Leitsatz (amtlich)
Nach den §§ 31 Nr. 2, 117 Abs. 2 BRAGebO entsteht eine Verhandlungsgebühr nur durch solche Entscheidungen, die nach den Vorschriften der FGO grundsätzlich nach mündlicher Verhandlung ergehen.
Normenkette
FGO §§ 139, 149; BRAGO § 31 Nr. 2, § 114 Abs. 1, § 117 Abs. 2
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin stellte beim FG die Anträge, die Vollziehung zweier Änderungsbescheide des Zollamts (ZA) vom 27. Oktober 1967 und eines Änderungsbescheides vom 2. November 1967 auszusetzen. Das FG gab den Anträgen durch Beschlüsse IV 2600, 2601 und 2602/67 A vom 31. Januar 1968 statt. Die Verfahrenskosten wurden jeweils dem Hauptzollamt (HZA) auferlegt. Die Streitwerte wurden auf 3 558 DM, 3 672 DM und 485 DM festgeseizt.
Mit den Anträgen auf Festsetzung der vom HZA zu erstattenden Kosten verlangte die Beschwerdeführerin für jedes Verfahren u. a. die Erstattung einer Verhandlungsgebühr in Höhe von 89,50 DM, 93,50 DM und 15 DM. In den Beschlüssen vom 3. Juli 1968 lehnte der Urkundsbeamte des FG die Berücksichtigung dieser Gebühren ab. Die deswegen eingelegte Erinnerung wies das FG durch die Beschlüsse IV 1024, 1025 und 1026/68 Ko vom 8. April 1969 als unbegründet zurück mit der Begründung, eine mündliche Verhandlung habe nicht stattgefunden. Den Prozeßbevollmächtigten stehe auch nicht aufgrund von § 117 Abs. 2 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebO) eine Verhandlungsgebühr zu.
Gegen die Beschlüsse ließ das FG jeweils die Beschwerde zu.
Mit ihren Beschwerden macht die Beschwerdeführerin geltend, nach dem Wortlaut des § 117 Abs. 2 BRAGebO erhalte der Rechtsanwalt in Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung auch dann eine Verhandlungsgebühr, wenn eine mündliche Verhandlung vor dem FG nicht stattgefunden habe. Auch der Sinn und Zweck des § 117 Abs. 2 BRAGebO stehe dem nicht entgegen. Da das finanzgerichtliche Verfahren durch die FGO insbesondere hinsichtlich der mündlichen Verhandlung umgestaltet worden sei, könne auf die Motive, die für die Schaffung des § 117 Abs. 2 BRAGebO maßgebend gewesen sein möchten, nicht mehr abgestellt werden. Da der Gesetzgeber diese Vorschrift bei Einführung der FGO nicht geändert habe, obwohl dazu aus mehreren Gründen Anlaß bestanden habe, müsse sie auch für die mit der FGO neugeschaffenen Verfahren gelten. Da § 117 Abs. 2 BRAGebO eine Spezialvorschrift für das finanzgerichtliche Verfahren sei, komme es auch nicht darauf an, ob die Anwendung im Vergleich zu anderen Verfahrensordnungen zu einer gebührenmäßigen Besserstellung des vor dem FG tätigen Rechtsanwalts führe. Die Anwendung des § 117 Abs. 2 BRAGebO im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung führe darüber hinaus auch zu gerechten und angemessenen Ergebnissen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerdeverfahren sind gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Die Beschwerden sind nicht begründet.
Die Verhandlungsgebühren sind der Beschwerdeführerin nicht zu erstatten. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Prozeßbevollmächtigten für die Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung auch nicht aufgrund von § 117 Abs. 2 BRAGebO eine Verhandlungsgebühr erhalten. Nach dieser Vorschrift entsteht eine Verhandlungsgebühr nur durch solche Entscheidungen, die nach den Vorschriften der FGO grundsätzlich nach mündlicher Verhandlung ergehen und die im Einzelfall nur deshalb ohne mündliche Verhandlung ergangen sind, weil aufgrund der in der FGO vorgesehenen besonderen Voraussetzungen (vgl. §§ 90 Abs. 2, 159 FGO) eine mündliche Verhandlung nicht durchgeführt zu werden brauchte. Ob auch der Vorbescheid, der wie ein Urteil wirkt (§ 90 Abs. 3 FGO), als Entscheidung im Sinne des § 117 Abs. 2 FGO anzusehen ist, weil Urteile grundsätzlich nach mündlicher Verhandlung ergehen, bleibt hier dahingestellt. Der Beschluß, durch den die Vollziehung ausgesetzt wird, vermag die Verhandlungsgebühr nach § 117 Abs. 2 BRAGebO nicht auszulösen.
Die Auslegung, daß nur solche Entscheidungen die Verhandlungsgebühr nach § 117 Abs. 2 BRAGebO auszulösen vermögen, die nach den Vorschriften der FGO grundsätzlich nach mündlicher Verhandlung ergehen, folgt aus dem Zweck des § 117 Abs. 2 BRAGebO. Der Zweck dieser Vorschrift besteht darin, Gebührennachteile für den Rechtsanwalt in den Fällen zu vermeiden, in denen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung getroffen wird. Dieser Zweck ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang, in den § 117 Abs. 2 BRAGebO hineingestellt ist. Der Sinnzusammenhang ist aber für die Auslegung einer Vorschrift neben deren Wortlaut und Zweck von maßgeblicher Bedeutung (vgl. Urteil des BVerfG 2 BvH 2/52 vom 21. Mai 1952, BVerfGE 1, 301 [312], Beschluß des BVerfGE 2 BvL 11/59, 11/60 vom 17. Mai 1960, BVerfGE 11, 126; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, IV, 1. bis 5. Aufl., § 1 StAnpG Anm. 2). Bereits der Wortlaut des § 117 Abs. 2 BRAGebO läßt erkennen, daß diese Vorschrift eine Sonderregelung für das finanzgerichtliche Verfahren gegenüber den §§ 31 Nr. 2 und 35 BRAGebO enthält. Diese Sonderregelung stellt sich wie die Regelung in § 35 BRAGebO (und auch wie die in § 114 Abs. 3 BRAGebO in der Fassung bis zur Änderung der BRAGebO durch das Gesetz vom 30. Juni 1965, BGBl I 1965, 577) als Ausnahme von dem nach § 31 Nr. 2 BRAGebO geltenden Grundsatz dar, daß die Verhandlungsgebühr für die Tätigkeit des Rechtsanwalts in der mündlichen Verhandlung vor Gericht gewährt wird. Dieser Grundsatz ist gemäß § 114 Abs. 1 BRAGebO auch für das finanzgerichtliche Verfahren zu beachten. Gebührennachteile können demnach nur durch solche Entscheidungen entstehen, die nach den Verfahrensvorschriften grundsätzlich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergehen und die nur wegen der Besonderheiten des Einzelfalles ohne mündliche Verhandlung ergangen sind. Würde § 117 Abs. 2 BRAGebO dahin ausgelegt, daß eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch dann die Verhandlungsgebühr auslösen soll, wenn die Entscheidung nach den Verfahrensvorschriften grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung ergehen kann, so würde der Grundsatz, daß die Verhandlungsgebühr für die Tätigkeit des Rechtsanwalts in der mündlichen Verhandlung zu gewähren ist, aufgehoben. Ein derartiger Zweck kann aber dem § 117 Abs. 2 BRAGebO nach dem Wortlaut und auch nach dem Verhältnis der Vorschrift zu § 31 Nr. 2 BRAGebO nicht beigemessen werden.
Eine solche Auslegung kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß die Verhandlungsgebühr nach § 117 Abs. 2 BRAGebO in der Zeit bis zum Inkrafttreten der FGO gerade durch solche Entscheidungen ausgelöst werden sollte, die grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung ergehen konnten. Nach den damals für das finanzgerichtliche Verfahren geltenden Vorschriften der AO a. F. konnte zwar jede Entscheidung grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung ergehen. Eine mündliche Verhandlung mußte nur unter besonders geregelten Voraussetzungen durchgeführt werden (vgl. § 272 AO a. F.). Gerade deshalb war aber die Regelung in § 117 Abs. 2 BRAGebO zur damaligen Zeit in der noch jetzt bestehenden Fassung als Sonderregelung zunächst gegenüber § 114 Abs. 3 BRAGebO in der bis zur Änderung durch das Gesetz vom 30. Juni 1965 (a. a. O) geltenden Fassung und sodann gegenüber §§ 35, 114 Abs. 1 BRAGebO erforderlich, um zu gewährleisten, daß ein Rechtsanwalt die Verhandlungsgebühr auch im finanzgerichtlichen Verfahren erhalten konnte, ohne daß eine mündliche Verhandlung stattgefunden hatte. Damals bestand der Zweck des § 117 Abs. 2 BRAGebO darin, gebührenrechtliche Nachteile zu vermeiden, die dadurch entstehen konnten, daß für das finanzgerichtliche Verfahren eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben war (vgl. Boeker, Kostenrecht im steuerlichen Rechtsmittelverfahren, 2. Aufl., S. 75). Dadurch sollte eine Angleichung der Gebührenregelung für das finanzgerichtliche Verfahren an die Gebührenregelung für die Verfahren erreicht werden, in denen eine mündliche Verhandlung grundsätzlich durchgeführt werden mußte (vgl. Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Bd. III, 9. Aufl., § 139 FGO Anm. 5 Abs. 6). Diesem ursprünglichen Zweck des § 117 Abs. 2 BRAGebO würde es jedoch nicht entsprechen, wenn die Verhandlungsgebühr auch nach der neuen Gestaltung des finanzgerichtlichen Verfahrens durch die FGO aufgrund solcher Entscheidungen gewährt würde, die grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung ergehen können. Nachdem auch im finanzgerichtlichen Verfahren zwischen solchen Entscheidungen, die grundsätzlich nach mündlicher Verhandlung ergehen, und solchen, die grundsätzlich eine mündliche Verhandlung nicht erfordern, unterschieden wird, kann der Zweck der Vermeidung von Gebührennachteilen und der Angleichung der Gebührenregelung an solche Verfahren mit grundsätzlich vorgeschriebener mündlicher Verhandlung nicht mehr dadurch erreicht werden, daß die Verhandlungsgebühr auch aufgrund solcher Entscheidungen gewährt wird, für die eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist. Derartige Folgerungen würden über das von Anfang an mit § 117 Abs. 2 BRAGebO angestrebte Ziel hinausgehen. Der Rechtsanwalt würde nämlich durch die Gebührenregelung für das finanzgerichtliche Verfahren nach § 117 Abs. 2 BRAGebO gegenüber der Gebührenregelung für andere Verfahren nach § 35 BRAGebO, der gemäß § 114 Abs. 1 BRAGebO auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren anzuwenden ist, begünstigt. Nach § 35 BRAGebO erhält der Rechtsanwalt aufgrund von Entscheidungen, die grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung ergehen können, keine Verhandlungsgebühr (vgl. Lauterbach, Kostengesetze, 15. Aufl., BRAGebO § 35 Anm. 2 D; Riedel-Corves-Sußbauer, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 2. Aufl., § 35 Rdnr. 7). Der Auffassung der Beschwerdeführerin, bei der Auslegung des § 117 Abs. 2 BRAGebO sei es unbeachtlich, ob diese Vorschrift zu einer gebührenmäßigen Besserstellung des Rechtsanwalts im finanzgerichtlichen Verfahren führe, kann nicht gefolgt werden. Wie bereits dargelegt, würde ein derartiges Ergebnis, nachdem auch im finanzgerichtlichen Verfahren nicht mehr jede Entscheidung grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung ergehen kann, im Widerspruch zu dem Zweck stehen, der nach dem Willen des Gesetzgebers durch § 117 Abs. 2 BRAGebO erreicht werden soll. Eine derartige Entscheidung muß aber vermieden werden (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O.).
Da durch § 117 Abs. 2 BRAGebO von Anfang an nicht der Grundsatz aufgehoben werden sollte, Verhandlungsgebühren für die Teilnahme des Rechtsanwalts in der mündlichen Verhandlung zu gewähren, kann aus der Tatsache, daß § 117 Abs. 2 BRAGebO in der Zwischenzeit nicht geändert worden ist, auch nicht der Wille des Gesetzgebers hergeleitet werden, daß die Verhandlungsgebühr nach dem Inkrafttreten der FGO auch aufgrund solcher Entscheidungen ausgelöst werden soll, die nach den Vorschriften der FGO grundsätzlich auch ohne mündliche Verhandlung ergehen können.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob § 117 Abs. 2 BRAGebO seit Inkrafttreten der FGO überhaupt noch anzuwenden wäre, wenn die Verhandlungsgebühr nach dieser Vorschrift auch aufgrund solcher Entscheidungen zu gewähren wäre, die grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung ergehen können. Bedenken gegen die Anwendung könnten sich nämlich daraus ergeben, daß die finanzgerichtliche Verfahrensordnung anderen Verfahrensordnungen insbesondere hinsichtlich der mündlichen Verhandlung durch die FGO angeglichen worden ist und daß nach § 35 BRAGebO derartige Entscheidungen eine Verhandlungsgebühr nicht auszulösen vermögen.
Fundstellen
Haufe-Index 68758 |
BStBl II 1970, 433 |
BFHE 1970, 392 |