Leitsatz
Der Unternehmer unterhält jedenfalls dann eine Betriebsstätte bzw. feste Niederlassung, wenn er umfassenden Zugriff auf eine Einrichtung hat, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistung ermöglicht.
Normenkette
§ 3a UStG 2005, § 3a UStG 2009, Art. 43 EGRL 112/2006 a.F. (= MwStSystRL a.F.), Art. 45 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 11 Abs. 2 EUV 282/2011
Sachverhalt
Der Kläger (beratender Volkswirt) ist in S (Inland) ansässig. In den Streitjahren (2008 bis 2010) war der Kläger als "intermittierender Langzeitberater" eines Projektpartners in X (Drittland). Vertragspartner waren der nicht unternehmerisch tätige W als Leistungsempfänger (ebenfalls mit Sitz in S, Inland) sowie die A GmbH, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des J. Laut Vereinbarung waren Einsatztage im In- und Ausland, die Vor- und Nachbereitung, Reisetage sowie Berichterstattung zu leisten. Je Auslandseinsatz sollten mindestens 2/3 der Einsatztage für die Beratung in X (Drittland) und bis zu 1/3 der Einsatztage für Reise, Vorbereitung und Berichterstattung (im Inland) genutzt werden. Die IHK X stellte dem Kläger aufgrund einer Vereinbarung mit W Büroräume in X sowie eine Infrastruktur mit Personal, das den Weisungen des Klägers unterlag, zur Verfügung.
Ferner war der Kläger im Streitjahr 2010 als intermittierender Langzeitberater für die IHK P in Z (ebenfalls Drittland) tätig. Die Tätigkeitsschwerpunkte des Klägers als Projektkoordinator waren die Beratung und Unterstützung der Partner aus Z, insbesondere der IHK V. Die IHK V stellte dem Kläger aufgrund Vereinbarung mit der IHK P für die Projektdauer Büroräume zur Verfügung. Eine lokale Koordinatorin hatte seinen Weisungen zu folgen.
Der Kläger rechnete gegenüber der A GmbH, der B sowie der IHK P über die von ihm erbrachten Leistungen jeweils ohne Ausweis der Umsatzsteuer ab.
Nach einer Außenprüfung ging das FA davon aus, der Ort der Leistungen liege im Inland. Am 2.8.2013 erließ es entsprechende Änderungsbescheide. Der Einspruch blieb erfolglos.
Die Vorinstanz (FG Berlin-Brandenburg vom 29.11.2017, 7 K 7228/15, Haufe-Index 11433092, EFG 2018, 500) wies die Klage ab. Der Leistungsort habe sich im Inland befunden.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Aufgrund der vom FG bisher festgestellten Umstände komme eine feste Niederlassung des Klägers in X und Z in Betracht. Dass diese nur für die Dauer des Projekts bestehe, sei unschädlich. Das FG muss nun aber außerdem prüfen, ob und inwieweit der Kläger die Leistungen von der festen Niederlassung und/oder vom Sitz aus erbracht hat.
Hinweis
1. Das UStG verwendet an verschiedenen Stellen (§ 1, § 3a, § 3g, § 6b, § 13b, § 14, § 18) immer noch den Begriff der Betriebsstätte, während das Unionsrecht von der festen Niederlassung spricht. Der BFH legt den Begriff der Betriebsstätte bei der Umsatzsteuer richtlinienkonform (und damit abweichend von der Ertragsteuer) aus.
a) Als (aktive) feste Niederlassung gilt nach Art. 11 Abs. 2 MwStDV jede Niederlassung mit Ausnahme des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen zu erbringen.
b) Auch wenn viele Fragen in diesem Zusammenhang unionsrechtlich noch nicht endgültig geklärt sind (vgl. z.B. die beim EuGH anhängigen Verfahren C-737/19, C-812/19 und C-937/19), steht aufgrund des Besprechungsurteils fest, dass für die Annahme einer festen Niederlassung das Personal nicht bei ihm selbst angestellt sein muss und die Sachmittel sich nicht in seinem Eigentum befinden müssen. Es reicht aus, wenn ihm eine vergleichbare Verfügungsgewalt über fremdes Personal und fremde Sachmittel zusteht.
c) Dass die Verfügungsgewalt zeitlich befristet ist (z.B. auf die Dauer eines Projekts), ist unschädlich. Die Ansässigkeit besteht dann (nur) für die Zeit, in der die notwendige Verfügungsgewalt besteht.
2. Soweit es um die Ortsregelung des § 3a Abs. 1 Satz 2 UStG geht, ist aber zu beachten, dass die Leistung von der Betriebsstätte ausgeführt (= von der festen Niederlassung aus erbracht) werden muss. Sind sowohl der Sitz als auch die feste Niederlassung an der Erbringung des Umsatzes beteiligt, stellt die Finanzverwaltung darauf ab, wo die Leistung überwiegend erbracht wird (Abschn. 3a.1 Abs. 2 Satz 4 UStAE). Der BFH hat dazu im Besprechungsurteil nicht Stellung genommen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 29.4.2020 – XI R 3/18