Leitsatz (amtlich)
Entsteht nach Ergehen einer isolierten Kostenentscheidung des FG Streit darüber, ob übereinstimmende Erledigungserklärungen vorgelegen haben, muß das Verfahren fortgesetzt werden. Gegen die den Verfahrensfortgang ablehnende Entscheidung des FG ist die Beschwerde gegeben.
Normenkette
FGO §§ 128, 138 Abs. 1; BFH-EntlG Art. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob mit Schriftsatz vom 1. Oktober 1981 Untätigkeitsklage mit dem Ziel, Änderungsbescheide zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1971 bis 1973 ersatzlos aufzuheben. Mit am 14. Oktober 1981 zur Post gegebenen Bescheiden, die bereits am 25. Mai 1981 intern verfügt worden waren, hob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) diese Bescheide auf. Daraufhin erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 27. Oktober 1981 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das FA hatte mit Schreiben vom 4. November 1981 noch Klageabweisung beantragt; es erklärte aber auf telefonische Anfrage des Berichterstatters am 10. November 1981 mündlich ebenfalls den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Nunmehr faßte das Finanzgericht (FG) -- ohne Angabe von Gründen -- am 10. November 1981 den Beschluß, die Kosten des Klageverfahrens gegeneinander aufzuheben.
Mit Schriftsatz vom 17. November 1981 beantragte der Kläger, das Verfahren fortzuführen und durch Urteil festzustellen, daß die Hauptsache erledigt sei sowie den Beschluß vom 10. November 1981 aufzuheben und die Kosten dem FA aufzuerlegen.
Er trug vor, eine isolierte Kostenentscheidung habe mangels übereinstimmender Erledigungserklärungen nicht getroffen werden dürfen. Das FA habe trotz Ergehens der Abhilfebescheide Klageabweisung beantragt. Das FG hätte daher den Rechtsstreit durch Urteil für erledigt erklären und dem FA schon wegen seines falschen Antrags die Kosten auferlegen müssen. Seine telefonische Erledigungserklärung sei keine wirksame Prozeßhandlung; sie sei ihm, dem Kläger, auch nicht zugegangen (Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 8. Februar 1968 VII ZR 113/65, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1968, 991). Im übrigen wandte sich der Kläger gegen den Inhalt der Kostenentscheidung und die Tatsache, daß sie ohne Begründung ergangen sei.
Mit Schreiben vom 29. Dezember 1981 lehnte der Vorsitzende des beim FG befaßten Senats eine Weiterführung des Verfahrens mit der Begründung ab, es sei abgeschlossen. Beide Beteiligten hätten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt; dabei sei unbeachtlich, daß die dem Gericht gegenüber telefonisch abgegebene Erledigungserklärung des FA nicht dem Kläger zugegangen sei. Die Kostenentscheidung sei weder unbillig noch falsch; das könne aber dahinstehen, da sie unanfechtbar sei.
Mit Schriftsatz vom 14. Mai 1982 bestätigte das FA nachträglich die telefonische Erledigungserklärung vom 10. November 1981. Daraus schloß der Kläger, daß nunmehr die Erledigung der Hauptsache eingetreten sei und erklärte seinen diesbezüglichen Feststellungsantrag für erledigt. Er verlangte jedoch, das Verfahren mit dem Ziel einer abweichenden Kostenentscheidung fortzusetzen; außerdem begehrte er eine solche Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren.
Mit Beschlüssen vom 28. Juni 1982 haben das FG der Beschwerde, soweit sie die Aufhebung der Kostenentscheidung vom 10. November 1981 zum Ziel hat, und der Vorsitzende, soweit die Beschwerde sich gegen seine Verfügung vom 29. Dezember 1981 richtet und die Fortführung des Verfahrens zum Ziel hat, nicht abgeholfen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
1. den Kostenbeschluß vom 10. November 1981 aufzuheben und dem FA die Kosten aufzuerlegen,
2. unter Aufhebung der Verfügung des Vorsitzenden vom 29. Dezember 1981 diesen anzuweisen, das Verfahren mit dem Ziel einer erneuten Kostenentscheidung fortzusetzen.
Das FA hat keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
Soweit mit der Beschwerde die Aufhebung des finanzgerichtlichen Kostenbeschlusses und eine anderweitige Festsetzung der Kosten durch den Bundesfinanzhof (BFH) begehrt wird, ist dies gemäß Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlG) unzulässig. Im übrigen führt die Beschwerde zur Aufhebung der Verfügung des Vorsitzenden vom 29. Dezember 1981 und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Beschwerde gegen die eine Fortführung des Verfahrens ablehnende Entscheidung des Vorsitzenden ist zulässig.
Nach § 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) steht gegen Entscheidungen des Vorsitzenden den Beteiligten die Beschwerde an den BFH zu, soweit nicht in der FGO etwas anderes bestimmt ist. Etwas anderes ist in § 128 Abs. 2 FGO u. a. bezüglich der prozeßleitenden Verfügungen bestimmt; diese können nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Die fragliche Entscheidung des Vorsitzenden ist jedoch keine prozeßleitende Verfügung in diesem Sinne.
Der Begriff der prozeßleitenden Verfügung in § 128 Abs. 2 FGO (vgl. ähnlich § 146 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung -- VwGO --, § 172 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -- SGG -- und § 140 der Zivilprozeßordnung -- ZPO -- "Sachleitung") ist gesetzlich zwar nicht bestimmt. Aus seinem Wortlaut und Sinn ist jedoch zu entnehmen, daß es sich um Entscheidungen des Gerichts oder seines Vorsitzenden handeln muß, die eine Förderung des Verfahrens zum Ziele haben, also den Verlauf des gerichtlichen Verfahrens selbst betreffen. Daß der Gesetzgeber an solche Entscheidungen gedacht hat, ergibt sich aus den übrigen Entscheidungen, die in § 128 Abs. 2 FGO als nicht mit der Beschwerde angreifbar aufgeführt sind (BFH-Beschluß vom 24. März 1981 VII B 64/80, BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475).
Die Entscheidung, das Verfahren nicht fortzusetzen, betrifft nicht lediglich den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf als solchen, sondern die gewichtigere Frage, ob dem kläger der verlangte Rechtsschutz gewährt wird. Sie berührt das Grundrecht des Verfahrensrechts, das rechtliche Gehör, und hat somit eine Bedeutung, die jene der in § 128 Abs. 2 FGO ausdrücklich aufgeführten Entscheidungen übertrifft (BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475). Die Entscheidung des Vorsitzenden, das Verfahren nicht fortzusetzen, ist nicht durch Art. 1 Nr. 4 BFH-EntlG der Beschwerde entzogen.
Der BFH ist in der Vergangenheit allerdings davon ausgegangen, daß das Begehren auf Fortsetzung des Verfahrens mit der Beschwerde gegen den abschließenden Kostenbeschluß geltend gemacht werden müsse (Beschlüsse vom 6. Dezember 1972 IV B 21/68, BFHE 107, 362, BStBl II 1973, 243; vom 18. Dezember 1972 VIII B 4/69, BFHE 108, 150, BStBl II 1973, 455; zur gleichen Problematik bei Einwendungen gegen einen Einstellungsbeschluß nach Klagerücknahme Urteile vom 30. November 1967 V K 1/67, BFHE 90, 339, BStBl II 1968, 96, und vom 8. Juli 1969 II R 108/66, BFHE 96, 552, BStBl II 1969, 733; Beschlüsse vom 19, Januar 1972 II B 26/69, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352, und vom 9. Mai 1972 IV B 99/70, BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543). Er hat sich dabei von der Erwägung leiten lassen, daß in einem solchen Beschluß nicht nur über die Kostenfolge, sondern als Vorfrage auch über ihre Voraussetzung, nämlich den Eintritt der Erledigung befunden werde. Er hat aber darauf hingewiesen, daß der Kostenbeschluß hinsichtlich seiner Voraussetzung, den übereinstimmenden Erledigungserklärungen, lediglich deklaratorische Bedeutung habe. Deshalb konnte das Nichtvorliegen einer Erledigungserklärung auch dann (noch) geltend gemacht werden, wenn eine Beschwerde gegen den Kostenbeschluß nicht (mehr) zulässig war (BFH-Beschlüsse vom 29. September 1967 VI B 69/67, BFHE 90, 259, BStBl II 1968, 35; vom 30. Januar 1980 VI B 116/79, BFHE 129, 538, BStBl II 1980, 300).
Nach Einführung des Art. 1 Nr. 4 BFH-EntlG kann das Verlangen auf Fortsetzung des Verfahrens allerdings nicht mehr im Rahmen einer Beschwerde gegen die Kostenentscheidung verfolgt werden. Die Beschwerde muß sich nunmehr gegen die den Verfahrensfortgang ablehnende Entscheidung des Vorsitzenden richten, wie das der Senat unter dem früheren Rechtszustand bereits in der Entscheidung in BFHE 107, 362, BStBl II 1973, 243 erwogen hatte.
Die Beschwerde ist insoweit auch begründet, da das Verfahren fortgesetzt werden mußte, nachdem sein Abschluß durch Erledigungserklärungen streitig geworden war. Daran ändert nichts, daß inzwischen beide Beteiligte von der Erledigung ausgehen. Denn wenn sich die Behauptung des Klägers als zutreffend erweist, daß übereinstimmende Erledigungserklärungen zum Zeitpunkt des Ergehens des Kostenbeschlusses nicht vorgelegen haben, ist diesem die Grundlage entzogen mit der Folge, daß das Verfahren noch einer Kostenentscheidung bedarf.
Die Beschwerde führt deshalb zur Aufhebung der Verfügung des Vorsitzenden und zur Zurückverweisung der Sache. Das FG wird nunmehr zu prüfen haben, ob vor Ergehen des Kostenbeschlusses vom 10. November 1981 übereinstimmende Erledigungserklärungen vorgelegen haben und ob die Kostenentscheidung im Hinblick darauf aufrechterhalten bleiben kann.
Fundstellen
Haufe-Index 74421 |
BStBl II 1983, 332 |
BFHE 1982, 393 |