Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Die Verpflichtung zur Abgabe der Einkommensteuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG ist wirtschaftlich unzumutbar i.S. von § 150 Abs. 8 Sätze 1 und 2 AO, wenn der finanzielle Aufwand für die Einrichtung und Aufrechterhaltung einer Datenfernübertragungsmöglichkeit in keinem wirtschaftlich sinnvollen Verhältnis zu den Einkünften nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG steht.
2. Der Antrag auf Befreiung wegen unbilliger Härten nach § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 150 Abs. 8 AO bezieht sich nur auf den jeweiligen Veranlagungszeitraum.
Normenkette
§ 25 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG, § 150 Abs. 8 AO
Sachverhalt
Der im Jahr 1969 geborene Kläger war bis 2009 als Finanzbeamter tätig, bevor er sich im Jahr 2010 zum Steuerberater bestellen ließ. In den Jahren 2013 und 2014 erzielte er mit seiner von ihm in seiner Privatwohnung ohne Mitarbeiter betriebenen Steuerberaterpraxis ausschließlich Verluste, die in den Einkommensteuerfestsetzungen keine Berücksichtigung fanden. In diesen Jahren erzielte er zudem gewerbliche Einkünfte aus einer Tätigkeit als Zeitungszusteller in Höhe von rund 2.800 EUR bzw. rund 2.900 EUR sowie Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 21.029 EUR bzw. 24.106 EUR.
Der Kläger beantragte für das Jahr 2015, die Einkommensteuererklärung gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 150 Abs. 8 AO weiterhin in Papierform abgeben zu dürfen, da er weder über die entsprechende Hardware noch über einen Internetanschluss für die elektronische Übermittlung der Steuererklärung verfüge. Das FA lehnte den Antrag und den hiergegen erhobenen Einspruch ab.
Das FG gab der Klage statt und verpflichtete das FA, dem Kläger auch zukünftig die Abgabe der Einkommensteuererklärungen in Papierform zu gestatten (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.10.2016, 2 K 2352/15, Haufe-Index 10077732, EFG 2017, 40).
Entscheidung
Der BFH hat auf die Revision des FA das FG-Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit für das Streitjahr 2015 an das FG zurückverwiesen, da dieses keine Feststellungen dazu getroffen hatte, wie hoch die Einkünfte des Klägers in diesem Veranlagungszeitraum waren. Im Übrigen hat es die Klage zurückgewiesen, da die Befreiung von der elektronischen Erklärungsabgabe nicht für zukünftige Veranlagungszeiträume gewährt werden kann.
Hinweis
1. Erzielt der Steuerpflichtige Gewinneinkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG, ist er nach § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG grundsätzlich verpflichtet, die Einkommensteuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln. Ist dies dem Steuerpflichtigen jedoch aus wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen nicht zumutbar, muss das FA nach § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 150 Abs. 8 AO auf eine Übermittlung durch Datenfernübertragung verzichten. Abweichend von § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG hat die Finanzbehörde in den Fällen des § 150 Abs. 8 AO keinen Ermessensspielraum. Insoweit besteht nach der Entscheidung des BFH ein Anspruch auf Befreiung von der Abgabe der elektronischen Steuererklärung.
2. Der Anspruch besteht jedoch nur dann, wenn eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit i.S.d. § 150 Abs. 8 AO vorliegt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine Datenfernübertragung nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand möglich ist. Dies ist nach Auffassung des BFH der Fall, wenn die Schaffung der technischen Voraussetzungen in keinem wirtschaftlich sinnvollen Verhältnis zu den Einkünften steht, für die nach § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG die Einkommensteuererklärung durch Datenfernübertragung zu übermitteln ist. Danach können sich insbesondere "Kleinstbetriebe" auf die Härtefallregelung in § 150 Abs. 8 AO berufen. Unerheblich für die Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit sind dabei die mit dem Betrieb nicht in Zusammenhang stehenden finanziellen Verhältnisse des Steuerpflichtigen, da die Verpflichtung zur Datenfernübertragung sich allein auf die Einkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG bezieht.
3. Der BFH hat den Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen, da dieses für das Streitjahr 2015 keine Feststellungen zur Höhe der Einkünfte i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG getroffen hatte. Sollten diese Einkünfte die Größenordnung der Vorjahre nicht deutlich überschreiten, hat das FG für den freiberuflichen Betrieb und das gewerbliche Einzelunternehmen des Klägers jeweils vom Vorliegen eines Kleinstbetriebs auszugehen und der Klage auf Befreiung von der Pflicht zur elektronischen Abgabe der Steuererklärung stattzugeben.
4. Die Klage war insoweit unzulässig, als sie sich auf künftige Veranlagungszeiträume bezog, über die das FA hinsichtlich der Befreiung von der Abgabe der elektronischen Steuererklärung noch nicht entschieden hatte. Nach Auffassung des BFH kann sich der Härtefallantrag nach § 150 Abs. 8 AO nur auf den jeweiligen Veranlagungszeitraum beziehen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.6.2020 – VIII R 29/17