Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung von örtlicher Zuständigkeit
Leitsatz (amtlich)
Verweist das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk die vom Eröffnungsantrag betroffene Gesellschaft mit beschränkter Haftung ihren statutarischen, im Handelsregister auch eingetragenen Sitz hat, das Verfahren an das Gericht, in dessen Bezirk die im Handelsregister gleichfalls eingetragene Geschäftsadresse liegt, ohne die ihm obliegenden und sich aufdrängenden Ermittlungen zum Mittelpunkt einer Geschäftstätigkeit an der neuen Geschäftsadresse vorgenommen zu haben, so bindet die Verweisung wegen objektiver Willkür auch dann nicht, wenn das verweisende Gericht seine Entscheidung auf die grob fehlerhafte Rechtsauffassung gestützt hat, mit der Geschäftsadresse habe sich auch der allgemeine Gerichtsstand der Schuldnerin geändert.
Normenkette
EGZPO § 9; EuInsVO Art. 3 Abs. 1 Sätze 1-2, Art. 4 S. 1; InsO § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Sätze 1-2, §§ 4, 5 Abs. 1 S. 1, § 10 Abs. 1-2; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 281 Abs. 1, 2 Sätze 2, 4, § 495
Tenor
Örtlich zuständiges Gericht ist das Amtsgericht München (Abteilung für Insolvenzsachen).
Gründe
I. Mit Gläubigerantrag, eingegangen beim Amtsgericht München - Insolvenzgericht - am 24. Juni 2019, ersuchte der Antragsteller um Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die wegen rückständiger Steuern und steuerlicher Nebenleistungen in Höhe von 66.639,31 EUR betriebene Zwangsvollstreckung sei - wie aus den beigefügten Ablichtungen der Vollstreckungsaufträge, Drittschuldnererklärungen, Niederschriften über Vollstreckungsversuche und Vermerken des Vollziehungsbeamten ersichtlich - erfolglos geblieben. Gemäß Drittschuldnererklärungen der Banken vom 15. Februar und 8. Mai 2019 würden die von der Pfändung betroffenen Konten kein Guthaben ausweisen; vielmehr bestünden hohe Gegenforderungen der Banken und eine vorrangige Pfändung. Bereits am 14. März 2019 sei die Schuldnerin an ihrer Geschäftsanschrift in München nicht mehr zu ermitteln gewesen. An der provisorisch eingerichteten neuen Geschäftsanschrift, ebenfalls in München, sei zwar am 15. April 2019 der vormalige Geschäftsführer der Schuldnerin angetroffen worden, der eine kurzfristige Begleichung sämtlicher Rückstände in Aussicht gestellt habe. Ein Ausgleich sei jedoch nicht erfolgt. Anlässlich eines weiteren Vollstreckungsversuchs am 14. Mai 2019 sei die Schuldnerin auch an dieser Adresse nicht mehr zu ermitteln gewesen. Der am 12. April 2019 bestellte neue Geschäftsführer der Schuldnerin sei postalisch an seiner Privatanschrift in der Republik Polen erreichbar, solle aber laut Auskunft des früheren Geschäftsführers auch in Berlin ansässig gewesen sein.
Die Schuldnerin ist mit Sitz in München im Handelsregister B des Amtsgerichts München eingetragen. Der Gegenstand des Unternehmens besteht in der Vermittlung und Erbringung von Sanierungsarbeiten, im Bauservice sowie im Import von Möbeln. Am 23. April 2019 wurden das Ausscheiden des (einzigen) früheren Geschäftsführers und die Bestellung des neuen Geschäftsführers mit Privatanschrift in der Republik Polen eingetragen. Am 13. Juni 2019 wurde als geänderte Geschäftsanschrift der Schuldnerin eine Adresse in Berlin eingetragen.
Mit Verfügung vom 24. Juni 2019 wies das Insolvenzgericht München den Antragsteller darauf hin, dass es aus seiner Sicht für die Durchführung des Verfahrens örtlich nicht zuständig sei. In erster Linie richte sich die Zuständigkeit nach dem allgemeinen Gerichtsstand der Schuldnerin. Befinde sich der Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit an einem anderen Ort, so sei dieser maßgeblich. Der Antragsteller erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme sowie zur Stellung eines Verweisungsantrags. Er machte keine ergänzenden Ausführungen, sondern beantragte lediglich Verweisung an das Amtsgericht Charlottenburg.
Mit Beschluss vom 3. Juli 2019 erklärte sich das Amtsgericht München - Insolvenzgericht - für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg mit der Begründung, dort befinde sich der allgemeine Gerichtsstand der Schuldnerin.
Das Amtsgericht Charlottenburg behielt sich die Übernahme bis zur Klärung der örtlichen Zuständigkeit vor. Der Schuldnerin konnte der Insolvenzantrag nicht zugestellt werden; laut Urkunde über den Zustellversuch am 22. Juli 2019 war die Schuldnerin unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsadresse nicht zu ermitteln. Ein Nachweis über die Zustellung des Eröffnungsantrags an den Geschäftsführer der Gesellschaft unter dessen Privatanschrift in der Republik Polen kam nicht in Rücklauf.
Dem früheren Geschäftsführer wurden an seiner Meldeadresse in München am 7. und 19. September 2019 gerichtliche Aufforderungen zugestellt. Er erklärte, zur Unternehmensinsolvenz keine Auskünfte geben zu können. Gemäß in Berlin beurkundetem Vertrag vom 24. April 2019 habe er in eigenem und fremdem Namen die Gesellschaftsanteile an den sodann neu bestellten...