Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Die Behörde hat die im Rahmen des § 146 Abs. 2b AO anzustellenden Ermessenserwägungen nach den in § 5 AO geregelten allgemeinen Grundsätzen auszurichten. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an.
Sachverhalt
Das Finanzamt führte bei der Klägerin - einer "Mini-GmbH" - eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch und forderte sie unter Fristsetzung auf, bestimmte Unterlagen vorzulegen. Da sie die Unterlagen auch innerhalb der vom Finanzamt gesetzten Nachfrist nicht vollständig einreichte, setzte es ein Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO in Höhe von 2.500 EUR fest.
Die Klägerin hält die Festsetzung des Verzögerungsgeldes für ermessensfehlerhaft. Sie habe versucht, die Forderungen des Finanzamts zu erfüllen, obwohl sie teilweise nicht einmal verstanden habe, was z. B. eine Daten-CD nach GdPdU-Format überhaupt sei. Ferner habe sie die angeforderten Sachkonten, wenn auch in Papierform, eingereicht. Diesem Vorbingen ist das Finanzamt nicht gefolgt und hat den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Entscheidung
Das FG entscheidet, dass die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes zwar vorgelegen hätten, allerdings habe das Finanzamt die Ermessensentscheidung weder im angefochtenen Verwaltungsakt noch in der Einspruchsentscheidung ausreichend begründet.
Das Entschließungsermessen ist durch das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO nicht vorgeprägt. Der Gesetzgeber hat eine sehr große Spannbreite (2.500 EUR bis 250.000 EUR) des festzusetzenden Verzögerungsgeldes geschaffen. Deshalb begrenzt die finanzgerichtliche Rechtsprechung die Anwendung der Vorschrift tendenziell auf wesentliche Fälle, schließt Bagatellfälle aus und bezieht in das Entschließungsermessen alle entscheidungserheblichen Umstände, insbesondere Verschuldensaspekte, ein.
Dem Bescheid über die Festsetzung des Verzögerungsgeldes kann nicht entnommen werden, dass das Finanzamt sein Entschließungsermessen erkannt und ausgeübt hat. In einem nachfolgenden Schreiben erfolgte zwar eine Auseinandersetzung mit Verschuldensgründen, aber nicht mit weiteren Gesichtspunkten, die in den Ermessenerwägungen zu berücksichtigen gewesen wären. Eine Nachholung der Ermessenerwägungen ist auch nicht hinreichend in der Einspruchsentscheidung - der letzten Verwaltungsentscheidung - erfolgt.
Hinweis
Das FG hat in seiner Entscheidung zu Recht auch darauf hingewiesen, dass die Finanzbehörde bei der Ausübung ihres Ermessens den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen hat. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nach der neueren Rechtsprechung des BFH, Urteil v. 28.8.2012, I R 10/12 auch bei der Entscheidung, ob gegenüber dem Steuerpflichtigen ein Verzögerungsgeld von mindestens 2.500 EUR festgesetzt wird, zu beachten. Hiernach ist es dem Finanzamt verwehrt, im Rahmen der Ausübung seines Entschließungsermessens von einer Vorprägung in dem Sinne auszugehen, dass jede Verletzung der Mitwirkungspflichten - unabhängig davon, ob den Steuerpflichtigen ein Schuldvorwurf trifft - grundsätzlich zur Festsetzung eines Verzögerungsgelds führt.
Link zur Entscheidung
Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 05.12.2012, 2 K 9/12