Leitsatz
Ein außerbetriebliches Berufsfortbildungswerk (bfw), das das Kind im Rahmen seiner Berufsausbildung regelmäßig an insgesamt rund der Hälfte der planmäßigen Arbeitstage im Rahmen jeweils mehrwöchiger Ausbildungsabschnitte aufzusuchen hat, stellt - neben dem Ausbildungsbetrieb - eine weitere regelmäßige Ausbildungsstätte dar. Fahrtkosten zum bfw sind bei der Prüfung, ob der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten ist, wie Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Sachverhalt
Der im Jahr 1987 geborene Sohn der Klägerin befand sich im Jahr 2009 in Berufsausbildung. Die Familienkasse hat die Kindergeldfestsetzung für das Jahr 2009 aufgehoben, weil die Einkünfte und Bezüge des Sohnes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überstiegen hätten. Dabei setzte die FK die Fahrtkosten für Fahrten zum bfw entgegen dem Antrag der Klägerin lediglich mit der Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG an. Im Einspruchs- und Klageverfahren beantragt die Klägerin den Ansatz der Fahrtkosten zum bfw nach Reisekostengrundsätzen, da es sich bei dem bfw um keine weitere regelmäßige Ausbildungsstätte handele.
Entscheidung
Das FG vertritt die Auffassung, dass die Fahrten von der Wohnung zu dem bfw Fahrten Wohnung - Arbeitsstätte/Ausbildungsstätte darstellen und deshalb nur mit der Entfernungspauschale angesetzt werden können. Die Ausbildungsstelle beim bfw stellt nach Meinung des FG eine regelmäßige weitere Arbeitsstätte/Ausbildungsstätte des Sohnes dar, da dieser sich mit Abschluss des Berufsausbildungsvertrages darauf einstellen konnte, dass die praktische Ausbildung weitgehend auch in den Räumen des bfw stattfindet. Das FG weist außerdem darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BFH ein Arbeitnehmer auch mehrere Arbeitsstätten innehaben kann, wenn er diese nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit aufsucht (BFH v. 6.11.2008, VI B 54/08).
Hinweis
Die vom FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zu klärenden Rechtsfrage zugelassene Revision wurde eingelegt und wird beim BFH unter dem Az. VI R 65/11 geführt. Da der BFH in seinen Urteilen zur regelmäßigen Arbeitsstätte bei mehreren Tätigkeitsstätten v. 9.6.2011 (VI R 55/10, VI R 36/10 und VI R 58/09) entschieden hat, dass ein Arbeitnehmer nicht mehr als eine regelmäßige Arbeitsstätte haben kann, und das BMF mit Schreiben v. 15.12.2011 die Anwendung dieser geänderten Rechtsprechung für alle offenen Fälle angeordnet hat, ist davon auszugehen, dass der BFH im Streitfall den Abzug der Fahrtkosten zum bfw nach Reisekostengrundsätzen zulässt und der Klägerin das Kindergeld zu gewähren ist.
Link zur Entscheidung
Thüringer FG, Urteil vom 22.03.2011, 4 K 820/10