a) Beispiel
Die Problematik sei kurz an einem Beispiel erklärt.
A ist Eigentümer einer in einem Gewerbegebiet liegenden Halle, in dem er seinen Gewerbebetrieb (Großhandel für Werkzeuge) betreibt. Zum 1.1.2002 beendet er diese Tätigkeit und verpachtet das Grundstück an B, verbunden mit der Erlaubnis, das Gebäude für seine Zwecke (Betrieb eines Kinos) umzugestalten und zu erweitern.
Lösung: Werden die Räumlichkeiten eines Großhandelsgeschäftes unter Veräußerung des verbliebenen Warenbestandes und Verschrottung der Einrichtungsgegenstände in einen Kinobetrieb umgebaut, so dass eine Wiederaufnahme des ursprünglichen Betriebes nur unter Durchführung wesentlicher Änderungen möglich wäre, hat dies die Zwangsbetriebsaufgabe zur Folge. Denn hier war mit Beginn der Verpachtung klar, dass der Verpächter seine gewerbliche Tätigkeit nicht ohne wesentliche Änderungen wiederaufnehmen könnte.
A hat seinen Betrieb also zum 1.1.2002 aufgegeben. Da er der Auffassung war, er hätte das Verpächterwahlrecht, erklärte er die Pachteinnahmen weiter als gewerbliche Einkünfte. Das FA veranlagte in den Folgejahren jeweils erklärungsgemäß.
b) Fortführung des Beispiels
Zum 1.5.2021 veräußerte er das verpachtete Grundstück an den Pächter und erklärte ab diesem Zeitpunkt aus diesem Objekt keine Einkünfte mehr.
Lösung: Das FA nahm dies zum Anlass, von einer Zwangsbetriebsaufgabe zum 1.5.2021 auszugehen – und versteuerte aus der Auflösung der stillen Reserven des verpachteten Grundstücks einen entsprechenden Aufgabegewinn.
c) Praktische Relevanz
Seltsamerweise kommen derartige Fallgestaltungen in der Besteuerungspraxis immer wieder vor, obwohl diese Fälle
- als Risikofälle ausgesteuert werden und
- in einigen Bundesländern als Sachgebietsleiter-Vorbehaltsfälle gekennzeichnet sind, d.h. hier gilt das Vier-Augen-Prinzip, weil der Sachgebietsleiter den Fall nach Prüfung freigeben muss.
Vorliegend: nicht erkannte Betriebsaufgabe zum 1.1.2002: Im vorstehenden Fall wurde die zwangsweise Betriebsaufgabe zum 1.1.2002 vom FA nicht erkannt, obwohl
- es aus der Gewinnermittlung ersehen konnte, dass nur noch Pachteinnahmen erklärt wurden und
- es hätte prüfen müssen, ob die Voraussetzungen einer betriebsunterbrechenden Betriebsverpachtung im Ganzen vorliegen oder – wie im vorliegenden Fall – eine Zwangsbetriebsaufgabe vorliegt.
Betriebsaufgabe in 2021? = rechtlich unzutreffend: Wenn das FA nun in 2021 bei Veräußerung des Grundstücks von einer Betriebsaufgabe ausgeht, ist dies rechtlich unzutreffend, da diese bereits zum 1.1.2002 stattgefunden hatte.
Achtung: Festsetzungsverjährung! Unabhängig von der Frage, ob der Einkommensteuerbescheid 2002 nach einer Änderungsvorschrift der AO geändert werden könnte, stehen dem schon die Festsetzungsverjährungsvorschriften (§§ 169 ff. AO) entgegen, die eine Bescheidkorrektur in jedem Fall verhindern.
Fazit: Die in dem Gebäude enthaltenen stillen Reserven gehen daher der Besteuerung endgültig verloren.