Leitsatz
Das BMF wird aufgefordert, dem Revisionsverfahren beizutreten, um zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen:
1. Ermöglicht § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG eine Zusammenfassung ohne organisatorische Verflechtung der zusammenzufassenden Betriebe gewerblicher Art (BgA)?
2. Gestattet § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG eine mehrstufige Zusammenfassung von mehr als zwei BgA, bei der auf einer ersten Stufe zwei BgA zusammengefasst werden und es dann auf einer zweiten Stufe für die Zusammenfassung dieser zusammengefassten BgA mit einem weiteren BgA ausreicht, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG nur zu einem der bereits zusammengefassten BgA vorliegen?
Normenkette
§ 4 Abs. 6 Satz 1 KStG, § 122 Abs. 2 Satz 3 FGO
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, unterhielt unter anderem die Betriebe Wasserversorgung und Freibad. Auf dem Gelände des Freibades errichtete sie ein mit Biogas betriebenes Blockheizkraftwerk (BHKW) mit 542 kW thermischer und 537 kW elektrischer Leistung (BHKW I). Die anderweitig untergebrachte Biogasanlage war durch eine Leitung mit dem BHKW I verbunden. Die für die Biogaserzeugung wiederum erforderliche Wärme wurde durch ein zweites, kleineres BHKW (BHKW II) produziert. Der in beiden BHKW erzeugte Strom wurde an die Stadtwerke C als Stromversorger verkauft. In den Jahren 2009 bis 2014 (Streitjahre) wurde jeweils während der etwa fünfmonatigen Freibadsaison die im BHKW I produzierte Wärme überwiegend an das Schwimmbad geliefert; im restlichen Jahr wurden vor allem Drittkunden in dem in unmittelbarer Nähe zum BHKW I ausgewiesenen Neubaugebiet, für das ein Anschlusszwang bestand, mit Wärme versorgt. Zusätzlich zu dem BHKW I war im Freibad ein erdgasbetriebener Spitzenlastkessel installiert, der in den Streitjahren immer häufiger zum Einsatz kam, da mit zunehmender Belieferung der Kunden im Neubaugebiet das BHKW I die für das Freibad erforderliche Wärmeleistung nicht mehr allein erbringen konnte.
In der Annahme, dass ein BgA "Versorgung" bestehe, zu dem das Freibad, die BHKW und die Wasserversorgung gehören sollten, verrechnete die Klägerin in ihren KSt- und GewSt-Erklärungen für die Streitjahre die negativen Einkünfte aus dem Betrieb des Freibades mit den Einkünften aus der Wasserversorgung und der Strom- und Wärmeerzeugung aus dem Betrieb der BHKW.
Das FA ging davon aus, dass zwar der Biogasanlagenbetrieb nebst BHKW II sowie das BHKW I und die Wasserversorgung als Versorgungsbetriebe i.S.d. § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG zusammenfassbar seien. Der Freibadbetrieb sei jedoch ein eigenständiger BgA, der mangels enger wechselseitiger technisch-wirtschaftlicher Verflechtung von einigem Gewicht nicht mit einem anderen BgA zusammengefasst werden könne. Der Klage gegen die auf dieser Grundlage ergangenen Änderungsbescheide gab das FG (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 17.6.2021, 1 K 115/17, Haufe-Index 14989849, EFG 2022, 265) nach Maßgabe des BMF-Schreibens vom 12.11.2009, IV C 7 – S 2706/08/10004, BStBl I 2009, 1303 statt, da es entgegen dem FA die erforderliche technische Verflechtung bejahte.
Entscheidung
Der BFH forderte das BMF zum Verfahrensbeitritt auf. Ist entgegen dem BMF-Schreiben vom 12.11.2009, IV C 7 – S 2706/08/10004, BStBl I 2009, 1303 zu entscheiden, kommt es auf die Frage der technischen Verflechtung, die immer wieder zu Beurteilungsschwierigkeiten führt, nicht an.
Hinweis
1. Ein BgA kann gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG mit einem oder mehreren anderen BgA zusammengefasst werden, wenn sie gleichartig sind (Nr. 1), zwischen ihnen nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse objektiv eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht besteht (Nr. 2) oder BgA i.S.d. § 4 Abs. 3 KStG (Versorgungs‐, Verkehrs- oder Hafenbetriebe) vorliegen (Nr. 3). Dies entspricht im Wesentlichen der BFH-Rechtsprechung vor Schaffung dieser Vorschrift.
2. Für den Fall der engen wechselseitigen technisch-wirtschaftlichen Verflechtung von einigem Gewicht (jetzt § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG) ging der BFH von einer zusätzlich erforderlichen organisatorischen Verflechtung aus. Demgegenüber verlangt die Finanzverwaltung für die Anwendung von § 4 Abs. 6 KStGkeine organisatorische Verflechtung, sondern lässt es ausreichen, dass zur Ausübung des steuerlichen Wahlrechts für den zusammengefassten BgA lediglich eine eigenständige Gewinnermittlung vorgenommen wird (BMF, Schreiben vom 12.11.2009, IV C 7 – S 2706/08/10004, BStBl I 2009, 1303, Rz. 1 Satz 5, Rz. 3).
Der BFH zweifelt daran, ob die Finanzverwaltung damit § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG zutreffend auslegt. Denn auch wenn eine organisatorische Verflechtung nicht ausdrücklich als eigenständige Voraussetzung in § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG genannt wird, könnte sie sich aus dem Begriff der "Zusammenfassung" i.S.d. bisherigen Rechtsprechung ergeben.
3. Eine weitere Zweifelsfrage bezieht auf die Voraussetzungen einer sog. Kettenzusammenfassung.
a) Die Finanzverwaltung ermöglicht eine mehrstufige Zusammenfassung von mehr als zwei BgA dergest...