Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßkostenhilfe für Klage gegen Lohnsteuerhaftungsbescheid; Übernahme der GmbH-Geschäftsführung unter Zwang
Leitsatz (NV)
1. Zu den Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für ein beim FG anhängiges Klageverfahren.
2. Die Klage des Geschäftsführers einer GmbH gegen einen Lohnsteuerhaftungsbescheid kann unter besonderen Umständen deshalb Aussicht auf Erfolg haben, weil der Geschäftsführer zur Übernahme seines Amtes gezwungen worden ist, ein anderer aber die Geschäfte der GmbH einschließlich der steuerlichen Angelegenheiten geführt hat.
Normenkette
FGO § 142; ZPO § 144; AO 1977 § 34 Abs. 1, § 69
Tatbestand
Der 1956 geborene Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war alleiniger Geschäftsführer einer im Jahre 1978 gegründeten GmbH. Am 21. Dezember 1982 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet.
Nach den Feststellungen einer mit einer Steuerfahndungsprüfung verbundenen Lohnsteueraußenprüfung hat die GmbH illegale Arbeitnehmerüberlassung betrieben und im Zeitraum von Dezember 1979 bis Dezember 1982 in erheblichem Umfang unversteuerte Löhne an ihre Arbeitnehmer gezahlt. Ferner wurde festgestellt, daß die Arbeitslöhne und die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden nach den vorgelegten Lohnabrechnungen nicht den Tatsachen entsprachen sowie im Prüfungszeitraum steuerfreie Auslösungen gezahlt worden sind, bei denen nach Art und Umfang der Tätigkeit der betreffenden Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die volle Steuerfreiheit dieser Zahlungen nicht vorlagen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) nahm aufgrund dieser Feststellungen den Antragsteller aufgrund der §§ 34, 69 und 191 der Abgabenordnung (AO 1977) für Lohn- und Kirchensteuer 1979 bis 1982 in Höhe von 600 000 DM als Haftungsschuldner in Anspruch.
Der Antragsteller erhob nach erfolglosem Einspruch gegen den Lohnsteuerhaftungsbescheid Klage, die beim Finanzgericht (FG) noch anhängig ist. Zur Durchführung des Klageverfahrens beantragte er unter Darlegung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf amtlichem Erklärungsvordruck (§ 117 Abs. 3 und 4 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), ihm Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.
Im Klageverfahren vor dem FG trug der Antragsteller wie im Einspruchsverfahren vor: Ihm könne keine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung steuerrechtlicher Pflichten vorgeworfen werden. Denn er sei in der GmbH nur formell als Geschäftsführer eingesetzt worden, während in Wirklichkeit sein Vater, der auch allein die erforderliche Fachkunde und Erfahrung besessen habe, die Geschäfte der GmbH geführt habe. Er sei im Zeitpunkt der Gründung des Betriebs im März 1978 22 Jahre alt gewesen. Er verfüge über keine abgeschlossene Ausbildung. Er habe noch nicht einmal eine Lehre absolviert, weil sein Vater dies als überflüssig angesehen und es ihm ausdrücklich verboten habe. In der gesamten Zeit bis hin zum Jahre 1982 habe er ebenso wie sein Bruder unter dem ständigen Druck des Vaters gelebt. Nachdem dieser im Jahre 1978 mit seinem Einzelunternehmen in Konkurs gefallen sei, habe er ihn und seinen Bruder gezwungen, die GmbH zu gründen, in der er zum Geschäftsführer bestellt worden sei. Sämtliche Geschäfte der GmbH seien von seinem Vater geführt worden; sein Bruder und er seien lediglich als Arbeitnehmer tätig gewesen. Der Vater habe alle wesentlichen Entscheidungen getroffen. Er habe die Verhandlungen mit Auftraggebern geführt und die Einstellung von Arbeitskräften einschließlich der Lohnvereinbarungen vorgenommen. Auch die steuerlichen Angelegenheiten habe der Vater in eigener Verantwortung geregelt. Ihm, dem Antragsteller, seien die fertig erstellten Steuererklärungen und Steueranmeldungen lediglich zur Unterschrift vorgelegt worden. Wenn er seine Unterschriftsleistung verweigert hätte, wäre ein großer Streit entstanden. Wie sich aus dem Ermittlungsverfahren ergebe, sei in der Firma zunächst auch korrekt abgerechnet worden. Erst ab Ende 1979 seien Manipulationen vorgenommen worden, von denen er jedoch nichts gewußt habe, da er keinerlei Einsicht in die Geschäftsunterlagen gehabt habe. Insbesondere seien ihm die an die Arbeitnehmer geleisteten Schwarzzahlungen nicht bekannt gewesen. Das zunächst gegen ihn eingeleitete Strafverfahren habe auch nicht zu einer Anklage geführt.
Das FG lehnte es mangels hinreichender Erfolgsaussicht ab, dem Antragsteller für das Klageverfahren gegen den Lohnsteuerhaftungsbescheid Prozeßkostenhilfe zu bewilligen. Zur Begründung führte das FG aus:
Der Antragsteller hafte, weil er die Tatbestandsmerkmale der §§ 34, 69 AO 1977 erfüllt habe. Er habe seine Pflichten als Geschäftsführer auch dadurch verletzt, daß er die Geschäftsleitung durch seinen Vater geduldet habe. Dabei habe er zumindest grob fahrlässig gehandelt. Denn er habe gewußt, daß seine Verpflichtung als nomineller Geschäftsführer der GmbH der Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse - Geschäftsführung durch den Vater trotz des diesem erteilten Berufsverbots - gedient habe.
Der Antragsteller könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe weder von den von seinem Vater begangenen Unregelmäßigkeiten Kenntnis gehabt noch sei es ihm möglich gewesen, für Abhilfe zu sorgen. Selbst wenn sein Vorbringen, er sei von seinem Vater gezwungen worden, den Gesellschaftsvertrag zu unterschreiben und ihm - dem Vater - die tatsächliche Geschäftsführung zu überlassen, zuträfe, treffe den Antragsteller ein grobes Verschulden. Derjenige, der die Aufgaben eines Geschäftsführers einer GmbH übernehme, müsse auch die damit verbundenen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen wahrnehmen. Wenn die tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Aufgaben des Geschäftsführers so groß seien, daß er keine Mittel und Wege finde, seine rechtliche Stellung zu verwirklichen, so müsse der Geschäftsführer sogleich zurücktreten und dürfe nicht im Rechtsverkehr den Eindruck erwecken, als sorge er für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte der GmbH.
Mit der Beschwerde beantragt der Antragsteller weiterhin sinngemäß, ihm Prozeßkostenhilfe zu gewähren. Er trägt vor, er habe nicht damit rechnen können, daß sein Vater unkorrekt abrechnen würde. Auch sei die Höhe der gegen ihn geltend gemachten Beträge nicht nachvollziehbar.
Entscheidungsgründe
Hinsichtlich des beim FG noch anhängigen Klageverfahrens ist die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe durch das FG zulässig und begründet. Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann - woran im Streitfall angesichts der Höhe der anfallenden Kosten beim Antragsteller kein Zweifel besteht -, erhält auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 142 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 114 ZPO). Nach Ansicht des Senats kann nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden, daß die Klage des Antragstellers gegen den gegen ihn ergangenen Lohnsteuerhaftungsbescheid Aussicht auf Erfolg haben wird. Im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung der Streitsache für den Antragsteller erscheint auch dessen Prozeßführung nicht mutwillig.
a) Nach § 69 AO 1977 haftet der Geschäftsführer einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm obliegenden Verpflichtungen (§ 34 Abs. 1 AO 1977), § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -) nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Geschäftsführer sich nicht damit entschuldigen kann, daß ein anderer die Geschäfte der GmbH geführt und dabei die Unregelmäßigkeiten, die zur Steuerverkürzung geführt haben, begangen hat. Wenn der Geschäftsführer die Geschäftsführung durch einen anderen duldet, so hat er durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen dafür zu sorgen, daß dieser die steuerlichen Verpflichtungen der GmbH ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt. Es ist auch zutreffend, daß eine lediglich nominell zum Geschäftsführer bestellte Person sich nicht damit entlasten kann, sie habe keine Möglichkeit gehabt, innerhalb der Gesellschaft ihre rechtliche Stellung als Geschäftsführer zu verwirklichen und die steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Ist der Geschäftsführer nicht in der Lage, sich innerhalb der Gesellschaft durchzusetzen und seiner Rechtsstellung gemäß zu handeln, so muß er als Geschäftsführer zurücktreten und darf nicht im Rechtsverkehr den Eindruck erwecken, als sorge er für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte der GmbH (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. November 1963 V 45/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1964, 96). Das gilt, soweit sie volljährig sind, grundsätzlich auch für die Kinder und Angehörigen der die Gesellschaft tatsächlich beherrschenden Person, selbst wenn ihnen ihr Amt als Geschäftsführer gegen ihren Willen aufgedrängt worden ist. Im Streitfall erscheint es aber denkbar, daß besondere Umstände vorliegen, die geeignet sind, den Antragsteller von dem Verschuldensvorwurf des § 69 AO 1977 zu entlasten.
b) Es steht fest, daß der Antragsteller von seinem Vater zur Gründung der GmbH und zur Übernahme des Amtes als GmbH-Geschäftsführer gedrängt worden ist, als er erst 22 Jahre alt war. Dem Vater, der mit seinem eigenen Unternehmen in Konkurs geraten war und dem für derartige Geschäfte Berufsverbot erteilt worden war, sollte auf diese Weise die weitere geschäftliche Betätigung ermöglicht werden. Vom FG wird nicht ernstlich in Zweifel gezogen, daß der Antragsteller aufgrund seiner mangelnden Ausbildung und Berufs- und Lebenserfahrung nicht in der Lage war, selbst die Geschäfte der von ihm gegründeten GmbH zu führen, und daß er von seinem Vater daran auch gehindert worden ist. Selbst wenn dem Antragsteller die Umstände bekannt waren, aus denen sich ergibt, daß er von seinem Vater als GmbH-Geschäftsführer mißbraucht worden ist, und wenn er davon ausgehen mußte, daß dieser Steuern verkürzen werde, so folgt daraus noch nicht - wie das FG meint -, daß er deshalb zumindest grob fahrlässig gehandelt habe, weil er die Geschäftsführung durch seinen Vater geduldet habe und nicht von seinem Amt zurückgetreten sei. Das FA und das FG haben insoweit allein auf die rechtliche Möglichkeit zur Amtsniederlegung abgestellt, ohne zu berücksichtigen, ob der Antragsteller auch tatsächlich hierzu in der Lage war.
Der Antragsteller hat im Einspruchs- und Klageverfahren vorgetragen, daß er von seinem Vater unter Drohungen für Leib und Leben zur Gründung der GmbH gezwungen worden sei und daß der Vater während des Bestehens der GmbH seinen Willen ihm gegenüber stets mit Gewalt durchgesetzt habe. Dieses Vorbringen des Antragstellers erscheint dem Senat nicht von vornherein unglaubwürdig. Auch der Bruder des Antragstellers hat in einem beim BFH anhängigen Verfahren unter detaillierter Angabe der vom Vater angewandten Drohungen und Gewalttätigkeiten, für die er auch Beweis angetreten hat, vorgetragen, auch er sei zur Gründung einer GmbH und zur Übernahme der Geschäftsführung im Interesse seines Vaters gezwungen worden. Das FG wird im Klageverfahren zur Intensität des vom Vater ausgeübten Zwangs und zu den tatsächlichen Möglichkeiten des Antragstellers, sich diesem zu entziehen, nähere Feststellungen treffen müssen. Für die Richtigkeit des Vorbringens des Antragstellers spricht ferner, daß nicht der Antragsteller als Geschäftsführer, sondern dessen Vater zu einer erheblichen Freiheitsstrafe wegen Steuerhinterziehung, die er im Rahmen der Geschäftsführung der GmbH begangen hat, verurteilt worden ist. Für den Fall, daß sich die Sachdarstellung des Antragstellers im Hauptverfahren als zutreffend erweist, könnte diesem wegen der von seinem Vater ausgehenden ständigen Pressionen nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Pflichten als Geschäftsführer verletzt habe, weil er die Geschäftsleitung durch den Vater geduldet und das Amt, dessen ordnungsgemäße Ausübung ihm nicht möglich war, nicht niedergelegt habe. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß der Antragsteller im Zeitpunkt der Gründung der GmbH gerade erst an der Schwelle zum Erwachsenwerden stand und er dem elterlichen Haushalt angehörte. Ferner befand er sich in gewisser wirtschaftlicher Abhängigkeit von seinem Vater, weil er keinen Beruf erlernt hatte und deshalb nicht ohne weiteres aus dem von diesem geleiteten Unternehmen ausscheiden konnte. Zusätzlich zu den bereits genannten Gründen war es dem Antragsteller auch nicht zumutbar, sich dem FA oder sonstigen Behörden gegenüber zu offenbaren, weil er damit einen Angehörigen (Vater) der strafrechtlichen Verfolgung hätte aussetzen müssen.
c) Sollte das FG unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen im Klageverfahren dennoch ein schuldhaftes Verhalten des Antragstellers i. S. des § 69 AO 1977 bejahen, so werden die Auswirkungen der besonderen Umstände des Streitfalles auf die bei der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zu treffende Ermessensentscheidung (§ 191 Abs. 1 AO 1977) zu beachten sein. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508) ist dem angefochtenen Verwaltungsakt der Boden entzogen, wenn neue tatsächliche Feststellungen im Klageverfahren zu anderen Voraussetzungen für die Ermessensentscheidung führen und tatsächliche oder rechtliche Erkenntnisse eine dem Kläger günstigere Ermessensentscheidung ermöglichen.
Aus der angeführten Entscheidung ergibt sich ferner, daß ein geringes Alter des Geschäftsführers, seine mangelnde Vorbildung und Eignung für die Geschäftsführertätigkeit und die Tatsache, daß er von einem anderen für diese Sache bewußt mißbraucht worden ist, bei der Ermessensentscheidung von Bedeutung sein können. Derartige Ermessenserwägungen sind aber aus dem Haftungsbescheid und der Einspruchsentscheidung des FA nicht hinreichend ersichtlich. Da demnach die Klage des Antragstellers nicht aussichtslos erscheint, war ihm für dieses Verfahren die beantragte Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.
Fundstellen
Haufe-Index 413833 |
BFH/NV 1987, 459 |