Klaus Bertram, Prof. Dr. Sabine Heusinger-Lange
Rz. 66
Der notwendige Erfüllungsbetrag einer ungewissen Verbindlichkeit kann – von einer etwaigen Abzinsung abgesehen – sofort in voller Höhe oder ratierlich über mehrere Berichtsperioden einer Rückstellung zuzuführen sein. Im letzteren Fall liegt eine Ansammlungs- oder Verteilungsrückstellung vor.
Ansammlungsrückstellungen sind zu bilden für ungewisse Verbindlichkeiten, die über einen längeren Zeitraum sukzessive anwachsen. Ursächlich für das Anwachsen der Leistungspflicht können Handlungen des Bilanzierenden sein (z. B. die fortgesetzte Ausbeutung eines Kiesgrundstücks bei Rekultivierungsverpflichtungen) oder einseitige Vorleistungen der anderen Partei bei gegenseitigen Verträgen, die zu einem zunehmenden Erfüllungsrückstand des Kfm. führen (z. B. die Erbringung von Arbeitsleistung bei Pensions- oder Jubiläumsrückstellungen). Als wirtschaftlich verursacht und damit rückstellungspflichtig gilt nur jener Teil der Leistungspflicht, den der Schuldner aufgrund der bis zum Abschlussstichtag eingetretenen Sachverhaltsentwicklung einseitig nicht mehr abwenden kann und der nicht durch noch ausstehende Gegenleistungen eines Dritten kompensiert wird.
Hiervon zu unterscheiden sind Verpflichtungen, die – obwohl sie durch einen Vorgang oder ein Ereignis unmittelbar in voller Höhe entstehen – durch eine ratierliche Rückstellungsdotierung über einen längeren Zeitraum erfasst werden. Beispiele sind Abbruch-, Entfernungs-, Rückbau- und bestimmte Entsorgungsverpflichtungen. Die verteilte Einbuchung ihres Erfüllungsbetrags lässt sich nicht mit dem Anstieg der Verpflichtung im Zeitablauf, sondern nur mit dem Realisationsprinzip erklären: Hiernach sollen die Erträge aus der Nutzung der zu beseitigenden Anlagen mit den Aufwendungen belastet werden, die der Bilanzierende zu ihrer Erzielung in Kauf nimmt. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d EStG spricht von Verpflichtungen, für deren Entstehen im wirtschaftlichen Sinne der laufende Betrieb ursächlich ist. In Abgrenzung zu den für im Zeitablauf anwachsende Verpflichtungen zu bildenden Ansammlungsrückstellungen werden die hier angesprochenen Rückstellungen als Verteilungsrückstellungen bezeichnet.
Rz. 67
Geht man von einer gleichmäßigen Verursachung der Aufwendungen über die Verteilungsperiode aus, bestehen zwei Möglichkeiten für die aufwandswirksame Verteilung des Erfüllungsbetrags:
- Barwertverfahren: Der auf das jeweilige Gj entfallende operative Aufwand entspricht jeweils dem mit dem aktuellen restlaufzeitadäquaten Zinssatz auf den Abschlussstichtag abgezinsten anteiligen Nominalwert der Verpflichtung. Der anteilige Nominalbetrag ergibt sich durch Division des gesamten voraussichtlichen Verpflichtungsumfangs durch die Anzahl der Gj, die auf die Verteilungsperiode entfallen. Das Barwertverfahren führt zu einem im Zeitablauf steigenden operativen Aufwand.
- Annuitätenverfahren (Gleichverteilungsverfahren): Zu jedem Abschlussstichtag wird unter Berücksichtigung des maßgeblichen restlaufzeitadäquaten Zinssatzes der Betrag ermittelt, der sich bei annuitätischer Verteilung des gesamten voraussichtlichen Verpflichtungsumfangs ergibt. Bei konstantem Zinssatz führt dieses Verfahren zu einem konstanten jährlichen operativen Aufwand.
Das folgende Beispiel verdeutlicht die Rückstellungsberechnung nach den beiden Bewertungsmethoden.
Ein Unt hat eine zum 1.1.01 rechtlich begründete Abbruchverpflichtung. Das Unt schätzt die nach zehn Jahren anfallenden Abbruchkosten unter Einbeziehung erwarteter Kostensteigerungen mit 50.000 EUR. Der nach § 253 Abs. 2 HGB anzuwendende Zinssatz wird während der Laufzeit der Verpflichtung als konstant angenommen und beträgt 2 %. Der Rückstellungsbetrag ist linear auf die Laufzeit zu verteilen und abzuzinsen. Hieraus ergibt sich bei Anwendung des Barwertverfahrens folgender Rückstellungsverlauf:
Jahr |
Nomineller Erfüllungsbetrag |
Verteilungsquote |
Sonstiger betrieblicher Aufwand |
Zinsen und ähnliche Aufwendungen |
Gesamtaufwand |
Rückstellung |
01 |
50.000 |
10 % |
4.184 |
0 |
4.184 |
4.184 |
02 |
50.000 |
20 % |
4.267 |
84 |
4.351 |
8.535 |
03 |
50.000 |
30 % |
4.353 |
171 |
4.523 |
13.058 |
04 |
50.000 |
40 % |
4.440 |
261 |
4.701 |
17.759 |
05 |
50.000 |
50 % |
4.529 |
355 |
4.884 |
22.643 |
06 |
50.000 |
60 % |
4.619 |
453 |
5.072 |
27.715 |
07 |
50.000 |
70 % |
4.712 |
554 |
5.266 |
32.981 |
08 |
50.000 |
80 % |
4.806 |
660 |
5.465 |
38.447 |
09 |
50.000 |
90 % |
4.902 |
769 |
5.671 |
44.118 |
10 |
50.000 |
100 % |
5.000 |
882 |
5.882 |
50.000 |
|
|
Summe |
45.811 |
4.119 |
50.000 |
|
Bei Anwendung des Annuitätenverfahrens ist der Erfüllungsbetrag von 50.000 EUR in eine Annuität zu überführen. Sie ermittelt sich wie folgt:
Erfüllungsbetrag x i / ((1 + i)n –1) = 50.000 EUR x 0,02 / (1,0210 –1) = 4.566 EUR.
Die Abbruchrückstellung ist damit in jedem Jahr um einen sonstigen betrieblichen Aufwand von 4.566 EUR sowie um die Verzinsung des jeweiligen Vorjahresbetrags zu erhöhen.
Rz. 68
Wie das Beispiel zeigt, führt die Annuitätenmethode in den ersten Jahren zu höheren Rückstellungszuführungen als die Barwertmethode. Infolgedessen ergeben sich bis zum geplanten Erfüllungstag höhere Verpflichtungsbeträge. Das kann ...