Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen eines vermuteten Abstimmungsverhaltens bei einer Kollegialentscheidung
Leitsatz (NV)
Wird ein Richter aufgrund seines vermuteten Abstimmungsverhaltens bei einer Kollegialentscheidung wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, darf er sich wegen des Beratungsgeheimnisses (§ 43 DRiG) in seiner dienstlichen Äußerung gemäß § 44 Abs. 3 ZPO zu seinem Abstimmungsverhalten nicht äußern. Dem Beschwerdegericht ist es verwehrt, das Abstimmungsverhalten zu klären.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2, § 44 Abs. 3; DRiG § 43
Tatbestand
I. 1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ―eine GmbH― führt beim Finanzgericht (FG) Köln einen Rechtsstreit gegen den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―). Am 30. Juni 1997 erließ das FG unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht A und des zum Berichterstatter bestellten Richters am Finanzgericht B einen Gerichtsbescheid, durch den es die Klage mit der Begründung als unzulässig abwies, der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, der Steuerberater X, habe dem FG nicht innerhalb der ihm gemäß § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gesetzten Ausschlussfrist das Original der Prozessvollmacht vorgelegt. Nachdem die Klägerin fristgerecht mündliche Verhandlung beantragt hatte, setzte das FG am 25. September 1997 den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 23. Oktober 1997 fest.
2. Durch Schriftsatz vom 22. Oktober 1997 lehnte die Klägerin B wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug sie sinngemäß vor: B verfolge X mit unhaltbaren und verleumderischen Vorwürfen. B's Verhalten sei offenbar krankheitsbedingt. Es habe schon in anderen Verfahren dazu geführt, dass B abgelehnt worden sei bzw. sich selbst als befangen erklärt habe. Hinzu komme, dass B's Ehefrau mit X auf dem Steuerberatungsmarkt in direktem Wettbewerb stehe. Aufgrund dieser Tatsachen bestehe bei der Klägerin die Besorgnis, B könne sich auch im Streitfall von unsachlichen Einflüssen leiten lassen.
3. Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 1997 lehnte die Klägerin auch A wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug sie sinngemäß vor: A habe X am 23. Oktober 1997 telefonisch davon unterrichten lassen, das B betreffende Ablehnungsgesuch sei abgewiesen worden und die mündliche Verhandlung finde wie terminiert am 23. Oktober 1997 statt. Damit stehe fest, dass A über das ihm unbequeme Ablehnungsgesuch entschieden habe, ohne eine dienstliche Äußerung B's einzuholen und der Klägerin wie beantragt Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Auch die im Ablehnungsgesuch vom 22. Oktober 1997 beantragte Akteneinsicht sei der Klägerin nicht gewährt worden. Damit seien das Verfassungsgebot der Gewährung rechtlichen Gehörs und die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt worden. Die Sache solle offenbar ohne Beachtung der Verfahrensvorschriften durchgepeitscht werden, um die Statistik zu schönen, B ein paar Pluspunkte zu verschaffen und über sein Verhalten das Mäntelchen der verfahrensrechtlichen Zulässigkeit zu hängen. Für A als Vorsitzenden des Senats sei es sicher nicht angenehm, dass B Mitglied des Senats sei und ständig wegen schlimmen Fehlverhaltens abgelehnt werde. Dennoch dürfe er nicht aus falschverstandener Kollegialität B's Verhalten decken und der Klägerin ein faires Verfahren versagen.
4. Das FG lehnte durch Beschlüsse vom 23. Oktober 1997 unter Mitwirkung von A und B die Ablehnungsgesuche als missbräuchlich und damit unzulässig ab. Zur mündlichen Verhandlung am 23. Oktober 1997 erschien X nicht. Da seine ordnungsmäßige Ladung nicht festgestellt werden konnte, vertagte das FG die Sache.
Auf die Beschwerde der Klägerin hat der beschließende Senat die Beschlüsse vom 23. Oktober 1997 aufgehoben und die Sachen an das FG zurückverwiesen, da die Ablehnungsgesuche nicht rechtsmissbräuchlich seien und daher auf eine dienstliche Äußerung der abgelehnten Richter nicht verzichtet werden könne (Senatsbeschluss vom 24. März 1998 I B 137/97, Leitsätze veröffentlicht in BFH/NV 1998, 1362).
B äußerte sich daraufhin dienstlich zu dem Ablehnungsgesuch sinngemäß wie folgt: Seine Ehefrau sei zwar am selben Ort wie X als Steuerberaterin tätig. Zu Mandanten des X habe sie aber keine beruflichen Kontakte. Dies wolle sie auch nicht ändern. Eine Konkurrenzsituation bestehe somit real nicht. X habe ihn zwar in Verfahren anderer Mandanten mit Erfolg abgelehnt. Mit dem Rechtsstreit der Klägerin hätten diese Verfahren aber nichts zu tun. Nach seinem Eindruck sei X seit einigen Monaten bestrebt, ihn von der Mitwirkung an allen Verfahren auszuschließen, die X betreibe. Ausgangspunkt der Spannungen zwischen X und ihm sei seine Entscheidung gewesen, ein von X betriebenes Verfahren gemäß § 149 der Zivilprozeßordnung (ZPO) auszusetzen. Das Ergebnis der strafrechtlichen Ermittlungen sei ihm jedoch nicht bekannt. Welche seiner Äußerungen über X dieser als verleumderische Vorwürfe ansehe, könne er nicht sagen, da X dazu keine konkreten Angaben gemacht habe. Auf persönlicher Ebene habe er mit X keine Kontakte. Bei den zahlreichen dienstlichen Verhandlungen mit X sei es noch nie zu Streit oder Missstimmungen gekommen. Auf fachlicher Ebene habe er keinen Anlass, X gering zu schätzen. X habe aufgrund besonderen prozessualen Geschicks beachtliche Erfolge erzielt.
A nahm zu dem Ablehnungsgesuch sinngemäß wie folgt dienstlich Stellung: Er habe X am 23. Oktober 1997 über die Ablehnung des B betreffenden Ablehnungsgesuchs telefonisch vorab unterrichtet, um ihm Gelegenheit zu geben, den Termin zur mündlichen Verhandlung wahrzunehmen. Gegenüber der Klägerin fühle er sich nicht befangen. Bei der Entscheidung über das B betreffende Ablehnungsgesuch habe er sich nicht von kollegialer Rücksichtnahme leiten lassen.
Die Klägerin äußerte sich dazu sinngemäß wie folgt:
Der Bundesfinanzhof (BFH) sei im Beschluss vom 24. März 1998 I B 137/97 davon ausgegangen, dass Spannungen zwischen X und B die Besorgnis der Befangenheit begründen können. Somit sei nur noch festzustellen, ob Spannungen bestünden. In einem ein anderes Verfahren betreffenden Beschluss vom 24. März 1998 I B 112/97 (BFH/NV 1998, 1360) habe der BFH festgestellt, dass erhebliche Spannungen zwischen B und X bestünden. B leugne diese nun, wohl wegen der Ausführungen in den BFH-Beschlüssen. Bei dem von B angesprochenen Beschluss gemäß § 149 ZPO habe er X der Steuerhinterziehung bezichtigt und die zuständige Behörde aufgefordert, ein Strafverfahren einzuleiten. Diese sei dazu aus eigenem Entschluss und nach eigenem Kenntnisstand nicht bereit gewesen. Für die Anschuldigung durch B habe es keinen Grund gegeben. Sie sei nachweisbar unwahr. Dennoch sei B von ihr nicht abgerückt.
Auch A's Stellungnahme könne die Besorgnis seiner Befangenheit nicht zerstreuen. A habe X im Beschluss vom 23. Oktober 1997 vorgeworfen, B zu beleidigen und zu verunglimpfen. Wenn es ihm ―wie er jetzt behaupte― um die ordentliche Vertretung der Klägerin in dem Termin am 23. Oktober 1997 gegangen wäre, dann hätte er die Sache vertagen müssen. Tatsächlich habe er jedoch trotz der ihm bekannten Spannungen zwischen X und B den Prozessbevollmächtigten in die Verhandlung reinzwingen wollen. Inzwischen gehe A auch in anderen Verfahren gegen X und dessen Mandanten durch schikanöse Fristsetzungen vor.
5. Durch Beschluss vom 22. Dezember 1998 hat das FG ―ohne Mitwirkung des A und des B― die Ablehnungsgesuche abgelehnt, da die von der Klägerin vorgetragenen Gründe bei vernünftiger und objektiver Betrachtungsweise nicht geeignet seien, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der beiden Richter zu rechtfertigen.
6. Mit der Beschwerde beantragt die Klägerin sinngemäß, den Beschluss des FG vom 22. Dezember 1998 aufzuheben und die Ablehnungsgesuche für begründet zu erklären.
Das FA hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde war zurückzuweisen. Sie ist unbegründet.
1. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein Verfahrensbeteiligter bei Würdigung aller Umstände einen vernünftigen und auch bei objektiver Betrachtungsweise anzuerkennenden Grund zu der Annahme hat, der Richter werde aus einer in seiner Person liegenden individuellen Ursache heraus nicht unvoreingenommen, sondern unsachlich oder willkürlich entscheiden; dass der Richter sich tatsächlich von unsachlichen Überlegungen oder Rücksichtnahmen leiten lässt oder sich selbst für befangen hält, ist keine Voraussetzung für den Erfolg eines Ablehnungsgesuchs (s. BFH-Beschlüsse vom 17. April 1996 I B 134/95, BFH/NV 1996, 826; vom 30. Januar 1997 I B 79/96, BFH/NV 1997, 671; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 51 Rz. 37 f., m.w.N.; s.a. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 3. März 1966 2 BvE 2/64, BVerfGE 20, 9, 14; vom 29. Mai 1973 2 BvQ 1/73, BVerfGE 35, 171, 172).
Ein gespanntes Verhältnis zwischen dem Prozessbevollmächtigten eines Verfahrensbeteiligten und einem Richter kann die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn die ablehnende Einstellung des Richters zum Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Verfahrensbeteiligten in Erscheinung getreten ist. Inwieweit der Richter durch sein Verhalten zu dem gespannten Verhältnis beigetragen hat, ist unerheblich. Auch wenn ausschließlich das Verhalten des Prozessbevollmächtigten zu den Spannungen geführt hat, muss der Richter sein persönliches Verhältnis zum Prozessbevollmächtigten von dem konkreten Rechtsstreit trennen (s. Senatsbeschluss in BFH/NV 1998, 1360, m.w.N.).
2. Das FG hat zu Recht das B betreffende Ablehnungsgesuch als unbegründet beurteilt.
a) Der beschließende Senat geht davon aus, dass das Verhältnis zwischen X und B auch weiterhin gespannt ist. Zwar hat B in seiner dienstlichen Stellungnahme versucht, den bei X entstandenen Eindruck zu zerstreuen, B schätze seine fachliche Qualifikation gering ein. Außerdem hat B ―nach Auffassung des beschließenden Senats in überzeugender Weise― den Vorwurf entkräftet, sein Verhalten gegenüber X werde von einer zwischen X und Frau B bestehenden Wettbewerbssituation beeinflusst. Wie der Vortrag der Klägerin zeigt, hat die dienstliche Stellungnahme aber nichts daran geändert, dass X sein Verhältnis zu B weiterhin als gespannt ansieht und er die Vorstellung hat, B verfolge ihn.
b) Diese Spannungen rechtfertigen jedoch keine Ablehnung des B durch die Klägerin. Ihr gegenüber sind die Spannungen nicht in Erscheinung getreten. Zudem hat B in seiner dienstlichen Stellungnahme erkennbar zwischen dem Klageverfahren der Klägerin und den anderen Verfahren unterschieden, in denen es zu den Auseinandersetzungen mit X gekommen ist. Für die Klägerin besteht daher bei objektiver und vernüftiger Betrachtung kein Grund für die Befürchtung, die Auseinandersetzungen in den anderen Verfahren könnten sich auch negativ für sie auswirken.
c) Dass B's Prozessführung in einigen anderen Verfahren seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigte, ist für die Klägerin ebenfalls kein Grund, B abzulehnen. Bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise besteht für die Klägerin kein Anlass zur Annahme, B werde auch ihr gegenüber das Prozessrecht willkürlich anwenden. Vielmehr ist aufgrund der erfolgreichen Ablehnungsgesuche in den anderen Verfahren zu erwarten, dass B nunmehr besonders darauf achten wird, durch seine Prozessführung keine Besorgnis der Befangenheit mehr entstehen zu lassen.
3. Auch das A betreffende Ablehnungsgesuch hat das FG zu Recht als unbegründet abgelehnt.
a) Soweit die Klägerin die Ablehnung des A mit dem Inhalt der Beschlüsse vom 23. Oktober 1997 begründet, behauptet sie, A habe seinerzeit aus sachwidrigen Erwägungen dafür gestimmt, die Gesuche als missbräuchlich abzulehnen. Zu dieser das Abstimmungsverhalten der an den Kollegialentscheidungen mitwirkenden Richter betreffenden Behauptung durfte sich A wegen des Beratungsgeheimnisses (§ 43 des Deutsches Richtergesetzes ―DRiG―) nicht äußern. Er hat sich dazu auch nicht geäußert, sondern darauf verwiesen, dass die Beschlüsse solche des Senats gewesen seien. Wegen des Beratungsgeheimnisses ist es auch dem beschließenden Senat verwehrt, das Abstimmungsverhalten des A zu klären.
Ob die Klägerin deshalb ―soweit sie die Besorgnis der Befangenheit aus dem Inhalt der Beschlüsse vom 23. Oktober 1997 herleitet― alle an diesen Entscheidungen mitwirkenden Richter hätte ablehnen müssen und das Gesuch insoweit unzulässig ist, da sie nur A und B abgelehnt hat (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 5. Dezember 1975 VI C 129.74, BVerwGE 50, 36; BFH-Beschluss vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112), kann offen bleiben. Selbst wenn das Gesuch trotz der Beschränkung der Ablehnung auf A und B als zulässig angesehen wird und wenn außerdem unterstellt wird, A habe seinerzeit für die Ablehnung der Gesuche aus den Gründen der Beschlüsse vom 23. Oktober 1997 gestimmt, rechtfertigt dies keine Ablehnung des A wegen Besorgnis der Befangenheit. Bei der gebotenen objektiven und vernünftigen Betrachtungsweise besteht aufgrund des Inhalts der Beschlüsse kein Grund zu der Annahme, A habe aus unsachlichen Gründen ―z.B. aus falsch verstandener Kollegialität gegenüber B― die Gesuche als missbräuchlich beurteilt. Zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin die Ablehnungsgesuche im Wesentlichen mit verunglimpfenden Vorwürfen begründet hatte und dadurch beim FG der Eindruck entstehen konnte, die Gesuche dienten ausschließlich dazu, B herabzuwürdigen und den Prozess zu verzögern. Dass der beschließende Senat im ersten Rechtsgang und auch das FG im zweiten Rechtsgang die Ablehnungsgesuche nicht als missbräuchlich beurteilt haben, lässt bei vernünftiger Bewertung der Gesamtumstände lediglich den Schluss zu, dass das FG am 23. Oktober 1997 die Rechtslage nicht richtig beurteilt hat. Solche Fehler bei der Rechtsanwendung, die nach den Gesamtumständen nicht auf eine unsachliche Einstellung der Richter hinweisen, rechtfertigen keine Ablehnung (s. BFH-Beschluss in BFH/NV 1993, 112, m.w.N.).
b) Die angeblich schikanösen Fristsetzungen durch A in Verfahren anderer Mandanten des X rechtfertigen keine Ablehnung des A durch die Klägerin. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin Grund zu der Annahme hat, A werde ihr willkürliche oder unangemessen kurze Fristen setzen.
Fundstellen