Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Nachforderungszinsen und Verfassungswidrigkeit
Leitsatz (NV)
1. Wird in einer Nichtzulassungsbeschwerde die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, so ist eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG erforderlich; außerdem muss der Beschwerdeführer darauf eingehen, ob und wie sich die Möglichkeit, Nachforderungszinsen durch rechtzeitige Abgabe der Steuererklärung und/oder entsprechende Zahlungen zu vermeiden, auf die behauptete Verfassungswidrigkeit auswirkt.
2. Die Entstehung des Zinsanspruchs ist unabhängig von der konkreten Einzelsituation geregelt und allein vom Eintritt objektiver Daten abhängig.
3. Einem Verschulden, und zwar auf beiden Seiten des Steuerschuldverhältnisses, kommt für die Zinsfestsetzung prinzipiell keine Bedeutung zu.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; AO 1977 § 233a
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.10.2004; Aktenzeichen 5 K 609/03) |
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat keinen Erfolg; sie erfüllt nicht die in § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geregelten Anforderungen an die Darlegung der Revisionszulassungsgründe.
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) verlangt eine substantiierte Darlegung einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die klärungsfähig und klärungsbedürftig ist. Dazu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinander setzen (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217, m.w.N.).
1. Die Frage, "ob die Zinsfestsetzung durch ein Mitverschulden des Finanzamtes --nach Ablauf der Karenzzeit und nach Ablauf von über einem Jahr nach Einreichung (meint: der Steuererklärung)-- verursacht ist", ist bereits geklärt und deshalb nicht mehr von grundsätzlicher Bedeutung. Weil die Entstehung des Zinsanspruchs dem Grunde und der Höhe nach gemäß dem durch die Gesetzesbegründung (BTDrucks 11/2157, S. 194) bestätigten Wortsinn, dem Zusammenhang und dem Zweck des Gesetzes eindeutig unabhängig von der konkreten Einzelfallsituation geregelt ist und allein vom Eintritt objektiver Daten (Fristablauf i.S. des § 233a Abs. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--; Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 AO 1977) abhängt, sind für die Anwendung des § 233a AO 1977 die Ursachen und Begleitumstände im Einzelfall grundsätzlich unbeachtlich (Senatsurteile vom 5. Juni 1996 X R 234/93, BFHE 180, 240, BStBl II 1996, 503, und vom 20. September 1995 X R 86/94, BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53, unter 2. b aa). Prinzipiell ist ein Verschulden irrelevant, und zwar auf beiden Seiten des Steuerschuldverhältnisses (s. BFH-Entscheidungen vom 15. April 1999 V R 63/97, BFH/NV 1999, 1392, und vom 30. November 2000 V B 169/00, BFH/NV 2001, 656, 657 einerseits, sowie vom 4. November 1996 I B 67/96, BFH/NV 1997, 458, und vom 3. Mai 2000 II B 124/99, BFH/NV 2000, 1441, 1442 andererseits). Die Rechtsprechung hat es als unerheblich angesehen, ob der --typisierend vom Gesetz unterstellte-- Zinsvorteil des Steuerpflichtigen auf einer verzögerten Einreichung der Steuererklärung durch den Steuerpflichtigen oder einer verzögerten Bearbeitung durch das Finanzamt (FA) beruht (vgl. auch z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 1441).
Der angerufene Senat hat entschieden, dass die gesetzliche Frist von 15 Monaten zugleich den Rahmen zeigt, innerhalb dessen eine Bearbeitungszeit nicht unangemessen ist (Senatsurteil in BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53). Nach dem Urteil des I. Senats des BFH vom 19. März 1997 I R 7/96 (BFHE 182, 293, BStBl II 1997, 446) ist es nicht sachlich unbillig, Zinsen gemäß § 233a AO 1977 zu erheben, wenn die verspätete Festsetzung der Steuer auf einer durch das FA verzögerten Veranlagung --in jenem Streitfall ca. 20 Monate nach Erklärungsabgabe-- beruht. Unter Bezugnahme hierauf hat der XI. Senat des BFH mit Beschluss vom 2. Februar 2001 XI B 91/00 (BFH/NV 2001, 1003) ausgeführt, dass diese Auffassung dem allgemein anerkannten Zweck des § 233a AO 1977 entspricht, den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen bzw. den Zinsnachteil des Steuergläubigers aufgrund der verspätet bezahlten Steuerschuld auszugleichen (vgl. Gesetzesbegründung BTDrucks 11/2157, S. 194). Die Zinsen nach § 233a AO 1977 sind die laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung.
Im Streitfall hat die Klägerin die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2000 am 9. Juli 2002 abgegeben; der Beklagte und Beschwerdegegner hat den entsprechenden Einkommensteuerbescheid am 31. Juli 2003 und somit innerhalb der vom angerufenen Senat in jedem Fall als für die Durchführung der Veranlagung angemessen betrachteten Frist von 15 Monaten erlassen.
2. Soweit die Klägerin die Verfassungswidrigkeit des der Zinsfestsetzung zugrunde liegenden § 233a AO 1977 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 vom 22. Dezember 1999 (StBereinG 1999) geltend macht, wäre zur substantiierten Darlegung eine an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) orientierte Auseinandersetzung erforderlich gewesen (BFH-Beschluss vom 4. Februar 2003 VIII B 182/02, BFH/NV 2003, 1059, m.w.N.). In der Beschwerdeschrift musste erläutert werden, gegen welche Verfassungsnormen die angewandte Rechtsnorm verstoßen solle; der geltend gemachte Verfassungsverstoß war näher zu begründen. Dazu gehörte insbesondere eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BFH (BFH-Beschluss vom 9. Oktober 2003 III B 139/02, BFH/NV 2004, 187, 188, m.w.N.).
Diesen gesetzlichen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin hat lediglich darauf hingewiesen, dass die Gerichtsentscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit des § 233a AO 1977 frühere Fassungen des § 233a AO 1977 betrafen, und zwar solche vor dem Wegfall der zeitlichen Befristung des Zinslaufs auf vier Jahre durch das StBereinG 1999 und vor der Streichung der in § 10 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geregelten Abziehbarkeit der Nachforderungszinsen als Sonderausgaben durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (StEntlG 1999/2000/2002), nicht jedoch die für das Streitjahr 2000 geltende Rechtslage. Mit diesen Entscheidungen hat sie sich inhaltlich nicht auseinander gesetzt.
Die Streichung der Abziehbarkeit der Nachforderungszinsen als Sonderausgaben ist durch Finanzgerichte (FG) als verfassungsgemäß erachtet worden (vgl. Urteil des FG Köln vom 24. Februar 2005 2 K 416/02, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2005, 863; Urteil des FG München vom 10. April 2002 1 K 3075/01, EFG 2002, 1032; Urteil des FG Köln vom 27. Juni 2001 1 K 2374/01, EFG 2004, 514, und Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 17. Oktober 2003 1 K 2402/01, EFG 2004, 99). Zum Wegfall der zeitlichen Befristung des Zinslaufs aufgrund des StBereinG 1999 ist bisher keine Entscheidung bekannt, die hieraus die Verfassungswidrigkeit des § 233a AO 1977 gefolgert hätte.
Im Übrigen soll die auf der Grundlage des § 233a AO 1977 erhobene steuerliche Nebenleistung nicht nur einen Zinsvorteil des Steuerschuldners abschöpfen, sondern einen korrespondierenden Nachteil des Steuergläubigers ausgleichen (BFH-Entscheidungen in BFHE 182, 293, BStBl II 1997, 446, und in BFH/NV 2001, 1003).
Für die Beurteilung der Verfassungswidrigkeit einer Norm ist weiter von Bedeutung, ob der Steuerpflichtige den in der Norm angeordneten belastenden Rechtsfolgen durch sein Verhalten ausweichen kann (vgl. dazu BFH-Urteile vom 24. Februar 2000 III R 59/98, BFH/NV 2000, 910, unter 4.; vom 1. März 2001 IV R 27/00, BFHE 195, 200, BStBl II 2001, 403, unter 1. b, und vom 29. November 2001 IV R 91/99, BFHE 197, 400, BStBl II 2002, 221, unter 3. b cc). Deshalb hätte die Klägerin auch darauf eingehen müssen, ob und wie sich die Möglichkeit, Nachforderungszinsen durch rechtzeitige Abgabe der Steuererklärung und/ oder entsprechende Zahlungen zu vermeiden, auf die von ihr behauptete Verfassungswidrigkeit des § 233a AO 1977 auswirkt.
3. Weshalb nach Auffassung der Klägerin die Zinsen ihren Charakter als steuerliche Nebenleistung dadurch verloren haben sollen, dass durch den Wegfall der zeitlichen Befristung des Zinslaufs die Nachzahlungszinsen zeitlich unbefristet festgesetzt werden können, hat sie nicht dargelegt.
Fundstellen
Haufe-Index 1441678 |
BFH/NV 2005, 2152 |