Leitsatz
1. Im Fall der Betriebsverpachtung ist grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung so lange von einer Fortführung des Betriebs auszugehen, wie eine Betriebsaufgabe nicht erklärt worden ist und die Möglichkeit besteht, den Betrieb fortzuführen.
2. Hat der Steuerpflichtige bei Einstellung der werbenden Tätigkeit von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Aufdeckung der stillen Reserven zu vermeiden und den Betrieb fortzuführen, kann eine spätere Betriebsaufgabe nur dann angenommen werden, wenn sie den äußeren Umständen nach klar zu erkennen und der Zeitpunkt eindeutig zu bestimmen ist.
Normenkette
§ 16 Abs. 3 EStG, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst a AO
Sachverhalt
Eine aus Mutter und Tochter bestehende GbR hatte bis 1969 in einem vierstöckigen Geschäftshaus einen Schuh-Einzelhandel betrieben. 1970 wurde das Gebäude an einen anderen Schuh-Einzelhändler vermietet, der in den beiden unteren Geschossen das Ladengeschäft betrieb und die beiden oberen Geschosse als Lager- und Personalräume nutzte. Im Streitjahr 1998 lief das Mietverhältnis aus. Die GbR, die nach dem Tod der Mutter zwischenzeitlich aus Tochter und Enkeltochter bestand, vermietete nun die beiden unteren Geschosse auf die Dauer von 10 Jahren an einen Bekleidungs-Einzelhandel. Die beiden oberen Geschosse standen zunächst leer und wurden aufgrund eines Ende 1998 gestellten Bauantrags schließlich umgebaut und auf die Dauer von 10 Jahren an eine Arztpraxis vermietet.
Das FA sah in Bauantrag und Neuvermietung eine Betriebsaufgabe, obwohl die Gesellschafterinnen erklärten, den Betrieb fortführen zu wollen. Diese Auffassung wurde vom FG geteilt (Hessisches FG, Urteil vom 16.05.2006, 8 K 4239/03, Haufe-Index 1729083, EFG 2007, 122).
Entscheidung
Anders beurteilte der BFH den Fall. Der schon seit 1970 verpachtete Betrieb sei nicht aufgegeben worden. Hierzu hätte es einer eindeutigen Aufgabeerklärung bedurft.
Hinweis
1. Das Urteil enthält eine umfassende Darstellung der heute geltenden Grundsätze zur Betriebsverpachtung. Diese haben sich im Grundsatz seit dem Urteil des Großen Senats des BFH vom 13.11.1963, GrS 1/63 S (Haufe-Index 411025, BStBl III 1964, 124) nicht verändert. Ein Betrieb endet nicht automatisch mit der Einstellung der aktiven Tätigkeit, wenn die wesentlichen Betriebsgrundlagen anschließend verpachtet oder vermietet werden; er wird dann als Verpachtungsbetrieb fortgeführt. Will der Unternehmer allerdings den Betrieb aufgeben, kann er gegenüber dem FA eine Aufgabeerklärung abgeben. Diese muss jedoch unmissverständlich sein und erkennen lassen, dass sich der Unternehmer der Folgen bewusst ist, nämlich der Versteuerung sämtlicher stiller Reserven.
Wird eine solche Erklärung nicht abgegeben, bleibt der Betrieb weiter bestehen, bis entweder die wesentlichen Betriebsgrundlagen veräußert oder ins notwendige Privatvermögen überführt werden oder bis der Unternehmer zu einem späteren Zeitpunkt die Betriebsaufgabe erklärt.
Verändert haben sich seit 1963 allerdings die Anforderungen an das verpachtete bzw. vermietete Betriebsvermögen. Wurde früher angenommen, die Wiederaufnahme des Betriebs verlange, dass zwischenzeitlich das gesamte Betriebsvermögen branchengleich verpachtet werde, reicht es nach heutiger Sicht aus, wenn nur alle wesentlichen Betriebsgrundlagen verpachtet oder vermietet werden. Bei einem Einzelhandelsgeschäft ist das Betriebsgrundstück sogar die einzige wesentliche Betriebsgrundlage. Kundenkreis und damit Geschäftswert sind insoweit ohne Bedeutung.
2. Die Dauer der Verpachtung ist nach diesen Grundsätzen nicht begrenzt. Im Besprechungsfall ergab sich eine Dauer von 38 Jahren, die bei Nutzung einer Verlängerungsoption bis auf 43 Jahre hätte ausgedehnt werden können. Dass zwischenzeitlich Generationennachfolge eintreten kann, steht der Betriebsverpachtung nicht entgegen. Es reicht aus, wenn ein Rechtsnachfolger den Betrieb objektiv wieder aufnehmen könnte.
3."Mitgeschleppt" wird in vielen BFH-Urteilen seit Jahrzehnten die Forderung, der Unternehmer müsse die Absicht haben, den Betrieb dereinst wieder aufzunehmen. Es reiche auch aus, wenn sich die Absicht auf seinen Rechtsnachfolger beziehe. Auf dieses Argument kam es im Besprechungsfall nicht an, weil die Gesellschafterinnen nach den Feststellungen des FG ausdrücklich geäußert hatten, den Betrieb wieder aufnehmen zu wollen.
Weil sich in der Praxis eine solche Erklärung aber nicht überprüfen lassen wird und weil auch bisher niemals eine Betriebsverpachtung an der trotz objektiver Wiederaufnahmemöglichkeit fehlenden Absicht zur Wiederaufnahme gescheitert ist, weist das Besprechungsurteil darauf hin, dass der Senat in Zukunft an diesem subjektiven "pro-forma"-Merkmal nicht mehr festhalten wird. Es reicht danach die objektive Wiederaufnahmemöglichkeit aus; einer Absicht bedarf es nicht mehr.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.03.2009 – IV R 45/06