Keine Änderungsbefugnis des FA bei Verstoß gegen Treu und Glauben
[Ohne Titel]
StB Dipl.-Fw. Karl-Heinz Günther
Es stellt sich die Frage, ob das FA nachträglich bekannt gewordene neue Tatsachen, auf die es seine Bescheidänderung zu Lasten des Steuerpflichtigen stützt, bei gehöriger Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht bereits bei Durchführung der Veranlagung hätte kennen müssen. Im Laufe der Zeit hat eine Rechtsprechung zum Treu und Glauben-Schutz entwickelt, die es zu beachten gilt. Der Beitrag enthält einen Rechtsprechungs-Überblick der letzten Jahre.
1. Problemstellung
Werden dem FA nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt, die zu einer höheren Steuer führen, ist es zu einer Bescheidänderung zu Lasten des Steuerpflichtigen berechtigt (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO). Die Vorschrift hat – wie ein Blick in die Rechtsprechung zeigt – nach wie vor erhebliche praktische Bedeutung, da häufig insb. darum gestritten wird, ob tatsächlich eine bislang nicht bekannte Tatsache dem FA nachträglich bekannt geworden ist.
In diesem Zusammenhang kann sich nun die Frage stellen, ob das FA die nachträglich bekannt gewordene neue Tatsache, auf die es seine Bescheidänderung zu Lasten des Steuerpflichtigen stützt, bei gehöriger Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht bereits bei Durchführung der Veranlagung hätte kennen müssen. Dieser Fall ist zwar gesetzlich nicht geregelt, jedoch immer wieder an den BFH herangetragen worden, so dass sich im Laufe der Zeit eine Rechtsprechung zum Treu und Glauben-Schutz entwickelt hat, die es bei der Frage, ob eine Bescheidänderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu Lasten des Steuerpflichtigen in Betracht kommt, zu beachten gilt. Nachfolgend hierzu einen Überblick über die Rechtsprechung der letzten Jahre.
2. Treu und Glauben – Schutz bei alleinigem Ermittlungsfehler des FA
Unterbleibt das "Bekanntsein" der Tatsache nur deshalb, weil das FA seiner Ermittlungspflicht nicht in gehöriger Form nachgekommen ist, ist es an einer Bescheidänderung zu Lasten des Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert (BFH v. 16.6.2004 – X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502). Entsprechendes gilt, wenn dem FA die Tatsache aufgrund der Verletzung seiner Ermittlungspflichten unbekannt geblieben ist, der Steuerpflichtige seinerseits jedoch die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt hat (BFH v. 8.12.2011 – VI R 49/09, BFH/NV 2012, 692).
Verzichtet das FA gegenüber dem Steuerpflichtigen ausdrücklich auf die Abgabe einer förmlichen Feststellungserklärung und fordert ihn stattdessen zu bestimmten Angaben auf, verletzt es seine Ermittlungspflicht, wenn die geforderten Angaben für die Ermittlung des für die Grundbesitzbewertung maßgebenden Sachverhalts nicht ausreichen und es keine weiteren Fragen stellt. Erfüllt der Steuerpflichtige in einem solchen Fall seinerseits seine Mitwirkungspflichten, indem er die vom FA gestellten Fragen zutreffend und vollständig beantwortet, ist das FA nach Treu und Glauben an einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gehindert, wenn es später Kenntnis von steuererhöhenden Tatsachen erlangt (BFH v. 29.11.2017 – II R 52/15, BStBl. II 2018, 419 = AO-StB 2018, 167).
Die Feststellungslast für das Vorliegen nachträglich bekannt gewordener neuer Tatsachen zu Lasten des Steuerpflichtigen trägt grundsätzlich die Finanzbehörde. Geht es dagegen um die Verletzung der Ermittlungspflicht der Finanzbehörde, die einer Bescheidänderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu seinen Lasten entgegen steht, obliegt die Feststellungslast dem Steuerpflichtigen. Dies gilt auch für Feststellungen, dass dem für die Veranlagung zuständigen Sachbearbeiter ausnahmsweise auch nicht aktenkundige Tatsachen dienstlich bekannt waren oder als bekannt zuzurechnen sind, insb., wenn wegen des Unterlassens der Beiziehung anderer Akten die Verletzung der Ermittlungspflicht in Rede steht (BFH v. 18.6.2015 – VI R 84/13, BFH/NV 2015, 1342).
3. Ermittlungsfehler des FA und mangelnde Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen
Problematischer sind die Fälle, in denen nicht nur das FA seine Ermittlungspflicht verletzt, sondern auch der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist. Hier kommt es entscheidend darauf an, ob der Verstoß des FA gegen seine Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen seine Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt. Um dies entscheiden zu können, sind die beiderseitigen Pflichtverletzungen gegenüber zu stellen, zu würdigen und zu gewichten. Diese Würdigung obliegt zunächst dem FA und im gerichtlichen Verfahren dem FG als Tatsacheninstanz. Die vom FG vorgenommene tatrichterliche Überzeugungsbildung ist nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorliegen (BFH v. 10.11.2009 – VI B 54/09, BFH/NV 2010, 602).
Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären bzw. umfassend darzustellen, trifft i.d.R. den Steuerpflichtigen die Verantwortung, d.h. der Ermittlungsfehler des FA steht einer B...