Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs; Darlegung der Revisionszulassungsvoraussetzungen
Leitsatz (NV)
1. Der Umstand, dass in einem Erörterungstermin möglicherweise nicht alle rechtlichen Aspekte in allen Einzelheiten erörtert worden sind, führt nicht zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs.
2. Hat der Bundesfinanzhof eine Rechtsfrage bereits entschieden, so ist darzulegen, weshalb eine erneute Entscheidung des Bundesfinanzhofs für erforderlich gehalten wird.
3. Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf Divergenz gestützt, erfordert die notwendige Darlegung der Zulassungsvoraussetzungen, dass die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, von der nach der Behauptung des Beschwerdeführers das Urteil des Finanzgerichts abweicht, genau bezeichnet wird und dass kenntlich gemacht werden muss, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Abweichung vorliegen soll.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 23.04.2003; Aktenzeichen 8 K 2150/02) |
Tatbestand
I. In der Sache ist streitig, ob auf den Praxiswert eines im Jahr 1991 erworbenen Anteils an einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis in den Jahren 1997 und 1998 (erstmals) noch Abschreibungen geltend gemacht werden können.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und die Beteiligte (weitere Klägerin im Klageverfahren) sind Ärztinnen, die in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) eine Gemeinschaftspraxis betreiben. Ursprünglich bestand die Gemeinschaftspraxis zwischen einem Herrn Dr. X und einem Herrn Dr. Y. Mit Vertrag vom 20. Dezember 1990 übernahm die Klägerin den Praxisanteil von X mit Wirkung zum 1. Januar 1991. Von dem Kaufpreis in Höhe von 140 000 DM entfielen 96 000 DM auf den Praxiswert. In den Jahren 1991 bis 1996 machte die Klägerin als Sonderbetriebsausgaben nur Schuldzinsen aus dem Praxiskauf, jedoch keine Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf den Praxiswert geltend.
Mit Vertrag vom 30. Dezember 1996 erwarb die Beteiligte den Praxisanteil des Y zum Preis von 120 000 DM. Davon entfielen 84 510 DM auf den Praxiswert, der über die Nutzungsdauer von 6 Jahren verteilt wurde.
Durch Bescheid vom 21. Oktober 1999 wurden für 1997 die Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 287 708 DM (einschließlich des Veräußerungsgewinns des Y) festgestellt. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Mit Schreiben vom 29. März 2000 erklärte die Klägerin berichtigte Sonderbetriebsausgaben für 1997 und 1998 wegen Abschreibung des Praxiswerts auf 10 Jahre. Für 1998 wurde dem Antrag im Feststellungsbescheid (unter dem Vorbehalt der Nachprüfung) entsprochen. Nach einer Außenprüfung ging der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass die Nutzungsdauer des Praxiswertes 6 Jahre betrage und somit das gesamte AfA-Volumen 1996 verbraucht gewesen sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Der Praxiswert sei üblicherweise in 3 bis 5 Jahren verbraucht. Eine Verdoppelung komme nur in Betracht, wenn der Veräußernde weiter mitarbeite. Die in § 7 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für den Geschäftswert getroffene Regelung könne nicht auf einen Praxiswert übertragen werden.
Mit der Beschwerde macht die Klägerin geltend:
1. Das rechtliche Gehör sei verletzt worden. Das FG habe an der im Erörterungstermin vom 4. April 2003 geäußerten Rechtsauffassung nicht festgehalten. Das FG habe lediglich eine Nutzungsdauer von 6 bis 10 Jahren und eine Nutzungsdauer von 15 Jahren angesprochen; eine Gleichstellung der Übertragung des Praxisanteils mit der Veräußerung einer Einzelpraxis sei nicht erörtert worden und erscheine völlig überraschend im Urteil.
Der Verzicht auf mündliche Verhandlung habe daher seine Wirksamkeit verloren. Der Fall sei angesichts der unterschiedlichen Abschreibungszeiträume von 3 bis 15 Jahren für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht geeignet gewesen. Auf diesem Mangel (Nichterörterung der Gleichstellung der Veräußerung von Praxisanteilen mit einer Einzelpraxis) beruhe die Entscheidung.
2. Die Sache habe grundsätzliche Bedeutung. Das Gericht sei nicht auf den für die Abschreibungsdauer maßgeblichen Unterschied von Gemeinschaftspraxis und Praxisgemeinschaft eingegangen. In einer Gemeinschaftspraxis bestehe eine Verantwortung für die gesamte Praxis, nicht nur für den jeweiligen Patientenstamm. Bei einer Gemeinschaftspraxis trete eine "geringere Verflüchtigung" ein, die sich über einen Zeitraum von 15 Jahren erstrecke.
3. Entgegen der Auffassung des FG halte das FA eine Rückwirkung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. Februar 1994 IV R 33/93 --BFHE 174, 230, BStBl II 1994, 590-- (individuelle Schätzung der Nutzungsdauer) für nicht möglich. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sei daher eine Entscheidung des BFH geboten.
4. Der Bereich des X (Heilpraktikertätigkeit) sei nicht weitergeführt worden; die Klägerin habe den Praxisbereich "Allgemeinmedizin" zusammen mit Y weitergeführt. Der erworbene Praxiswert könne daher mit jährlich 1/15 von 98 000 DM abgeschrieben werden. Die versehentlich unterlassene Abschreibung von 1991 bis 1996 betrage 39 200 DM und könne in der Restlaufzeit von 1997 bis 2002 mit jährlich 4 355 DM nachgeholt werden.
Die Klägerin beantragt, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beteiligte hat keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist teils unzulässig, teils unbegründet und daher insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.
1. Das FG hat nicht das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt. Gemäß § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Entgegen der Auffassung der Klägerin führt der Umstand, dass in einem Erörterungstermin möglicherweise nicht alle rechtlichen Aspekte in allen Einzelheiten erörtert werden, nicht zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Für das FG bestand keine Veranlassung, trotz des erklärten Verzichts gleichwohl eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Der Auffassung, dass der Verzicht seine Grundlage verloren habe, kann nicht gefolgt werden.
2. Grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.
Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO verlangt gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO einen substantiierten Vortrag der Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärungsfähig ist. Dazu ist auszuführen, dass die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinander setzen. Hat der BFH über die Rechtsfrage bereits entschieden, so ist zusätzlich darzulegen, weshalb eine erneute Entscheidung des BFH für erforderlich gehalten wird. Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinander gesetzt hat. Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen (BFH-Beschlüsse vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217, und vom 16. April 2002 X B 102/01, BFH/NV 2002, 1045).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Ausführungen der Klägerin beziehen sich ausschließlich auf den Streitfall und dessen Entscheidung. Weder die bisher zu der Problematik ergangene Rechtsprechung noch Äußerungen im Schrifttum werden erörtert (vgl. dazu Schmidt/Wacker, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 23. Aufl., 2004, § 18 Rz. 200 ff.) noch wird dargelegt, weshalb eine erneute Entscheidung des BFH für erforderlich gehalten wird.
3. Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erfasst die Fälle der sog. Divergenzrevision und verlangt darüber hinaus auch dann eine Entscheidung des BFH, wenn die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine Entscheidung des BFH gesichert werden kann. Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf Divergenz gestützt, erfordert die nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO notwendige Darlegung der Zulassungsvoraussetzungen, dass die Entscheidung des BFH, von der nach der Behauptung des Beschwerdeführers das Urteil des FG abweicht, genau bezeichnet wird und dass kenntlich gemacht werden muss, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Abweichung vorliegen soll. Dem ist nur genügt, wenn abstrakte Rechtssätze des vorinstanzlichen Urteils und abstrakte Rechtssätze der Divergenzentscheidung(en) des BFH so genau bezeichnet und gegenübergestellt werden, dass eine Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschlüsse vom 29. Juni 1987 X B 26/87, BFH/NV 1988, 239, und vom 28. April 2004 VII B 238/03, juris Nr.: STRE200450585).
Auch diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Eine (mögliche) Divergenz zwischen dem FG-Urteil und der einschlägigen BFH-Rechtsprechung wird nicht in der erforderlichen Weise herausgestellt; ebenso wird nicht dargelegt, dass die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine Entscheidung des BFH gesichert werden kann. Im Übrigen kann die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht im Hinblick auf die Abweichung von der in der Einspruchsentscheidung des FA geäußerten Rechtsauffassung geltend gemacht werden.
Fundstellen