkeit der Nutzung bzw des Angewiesenseins auf ein Kfz.
3. Die Mindesthäufigkeit muss nicht generell derjenigen im Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben also monatlich etwa 22 Fahrten quantitativ entsprechen. Sie hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab, also insbesondere von Art und Schwere der Behinderung sowie von der Art der geltend gemachten Fahrten (Weiterentwicklung der Senatsrechtsprechung vom 29.6.2010 - L 8 SO 132/09 = SAR 2010, 110).
4. Fahrten, die im Zusammenhang mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit für die Belange behinderter Menschen stehen, haben in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht.
Normenkette
SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, § 55 Abs. 2 Nrn. 1, 7, § 58 Nrn. 1-2; SGB XII § 9 Abs. 2 S. 1, § 11 Abs. 2 S. 2, § 53 Abs. 1 S. 1, § 54 Abs. 1 S. 1; BSHG § 47V; BSHG § 8 Abs. 1 S. 2, § 10 Abs. 6; EinglHV § 1 Nr. 1
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Instandhaltungskosten für das behindertengerechte Kraftfahrzeug des Klägers streitig.
Der 1964 geborene Kläger ist schwerbehindert (GdB 100, Merkzeichen B, G, aG, H und RF). Er leidet an einer progressiven Muskelatrophie und wird künstlich dauerbeatmet. Er ist auf eine 24-stündige Pflege und Betreuung angewiesen, die er im Arbeitgebermodell organisiert. Für die Fortbewegung ist er auf einen Elektrorollstuhl angewiesen. Der Kläger erhält laufend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Hilfe zur Pflege und Krankenhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der Kläger ist Eigentümer eines auf seine Bedürfnisse angepassten Fahrzeugs (Mercedes-Benz Vito, Erstzulassung 1997). Bis 2008 übernahm der Beklagte die Reparaturkosten für dieses Fahrzeug.
Am 28.07.2009 beantragte der Kläger Hilfe zur Anschaffung eines neuen Fahrzeugs, da die Reparatur seines alten Fahrzeugs nicht mehr rentabel sei. Auf Nachfrage des Beklagten begründete der Kläger seinen Antrag mit Schreiben vom 01.04.2010 damit, dass es ihm bei kühler Witterung nicht möglich sei, seinen Elektrorollstuhl sicher zu steuern. Er müsse bei Fahrten mit Übernachtung Ausrüstungsgegenstände und medizinische Hilfsmittel mitnehmen, die nur in einem Kfz transportiert werden könnten. Sein bisheriges Fahrzeug benutze er etwa zwei Mal im Monat im Rahmen seiner ehrenamtlichen Tätigkeit (auch bundesweite Fahrten), etwa zwei Mal im Monat zum Besuch seiner Eltern und Freunde in I. (mit Übernachtung), etwa zwei Mal im Monat zum Besuch von Freunden im Raum F., etwa drei Mal im Monat für Einkaufsfahrten und etwa sechs Mal im Monat zu Kneipenbesuchen, Kino, Theater und sonstiger Freizeitgestaltung. Er selbst besitze keinen Führerschein; sämtliche Fahrten würden von seinem persönlichen Assistenten durchgeführt.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27.04.2010 ab. Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs werde insbesondere gewährt, wenn der behinderte Mensch zur Eingliederung in das Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen sei. Komme eine Eingliederung in das Arbeitsleben nicht in Betracht, könne die Hilfe nur ausnahmsweise bei Vorliegen eines besonderen Falles gewährt werden. Für Fahrten zur Teilhabe am öffentlichen Leben in der Gemeinschaft seien vorrangig öffentliche Verkehrsmittel und der Fahrdienst für schwerbehinderte Menschen zu nutzen. Sollte der Kläger nicht in der Lage sein, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, bleibe die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Behindertenfahrdienstes. Für Fahrten zum Arzt bzw. zu ärztlich verordneten Maßnahme bestehe eine vorrangige Leistungspflicht der Krankenkasse. Gegen die Ablehnung legte der Kläger am 17.05.2010 Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 23.07.2010 beantragte der Kläger die Übernahme der Gebühren für TÜV und Abgasuntersuchung (AU) in Höhe von 217,77 Euro sowie die Übernahme von Reparaturkosten lt. Kostenvoranschlag in Höhe von ca. 1.900,-- Euro. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23.09.2010 ab, soweit Reparaturkosten sowie Kosten für ein TÜV-Gutachten wegen einer Fahrz...