Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinde für Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gegen Gewerbesteuer-Meßbescheid ohne Rechtsschutzbedürfnis - nachträgliche Zulassung der Beschwerde gegen einen Beschluß des FG über Vollziehungsaussetzung - Zwang der Gemeinde zur Änderung des Gewerbesteuerbescheids bei Änderung des Steuermeßbescheids durch FA - einseitige Erklärung der Erledigung der Hauptsache bei unzulässigem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
Leitsatz (amtlich)
Der hebeberechtigten Gemeinde fehlt das allgemeine Rechtsschutzinteresse für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines von ihr angefochtenen Gewerbesteuer-Meßbescheides, den das Finanzamt zugunsten des Steuerpflichtigen geändert hat. Dies gilt auch dann, wenn das Finanzamt den sich hieraus ergebenden Gewerbesteuer-Erstattungsanspruch gepfändet hat.
Orientierungssatz
1. Gegen einen Beschluß nach § 69 Abs.3 FGO kann das FG die Beschwerde noch nachträglich zulassen (vgl. BFH-Beschluß vom 10.10.1991 XI B 18/90).
2. Eine Gemeinde ist nach einer Änderung der Gewerbesteuermeßbescheide durch das FA verpflichtet, geänderte Gewerbesteuerbescheide als Folgebescheide zu erlassen. Dies gilt auch, wenn sie die geänderten Meßbetragsbescheide angefochten und Aussetzung der Vollziehung beantragt hat.
3. Die einseitige Erledigungserklärung eines Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung kann nur dann im gerichtlichen Verfahren Rechtswirkungen entfalten, wenn der Antrag zulässig war. Denn Sachanträge, die in einem unzulässigen Verfahren gestellt sind, bleiben unbeachtlich. Das Rechtsmittel oder der Rechtsbehelf werden in diesem Fall als unzulässig abgewiesen, ohne daß über Sachanträge zu entscheiden ist. Da auch die Entscheidung über die Erledigung der Hauptsache ein Eingehen auf die Sache selbst bedeutet, ist das Gericht hierzu nicht befugt, wenn der Antrag unzulässig war.
Normenkette
AO 1977 § 1 Abs. 2 Nr. 4, § 175 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1 S. 1 Nr. 1; FGO § 128 Abs. 3, § 138 Abs. 1, § 40 Abs. 3, § 69 Abs. 3; GewStG § 16
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin
(Antragstellerin) ist eine Gemeinde, in deren Bereich die am
2. September 1991 in Konkurs gegangene X-GmbH eine
Betriebsstätte unterhält. Gegen diese GmbH erließ der
Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) für
die Streitjahre 1983 bis 1990 unter dem 13. Dezember 1994
gemäß § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.2 und § 164 Abs.2 der
Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Gewerbesteuer-Meßbescheide.
Überdies meldete das FA am 11. November 1994
Körperschaftsteueransprüche für 1984 bis 1990 infolge
geänderter Besteuerungsgrundlagen zur Konkurstabelle an und
rechnete für das Jahr 1983 aus gleichem Grunde einen
Erstattungsbetrag ab. Die Änderungen beruhten auf
Erkenntnissen der Steuerfahndung nach Durchführung einer
Prüfung, die bei der GmbH vom 13. Juni 1991 bis zum 13. Juni
1994 durchgeführt worden war. Danach waren durch die GmbH in
erheblichem Umfang Abgaben (Zölle, Einfuhrumsatzsteuer,
Umsatzsteuer) hinterzogen worden, die verdeckte
Gewinnausschüttungen (vGA) nach sich zogen. Weil die GmbH
diese Abgaben bislang nicht als Betriebsausgaben abgezogen
hatte, verminderten sich andererseits die erklärten und den
Steuerveranlagungen zugrunde gelegten Gewinne und
Gewerbeerträge und damit auch die Gewerbesteuer-Meßbeträge.
Über die Änderungsbescheide erhielt die Antragstellerin
entsprechende Mitteilungen. Dadurch ergaben sich
Gewerbesteuererstattungen von insgesamt 1 918 105 DM, die das
FA bereits durch Pfändungs- und Arrestverfügung vom 11. Juli
1991 gepfändet hatte.
Die Antragstellerin wandte sich gegen die geänderten
Gewerbesteuer-Meßbescheide mit Einsprüchen, über die noch
nicht entschieden ist. Zugleich beantragte sie Aussetzung der
Vollziehung der Bescheide. Diesen Antrag lehnte das FA ab,
weil die Antragstellerin nicht rechtsbehelfsbefugt sei. Diese
beantragte daraufhin Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69
Abs.3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beim Finanzgericht (FG).
Im Laufe des Verfahrens der Aussetzung der Vollziehung wurde
sie über weitere Einzelheiten des Besteuerungsverfahrens gegen
die GmbH in Kenntnis gesetzt, worauf sie den Rechtsstreit
hinsichtlich der Streitjahre 1986 bis 1990 in der Hauptsache
für erledigt erklärte und beantragte, die Kosten des
Verfahrens dem FA als Verursacher des Rechtsstreits
aufzuerlegen.
Das FG lehnte dies ab (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-
- 1996, 714). Es entschied u.a.: Weil das FA seinerseits keine
Erledigungserklärungen für 1986 bis 1990 abgegeben habe, sei
insoweit nicht nur noch über die Kosten des Verfahrens zu
entscheiden. Die einseitige Erledigungserklärung der
Antragstellerin könne nur dann Rechtswirkungen entfalten, wenn
ihr Aussetzungsantrag zulässig gewesen wäre. Daran fehle es.
Durch die geänderten Gewerbesteuer-Meßbescheide seien nicht
die Rechte der Antragstellerin, sondern nur die der GmbH
berührt. Gemeinden stehe grundsätzlich keine Klage- und
Antragsbefugnis zu. Zwar sei hiervon eine Ausnahme zu machen,
wenn auf Seiten des Fiskus eine Interessenkollision vorliege
(§ 40 Abs.3 FGO). Dies sei hier der Fall, nachdem das FA die
Gewerbesteuer-Erstattungsansprüche gepfändet habe. § 40 Abs.3
FGO setze insoweit aber voraus, daß der Steuerschuldner die
verwaltende Körperschaft selbst sei und nicht ein
außenstehender Dritter wie im Streitfall. Anderenfalls würde
der Steuerschuldner mit Meinungsverschiedenheiten zwischen der
abgabenberechtigten Körperschaft und der verwaltenden
Landesbehörde belastet, was gerade vermieden werden solle.
Abgesehen davon könne der für die Jahre 1983 bis 1985
aufrechterhaltene Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aber
auch in der Sache keinen Erfolg haben, weil die geltend
gemachte Festsetzungsverjährung nicht gegeben sei. Das FA sei
gemäß § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) änderungsbefugt
gewesen. Nach dessen Abs.3 gelte § 171 Abs.10 AO 1977
sinngemäß. Daß das FA die Änderungen auf § 173 Abs.1 AO 1977
gestützt habe, stehe dem nicht entgegen, weil die insoweit
unzutreffende Rechtsgrundlage durch die zutreffende
ausgetauscht werden dürfe.
Hiergegen richtet sich die --vom FG nachträglich wegen
grundsätzlicher Bedeutung zugelassene-- Beschwerde der
Antragstellerin. Sie rügt Verletzung von § 40 Abs.3 FGO und
von § 169 Abs.2 Nr.2 AO 1977.
Sie beantragt, den FG-Beschluß aufzuheben, die Vollziehung der
Gewerbesteuer-Meßbescheide 1983 bis 1985 auszusetzen und die
Kosten des Verfahrens gemäß §§ 138, 137 FGO dem FA
aufzuerlegen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die --vom FG verfahrensfehlerfrei nachträglich
(Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Oktober 1991
XI B 18/90, BFHE 165, 565, BStBl II 1992, 301) gemäß § 115
Abs.2 Nr.2 FGO zugelassene-- Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 69 Abs.3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die
Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder
teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll --u.a. und soweit
hier einschlägig-- erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs.3
Satz 1 i.V.m. Abs.2 Satz 2 FGO).
1. Die im Streitfall von den Beteiligten aufgeworfenen Fragen
danach, ob die Antragstellerin überhaupt befugt ist, einen
Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der gegen die GmbH
ergangenen Gewerbesteuer-Meßbescheide zu stellen (vgl. § 40
Abs.3 FGO), und ob hinsichtlich der Streitjahre 1983 bis 1985
Festsetzungsverjährung eingetreten ist und damit ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide vorliegen,
brauchen nicht entschieden zu werden. Es fehlt bereits das für
den Antrag erforderliche allgemeine Rechtsschutzinteresse.
Denn entweder die Antragstellerin begehrt mit ihrem Antrag im
Ergebnis nicht die Aussetzung der Vollziehung der von ihr
angefochtenen Gewerbesteuer-Meßbescheide, sondern derjenigen
Bescheide und der daraus resultierenden Steuerforderungen,
derentwegen das FA am 11. Juli 1991 eine Pfändungs- und
Arrestverfügung erlassen hat. Dann aber wäre es --die
Zulässigkeit eines derartigen Vorgehens unterstellt--
erforderlich gewesen, sich gegen diese Steuerbescheide oder
auch gegen die Pfändungsverfügung zu wenden und deren
Aussetzung der Vollziehung zu beantragen. Die beantragte
Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuer-Meßbescheide
hilft ihr nicht weiter. Oder aber sie will erreichen, aufgrund
der geänderten Gewerbesteuer-Meßbescheide als
Grundlagenbescheide keine geänderten Gewerbesteuerbescheide
als Folgebescheide erlassen zu müssen. Dazu ist sie indes
infolge der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art.20 Abs.3 des
Grundgesetzes) verpflichtet (§ 1 Abs.2 Nr.4 i.V.m. § 175 Abs.1
Satz 1 Nr.1 AO 1977; vgl. auch Senatsurteil vom 14. November
1984 I R 151/80, BFHE 142, 544, BStBl II 1985, 607; Gosch in
Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz,
Gewerbesteuergesetz, 15.Aufl., § 16 GewStG Rz.35, m.w.N.).
Auch wenn die Umsetzung eines Grundlagenbescheides in einen
Folgebescheid sich im weitesten Sinne als Vollziehung des
Grundlagenbescheides darstellt (arg. § 361 Abs.3 Satz 2 AO
1977, § 69 Abs.2 Satz 5 FGO; Gosch in Beermann, Steuerliches
Verfahrensrecht, § 69 FGO Rz.31), so könnte dessen Aussetzung
der Vollziehung daran doch nichts ändern. Es bliebe gleichwohl
dabei, daß aus dem Grundlagenbescheid die gesetzlich
vorgeschriebenen verfahrensrechtlichen Konsequenzen gezogen
werden müßten. Die Pflicht der zuständigen Behörden, den
Folgebescheid zu erlassen, knüpft allein an die
Tatbestandswirkung des Grundlagenbescheides an und ist von
dessen Änderbarkeit, Anfechtbarkeit oder Rechtmäßigkeit
unabhängig. Sichtbar wird dies nicht zuletzt dann, wenn der
Folgebescheid --wie dies auch im Streitfall nach Aktenlage
zwar nicht sicher, angesichts des Ablaufs der
Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs.10 AO 1977 aber
wahrscheinlich ist-- bereits erlassen worden ist; durch die
Aufhebung der Vollziehung des Grundlagenbescheides (hier der
Gewerbesteuer-Meßbescheide 1983 bis 1990) könnte dies nicht
rückgängig gemacht werden. Aussetzung ebenso wie Aufhebung der
Vollziehung des Meßbescheides bewirken insoweit lediglich, daß
auch die Vollziehung des Gewerbesteuerbescheides als
Folgebescheid auszusetzen oder aufzuheben ist (§ 361 Abs.3
Satz 1 AO 1977, § 69 Abs.2 Satz 4 FGO). Darum kann es der
Antragstellerin jedoch nicht gehen, weil sich aus den zu
ändernden Gewerbesteuerbescheiden Erstattungsansprüche
ergeben. Solche Bescheide sind nicht vollziehbar; sie können
nicht zwangsweise durchgesetzt werden (vgl. z.B. BFH-Beschluß
vom 28. November 1974 V B 44/74, BFHE 114, 171, BStBl II 1975,
240; Urteil vom 17. Dezember 1981 V R 81/81, BFHE 134, 402,
BStBl II 1982, 149). Die Gemeinde hat deshalb keine
Möglichkeit, durch Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung
einstweiligen Rechtsschutz wegen materiell-rechtlicher Fehler
von Meßbescheiden zu erlangen.
2. Die Unzulässigkeit des Antrages der Aussetzung der
Vollziehung führt im Streitfall zur Antragsablehnung. Dies
betrifft auch die Streitjahre 1986 bis 1990, hinsichtlich
derer die Antragstellerin den Rechtsstreit in der Hauptsache
einseitig für erledigt erklärt hat. Sie sieht das Verfahren
damit zwar als gegenstandslos an und beantragt insoweit nur
noch eine Kostenentscheidung. Das FA hat demgegenüber aber
seine Sachanträge aufrechterhalten. Zutreffend ist das FG
davon ausgegangen, daß es bei dieser Sachlage für die
Entscheidung des Senats darauf ankommt, ob der beim FG
gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zulässig war.
Denn Sachanträge, die in einem unzulässigen Verfahren gestellt
sind, bleiben unbeachtlich. Das Rechtsmittel oder der
Rechtsbehelf werden in diesem Fall als unzulässig abgewiesen,
ohne daß über die Sachanträge zu entscheiden ist. Da auch die
Entscheidung über die Erledigung der Hauptsache ein Eingehen
auf die Sache selbst bedeutet, ist das Gericht hierzu nicht
befugt, wenn der bei ihm gestellte Antrag --wie vorliegend--
unzulässig ist (z.B. BFH-Beschluß vom 25. April 1989
VII B 185/88, BFH/NV 1990, 112, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 65840 |
BFH/NV 1997, 56 |
BStBl II 1997, 136 |
BFHE 181, 265 |
BFHE 1997, 265 |
BB 1997, 34 (L) |
DB 1997, 254-255 (LT) |
DStR 1997, 22-23 (KT) |
DStRE 1997, 123 (L) |
DStZ 1997, 197-198 (LT) |
HFR 1997, 138-139 (L) |
StE 1997, 6 (K) |