Leitsatz (amtlich)
Bei Rücknahme des Rechtsbehelfs vor Erörterung der Streitsache in mündlicher Verhandlung ermäßigt sich die Prozeßgebühr auch dann auf die Hälfte, wenn in einem Zwischenverfahren durch Urteil entschieden wird, daß der Rechtsbehelf zurückgenommen worden ist. Für das Zwischenurteil entsteht aber die volle Urteilsgebühr.
Normenkette
FGO a.F. § 140 Abs. 1, § 141 S. 2; GKG a.F. § 25 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Auf Grund der Erklärung des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) vom 12. März 1973, daß er die Klage zurücknehme, hatte das Finanzgericht (FG) das Verfahren durch Beschluß eingestellt. Die dagegen erhobene Beschwerde verwarf der BFH wegen Ablaufs der Frist der §§ 128, 129 FGO als unzulässig, führte aber dazu aus, daß die Sache rechtshängig bleibe, weil der Kläger die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht habe und das FG in einem Zwischenverfahren befinden müsse, ob die Klage zurückgenommen worden sei. Das FG hat daraufhin entschieden, daß die Klage durch die Erklärung vom 12. März 1973 zurückgenommen worden sei. Inzwischen hatte die Geschäftsstelle des FG die Kosten mit 511,70 DM angesetzt (1/2 Prozeßgebühr, 1/2 Beweisgebühr, Schreib- und Zustellungsgebühren, Sachverständigenentschädigungen in Höhe von 226,70 DM). Nachdem das FG über die Zurücknahme der Klage durch Urteil entschieden hatte, setzte die Geschäftsstelle des FG die Kosten auf 551 DM fest (je eine volle Prozeß- und Urteilsgebühr, Aufwendungen für Postgebühren 5 DM).
Auf die Erinnerung des Klägers setzte das FG Münster durch Beschluß vom 29. März 1974 VII 2015/73 Ko (EFG 1974, 483) unter Abänderung dieser Kostenrechnung den Kostenanteil des Klägers unter Berücksichtigung je 1/2 Prozeß-, Beweis- und Urteilsgebühr auf 141,50 DM fest und ließ die Beschwerde zu.
Mit der Beschwerde macht der Vertreter der Staatskasse beim FG Münster (Beschwerdeführer) geltend, daß die Mühewaltung des Gerichts erst dann erspart sei, wenn das Verfahren durch die Klagerücknahme endgültig erledigt sei. Werde die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht, so habe das FG das Verfahren über die Anfechtungsklage fortzusetzen und zunächst in einem Zwischenverfahren darüber zu befinden, ob die Klage zurückgenommen worden sei. Durch die Prozeßerklärung, die Rücknahme der Klage sei unwirksam, sei der gesetzgeberische Grund für eine Gebührenermäßigung nachträglich entfallen. Denn die Mühewaltung des Gerichts liege nun nicht mehr in der Würdigung des Streitstoffes, sondern in der Prüfung der Frage, ob die Klage wirksam zurückgenommen worden sei. Beim Ansatz der Kosten sei daher zu berücksichtigen gewesen, daß vor Beendigung des Klageverfahrens mündlich verhandelt worden sei. Kostenrechtlich unbeachtlich sei, ob während der Erörterung der Streitsache der Streitstoff selbst oder nur formell-rechtliche Folgen behandelt würden. Daß die Voraussetzungen für eine Gebührenermäßigung nicht gegeben seien, werde besonders dadurch deutlich, daß auch die Urteilsgebühr durch die Vorentscheidung in die angefochtene Gebührenermäßigung einbezogen worden sei. Das sei mit dem Sinn des § 141 FGO a. F. nicht vereinbar, da die Urteilsgebühr erst nach der Klagerücknahme überhaupt entstanden sei.
Der Beschwerdeführer beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Erinnerung als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Er führt aus, daß er die Klage mit Schreiben vom 12. März 1973 zurückgenommen habe. Da für eine Fortführung des Verfahrens kein Raum mehr gewesen sei, hätten auch keinerlei Kosten entstehen können.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat teilweise Erfolg.
Die Gebührenermäßigung tritt nach § 141 Satz 2 FGO a. F. ein, wenn der Rechtsbehelf zurückgenommen wird, bevor ein Vorbescheid ergangen ist, mit der Erörterung der Streitsache in der mündlichen Verhandlung begonnen worden oder eine den Rechtsstreit beendende Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergangen ist. Während im Fall der Rücknahme der Klage nach Satz 1 der Vorschrift eine Gebühr überhaupt nicht erhoben wird, wenn das Gericht im Zusammenhang mit der Sachprüfung noch nicht tätig geworden ist, ergibt sich der Gebührenvorteil des Satzes 2 dann, wenn das Gericht zwar schon tätig geworden, aber noch nicht in die Erörterung der Streitsache eingetreten ist bzw. noch keinen Bescheid in der Sache erlassen hat. Beide Gebührenvorteile sind also nach dem Ausmaß bzw. der Ersparnis der sich im Fall einer Klage ergebenden gerichtlichen Tätigkeit abgestuft. Den Grund hierfür hat der Bundesgerichtshof (BGH) bei seiner Rechtsprechung zu den §§ 35 Abs. 1 und 36 Abs. 1 Satz 2 GKG a. F., die als Vorbild für die Regelung des § 141 FGO a. F. angesehen werden, darin gesehen, daß nach der Rücknahme der Klage eine Sachprüfung und Entscheidung durch das Gericht entbehrlich sei (Beschluß vom 2. März 1962 I ZR 28/60, NJW 1962, 1155). Der erkennende Senat hat bei Erörterung der Frage, ob eine nachträgliche Einschränkung des Rechtsbehelfs im kostenrechtlichen Sinne wie eine Klagerücknahme zu behandeln sei, ebenfalls in dem Beschluß vom 19. Juni 1969 VII B 186/67 (BFHE 96, 215, BStBl II 1969, 588) darauf abgestellt, ob das Verhalten des Klägers im Falle der Antragseinschränkung tatsächlich insoweit zur Beendigung des Verfahrens geführt und eine Entscheidung des FG entbehrlich gemacht hat (vgl. auch den Beschluß des Senats vom 22. Juli 1969 VII B 48/69, BFHE 96, 257, BStBl II 1969, 623).
Diese Folgen sind im Streitfall durch die Rücknahmeerklärung des Klägers vom 12. März 1973 schließlich herbeigeführt worden. Denn das FG ist in die Erörterung der Streitsache in der mündlichen Verhandlung, unter der nur eine Erörterung in materiell-rechtlicher Hinsicht zu verstehen ist (v. Wallis/List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 141 FGO, Anm. 5), nicht eingetreten. Diese hat sich vielmehr auf die Erörterung des Zwischenstreits über die Rücknahmeerklärung beschränkt.
Gegen die Gebührenermäßigung im Falle der Beendigung des Verfahrens durch Zwischenurteil kann nicht eingewendet werden, daß im Falle des Zwischenstreits über die Klagerücknahme das Gericht ebenfalls ein Urteil erlassen müsse und daß dabei seine Arbeit zwar nicht mehr in der Würdigung des Streitstoffes, aber doch in der Prüfung der Frage bestehe, ob die Klage wirksam zurückgenommen worden sei. Denn darauf stellt das Gesetz nicht ab. Es verlangt nach seinem eindeutigen Wortlaut nur, daß die Klage "zurückgenommen ... wird" - das wird durch das Zwischenurteil festgestellt - und daß die Zurücknahme der Klage vor dem Beginn der Erörterung der Streitsache, d. h. der den eigentlichen Streitpunkt bildenden Frage, in der mündlichen Verhandlung erklärt worden ist. Wenn - wie im Streitfall - in dieser nicht über die Streitsache selbst verhandelt und das Verfahren durch Zwischenurteil beendet worden ist, hat der Kläger durch seine Rücknahmeerklärung, die auch allein Gegenstand des Zwischenurteils war, dem Gericht die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes oder auch der Zulässigkeit der Klage erspart und daher einen Anspruch auf die Gebührenermäßigung erworben. Der Senat folgt daher der nicht näher begründeten abweichenden Ansicht von Lauterbach (Kostengesetze, 17. Aufl., § 35 GKG, Anm. 4 A) und Markl (Gerichtskostengesetz, § 35, Anm. 2) nicht.
Im übrigen bleibt aber auch die Mühewaltung des Gerichts, die der Feststellung der Wirksamkeit der Klagerücknahme dient, nicht unberücksichtigt. Sie wird vielmehr - insoweit entgegen der Ansicht des FG - dadurch abgegolten, daß für die Fällung des Urteils die volle, nach § 140 Abs. 1 FGO a. F. i. V. m. § 25 Abs. 1 Nr. 3 GKG a. F. entstandene Urteilsgebühr, nicht also die ermäßigte Gebühr, erhoben wird. Das ist deshalb der Fall, weil im Falle der Bejahung der Klagerücknahme das Verfahren endgültig beendet wird, und zwar durch ein aufgrund eines zwischen den Parteien herrschenden Streits ergehendes Urteil.
Da das FG lediglich 1/2 Urteilsgebühr angesetzt hatte, waren die Kosten unter Änderung der Vorentscheidung um 136,50 DM auf 278 DM zu erhöhen. Im übrigen war die Beschwerde zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71610 |
BStBl II 1976, 429 |
BFHE 1976, 143 |