Leitsatz
Konnte der Steuerpflichtige in rentenrechtlich zulässiger Weise Nachzahlungen von Vorsorgebeiträgen für ein vorangegangenes Kalenderjahr leisten, die jedoch erst im Zahlungsjahr rentenrechtlich wirksam werden, sind diese Beiträge im Rahmen der Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG als Beiträge für das Jahr zu berücksichtigen, für das sie zulässigerweise geleistet wurden.
Normenkette
§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 Halbs. 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger bezieht Versorgungsleistungen aus einem berufsständischen Versorgungswerk. Nach der Übersicht des Versorgungswerks lagen seine Beiträge neun Jahre über dem Höchstbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung. Streitig ist die Beurteilung einer freiwilligen Mehrzahlung im Jahr 2003, die für das Kalenderjahr 2002 bestimmt war. Würde sie als Beitrag des Jahres 2002 angesehen, hätte der Kläger zehn Jahre Beiträge oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze geleistet. Das Versorgungswerk hatte dazu im Beitragsbescheid 2002 ausgeführt: "Zur Erhöhung ihrer Versorgungsanwartschaften können Sie freiwillige Mehrzahlungen entrichten … Freiwillige Mehrzahlungen werden wie Pflichtbeiträge verrentet und sind für ein Kalenderjahr bis zum Ablauf des Folgejahres zulässig".
Das FA war der Auffassung, die freiwillige Mehrzahlung sei als Zahlung des Jahres 2003 und nicht des Jahres 2002 anzusehen. Damit seien die Voraussetzungen der sog. Öffnungsklausel nicht erfüllt. Das FG gab der Klage statt (FG München, Urteil vom 26.7.2017, 1 K 2510/14, Haufe-Index 11530418, EFG 2018, 300).
Entscheidung
Die Revision des FA führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache. Das FG war zwar zutreffend davon ausgegangen, dass auch die im Jahr 2003 für das Jahr 2002 geleisteten freiwilligen Mehrzahlungen, die den im Jahr 2002 geltenden Höchstbeitrag überschritten, im Rahmen der Öffnungsklausel als Zahlung des Jahres 2002 zu berücksichtigen waren. Die Feststellungen des FG reichten aber nicht aus, um zu entscheiden, ob der Höchstbeitrag tatsächlich (mindestens) zehn Jahre überschritten wurde.
Hinweis
1. Zur Vermeidung der doppelten Besteuerung der Renten der Basisversorgung regelt die sog. Öffnungsklausel in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG, dass auf Antrag auch diese Renten mit dem Ertragsanteil besteuert werden können. Voraussetzung ist, dass sie auf bis zum 31.12.2004 geleisteten Beiträgen beruhen, welche oberhalb des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden. Der Steuerpflichtige muss nachweisen, dass der Höchstbeitrag mindestens zehn Jahre überschritten wurde (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 Halbsatz 2 EStG).
2. Problematisch ist hierbei die Beurteilung von Nachzahlungen, die für ein anderes Beitragsjahr geleistet wurden. Der X. Senat hat bereits für den Fall der Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung entschieden, dass es bei der Anwendung der Öffnungsklausel nicht allein darauf ankommt, in welchem Jahr die Beiträge gezahlt, sondern auch darauf, für welche Jahre die Beiträge geleistet wurden. Das sog. In-Prinzip sei im Rahmen der Öffnungsklausel nicht uneingeschränkt anwendbar (z.B. BFH, Urteil vom 19.1.2010, X R 53/08, BFH/NV 2010, 986, BStBl II 2011, 567, Rz. 84 ff.). Die mögliche Doppelbesteuerung entsteht nämlich nicht durch die Zahlung in einem bestimmten Veranlagungszeitraum, sondern aufgrund der fehlenden steuerlichen Berücksichtigung von Leistungen oberhalb des Höchstbeitrags, die in den Jahren vor 2005 regelmäßig nicht steuerlich abziehbar waren.
3. Konnte ein Steuerpflichtiger in rentenrechtlich zulässiger Weise Nachzahlungen in sein Versorgungswerk für ein vorangegangenes Kalenderjahr leisten, ist dies bei der Prüfung der Öffnungsklausel mit der Konstellation einer Nachversicherung in die gesetzliche Rentenversicherung vergleichbar, auch wenn diese Nachzahlungen rentenrechtlich erst im nachfolgenden Zahlungsjahr wirksam wurden.
Nach Sinn und Zweck der Öffnungsklausel sind diese Nachzahlungen bei der Ermittlung des Zehnjahreszeitraums ebenfalls als Beiträge des Jahres zu berücksichtigen, für das sie zulässigerweise geleistet wurden. Entscheidend ist, dass nach der Satzung des Versorgungswerks die Nachzahlungen oder freiwillige Mehrzahlungen für ein vorangegangenes Jahr möglich waren und sich rentenerhöhend ausgewirkt haben, selbst wenn diese Erhöhung erst ab dem Zahlungsjahr möglich war. Denn auch hier konnten die nachgezahlten Beiträge nicht steuerwirksam als Sonderausgaben abgezogen werden.
Rentenversicherungsverlauf prüfen
Da die bisherigen Beitragsübersichten der Versorgungswerke zur Öffnungsklausel auf dem sog. In-Prinzip beruhen, muss der Rentenversicherungsverlauf nunmehr in den Fällen, in denen zulässige Nachzahlungen für frühere Jahre geleistet wurden, erneut daraufhin untersucht werden, bezüglich welcher Jahre (= sog. Für-Prinzip) und in welcher Höhe Beitragsleistungen an das Versorgungswerk den jeweils geltenden j...